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5. Kapitel.

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Von nun an wurde Rasputin am Hofe des Zaren Nikolaus ein häufiger Gast, und es war nur natürlich, dass die Männer, welche dort eine Rolle spielten, die Vorgänge wachsamen Auges verfolgten.

Sie wussten alle nichts Rechtes mit Rasputin anzufangen. Weder der frühere Petersburger Stadthauptmann Trepow, noch der Chef der Ochrana, noch die Grossfürstenpartei.

Rasputins Besuche hatten zunächst nur den Zweck, dem Zaren prophetische Aufklärungen zu erteilen. Die, welche diesen Sitzungen nicht beiwohnten, schalten Rasputin einen raffinierten Betrüger, der sich die Schwächen des Kaisers zunutze mache; die, welche Zeugen der seltsamen Fähigkeiten des merkwürdigen Menschen waren, konnten sich selbst dann, wenn sein Zauber nicht mehr wirkte, dem suggestiven Einfluss, der von ihm ausging, nicht entziehen.

Freilich konnte Rasputin sich nur unter so merkwürdigen und verwickelten Verhältnissen entfalten, wie er sie am Hofe eines europäischen Autokraten mit asiatischen Instinkten vorfand.

Zudem waren an Nikolaus II., der von Natur aus nicht kräftig war, alle die aufregenden und blutigen Ereignisse der letzten Jahrzehnte nicht spurlos vorübergegangen. Und da ihm die geistige Kraft zu einem gestählten Willen fehlte, der allein durch das Labyrinth der Fäden gelangen konnte, die am Zarenhof gesponnen wurden, so ergab er sich mystischen Unternehmungen und wurde ein Opfer des Kismet.

Um den Charakter des russischen Kaisers, der Rasputin mit der Zeit kaum mehr entbehren konnte, zu verstehen, muss man die Erziehung berücksichtigen, die dieser von Grund auf intelligente und gutmütige Charakter genossen hatte. Abgesehen von vielen anderen Quellen, die dem Autor dieses Buches zur Verfügung stehen, möge der Aktualität wegen — ein englisches Original zitiert sein: „Behind the veil“. Unter diesem Titel erschien über Nikolaus II. eine von bestinformierter Seite verfasste Artikelserie in Cassells Magazine. Diese Artikel, für die ein Graf Wasili zeichnete, tragen den Stempel der Wahrheit. Freilich wurde die Zeitschrift von der russischen Zensur wegen dieser Aufsätze auf den Index gesetzt — aber das waren noch andere Zeiten, in denen sich die Engländer noch nicht mit Kosaken, Senegalesen und Hottentotten verbrüdert hatten.

Nikolaus II. gehört zu jenen ängstlichen, unentschlossenen Naturen, die sich in wichtigen Momenten durch Nebensächlichkeiten beherrschen lassen.

Er genoss eine unvollkommene Erziehung, und noch nach seinem zwanzigsten Jahre behandelte man ihn oft als Knaben, nicht als vollendeten Mann. Dies unterdrückte frühzeitig jede Selbständigkeit in ihm. General Danilowitsch, der Nikolaus vom fünfzehnten Lebensjahre an zu erziehen hatte, war als Persönlichkeit eine Null, und auch späterhin geschah so gut wie nichts, um dem jungen Mann eine seiner Stellung und Zukunft angemessene Erziehung zu geben. Er bewohnte im Anitschkowpalast ein paar abgeschiedene Zimmer und kam mit seinen Eltern kaum in Berührung. Später als Offizier des Gardehusarenregiments vertrieb er sich die Zeit in Gesellschaft junger Kameraden und wurde immer unselbständiger und haltloser. Als Kaiser vergass er keine ihm früher zugefügte Beleidigung und wurde ein empfindsamer, von hundert Stimmungen abhängiger Mensch — kurz, ein Neurastheniker auf dem Thron.

Während Alexander II. noch regierte, herrschte im Volke Zuversicht und Sicherheit. Man durfte seinem Worte trauen, er hatte eine eigene, sichere Meinung. ob diese zutraf oder nicht, so bot sie doch für die Politik eine Richtschnur.

Schon nach wenigen Monaten der Regierung des Zaren Nikolaus II. wusste jeder, der mit ihm in Berührung kam, dass er nur das Echo jeder anderen Meinung war — und nie eine eigene besass. Seine Ansicht über einen Gegenstand wechselte er, sowie er mit einer neuen Person darüber sprach. Er glaubte die Pflichten eines Herrschers begriffen zu haben, doch fragte man sich, ob er sie überhaupt kannte. Dieses Unvermögen des Zaren wirkte überraschend; noch mehr staunte man über seine Undankbarkeit für die ihm geleisteten Dienste. — Als Stolypin nach den schrecklichsten Leidenstagen in Kiew starb, hielt sich der Kaiser eben dort auf; man erwartete, dass der Zar bei den Leichenbegräbnis seines Ministers, der sich für ihn geopfert hatte, erscheinen würde. Das Volk verlangte eine Kundgebung seiner Trauer zu sehen; aber ungerührt reifte der Zar nach der Krim ab. Es war ihm zu unwichtig, einem Minister die letzte Ehre zu erweisen, der für ihn sein Leben eingesetzt, die drohende Revolation unterdrückt hatte, die den Thron der Romanovs zerschmettern konnte. Danach wurde Rokowtsow zum Premierminister ernannt; dieser kam nach Livadia, um mit dem Zaren über die zu unternehmenden Schritte Rücksprache zu nehmen. Der Zar war gerade damit beschäftigt, die Wirkung einiger Bilder zu prüfen, die er aufgehängt hatte. Erfreut begrüsste er den Minister, den er sofort über sein Bilderarrangement befragte. Dann ging er in eine leichte Unterhaltung über, aus der beide während des dreitägigen Aufenthaltes des Ministers nicht herauskamen, denn es war diesem unmöglich, den Zaren in eine ernstere Unterredung zu ziehen. Endlich sagte ihm der Zar auch ganz offenherzig, dass er sich zu erholen wünsche und nicht mit Geschäften belästigt werden möchte, die nach seiner Rückkehr in Zarskoje Selo Erledigung finden i würden. —

Nikolaus II. bewohnte seine Hauptstadt seit dem Tage nicht mehr, an dem er vor dem aufgestachelten Volk, das von dem berühmten Gapon angeführt wurde, floh. Er hat sich auf sein Schloss in Zarskoje Selo zurückgezogen. Dort finden ihn seine Minister im Kreise einer kleinen Anzahl von Freunden, mit denen er wie ein friedlicher Gutsbesitzer lebt; zur Abwechslung geht er in das Kasino des dort liegenden Regimentes, um sich mit den oberflächlichsten Dingen i die Zeit zu vertreiben — oft bis spät in die Nacht. Viele Stunden verbringt er in seinen Parks, in denen er auf die Jagd geht; er unterschreibt auch Papiere, deren Inhalt er kaum kennt. Am liebsten beschäftigt er sich mit seinem Sohne, den er offensichtlich verehrt, aber höchst sonderbar erzieht. Niemand darf dem Kinde widersprechen, man erfüllt ihm jede, auch noch so merkwürdige Laune und befriedigt jeden Wunsch sofort. Der Zar hat eine ausgeprägte Neigung zu spiritistischen Séancen, die er an langen Winterabenden veranstaltet und bei denen die berühmtesten Medien St. Petersburgs zugegen sind. Von einem Medium, dem er besonderes Vertrauen schenkte, liess er sich sogar in den wichtigsten Staatsangelegenheiten beraten. — Wechselnd, wie alles andere, was der Zar tat, waren auch seine Beziehungen zu den verschiedenen Mitgliedern seiner Familie. Seine Mutter übte im Anfang seiner Regierungszeit einen erheblichen Einfluss auf ihn aus, der sich aber im Laufe der Zeit nicht vergrösserte. Es steht jedoch fest, dass der Zar nichts gegen den Willen der Zarinwitwe unternimmt. Besonders befreundet schien er eine Zeit lang mit seinem Onkel, dem Grossfürsten Wladimir; das änderte sich aber nach der Verheiratung dessen Sohnes, des Grossfürsten Cyrill, mit seiner Cousine, der geschiedenen Grossherzogin von Hessen. Meinungsverschiedenheiten zerbrachen die freundschaftlichen Beziehungen. In seiner kaiserlichen Freundschaft sonnte sich von nun der Grossfürst Nikolaj, der sich durch seine Brutalität so bekannt gemacht hat und vielleicht auch deshalb den Gefallen des Zaren fand. Der Zar lebt abgeschieden, und das ehedem so glänzende Hofleben ist traurig und düster geworden. Der Winterpalast hat seinen glänzenden Charakter verloren und macht auf den Besucher einen trostlosen Eindruck. Seit Peter dem Grossen ist keine Regierung in Russland so mit Unglück belastet gewesen wie diese. Unheil und Verderben kennzeichnet sie. Das Prestige des Landes, das unter Alexander III. so gross gewesen, hat fortwährend, nicht zum wenigsten durch den Ausgang des russisch-japanischen Krieges, gelitten; die Revolution von 1905 tat das Ihre. Überall herrscht steigende Unzufriedenheit. Dem Zaren selbst blieb kein Unheil erspart. Tausende und Abertausende fielen verbrecherischen Intriguen zum Opfer. Ihr Blut schreit nach Rache. Der gegenwärtige Krieg hat die düstersten Betrachtungen in Nikolaus hervorgerufen. Seine Familie ist ihm entfremdet, seine Gattin leidet an einer mysteriösen Krankheit, sein Sohn scheint einem sicheren Siechtum verfallen. Er hat keine ergebenen Berater; seine Kreaturen verfolgen mit allen Mitteln die selbstsüchtigsten Zwecke.

Rasputin

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