Читать книгу Rasputin - Robert Heymann - Страница 10
Sechstes Kapitel.
ОглавлениеWar der Zar schon von Natur aus krankhaften Neigungen unterworfen, so stellten sich diese bei Alexandra Feodrowna, seiner Gattin, infolge der schrecklichen Erlebnisse und Erfahrungen allmählich ein. Der japanische Krieg erregte sie tief. Die Revolution erschütterte ihre schwache Gesundheit, und die Jahre, welche sie um das Leben ihres Kindes zitterte, raubten ihr die letzte Kraft. Sie liess sich zuerst zu spiritistischen Zirkeln führen, da sie nirgends auf Erden mehr Trost finden konnte. Ihre Nerven litten immer mehr; Wahnvorstellungen peinigten sie, und so bestärkt sie in ihrem unsichern Wesen den unentschlossenen, wankelmütigen Charakter ihres Gatten. Grossfürst Paul, der Nikolaus lange sehr nahe stand, verbringt den grössten Teil des Jahres im Ausland. Grossfürst Michael ist wegen einer nicht standesgemässen Heirat degradiert, und so konnte Nikolaj Nikolajewitsch allmählich seinen ganzen Einfluss auf den verwirrten Kaiser geltend machen. Er ist auch Spiritist, aber kein Fatalist, ein treuer Vertreter der Autokratie, ohne Verständnis für alle anderen sozialen Forderungen. Die Leute, welche den Idealen Nikolaj Nikolajewitschs und seines kaiserlichen Neffen dienten, haben wohl fast alle ein tragisches Ende gefunden. Plehwe, ein Diener seiner despotischen Grundsätze, endete durch eine Bombe. Sein Tod bat den Kaiser nur darum nicht mehr erschüttert, weil sich fast gleichzeitig herausstellte, dass Plehwe, um über alle Vorgänge im kaiserlichen Palast unterrichtet zu sein, sich heimlich an das Privattelefon des Zaren anschliessen liess, was bei seinem Tode dem Kaiser bekannt wurde. In diesem Augenblick mag Nikolaus II. erkannt haben, wie unfrei er ist, beobachtet und von seiner Hofkamarilla abhängig. Nach Prehwes Tod begann die Revolution. Sie fand die Regierung völlig unvorbereitet, und eines der ersten Opfer war Grossfürst Sergius, der in Moskau residierte. Er fuhr trotz aller Drohbriefe mutig durch die Stadt und wurde durch eine Bombe in Stücke zerrissen. Seine Gattin, Elisabeth Feodorowna, war die Erste an der Unglücksstätte und hat von da an nur dem Anbenken an den geliebten Toten gelebt. Es konnte nicht lange i dauern, bis auch sie sich dem Spiritismus und okkulistischen Experimenten ergab. Die Regierung lag damals in Händen Witte’s, der Minister des Innern war. Witte griff zu einem ebenso verzweifelten wie echt russischen Mittel, um die Revolution niederzuhalten. Er hörte, dass der Pope Gapon das besondere Vertrauen der Arbeiterschaft genoss. Auf diesen Gapon stützte Witte seinen Plan. Er war wohl durchdacht und hat blutigen Erfolg gezeitigt. Witte wusste, dass der Pope ein gewissenloser, ehrgeiziger und prunksüchtiger Mann war. Und da der Minister glaubte, für die Massnahmen zur Unterdrückung kommender Unruhen einen kecken Vorwand finden zu müssen, besonders, um vor Europa gerechtfertigt dazustehen, so setzte er sich mit Gapon in Verbindung, der sich bereit erklärte, den agent provocateur zu spielen. Auf diese Weise sollte die Revolution im Keime erstickt werden.
Gapon überredete die Arbeiter der St. Petersburger Fabriken, dem Zaren eine Bittschrift zu überreichen. Am „Roten Sonntag“ zogen die irregeleiteten Scharen, die selbst nicht wussten, was sie wollten, in friedlicher Absicht zum Palais des Zaren und wurden wie tolle Hunde niedergeknallt. Gapon entfloh nach Paris, kehrte zurück und wurde in Finnland ermordet. Die Revolution wurde unterdrückt, aber Stolypin, dem dieser Sieg gelang, fiel einer Bombe zum Opfer. Seitdem lebt der Zar fast immer in grösster Abgeschiedenheit in Barskoje Selo; seine Tätigkeit ist sehr begrenzt, er hat keine Interessen und lässt seine Minister gewähren. Wohin sie ihn geführt, beweist der Weltkrieg. Und schwerer lastet seitdem das graue Unheil mit bleiernen Flügeln über dem Kaiserschlosse von St. Petersburg.
Es ist also verständlich, dass Nikolaus II. für die Dinge, die um ihn waren und die Vorgänge, die sich rundum abspielten, nie das klare Verständnis fand, überhaupt nie in das rechte Verhältnis zu Erscheinungen und Ereignissen treten konnte, die selbst andere, weniger abgeschlossene Beurteiler nur im schiefen Winkel sehen, weil sich die Warheit hinter Polizeikulissen und Regierungsintriguen verbirgt. Und in diesem kaleidoskopischen Wirrwarr von blutigen Tagen und unruhigen, qualvollen Nächten, in steter Angst um das Leben und in Vorausahnung meist unbegreiflicher und darum um so schreckhafterer Ereignisse, vergräbt sich Zar Nikolaus immer mehr in mystische Betrachtungen. Seine kranke, um das Leben ihres Kindes besorgte Gemahlin folgt ihm auf diesem Wege, der beide abhängig von Personen mit stärkerem Willen machte und den Kaiserpalast in eine obskure Beschwörungskammer des unaufhaltsamen Schicksals verwandelte.