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KADDISCH

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Abe erlitt im Sommer 1966 seinen ersten Herzanfall, kurz nach Bobs Motorradunfall. Es war ein leichter Anfall, aber er zwang ihn zu größerer Ruhe. Allerdings konnte ihn kein Arzt vom Kummer über seine Jungen und sein öffentliches Image als Vater heilen. Im Frühjahr 1968 hatte er ein neues Familienproblem: Davids drohende Heirat mit einer Katholikin. »Wenn meine Jungs Fehler machen, dann gleich große«, sagte mir Abe bei meinem letzten Besuch.

Am Morgen des 5. Juni fühlte Abe sich schwach und »komisch«, als er erwachte. Er blieb zu Hause und schonte sich. Als Beatty von der Arbeit heimkam, fühlte er sich keineswegs besser. Kurz nach 17 Uhr erlitt Abe einen tödlichen Herzanfall. Zunächst sträubte Bob sich, zu erscheinen, damit die Bestattung ruhig verlaufen könne. Am nächsten Tag holte ihn David im Nieselregen vom Flughafen ab. Bob hatte den runden schwarzen Hut auf dem Kopf, den er auf dem Cover von John Wesley Harding trug. Er und David fanden das Haus überfüllt von Verwandten und Nachbarn vor. Nach wenigen Minuten sagte Bob: »Das ist keine Gartenparty. Sehen wir zu, dass wir diese Leute loswerden.« Beatty erklärte, so fordere es die Trauersitte. Bob beharrte darauf, dass die Familie unter sich sein solle.

David war erstaunt über Bobs Auftreten. Sein älterer Bruder verfügte über eine bislang unbekannte Ruhe, Festigkeit und Gelassenheit. Als die beiden Einzelheiten der Bestattung diskutierten, war David verblüfft über Bobs Vertrautheit mit dem jüdischen Ritual, vor allem dem Kaddisch, dem hebräischen Gebet, durch das die Seele des Elternteils vom lebenden Sohn fromm gefördert wird.[71] Früh am Freitagmorgen gingen David und Bob zum Bestattungshaus an der 1st Avenue. Beim Anblick des Leichnams seines Vaters war der vorher sehr beherrschte Bob zutiefst aufgewühlt. Der Tod traf ihn härter als Beatty oder David; als ob nun all das über ihm zusammenschlüge, was er und sein Vater nie hatten aussprechen können. (»Ich habe meinen Vater nie gekannt«, sagte Bob später einmal.) Als das Bestattungshaus für die langen Reihen von Trauernden öffnete, stand Bob wieder ganz beherrscht in einer Ecke und nahm alles auf wie eine Kamera.

Zwei Jahre vor Abes Tod knallte mir Bob seine abgerissenen Gedanken über Tod und Selbstmord hin. »Ich weiß nur, dass ich schon überfällig bin, eher als ein 50-Jähriger. Hey, Tod bedeutet mir nichts, wenn ich schnell sterben kann. Ich hab oft gewusst, ich hätte bei allen möglichen Dingen schnell sterben können. Einmal gab's 'ne Zeit, da hatte ich Angst vorm Sterben. Ich hab da was mit Selbstmord, geb ich zu. Schon seit sechs Monaten leb ich unter 'ner Selbstmordverhexung …

Übrigens hatte ich große Angst vorm Sterben die ersten Jahre in New York. Als ich angefangen habe, all diese Songs zu schreiben, und mich plötzlich alle Genie nannten - Genie dies und Genie das. Ich wusste, das war Scheiße, weil ich noch immer nicht geschrieben hatte, was ich eigentlich schreiben wollte. Ich hatte ›Blowin' In The Wind‹ geschrieben, aber damit war ich nicht zufrieden. Mit ›Blowin' In The Wind‹ war ich nie zufrieden. Das habe ich in zehn Minuten geschrieben. ›Blowin' In The Wind‹ war ein Glückstreffer, geradezu ein klassischer Song. Nicht mehr und nicht weniger als ›Your Cheatin' Heart‹. Aber er war eindimensional …

Ich hab wirklich 'ne Krankheit, Mann. Ich schreib nicht, wenn's mir gut geht, weißt du. Wenn's mir gut geht, dann spiel ich. Ich schreib, wenn ich mich mies fühle. Meine Scheiße werd ich aber keinem aufdrängen. Mann, keiner weiß, was mit mir los ist, und ich werde das auch keinem erzählen … Wenn's mir je so ginge wie Woody Guthrie in seiner Lage, ich weiß nicht, was ich tun würde. Lebendig zerfallen. Ich kann nicht zerfallen. Ich würde mich nicht zerfallen lassen. Ich bin gegen Zerfall. Das ist der Wille der Natur - Zerfall. Ich bin gegen die Natur. Ich mag die Natur überhaupt nicht. Ich finde, die Natur ist ganz unnatürlich. Ich glaube, die einzig natürlichen Dinge sind Träume, die die Natur nicht mit ihrem Zerfall anstecken kann …

Ich hatte solche Angst vorm Tod, als ich in New York war. Ich hab nichts mehr fertig gekriegt. Alles, was ich fertig gekriegt habe, könnte ich morgen besser machen … Ich wollte nicht sterben. Ich bin mit Flugzeugen geflogen, und alles, was ich getan habe, war, nicht sterben wollen, weil ich noch was loswerden, was gesagt kriegen musste. Weil ich wusste, die Leute würden zuhören … Ich will mich nicht sterben sehen … Ich will mich nicht sterben hören. Oder Sterben schmecken oder riechen … All dieses Gerede über Gleichheit. Das Einzige, was die Leute wirklich gemein haben, ist, dass sie alle sterben werden.«

Bei der Feier in der Synagoge trug Bob einen grauen Zweireiher mit Manschettenknöpfen aus Jade, einen weißen Binder und das traditionelle Schädelkäppchen - eine Konzession an seine Mutter. Er hatte seinen John-Wesley-Harding-Hut tragen wollen; der hätte durchgehen können als der schwarze Hut, den einige fromme jüdische Sekten tragen.

Noch an diesem Nachmittag machte David mit Bob eine Rundfahrt durch Hibbing im Regen. Bob ließ die Stadt vor seinen Augen vorüberziehen wie eine lange Stummfilm-Rückblende. Er kam an dem Hügel vorbei, auf dem einmal ein paar Jungen ein Schild aufgestellt hatten: HIBBING, MINNESOTA - HEIMATSTADT VON BOB DYLAN. So ähnlich wie Thomas Wolfes Asheville und Sinclair Lewis' Sauk Centre. Bob sagte zu David, die Stadt erscheine ihm wie ein riesiger Bestattungsladen. Erneut war David verblüfft über die Abgeklärtheit seines Bruders, die fast heilig wirkte. An diesem Abend wollte Bob ein paar von seinen alten Freunden sehen. Bonn Rolfsen und Pater Michael Hayes von der katholischen Kirche auf der 7th Avenue kamen vorbei. Echo, John Bucklen und Monte Edwardson waren fort; desgleichen Bobby Zimmerman: ein Fremder in seinem eigenen Haus, der, wie er sagte, »sich nicht mehr als dieselbe Person empfand, die er in Hibbing gewesen war«.

Beatty war glücklich darüber, dass Bob bis zum folgenden Dienstag bleiben konnte. Er riet ihr dringend, das Haus zu verkaufen und sich eine andere Beschäftigung zu suchen. Sie redeten über die frühen Jahre, und Bob versicherte ihr, sie und Abe seien gute Eltern gewesen. Wenn sie sich anders verhalten, ihm nicht in entscheidenden Punkten widerstanden hätten, hätten sie dann etwa das Brett für seinen Absprung sein können? Hatten sie ihm denn nicht den Antrieb zum Fortlaufen, den Grund zur Rebellion, all das mitgegeben, aus dem er seine eigene, besondere Persönlichkeit formen konnte? Der Sohn, der heimkam, um Abe zu bestatten, war der Beweis dafür, dass Abe und Beatty nicht versagt hatten. Beatty sagte ihm, alles Geld der Familie sei eingefroren, bis der Nachlass abgewickelt sei. Bob zog sein Scheckbuch und schrieb ihr einen Scheck über einen fünfstelligen Betrag aus. Beatty und David waren überwältigt. Sie beharrte: »Bob, ich will nicht, dass deine Kinder irgendwas entbehren müssen.« »Ich kann jederzeit ein paar Konzerte machen«, antwortete er.

Über das Wochenende schlief Bob im alten Schlafzimmer seines Vaters und brütete Stunden über seinen Kindheitserinnerungen - den Comics, den Illustrierten Klassikern, Fotos, alten Platten, eigenen Bändern. Einige Leute in Hibbing fanden nun, dass er seinem Vater verblüffend gleiche. Konnte er zu dem geworden sein, wogegen er so lange opponiert hatte?

Seine Frau erwartete ein weiteres Kind, und Bob wollte bei ihr sein. Er machte sich auf den Weg zum Flughafen.


Highschool-Foto von Robert Allen Zimmerman, ehe er von Minnesota nach New York aufbrach.


Grüße aus Hibbing, in den vierziger Jahren.

Bob Dylan - No Direction Home

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