Читать книгу Rasputin - Robert Heymann - Страница 6
Zweites Kapitel.
Оглавление„Dies ist Manuilow — Manussewitsch“, sagte der Schuster und wies auf einen zur Beleibtheit neigenden, sehr gut gekleideten Mann in mittleren Jahren, der aber nicht bei Tisch mit ass, sondern abseits auf einem Sessel Platz genommen hatte.
„Meine Nichte Akulina ist dir bekannt. Hier — Akulinas Bräutigam, Dr. Maxim Wassilieff. Und Ratharina Zienkowskij, die Journalistin, von der ich dir sprach“.
„Ich heisse Rasputin“, gab das neue Mitglied des kleinen Familienkreises einfach bekannt.
Die Unterhaltung war bald im Gange, und es zeigte sich, dass dieser Rasputin aus Sibirien sich viel mit der Politik beschäftigt hatte. Dr. Maxim Wassilieff verwickelte sich alsbald in ein Gespräch mit ihm, indem i sie die Ursachen der letzten grossen Revolution in Russland untersuchten.
Dr. Wassilieff hielt seinen schlanken Kopf, der mit viel feinen, aber widerspruchsvollen Zügen gezeichnet war, erhitzt über den kleinen Tisch geneigt und suchte i Katharina, die Journalistin, zu einem Zeichen der Zustimmung zu bewegen. Aber das junge Mädchen verhielt sich im Gegensat zu sonst, auffallend schweigend und beantwortete keinen der dunklen Blicke, die Rasputin manchmal auf ihr ruhen liess.
Um so öfter sah ihn Akulina an. Sie lauschte seinen Worten leidenschaftlicher als denen ihres Geliebten. Rasputins Erklärungen hatten übrigens gegen die scharf durchdachten Äusserungen Wassilieffs wenig Sinn. Sie bewegten sich im allgemeinen und stellten geistige Forderungen auf, die in keiner konkreten Tatsache wurzelten. Aber wie kam das, dass dieses dunkel gefärbte Organ auf alle eine so bezaubernde Wirkung übte? Und warum hüllte sich die junge Jornalistin in ein geradezu beleidigendes Schweigen? Sie empfand gegen ihn ein klar ausgeprägtes Misstrauen, ja, eine Abneigung, die an Hass grenzte. Akulina hingegen war ihm zugetan seit der ersten Minute, und da sie die Gefahr, in die sie sich begab, nicht ahnte, so tat sie nichts, sich dagegen zu schützen.
Der Schuster warf nur dann und wann ein Wort dazwischen, wenn eine persönliche Erinnerung an die Wintertage von 1905 in Frage kamen. Er hatte den Zug der Zehntausend zum Winterpalast mitgemacht. Als der Name Gapon fiel, jenes Popen, der die Arbeiter verraten und vor die Gewehrläufe der sibirischen Schüben geführt hatte, da sahen sich alle einen Augenblick verblüfft an, verbunden durch einen gemeinsamen Gedanken.
Aber Gapon war tot. Thn hatte die rächende Wasse der Terroristen igendwo da oben in Finnland erreicht. Rasputin lächelte. Er hatte mit der seinen Witterung, die ihm eigen war, den Gedanken aufgefangen.
Ich bin nicht Gapon. Aber, bei Gott, ich fühle seine geistigen Kräfte verdreifacht in mir. Gapon wollte Russland helfen, aber er liess sich von zwei verschiedenen Strömungen tragen und beherrschte keine. So wurde er aus einem Retter ein Verräter. Man muss nicht das Volk beherrschen, um Russland zu helfen. Was nützte dies?“
„Man muss mit dem Volke die geistigen Güter der inneren Freiheit teilen“, unterbrach ihn Dr. Wassilieff, „und dann . . .“
„Nein,“ schnitt ihn Rasputin das Wort ab. „Man müsste den Geist der Gerechtigkeit nach Zarskoje Selo tragen . . . direkt zum Zaren . . . Gott schütze ihn!“
Es wurde still. Was Rasputin sprach, hätte unter anderen Verhältnissen dieser kleinen Tafelrunde einfach lächerlich geklungen. Aber es war etwas so stark Gewolltes in dem Reden dieses Mannes, dass ihn sogar Katharina erstaunt ansah.
Manuilow — Manusseritsch liess die Zeitung auf seinen Sessel sinken und musterte den Sprecher scharf. In seinem undurchdringlichen Gesicht malten sich Aufmerksamkeit und erhöhtes Interesse. Trotz der Lektüre war ihm offenbar kein Wort der Unterhaltung entgangen.
„Wie wollten Sie dies ausführen?“ warf er dazwischen.
„Man müsste sich selbst Eingang verschaffen in Zarskoje Selo.“
„Das ist ein guter Witz,“ erwiderte der Zeitungsleser trocken.
Rasputin würdigte ihn keiner Antwort. Seine Augen ruhten auf Akulina; er erkannte, dass sie an ihn glaubte. An seine Bestimmung, an seine schlummernde Grösse, an seine unbeugsame Seele.
Er lächelte. Ihre Augen trafen sich. Dr. Wassiliff merkte es und stockte im Gespräch. Sein durchgeistigtes bleiches Gesicht färbte sich mit einer Blutwelle.
„Akulina“ sagte er und wollte etwas Gleichgültiges hinzusetzen, um ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, aber sie sah an ihm vorbei, mit jenem starren, visionären Blick, den Frauen haben, die ihr Schicksal sehen, dem sie nicht mehr entrinnen können.
Der Schuster merkte nichts und mahnte, den Tee nicht kalt werden zu lassen.
Da trat Pureschkiewitsch ein.
Alle erhoben sich. Ihr Verhalten zeigte, welche Achtung dieser Mann genoss. Katharina fasste seinen Arm und hielt ihn fest, als sei sie glücklich, endlich den ersehnten Schutz gefunden zu haben.
Man stellte ihm Rasputin vor, aber Pureschkiewitsch beachtete ihn gar nicht. Er zog sich mit Katharina zurück und winkte Manuilow-Manussewitsch zu sich heran.
Aus ihrer erregten Debatte wurden mehrmals Bruchstücke vernehmbar. Es war klar, dass sie einer Partei angehörten, die sozialistische Interessen vertrat.
Pureschkiewitsch ging mit Katharina alsbald hinweg. Sie wollten den Abend bei Freunden verbringen. Rasputin erhob sich. Er wollte Katharina behilflich sein, in den Mantel zu schlüpfen. während Pureschkiewitsch sich von Wassiliff verabschiedete. Aber Katharina wand sich geschickt von Rasputin los, zu dem Manuilow-Manussewitsch trat.
Er sagte leise:
„Sie werden sich in diesem Kreise auf die Dauer nicht wohl fühlen.“
„Nein.“
„Man müsste an geeigneter Stelle auf Sie aufmerksam werden.
„Wie meinen Sie das?“
„Lassen Sie mich machen. Ich verkehre nicht umsonst hier. Es gibt Menschen in Russland, die zweierlei Seelen haben.“
„Ja, das glaube ich.“
„Es gibt auch solche, die zweierlei Körper haben; einer von den letzteren bin ich.“
Rasputin betrachtete den Mann, der so sprach, aufmerksam. Ein Instinkt sagte ihm sofort, dass er ein Wesen voll übelster Eigenschaften vor sich hatte.
„Geben Sie acht, was man hier spricht. Sie werden viel Interessantes hören,“ fuhr jener fort. „Und dann reden wir zu gegebener Zeit darüber. Gott befohlen.“
Er schloss sich Katharina und ihrem Freunde an. Rasputin kehrte an den Tisch zurück. Es wurde stiller. Der Schuster war müde von seinem Tagewerk und gähnte.
Es war Zeit, dass Wassilieff sich empfahl. Und doch zauderte er noch immer, von einer unerklärlichen Angst gefoltert. Endlich erhob er sich. Er konnte kaum atmen, als er die Augen Rasputins auf sich ruhen fühlte.
Akulina sah ihn mit einem fremden Blick an und zog ihre Hand mechanisch zurück. Wassilieff seufzte tief auf, aber in dem Gesicht Rasputins zeigte sich keine Regung von Mitleid.
Er hielt Akulina mit seinen Augen umklammert. Ihre Seele fror. Nun war sie allein. Der Schuster ging zu Bett, sie begab sich auf ihr Zimmer.
Eine Stunde später trat Rasputin bei ihr ein und bat sie um Feuer für seine Lampe.
Sie reichte ihm das Gewünschte. Er setzte sich. Akulina näherte sich ihm, ohne sich dessen vollkommen bewusst zu sein; er streichelte ihr schönes Haar, das aufgeworfenem Getreide glich.
Dabei sprach er sonderbare Dinge von Gott und Irdischem.
Und nur dies verstand Akulina:
„Das höchste Wesen ist überal. Es ist im All. Das höchste Wesen ist die wunderbare Kraft, schön und rein zu sein, sie ist die Erlösung. Wir alle haben davon einen Teil in uns, aber die Kraft ist viel zu gering, um uns zu erlösen. Also müssen wir uns dem anvertrauen, der von der göttlichen Kraft so viel Ströme in sich aufgenommen hat, dass in ihm ein Teil des göttlichen Wesens ist. In mir ist die Kraft und die Erlösung. Wer sich mir mit Leib und Seele ergibt, trinkt einen Teil dieser Kraft. Was von mir ausgeht, ist eine Lichtquelle, und was ich tue, ist rein.“
Akulina war ein einfaches Wesen. Ihre Seele war tief wie ein Brunnen. Sie liebte Gott und freute sich der Schönheit. Aber in ihr Herz waren nicht umsonst alle die Ströme von Zweifel gedrungen, die von den denkenden Geistern Russlands ausgesandt wurden. Ihre einfache Denkungsart war zerrissen von sonderbaren Vorstellungen über das, was kommen sollte, und ihre Sehnsucht war irregeführt.
Diese Sehnsucht war so stark und gewaltig wie die des ganzen russischen Volkes, das von einigen wenigen missbraucht wird. Und diese Seele ergab sich dürstend der Kraft Rasputins, die aus dem Mystizismus schöpfte, in dem die russische Volksseele schmachtet.