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Weisses Haus, Washington, D.C., Januar 2017

Steve Bacon betrat geschmeidig das Oval Office durch eine Seitentür.

Wie immer war Steve leger gekleidet, trug ein einfaches Hemd mit rotem Schlips, darüber ein kariertes Sakko und Jeans. Er hatte sein Aussehen stets beibehalten; neuerdings rasierte er sich allerdings täglich. Das einzige Zugeständnis an seine neue Position. Er legte bei der Auswahl seiner Kleidung keinen gesteigerten Wert auf Äußerlichkeiten, das karierte Sakko trug er schon etliche Jahre. Es war zu einer Art Markenzeichen von ihm geworden.

Er war der persönliche Assistent von Ronald Grump. So zumindest seine offizielle Bezeichnung, jeder wusste aber, welche Macht Steve innehatte. Er allein entschied, welche Dinge mit Ronald besprochen werden durften. Einen Termin bei Ronald ohne die Freigabe von Steve war undenkbar. Die beiden Männer verband keine Freundschaft, aber durch die zahlreichen Schlachten, die sie in den letzten Jahren gemeinsam gefochten und allesamt gewonnen hatten, war so etwas wie Vertrauen und Zuneigung, aber auch Abhängigkeit entstanden. Steve Bacon war der Kontaktmann zu der geheimnisvollen Organisation. Ronald hatte gehört, dass man sie „Medusa“ nannte. Er kannte sich mit griechischer Mythologie nicht aus, hatte aber nachgelesen und herausgefunden, dass es sich um ein weibliches Ungeheuer handelte, die ihre Gegner beim bloßen Anblick versteinern und töten konnte. Ziemlich treffsichere Namensgebung, wie er fand. Er wusste immer noch nicht, um wen und welche Personen es sich bei „Medusa“ handelte.

Steve schien in der Organisation weit oben zu stehen, da er direkten Kontakt zur Führungsriege hatte und weitgehend selbst entscheiden konnte. Jedes Gespräch, in dem Ronald mehr über „Medusa“ herausfinden wollte, endete immer auf die gleiche Art und Weise: Steve setzte ein Lächeln auf, neigte den Kopf zur Seite und antwortete:

„Es ist besser, wenn Sie das nicht wissen. Besser für ein glaubwürdiges Dementi, Ronald.“

Steve war der Steuermann der Kampagne, der Kopf dahinter. „Medusa“ selber blieb im Dunkeln. Die Männer vom Burke Lake hatte Ronald nie wiedergesehen und nichts mehr von ihnen gehört. Der einzige Kontakt war Steve.

„Mr. President, Sir, ich störe Sie nur sehr ungern, aber es gibt einige wichtige Entscheidungen, die jetzt getroffen werden müssen.“

Steve überreichte dem Präsidenten einen Umschlag, der nicht beschriftet war; dies war insofern sehr außergewöhnlich, da sämtliche Korrespondenz des Präsidenten erst im Security Office geprüft werden musste und dann vom Postal Service geöffnet wurde. Dies geschah aus rein praktischen Überlegungen: Es gab kaum Post, die an den Präsidenten gerichtet war und von ihm persönlich beantwortet wurde. Für jedes Thema gab es Spezialisten. Jede dieser Stellen versah das Dokument gewöhnlich mit einem Stempel und einem Bearbeitungsvermerk. Alles wurde elektronisch dokumentiert, somit war jederzeit nachvollziehbar, wo sich welches Dokument in der Bearbeitung befand.

Dieser Umschlag war nicht gestempelt.

Der Präsident öffnete den nicht beschrifteten Umschlag, holte mehrere Blätter Papier hervor und begann zu lesen.

Es handelte sich um eine Liste, die im Großen und Ganzen die gesamte Besetzung der neuen Administration betraf. Für jeden Ministerposten und jede wichtige Funktion stand darauf ein Kandidat beziehungsweise ein Name: Namen, die Ronald noch nie gehört hatte und Namen, mit denen er weniger als ein Gesicht verband. Er kannte diese Leute nicht. Er verstand allerdings, dass die erste Gegenleistung von ihm eingefordert wurde. Man hatte ihn erwartungsgemäß kontaktiert, und nun sollte er wichtige Posten seines Kabinetts und des Executive Office des Präsidenten der Vereinigten Staaten mit Leuten besetzen, die er nicht kannte. Das war Teil des Deals, dem er vor Jahren am Burke Lake zugestimmt hatte. Bis heute hatte er keine Aufforderung bekommen, irgendetwas anders zu machen, als er es ohnehin getan hätte. Doch nun hatte „Medusa“ zum ersten Mal ihr Haupt erhoben.

Die Liste schien lang: Mike Price, mit dem er die meiste Zeit den Wahlkampf bestritten hatte, stand ganz oben weiterhin als sein Vize auf der Liste. Er mochte Mike nicht, man hatte ihn ausgesucht, weil er neben Steve der Verbindungsmann zur Organisation war, aber hauptsächlich fühlte er sich von Mike beobachtet und wusste, dass, wenn er nicht auf Linie blieb, Mike übernehmen würde. Allein schon deswegen mochte Ronald ihn nicht. Mike war ein Speichellecker, wie er schon viel zu viele getroffen hatte: Menschen, die sich gern im Schatten großer Persönlichkeiten tummelten und sich von den Brotkrumen ernährten, die Titanen wie er vom Esstisch fallen ließen. Ganz bewusst fallen ließen.

Außenminister Rik Tillman war der Nächste auf der Liste. Er kannte ihn nicht gut, nur auf einigen Veranstaltungen und Spendengalas hatte er ihm beiläufig die Hand geschüttelt. Welche Qualifikationen er hatte, wusste Ronald nicht, aber er sollte Außenminister werden. Jetzt hatte er ein Problem. Tomas Scharon sollte eigentlich den Posten übernehmen – Ronald hatte viel Geld aus dessen Heimatbezirk erhalten, und er fand den Jungen gut. Vor allem machte er alles genau so, wie man es ihm sagte. Dieser Charakterzug gefiel Ronald an Menschen: Wenn sie wussten, wann und wem sie zu folgen hatten. Nun, er würde mit ihm sprechen müssen und sicher einen anderen Posten für ihn finden. Was zählte schon das Wort von gestern, gerade bei Politikern.

Finanzminister: Steve Munic. Er hatte noch nie etwas von dem Mann gehört, fand aber, dass man mit so einem Nachnamen nicht in die Politik gehen sollte. Wieder das gleiche Problem, eigentlich wollte er Adam Scott auf diesem Posten, einen ausgewiesenen Experten. Adam hatte ihm schon unzählige Male schwierige Finanzkonstrukte mit einfachen Worten erklärt, das gefiel ihm. Gut, auch dafür würde er wohl oder übel eine Lösung finden müssen. Die Liste setzte sich endlos fort, Verteidigung, Justiz, Innenministerium, er überflog all die Namen und schaute ratlos zu Steve auf, der nach wie vor lässig dastand und auf eine Reaktion wartete.

„Ich soll alle Leute auf dieser Liste ernennen?“, versicherte sich Ronald bei ihm.

Steve nahm die Liste wieder an sich. „Ja, Mister President, das wird Ihr Kabinett sein und das Executive Office. Es freut mich, dass wir hier nicht diskutieren müssen, wir haben für Ihre designierten Kandidaten eine jeweils passende Story, und glauben Sie mir, wenn ich sage, das wird eine schlagkräftige Regierung, die Amerika wirklich ‚wieder groß‘ machen wird! Die Ernennungsurkunden sind schon in der Erstellung, wir werden die Kandidatenliste zur Abstimmung dem Senat zuleiten.“

Damit verließ Steve das Oval Office und ließ den Präsidenten allein an seinem Schreibtisch zurück. Die Papiere hatte er wieder eingesteckt. Alles musste vernichtet werden. Ronald hatte darauf bestanden, einige Dokumente, die vertraulich waren und die nur Steve und ihn betrafen, auf USB-Stick zu erhalten. Steve war dagegen, aus Sicherheitsbedenken. Ronald ließ nicht mit sich reden, er wollte auf geheime Dokumente zugreifen können, wenn er abends im Bett lag, fernsah und nebenbei an seinem Laptop arbeitete. Steve kopierte dann immer die letzten Anweisungen von „Medusa“ auf einen extra gesicherten Stick, den ihm sein Auftraggeber hatte zukommen lassen.

„Sie hatten sich also gemeldet“, dachte Ronald. Nach Jahren der Funkstille waren die Männer aus dem Dunkel zurückgekehrt und forderten nun die Gefälligkeiten ein, die vor Jahren angekündigt worden waren. Er wusste nicht, wie viele Forderungen sie noch stellen würden, das wurde nicht verhandelt. Bislang konnte er gut damit leben. Ein paar Posten, die von Leuten besetzt wurden, die er nicht kannte. Kein Problem, solange er die Macht hatte, alles und jeden wieder zu ersetzen. Vielleicht sollte er die CIA oder das FBI auf die Typen ansetzen, dachte er kurz, verwarf diesen Gedanken aber schnell wieder, als er an die Liste dachte, auf der er auch irgendwo CIA gelesen hatte. Diese Organisation hatte ihre Leute überall platziert. Er war umgeben von Aufpassern. Ja, er war der Präsident, aber die Menschen um ihn herum gehörten fast alle zu „Medusa“. Er musste auf der Hut sein.

Die einzigen Menschen, denen er wirklich vorbehaltlos vertrauen konnte, waren Mitglieder seiner Familie, und nur seiner Familie. Seine Tochter, die bildhübsch war und so klug. Ihr Ehemann, dem er zwei Mal aus der Patsche geholfen hatte, als seine Geschäfte wirklich schlecht liefen. Sein Sohn und natürlich dessen Frau, das waren die Menschen, denen er vorbehaltlos vertraute. Sie glaubten an ihn und an seine Mission. ‚Blut ist dicker als Wasser‘ war einer der Lieblingssprüche seines Vaters, den er über alles verehrt hatte. Ein Mann, der wusste, was er wollte und wie man es bekam. Ein Macher. Von ihm hatte er alles gelernt, auch, dass es keine Niederlagen gibt für einen Grump. Die Geschichte musste in solch einem Fall nur anders erzählt werden. Am Anfang hatte seine Familie ihn für verrückt erklärt, aber als es dann losging, hatten sie ihn vorbehaltlos unterstützt. So musste es sein.

Er ging zum Sofa und nahm sich ein Sandwich, das sichtlich nur für den Präsidenten bestimmt war. Er musste schmunzeln. „Viel zu viel Grünzeug“, dachte er und wünschte sich einen großen, fettigen Burger.

Mit dem Koch würde er reden müssen.

Die Grump-Affäre

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