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cc) Maßstäbe der Kontrolle

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In Deutschland wurzeln die Maßstäbe für die Kontrolle durch die Verwaltungsgerichte in der Verfassung. Zum einen leitet sich ein umfassender Kontrollumfang aus Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 97 Abs. 1 GG ab, wonach der Richter an Recht und Gesetz gebunden ist. Dies umfasst alle formellen und materiellen Gesetze des Bundes und der Länder.[265] Ferner gewährleistet Art. 19 Abs. 4 GG mit dem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz eine Rechtsschutzgarantie, die im Zweifel den strengeren Prüfmaßstab gebietet.

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Die Rechts- und Realakte der Verwaltung müssen dementsprechend mit Gesetzesrecht vereinbar sein. Dieses muss freilich seinerseits konform mit höherrangigem Recht sein. Dies dürfen Gerichte auch prüfen. Bestehen aufgrund der Prüfung im Hinblick auf die Verfassungsmäßigkeit des gesetzlichen Prüfungsmaßstabes Zweifel, so müssen die Gerichte nach Art. 100 Abs. 1 GG dem BVerfG vorlegen, das für nachkonstitutionelle Parlamentsgesetze die Verwerfungskompetenz beansprucht. Für vorkonstitutionelle formelle und materielle Gesetze haben allerdings die Verwaltungsgerichte selbst eine Verwerfungskompetenz.

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Neben dem Gesetzesrecht sind die allgemeinen Regeln des Völkerrechts Bestandteil des Bundesrechts (Art. 25 GG), sie sind ebenfalls von den Verwaltungsgerichten als Prüfungsmaßstab heranzuziehen. Das Völkervertragsrecht hat innerstaatlich in Deutschland den Rang von Gesetzesrecht (Art. 59 Abs. 2 GG), so dass es ebenfalls als Kontrollmaßstab in Betracht kommt.

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Auch das Europarecht (Primär- und Sekundärrecht der Europäischen Union) gehört zum Kontrollmaßstab der Verwaltungsgerichte. Aus Sicht des Europarechts muss der nationale Richter staatliches Handeln auf seine Vereinbarkeit mit dem anwendbaren Unionsrecht überprüfen und zwar auch – und erst recht – auf Antrag Privater. Darüber hinaus ist der deutsche Richter sogar verpflichtet, die Einschlägigkeit von Unionsrecht von Amts wegen festzustellen und dieses anzuwenden.[266] Hier kann der Anwendungsvorrang des Europarechts entscheidend sein, wenn das nationale Recht in Gegensatz zum Unionsrecht gerät. Mit der Rs. Alcan[267] von 1997 ist dies für das deutsche Verwaltungsrecht auch allgemeiner bekannt geworden. In dem Fall machte ein Unternehmen gegen die Rückforderung europarechtswidriger Subventionen Vertrauensschutz wegen Zeitablaufs aus dem deutschen VwVfG geltend, was mit dem vorrangigen Europarecht nicht ohne weiteres vereinbar war. Bei Fragen nach der Auslegung des Europarechts sowie bei Zweifeln hinsichtlich dessen Rechtmäßigkeit kann bzw. muss dem EuGH die Europarechtsfrage zur Vorabentscheidung vorgelegt werden.

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Der Kontrollumfang beschränkt sich im Grundsatz auf eine Rechtmäßigkeitskontrolle. Soweit noch das Widerspruchsverfahren (§ 68 VwGO) als vorgeschaltetes verwaltungsinternes Kontrollverfahren stattfindet, kann die Behörde bzw. die Widerspruchsbehörde auch die Zweckmäßigkeit überprüfen.

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Rechtmäßigkeitskontrolle heißt, dass die Rechtsanwendung und -auslegung durch das Gericht maßgeblich ist und sich gegenüber einer abweichenden Handhabung des Rechts durch die Verwaltung durchsetzt. In bestimmten Fällen ist die Kontrolldichte indessen eingeschränkt. Dann hat gleichsam die Verwaltung das letzte Wort. Ist der Behörde ein Ermessen eingeräumt, so findet lediglich eine Überprüfung auf Ermessensfehler statt (§ 114 VwGO).[268] Auch bei unbestimmten Rechtsbegriffen kann sich die Frage nach der Kontrolldichte stellen.[269] Zwar sind unbestimmte Rechtsbegriffe grundsätzlich gerichtlich voll überprüfbar. Die verwaltungsgerichtliche Kontrolle ist nur dann beschränkt, wenn der Behörde ein Beurteilungsspielraum bei der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe zusteht, etwa bei Prüfungsentscheidungen, beamtenrechtlichen Beurteilungen oder allgemein Prognoseentscheidungen und Risikobewertungen. Dann überprüft das Gericht lediglich Beurteilungsfehler, etwa Verfahrensfehler, ausgehend vom unrichtigen Sachverhalt, Verstöße gegen allgemeine Bewertungsgrundsätze, sachfremde Erwägungen oder sonst willkürliche Entscheidungen.

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