Читать книгу Bob Dylan - No Direction Home - Robert Shelton - Страница 35
SCHAUSPIELSTUDIO MIDWEST
ОглавлениеEhe Elvis schwarzes Leder anzog, fand ein kleiner Kreis junger Männer der Iron Range Vorbilder im Schauspielgeschäft. Männer in Filmen, wie Brando in Der Wilde oder Dean in Jenseits von Eden und Giganten sowie vor allem in Denn sie wissen nicht, was sie tun, beeindruckten (nicht nur) diese isolierten Provinzler.
Brando und Dean schufen Charaktere, die die Westernhelden in den Schatten stellten. Der neue Volksheld ritt nicht auf einem Pferd, sondern über fuhr mit dem Motorrad das Stoppschild des vertretbaren Benehmens. In einem Jahrzehnt amerikanischen Überflusses, ohne sichtbare Grenze, die zu überwinden gewesen wäre, gab es nichts Besseres als ein Motorrad - außer vielleicht einer Gitarre -, um den Traum des jungen Mannes von sexueller Potenz zu symbolisieren, um den Vater in dessen »sicherem« Wagen herauszufordern. Harley und Davidson waren die Lewis und Clark[62] der Fünfziger.
Der Held des Motorrads in Hibbing war Dale Boutang, ein Cowboy auf Rädern und erfahrener Gewichtheber. Er fuhr eine Harley 74. Bob kaufte eine Harley 45, das nächstkleinere Modell. Le Roy brachte Bob schnell bei, wie er sie fahren musste, draußen auf der West Side. Um ein richtiger, wilder Mann zu sein, gehörte zum Motorrad auch eine Lederjacke. Eines Tages fuhr die Band zu einem Vorort namens Brooklyn hinaus, von Hibbing durch einen unbeschrankten Bahnübergang getrennt. Die vier warteten ungeduldig das Ende des vorbeifahrenden Zugs ab. Bob drehte seine Maschine auf, um losrasen zu können, sobald der Zug vorüber war. Er setzte sich in Bewegung, ehe er sah, dass auf dem nächsten Gleis ein weiterer Zug aus der Gegenrichtung kam. Als er das bemerkte, drehte er scharf nach links und warf sich vom Motorrad. Der Güterzug fuhr nur Zentimeter an ihm vorbei. Bob stand auf und schob das Motorrad über die Schienen zurück. Fast zwei Minuten lang konnte er kaum sprechen. Langsam fuhr er die Maschine nach Hause, ohne seinen Eltern je davon zu erzählen. Ein paar Tage überlegte er, das Motorrad zu verkaufen, aber bald fuhr er wieder umher.
Bob war nicht damit zufrieden, wie Dean, Brando oder Presley zu fahren, sich in ihrer Weise zu geben und zu denken: Er wollte auch wie sie fotografiert werden. Hierzu engagierte er seinen Bruder David und die Polaroidkamera der Familie. In dem Zimmer im Obergeschoss lernte Bob, zwischen dem 15. und 17. Lebensjahr, das Posieren. Als ich Jahre später Suze Rotolo, seiner Freundin aus Greenwich Village, davon erzählte, zeigte sie sich erstaunt. »Ich wusste nicht, dass er vor seiner Zeit in New York schon einmal vor einer Kamera gestanden hatte.« David erinnerte sich, dass sie bei einer ihrer Lieblingssitzungen die langen schweren Vorhänge im Schlafzimmer als Bühnenvorhang benutzt hatten, aus dem Bob hervorlugte, grinsend oder mit vorgerecktem Kinn. Für Action-Bilder röhrte Bob auf seiner Harley um die Straßenecke, raste voll auf seinen Bruder an der Bordsteinkante zu, schleuderte und schrie über die Schulter zurück: »Hast du's?«
In ihrem Artikel über Brando als amerikanischen Prototypen zeichnete die Filmkritikerin Pauline Kael ein Porträt, welches dem jungen Dylan bei seiner eigenen Biographiegestaltung geholfen haben muss:
»… Protagonisten sind immer Einzelgänger … Brando repräsentierte eine Reaktion auf die Sicherheitsmanie der Nachkriegszeit … Brando hatte keinen Kodex, nur seine Instinkte … Er war antisozial, weil er wusste, dass die Gesellschaft Mist war; er war ein Held … weil er stark genug war, den Mist nicht hinzunehmen … Besonders anziehend an ihm war vielleicht … die Einbildung des harten Burschen. Darin steckte Humor …, Prahlerei und Arroganz, die sinnlos und kindisch waren … Er war explosiv, gefährlich, ohne ›ernsthaft‹ zu sein, in dem Sinn, dass er Ideen gehabt hätte. Er war ein Führer ohne Theorie, ohne Jargon …
Weil er keinen Kodex hatte, außer einem ästhetischen - der Hinwendung zu einem Lebensstil - konnten die, denen er vertraute, ihn leicht betrügen. Da stand er, der neue Primitive, ein Byron-Typ ohne Ausweg, mit dieser Qualität seiner Verletzlichkeit … Wir im Publikum hatten das Bedürfnis, ihn zu beschützen; wir wussten, wie einsam er sich in seiner Anmaßung fühlen musste. Wer will denn in der Hölle wirklich noch Außenseiter sein? Er war kein Intellektueller, der es hätte rationalisieren können … Er konnte es nur fühlen, ausleben, ›Der Wilde‹ sein - und Gott weiß, wie viele Burschen gefühlt haben: ›Das ist die Story meines Lebens‹[63].«
Als Dylan sein Motorrad aufdrehte, im eigenen Bordsteintheater posierte, war James Dean tot, Hank Williams ebenso, aber Brando war lebendig in Hollywood und in Hibbing.