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1.2 Exkurs: Geschichte der Medizingeschichtsschreibung
ОглавлениеDie Medizingeschichtsschreibung hat lange am Fortschrittsbegriff festgehalten (Button, 1988). Im Einzelnen sind drei Strömungen oder Richtungen zu unterscheiden: Am Anfang steht die konkrete und nachhaltige Erfahrung der Fortschritte, die in der naturwissenschaftlich ausgerichteten Medizin vor allem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erzielt wurden. Die Wahrnehmung dieser Errungenschaft führte dazu, dass die Medizingeschichtsschreibung sich lange Zeit auf der „Siegerstraße“ bewegte und die Geschichte der Medizin als einen langen Weg aus dem Dunkeln des Nicht-Wissens in das helle Licht wissenschaftlicher Erkenntnis beschrieb. Diese Richtung hat immer noch Anhänger, wie ein Blick in ein auch heute noch gerne benutztes Lehrbuch zeigt (Ackerknecht, 1989, S. VII). Erst die „Professionalisierung“ der Medizingeschichte (Burnham, 1998) und das stetig wachsende Interesse von Medizinsoziologen und Sozialhistorikern an Krankheit und Gesundheit in der Geschichte (Sozialgeschichte, S. 173) seit den 1960er Jahren leiteten eine zweite Phase ein. Fortan wurde der Fortschritt zu einem theoretischen Konzept und damit zu einem medizinhistorischen Perspektivbegriff. Die Kritik an der Apparatemedizin und an den Strukturen des modernen Gesundheitssystems in den 1970er Jahren fand ihren Widerhall nicht zuletzt in der Medizingeschichtsschreibung. Das bis dahin vorherrschende, wenn auch theoretisch unterschiedlich fundierte Fortschrittsparadigma wurde in dieser dritten und bis heute andauernden Phase mehr und mehr in Frage gestellt. Das Augenmerk galt nicht mehr so sehr dem Fortschritt, sondern seinen Folgen und Bedingungen (Mayr, 1990). [<<24]