Читать книгу Das Geheimnis der Toten von Zerbst - Roberto Schöne - Страница 5

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Zender legte einen Formel 1 reifen Start hin. Von 0 auf 100 in 4 Sekunden. Das konnte sich sehen lassen. Er hatte noch keinen Kilometer zurückgelegt, als er rund dreihundert Meter vor sich ein rotes Licht auf und ab bewegen sah. Die Kelle einer Verkehrskontrolle. Polizei! Der erste Gedanke war einfach weiterzufahren. Wir sind hier doch nicht im Wilden Westen. Eher im Wilden Osten. Doch so was kam nicht in Frage. Außerdem wäre es sowieso nicht möglich gewesen, da der zweite Polizist am Steuer seines Wagens saß und notfalls mit dem Fahrzeug eine Blockade errichtet hätte. Also runter bremsen, schnell noch das Nachtsichtgerät im Geheimfach hinter der Mittelkonsole verschwinden lassen, Minifernseher im Armaturenbrett einrasten und deaktivieren der Sonderextras. So jetzt war das Auto normal. Zender stoppte bei dem Polizisten mit der Kelle.

„Allgemeine Verkehrskontrolle, haben Sie Alkohol getrunken? Sie sind zu schnell gefahren. Bitte Führerschein und Zulassung.” Zender reichte beides in der Hoffnung schnell weiter zu kommen. Er verzichtete diesmal sogar auf seine üblichen Bemerkungen. Auch Kritik, die Beamten hatten sich nicht vorgestellt, verkniff er sich. Er musste Darkows Ermordung melden. Der nächste Satz ließ Zenders Hoffnungen aber leider nicht wahr werden.

„Bitte stellen Sie den Motor ab, und steigen Sie aus.” Zender tat was man von ihm verlangte. Innerlich kochte er vor Wut, hielt es aber unter Kontrolle. Der zweite Polizist hatte inzwischen seinen Streifenwagen verlassen und postierte sich schräg hinter Zender und hatte die rechte Hand auf seine Pistole gelegt.

„Also Sie sind zu schnell gefahren…”

„Woher wollen Sie das wissen?”

„Das haben wir gesehen, was Micha?” Der Zweite nickte.

„Und gemessen?”, fragte Zender.

„Brauchen wir nicht, dass war so schnell genug.”

„Da hätten Sie aber den Wagen vor mir auch anhalten müssen.”

„Welchen Wagen?” Stopp, dachte Zender, sind die überhaupt echt? Der Pickup war eh weg. Also schau ich mir mal die Polizisten an. Beide Hauptwachtmeister. Bestimmt Revier Dessau. Bevor er noch irgendetwas entgegnen konnte übergab der Polizist mit der Kelle Zenders Papiere an seinen Kollegen, den er mit Micha angeredet hatte. Zu Zender sagte er: „Sie werden uns begleiten müssen.” Richie wollte aufbegehren, aber unterließ es. In dem Moment als die beiden Zender auf den Rücksitz des Polizeiwagens verfrachten wollten, fuhr an ihnen Daniela mit ihrer Honda vorüber. Ihre Geschwindigkeit war auch nicht langsamer als seine vorher. Die Beamten reagierten überhaupt nicht. Sie knallten hinter Richie die Tür zu und Micha klemmte sich hinter das Steuer. Der andere holte den Skoda. Der Schlüssel steckte ja noch.

„Wohin geht’s?”, erkundigte sich Zender beiläufig und rechnete mit keiner Antwort.

„Aufs Revier natürlich, oder wollten Sie mit uns Essen fahren?” Das war erstaunlich. Die beiden Fahrzeuge starteten und fuhren die Landstraße in Richtung Dessau. Von Daniela oder dem Nissan Pickup war nicht die geringste Spur zu sehen. Sie hatten Richie keine Handschellen angelegt, da die Sicherheit des Fahrers durch ein Gitter zwischen den Sitzreihen getrennt war. Was sollte ich als nächstes unternehmen, fragte sich Richie und kam zu keinem zufriedenstellenden Ergebnis. Er hatte im Moment nicht die Hauptrolle im Spiel, und das war nicht sein Ding. Er musste schnellstens wieder die Handlung übernehmen und erhoffte sich eine Wendung auf dem Revier. Er betete zu Gott, dass seine Partner, wenigstens über Funk verbunden, die Angelegenheit in den Griff bekamen. Doch viel gab er nicht darauf. Wenn Daniela den Unbekannten mit dem Pickup finden sollte, dann sollte sie Lotto spielen. Da standen die Chancen auch nicht schlechter. Sie hielten vor dem Polizeirevier in Dessau-Kochstedt. Die Tür neben Zender wurde aufgerissen und der Kellen Schwenker starrte ihn mit düsterer Miene an.

„Los aussteigen”, wurde er angeblafft. Sie betraten den Dienstraum. Ein Polizeimeister, der an einem PC saß, stand umgehend auf und fragte: „Wen bringt Ihr denn da zu später Stunde?”

„Ein Raser. Setzten ihn erst mal fest. Gehen den Doktor holen und müssen noch zur Gartenstraße. Sind gleich wieder da.” Das war Micha, der zu dem Mann am PC gesprochen hatte.

„Craner, Du kannst schon mal die Daten aufnehmen”, sagte der Kellen Schwenker zu seinem Kollegen, als Richie endlich hinter Gitter saß. „Und lass den lieber da drin, ist sicherer.” Craner grinste und stellte den Karton mit Richies Sachen in den Schrank. Das war dann doch eine kleine Abwechslung am Sonnabendabend.

„Warum bin ich hinter Gittern?”, fragte Zender als die anderen beiden weg waren.

„Alles zu seiner Zeit”, gab Polizeimeister Craner zur Antwort. „Erst nehmen wir mal Ihre Personalien auf.”

„Ich möchte Telefonieren”, sagte Richie, der sich kurzer Hand entschlossen hatte doch auf Hilfe von außen zu setzen. Diese blöde Geschichte kam doch raus. So oder so.

„Wen wollen Sie anrufen? Ihren Anwalt?”

„Ja.”

„Sie sind doch noch wegen gar nichts beschuldigt worden.”

„…aber sitze hinter Gittern wie ein Schwerverbrecher.”

„Gognik und Franzke werden schon ihre Gründe haben.”

„Ich möchte ihren Vorgesetzten sprechen.”

„Der ist bestimmt schon im Bett.”

„Dann wecken Sie ihn, verdammt noch mal.”

„Alles zu seiner Zeit”, sprach Craner. „Erst nehmen wir mal Ihre Daten auf.” Das sind die Beamten die wir brauchen, dachte Zender. Behalten in jeder Lage einen kühlen Kopf und Arbeiten die Vorschriften ab. Richie hoffte das der Arzt bald eintraf und er dann etwas in Gang bringen konnte. Doch zunächst hatte ihn Craner in seinen Krallen. Der hatte sich einen Laptop geholt und setzte sich vor Richies Zelle. Richie kochte vor Wut.

„Name?”

„Zender.”

„Vorname?”

„Richie.”

„Wie schreibt man das?”

„Wegen mir kannst du auch 3 Kreuze machen.”

„Komm mir ja nicht blöde.”

„Das wird nicht mehr nötig sein. Richie geschrieben und Ritschie gesprochen.”

„Geburtsdatum?”

„01.11.1960.”

„Alter?”

„Als ich Polizeimeister war konnten wir das noch im Kopf rechnen. Oder stimmt der Witz doch, dass ein Polizist nur ein ganzer Kerl ist, wenn er seinen Hund dabei hat. Und Hunde sehe ich hier aber nicht.” Craner guckte wie eine Gans wenn es blitzte. Dann sah Richie Wut über seine Äußerung im Blick des Polizeimeisters. Als es so aussah das er jeden Moment explodierte, fing er sich wieder und stotterte.

„Wir, wir sind Kollegen?”

„Ich Ex und außer dem später eine andere Richtung.” Polizeimeister Craner war aus dem Konzept gekommen. Dazu klingelte nun auch noch das Telefon. Er stellte den Laptop ab und ging telefonieren. Und das dauerte. Ganz Sachsen-Anhalt schien gerade eben die Polizei anzurufen. Da die Tür zum Zellentrakt nur angelehnt war, konnte Richie die Stimme von Polizeimeister Craner deutlich hören. Doch er gab sich keine Mühe zu erraten was die Telefonpartner von der Polizei wohl wollten. Stattdessen versuchte er sich eine Strategie für sein weiteres Vorgehen zurechtzulegen. Und Nachdenken ist wichtig. Was ist hier nur die ganze Zeit gelaufen? Einfacher, überschaubarer Auftrag und nun ist die Hauptperson tot. Wieso hatten die Polizisten den Pickup nicht gesehen? Hatten sie am Straßenrand geschlafen und sind durch das Vorbeirauschen munter geworden? Dann den nächstbesten gegriffen? Gut er war auch etwas zügig unterwegs als die Verkehrsordnung besagte. Und dann der Funk. Er hatte nicht mehr überprüfen können ob sein Gerat kaputt war oder eine Netzstörung vorlag. Und wieso fuhr Daniela Straube in Richtung Dessau? Hatte sie das selbst entschieden oder mit Mike Hartig abgestimmt? Der wird ja wahrscheinlich der Rothaarigen gefolgt sein. Und nach deren Nummernschild zu urteilen musste sie nach links, wenn sie nach Hause wollte. Weiter konnte er seinen Gedanken nicht nachhängen, da der Arzt kam. Er hatte Gognik und Franzke im Schlepptau, oder umgekehrt. Richie sah auf die Uhr. Tolle Leistung. Sie hatten eineinhalb Stunden gebraucht um den Doktor zu holen. In dieser Zeit hätte Zender es ja bis zurück nach Dresden geschafft.

„Guten Abend. Ich bin Doktor Berkley und werde Ihnen jetzt etwas Blut abnehmen. Bitte machen Sie den linken Arm frei.”

„Wenn Sie meine Blutgruppe wissen wollen können Sie sich die Arbeit sparen, Doktor. Die steht in meinem Blutspenderausweis.”

„Schön für Sie, aber das ist nicht meine Aufgabenstellung. Und nun machen Sie mal hin, ich will mir nicht den ganzen Abend versauen wegen Ihnen. Die Unterbrechung reicht schon.”

„Wegen mir hätten Sie nicht kommen brauchen”, sagte Richie und streckte den entblößten linken Arm hin. Der Doktor verstand seinen Job. Keine Minute und zwei Röhrchen mit Blut waren abgezapft. Richie sah ein, dass er auch hier nichts anzusprechen brauchte. Der Arzt war schon genervt genug wegen der Unterbrechung am Sonnabendabend.

„Viel Spaß bei der Dopingüberprüfung”, konnte sich Richie nicht verkneifen zu sagen. Doktor Berkley ging und Franzke schaltete das Licht aus und schloss die Tür zum Zellentrakt. Nur die Notbeleuchtung spendete einen schwachen Lichtschimmer. Zender legte sich auf die Pritsche und verschlang seine Arme hinter dem Kopf. So das war‘s dann für heute, dachte er. Soviel Pech hatte er schon lange nicht mehr. Wenn er es sich so richtig überlegte war dies in den letzten Jahren der erste Fall den er ohne seinen Bruder Benno angegangen war. Das hieß, wenn er in der Gegend zu tun hatte. Was selten genug der Fall war. Hongkong, Riga, Belgrad, Kapstadt, Novosibirsk, Bahia, L.A. und Bogota. Um nur einige seiner Orte zu nennen. Rund um den Globus haben ihn die Jagden nach diversen Verbrechern schon geführt. In der letzten Zeit hatte er sich mehr den schweren Jungs in Deutschland, speziell in Sachsen gewidmet. Seiner Heimat. Denn die Zeiten als die großen Coups weit weg geschahen sind vorbei. Das Geschäft mit der Sicherheit hat auch Deutschland erreicht. Und in den nächsten Jahren wird dieser Trend weiter anhalten. Dessen war Richie sich vollkommend sicher. Und der Plan eine schlagkräftige Truppe aufzubauen und von hier aus zu leiten, hatte er schon lange im Hinterkopf. Sein Bruder Benno und er arbeiten schon länger zusammen. Benno saß zwar im Rollstuhl, aber kontrollierte im Hintergrund die Einsätze. Und das hatte bislang immer zum Erfolg geführt. Die alte Zentrale in Pirna Zehista wurde von ihnen aufgegeben, dafür eine Neue in Pirna Copitz errichtet. Die sollte der Hammer sein. Richie war noch nie da. Heute wäre die Premiere gewesen. Und was machte er stattdessen? Lies sich einbuchten. Es war zum heulen. Hätte er lieber den Einsatz verschoben, dann wäre das sicher nicht so gelaufen. Mit Benno lief die Sache einfach immer glatt, irgendwie. Nun werde ja nicht Abergläubisch, dachte Richie. Da er davon ausgehen konnte das hier erst mit der Dienstübergabe am Sonntagmorgen 8.00 Uhr wieder etwas Entscheidendes passieren könnte, entschied er sich zu schlafen. Das konnte nie schaden, zumal er auch gerade nichts anderes vor hatte.

Als er erwachte war es draußen noch dunkel. Er hatte den Umständen entsprechend gut geschlafen. Eigentlich stellte er keine großen Ansprüche an Schlafkomfort. Die Hauptsache er konnte liegen. Ein Blick auf die Uhr zeigte an, dass die Dienstübergabe erst in 2 Stunden sein würde. Darum dämmerte er noch mal leicht ein, bis durch den Krach im Dienstzimmer nach zu urteilen, die Übergabe in vollem Gange sein musste. Das lies neue Hoffnung aufkommen. Es sollte doch wohl möglich sein, dass wenigstens ein halbwegs vernünftiger Beamter in dieser Dienststelle anzutreffen ist. Als ob sein Wunsch erhört worden wäre ging die Tür auf und ein unbekannter Polizeimeister erschien vor dem Zellentrakt.

„Los mit kommen”, knurrte der Polizist, während er Richies Zelle aufschloss. Zender stand auf und folgte dem Mann. Er wurde in einen separaten Dienstraum gebracht, wo ein aufs feinste gekleideter Mann hinter einem riesigen Schreibtisch saß. Er trug keine Uniform.

„Bitte nehmen sie doch Platz”, wandte er sich freundlich an Richie, als der Polizeimeister die Tür zum Dienstzimmer geschlossen hatte. Der Beamte hinter dem Schreibtisch vertiefte sich wieder in irgendwelche Unterlagen die vor ihm lagen und es schien, als hätte er Richie fast vergessen. Tatsächlich jedoch beobachte er Richie und versuchte sich ein Bild von ihm zu machen. Zender war mit dieser Taktik vertraut und versuchte seinerseits den Mann einzuschätzen. Altersmäßig war er so um die dreißig, hatte sein Haar nach hinten gekämmt, ohne Scheitel, was seinem Kopf eine gewisse Fülle verlieh. Die Gesichtsform war eher schmal. Ohne die Frisur hätte er wahrscheinlich wie ein Tropfen ausgesehen. Er hatte sich für den Dienst frisch rasiert und roch nach Aftershave. Die Marke kannte Richie nicht. Seine Hände waren sehnig und lagen ruhig auf dem Tisch. Doch was sind schon Äußerlichkeiten. Er strahlte Ruhe aus. Die Körpergröße schätzte Richie auf 1,75 Meter, wenn der Umriss harmonisch wirken sollte. Sitzende Personen ließen sich schon immer schwer in ein Größenprofil einordnen. Er war genau der Typ den man sich wünscht, um mit seinen Problemen einen Gesprächspartner zu finden. So, dachte Richie, jetzt müsstest du aber das Gespräch beginnen mein Freund, ansonsten hast du deine Chance vertan.

„Ich bin Kommissar Koschinski und heute hier der leitende Diensthabende. Sie haben die Nacht bei uns verbracht? Ich hoffe doch sie hatten keine Unannehmlichkeiten?”

„Hab schon lange nicht mehr so entspannt geschlafen, wo doch der lange Arm des Gesetzes über mich gewacht hat.” Beide lächelten sich an.

„Und warum sind Sie hier, Herr…”

„…Zender. Wenn Sie das nicht wissen, dann wird es aber Zeit das Sie mich gehen lassen.”

„Warum sind Sie mit so hoher Geschwindigkeit auf der Landstraße unterwegs gewesen?”, fragte der Kommissar, ohne auf Richies Bemerkung einzugehen.

„Mit wie hoher Geschwindigkeit?”, fragte Richie zurück. „Ich bei keiner Geschwindigkeitskontrolle dokumentiert worden, woher will da jemand wissen wie schnell ich gefahren bin?”

„Sie streiten doch die Tatsache nicht ab…”

„…das ich zügig gefahren bin, weil ich einen Unfall gesehen hatte und Hilfe holen wollte.”

„Davon steht hier nichts.”

„Weil Ihre Kollegen das gar nicht wissen wollten. Wahrscheinlich liegt der Mann immer noch am Straßenrand und wartet auf Hilfe.” Die wahren Umstände und den Tathergang verschwieg Zender.

„Wo…?”, fragte Koschinski nur ohne den Satz zu vollenden. Richie beschrieb die Stelle. Danach telefonierte der Kommissar und schickte einen Streifenwagen dorthin. Dann warf er wieder einen Blick auf die Papiere die er vor sich liegen hatte.

„Warum fahren Sie eigentlich zu nachtschlafender Zeit hier durch Sachsen-Anhalt?”, erkundigte sich Kommissar Koschinski. Richie musste stark an sich halten um nicht vom Stuhl zu fallen.

„Herr Kommissar, das ist so die dämlichste Frage die ich in den letzten Jahren zu hören bekommen habe. Ob Sie es mir glauben oder nicht. Und selbst wenn ich einen Grund hätte ginge es Sie nichts an. Oder verplempern Sie die Steuergelder neuerdings, indem Sie recht schaffende Bürger von der Straße weg fangen um eine gemütliche Talkrunde zu veranstalten?” Um eine Entgegnung kam Koschinski herum, da das Telefon klingelte. Er nahm das Gespräch entgegen. Schüttelte mehrmals mit dem Kopf und legte schließlich, mit einem eigenartigen, nachdenklichen Blick auf.

„Tut mir leid Zender, aber Ihr Alibiunfall hat nicht stattgefunden. Kein Verletzter, niemand der etwas gesehen hat. Kein Blut. Auch in die Krankenhäuser in der Gegend wurde niemand eingeliefert. Falls Sie mir jetzt auch noch eine Leiche unterjubeln wollen, vergessen Sie’s.” Nun verstand Richie aber gar nichts mehr.

„Wenn der Bericht des Arztes über die Blutuntersuchung nicht vorliegen würde, hätte ich doch auf Alkohol oder Drogen getippt, aber so…?”

„Wollen Sie damit sagen ich habe gelogen?”, ereiferte sich Zender, der die ganze Sache auch nicht verstand.

„Schließlich war ich dienstlich unterwegs, da träumt man nicht vor sich hin.”

„Dienstlich…?”, griff Koschinski die Information von Richie auf, welcher in seine Brusttasche griff und seine Detektivlizenz vor dem Kommissar auf den Tisch legte.

„Ach ein Schnüffler.”

„Ach ein Bulle”, konterte Zender leicht gereizt über die Reaktion seines Gegenüber. Wie weit gehst du? Überlegte Richie. Was gibst du für Informationen Preis? Er wurde einer Entscheidung enthoben, da sich plötzlich alles ganz anders entwickelte, als er es sich vorstellen konnte. Im Nachbarzimmer wurde es auf einmal laut. Dann wurde die Tür ohne zu klopfen aufgerissen und der Polizeimeister erschien im Rahmen und stotterte: „Herr Koschinski, hier ist….”

„Ich kann mich selber vorstellen”, donnerte eine laute Stimme von draußen und ein Mann in Richies Größe, der gut einhundert Kilo auf die Waage brachte, schob den Polizeimeister bei Seite und trat an den Schreibtisch heran.

„Ich bin Doktor Strobel und vertrete den Herrn Zender, den ich jetzt mitnehme. Oder haben Sie etwas dagegen, Herr Kommissar? Ich denke Sie hatten lange genug Zeit sich über alles auszutauschen. Ansonsten nehmen Sie meinen Protest über die Verfahrensweise entgegen, wie hier mit unschuldigen Bürgern umgegangen wird. In den nächsten Tagen setzt sich wegen der Beschwerde die Kanzlei Binger aus Dresden mit Ihnen in Verbindung. Und wenn Sie denken, Sie könnten jetzt noch irgendwas Inszenieren, dann schicke ich gleich noch eine Dienstaufsichtsbeschwerde hinterher. Und die hat sich gewaschen, das verspreche ich Ihnen. So, Herr Zender, was hält Sie hier noch? Dann lassen Sie uns verschwinden. Es reicht schließlich, dass Ihnen das halbe Wochenende versaut wurde.” Richie griff sich noch schnell seine Lizenz vom Schreibtisch und folgte diesem Doktor Strobel, ohne ein Wort der Verabschiedung an Koschinski. Zurück ließen sie einen verdutzt drein blickenden Kommissar.

„Wo sind meine Sachen?”, herrschte Richie den Polizeimeister hinter dem Tresen an. Er bekam sie umgehend ausgehändigt. Zumindest das, was man ihm abgenommen hatte. Der Ton den Strobel angeschlagen hatte erwies sich hier in Dessau als Tür und Tor öffnend. Als die beiden Männer auf den Hof kamen sahen sie Richies Skoda sofort stehen. Allem Anschein nach unbeschädigt.

„Ich danke Ihnen für die tatkräftige Befreiung meiner Person”, wandte sich Richie an Strobel. „Kann ich jetzt noch etwas für sie tun?”

„Natürlich können Sie das. Ich muss zurück nach Dresden. Ich glaube wir haben da den gleichen Weg. Also nehmen Sie mich mit?” Richie staunte nicht schlecht. Wie ist denn der Strobel von Dresden nach Dessau gekommen. Doch bestimmt nicht mit der Bahn.

„Also steigen Sie schon ein, in einer Minute geht es los.” Strobel nahm auf dem Beifahrersitz Platz, lehnte sich genüsslich zurück und machte keine Anstalten noch etwas zu sagen. Also schwieg auch Richie. Überraschend gut fand er den Weg zurück auf die B 184. Als er die Stelle erreicht hatte wo er am Vorabend den Mord, oder was auch immer, an Darkow gesehen hatte, hielt er das Fahrzeug an.

„Kurze Pause”, sagte er zu Strobel, der nur nickte. Richie ging auf die andere Straßenseite zu der Stelle wo Darkow letzte Nacht lag. Blut fand er keines. Nur eine große Öllache. Er ging zum Skoda zurück und holte eine Plastiktüte, sowie eine kleine Schaufel, aus dem Kofferraum. Er hob ein größeres Stück mit Öl getränkte Erde aus und füllte es vorsichtig in den wieder verschließbaren Beutel. Dann setzten sie die Fahrt fort. Auf der Autobahn fuhr Richie konstant 130 km/h und hing wie Strobel seinen Gedanken nach. Als sie am Skeuditzer Kreuz die A9 verlassen hatten und die A14 in Richtung Dresden fuhren, unterbrach Richie das gleichmäßige Summen des Motors mit der Frage: „Hat mein Bruder Sie geschickt?”

„Welcher?”, fragte Doktor Strobel zurück.

„Benno oder Reinhard.”

„Keiner von beiden”, grinste Strobel vor sich hin und schien sich über Richie zu amüsieren. Der ließ eine Pause entstehen, während er angestrengt nachdachte. Komischer Kauz dieser Strobel. Und gesprächig ist er auch nicht. Und wieso saß er jetzt hier im Auto? Ja wieso war er überhaupt hier? Woher wusste er eigentlich dass ich im Knast bin?

„Sagen Sie mal, woher wussten Sie von meinem kleinen Missgeschick? Dann kann ich mir auch nicht vorstellen, dass Sie so mir nichts dir nichts hier aufkreuzen. Und wie sind Sie eigentlich nach Dessau gekommen? Oder fahren Sie als umweltbewusster Beamter mit der Bahn?”

„Bisschen viele Fragen auf einmal und wer sagt denn, dass ich Beamter bin?”, hielt Strobel dagegen. „Und im Übrigen bin ich mit dem Hubschrauber nach Dessau geflogen. Der musste leider sofort weiter, so dass ich jetzt mit Ihnen diese hübsche Spritztour machen darf.”

„Dann sind Sie entweder ein ganz großes Tier oder bei der Mafia.”

„Und wo muss ich dann die Familie Zender einstufen? Ich glaube mich zu erinnern in Ihrem neuen Domizil einen Landeplatz für Helikopter gesehen zu haben.”

„Sie waren gestern Abend zur Einweihungsparty?”

„Ja, zwar nicht eingeladen aber trotzdem war’s nicht schlecht.” Die A14 war eine hundsmiserable Autobahn, was Richie daran hinderte seine bisherige Geschwindigkeit beizubehalten. Zudem ein Bauprojekt der Deutsche Einheit. Es wurde ja überall gebaggert und betoniert. Ja wenn die mal fertig würde. Aber das konnte dauern. Nur gut, dass das Verkehrsaufkommen nicht dem der A4 entsprach und außerdem noch Sonntag war. So ging es ja wenigstens noch voran.

„Wollen Sie über Ihr Projekt in Dessau reden?”, nahm dieses Mal Strobel den Faden des Gespräches wieder auf und ließ die vorher gestellten Fragen unbeantwortet.

„Warum sollte ich? Ich kenne Sie gerade mal zwei Stunden. Okay, Sie haben mich da raus geholt. Aber wahrscheinlich wäre ich jetzt auch ohne Ihr zutun wieder auf freiem Fuß.”

„Das kann man nie wissen. Ohnehin schon seltsam genug. Sie hätten nicht mal festgesetzt werden dürfen. Jeder Randalierer wird zum feststellen seiner Personalien auf das Amt geholt aber im Anschluss daran wieder laufen gelassen. Und Sie hält man wegen ein paar km/h mehr gleich fest. Da steckt mehr dahinter.”

„Sie sind ja ein richtiger Schlaumeier. Wollen Sie mir jetzt noch weiß machen dass Sie gerade zufällig vorbeigekommen sind und ganz nebenbei den kleinen Richie aus der Klemme befreit haben?”

„Ich kann ja verstehen Zender, dass Sie frustriert sind so wie die Sache gelaufen ist. Ich kann mich nicht daran erinnern in den letzten Jahren von einem derartigen Missgeschick im Zusammenhang mit Ihrer Person gehört zu haben.”

„ Ach Sie haben Erkundigungen über meine Person eingezogen?”

„Wundert Sie das? Bei Ihrem Ruf in den Kreisen der Verbrechensbekämpfung? Dazu noch, dass Ihnen keine Arbeit zu dreckig ist, wie Ihr letzter Fall. Und vor allem die Übernahme Ihrer Aufträge mit Erfolgsgarantiezusage. Das ist schon einmalig.” Sie setzten ihren weiteren Weg nun schweigend fort. Strobel, weil er alles gesagt hatte und Zender über dieses nachdenkend. Er kam zu keinem zufriedenstellenden Ergebnis. Als sie die Abfahrt Wilsdruff passiert hatten, fragte Zender: „Wo möchten Sie aussteigen, Herr Strobel? Als kleine Gegenleistung setze ich Sie zu Hause ab.”

„Fahren Sie nur wie Sie möchten, ich schließe mich Ihrem Fahrziel an.”

„Sie laden sich schon wieder selbst ein?”

„Nun weswegen ich gestern in Copitz aufgeschlagen bin, ist noch zu keinem endgültigen Ergebnis gekommen. Da gilt es heute weiter zu machen. Oder hören Sie Neuerdings auf halbem Weg auf?” Richie antwortete auf diese Frage nicht. Er überlegte, ob es nicht besser wäre Benno über ihre Anfahrt zu unterrichten. Denn sie beabsichtigten ihren Stützpunkt in Pirna-Copitz nicht in die Öffentlichkeit zu stellen. Nicht unbedingt Geheimniskrämerei, doch ein unbekannter Rückzugsort kann nie falsch sein.

„Haben Sie zufällig ein Handy dabei? Bei meinem ist der Akku leer.”

„Natürlich”, gab Strobel zurück und holte ein neues Siemens - Model aus der Tasche. Drückte eine Taste und lies die Selbstwahl laufen. Sieh an, dachte Richie, sogar unsere Nummer ist schon eingespeichert. Die hab ich ja noch nicht mal.

„Ja, Doktor Strobel hier. Richie möchte Sie sprechen.” Er reichte Richie das Handy.

„Rick hier, Benno?” Nun sagte Zender gute drei Minuten gar nichts und hörte seinem Bruder nur zu.

„Können wir das nicht besprechen, wenn ich da bin? Okay, ich bin in einer halben Stunde da. Und bringe Doktor Strobel mit. Ist das in Ordnung? Na wenn du das sagst. Bis gleich.” Richie gab Strobel das Handy zurück.

„Alles in Ordnung?”, erkundigte sich dieser.

„Sieht so aus.” Die Fahrt ging durch Freital, über Kreischa und Lockwitz nach Pirna. Die B172 war um diese Zeit gut befahrbar. Die Touristen sind schon an ihren Zielen in der Sächsischen Schweiz angekommen und verstopften die Straßen nicht mehr. So hielt Richie fast seine Zeit Vorgabe. Sie bogen in Copitz in eine neu asphaltierte Straße, die mit einem Sackgassen-Schild gekennzeichnet war. Darunter der Zusatz groß, dick und schwarz -Privatgrundstück- betreten und befahren nicht erwünscht. Sie fuhren fünfzig Meter durch ein kleines Waldstück, das jäh durch einen gut 2,50 Meter hohen Zaun unterbrochen wurde, der zusätzlich mit einer Stacheldrahtabweisung gesichert war. Der Weg endete vor einer großen Stahltür. Mindestens drei Kameras registrierten ihr Ankommen. Nachdem eine halbe Minute vergangen war, glitt die Stahltür beiseite, um eine Schleuse freizugeben. Erst als das Tor hinter ihnen geschlossen war, öffnete sich ein zweites und gab den Weg frei. Wieder Wald, und dieses Mal dreißig Meter. Dann tauchte plötzlich eine Lichtung auf, wo ein riesiges Gebäude aufragte, das drei Etagen hatte. Da Richie das erste Mal hier war, beeindruckten ihn diese Dimensionen. Das waren fünfzig Meter Wand, die das Gebäude nach Süden hin begrenzten. Und da Richie die Quadratische Vorliebe seines Bruders Benno kannte, lag natürlich der Gedanke nah, dass die anderen Wände das gleiche Maß aufweisen. Er erkannte, dass Benno bei den Andeutungen im Vorfeld, was die Größe des Bauwerkes betraf, eher untertrieben hatte. Die Straße gabelte sich. Links einfahren Verboten. Sie fuhren eine Rechtskurve in dessen Anschluss sich eine erneute Gabelung befand. Gerade aus senkte sich die Straße und führte offenbar in eine Tiefgarage, die auch mit einem 30 Tonnen Lastkraftwagen befahrbar war. Rechts folgte ein großer Bogen und man gelangte zu dem großen Eingangsportal auf der Südseite. Und genau den Weg nahm Richie. Er stellte den Skoda auf einen der zwölf unbenutzten Parkplätze, die der Eingangstür gegenüber lagen. Dann stieg er aus und ging auf die Tür zu. Doktor Strobel folgte ihm.

Das Geheimnis der Toten von Zerbst

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