Читать книгу Das Geheimnis der Toten von Zerbst - Roberto Schöne - Страница 6

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Die Eingangstür, wie bei historischen Bauten übermäßig hoch und breit, wurde langsam geöffnet. Richies Bruder Anton trat den Ankömmlingen entgegen.

„Na Häftling, schön dich wieder zu Hause zu haben”, begrüßte er Richie und nahm ihn in die Arme. Strobel reichte er zur Begrüßung die Hand.

„Kommt rein, Benno war gestern völlig durch den Wind, da du zu dem Ereignis der Stunde nicht anwesend warst. Und nun kann er es kaum erwarten zu hören, was du zu alldem hier sagst. Kommt, Ihr werdet schon erwartet.” Richie nahm es Benno nicht übel, dass er ihn nicht selbst hier an der Tür empfangen hatte, schließlich saß er im Rollstuhl. Ein Dienstunfall kurz nach der Wende im Jahr 1991, als Benno damals im Rauschgiftdezernat beim Ausheben eines Drogenringes mithalf. Der Anführer wollte sich der Verhaftung entziehen und wurde von Benno verfolgt. Nach einer halsbrecherischen Jagd gelang es ihm, den Albaner zu überholen und blockierte dessen Weiterfahrt. Es kam zu einem schweren Unfall, in dessen Folge der Drogenboss seinen Verletzungen erlag. Benno war derart in seinem Fahrzeug verkeilt, dass die Rettungstrupps mehrere Stunden brauchten um ihn da raus zu schneiden. Trotz bester Behandlung und einer umfangreichen Physiotherapie gelang es den Ärzten nicht, die Bewegungsfähigkeit seiner Beine wieder herzustellen. Richie wusste, dass Benno unter diesen Umständen sehr litt. Schließlich hatte der Unfall im Endeffekt seine Entlassung aus dem Polizeidienst zur Folge. Und Benno war mit Leib und Seele Polizist. Darum übertrug Richie ihm die komplette Planung und Errichtung dieser neuen Zentrale. Ebenso das Aufstellen einer schlagkräftigen Truppe. Und wie erwartet stürzte sich sein Bruder voller Elan auf die neuen Aufgaben. Damit hatte er wenigstens ein umfangreiches Betätigungsfeld und hing keinen trübseligen Gedanken nach.

Sie gingen durch die Tür und betraten einen gewaltig wirkenden Vorsaal. Zwanzig Meter bis zur Wand vor raus, wo eine breite Marmortreppe zweiflügelig, je rechts und links, in den ersten Stock führte. Die Tür front war zehn Meter breit. An der neun Meter hohen Decke hing ein großer Kristalllüster. Eine beeindruckende Kombination aus Glas und Metall, zwei Meter fünfunddreißig hoch und ein Durchmesser von einen Meter sechzig, hing er an einer zwei Meter langen Kette. Bestückt war er mit achtundvierzig Glühlampen in Kerzenform. Sie durchquerten den Saal und gingen die breite Treppe über den rechten Flügel, in den ersten Stock. Die gleißende Helligkeit kam nicht von dem Lüster, sondern der Glaswand, die in rechteckiger Form den kompletten Innenbereich des Gebäudes umfasste und somit auf allen Etagen für natürlich einfallendes Licht sorgte. Richie bezähmte seine Neugier sich diese auserwählte Innenarchitektur näher zu betrachten und folgte Anton. Der ging den breiten Gang noch acht Meter in östlicher Richtung, wo jeweils rechts und links eine Tür in der Wand eingelassen worden war. Sie nahmen die Rechte. Dahinter betraten sie einen einhundert Quadratmeter umfassenden fensterloser Raum. Er war dezent von verborgenen Lampen beleuchtet, was ihm eine warme Atmosphäre verlieh. Die gut temperierte und frische Luft ließ auf eine Klimaanlage schließen, die ebenfalls unsichtbar angebracht war und keinerlei Geräusche verursachte. Hier standen Tische und Stühle, die dreißig Personen Platz booten. Richies Geschwister die sich hier eingefunden hatten, wirkten angesichts der großen Dimensionen etwas verloren. Es sah aus wie ein Familienrat. Cornelia, Richies einzige Schwester, belegte in der Altersreihenfolge der Zenders den dritten Platz. Mit ihren Achtundreißig Jahren hatte sie Anton und Benno den Vortritt gelassen. Es folgten ihr noch Richie und Reinhard. Von Freunden wurden sie auch Zender-Clan genannt. Was nach außen hin wie eine verschworene Gemeinschaft aussah, war in der Tat eine gut florierende Familie. Sie trafen sich nicht nur zu Geburtstagen sondern hatten auch beruflich gute Kontakte, oder ergänzten sich im Alltagsleben. Conni, wie sie von Richie liebevoll genannt wurde, trug eine hellblaue Bluse und schwarze Jeans. Ihre braungefärbten Haare umrahmte im leichten Bogen ihr Gesicht und charmant lächelnd nahm sie Richie in ihre Arme und fragte: „Brauchst Erholung, was? Das habe ich auch schon lange nicht mehr erlebt, Richie im Knast.”

„So was ist Erholung pur“, warf Richie ein. „Kann ich nur empfehlen.“ Und er hatte die Lacher auf seiner Seite. Benno fuhr auf ihn zu und drückte ihm herzlich die Hand.

„Toller Schuppen ist das hier, Benno. Aber eigentlich habe ich ja überhaupt noch nichts gesehen.“

„Nun im Moment läuft ja hier alles nach Protokoll. Da habe ich keine Zeit dich herumzuführen, aber Nachher, wenn du willst.“

„Natürlich will ich, aber bevor hier etwas ab geht hätte ich gern eine Frage von dir beantwortet.“

„Ja wenn es nicht warten kann dann schieß los.“

„Wieso bin ich jetzt hier?“

„Wie meinst du das“

„Man Benno du hattest aber auch schon bessere Tage….“

„…ich glaube wir beide hatten schon bessere Tage, da hast du wohl recht. Du willst wissen woher wir wussten dass du in Dessau eingelocht warst. Ich bitte euch uns fünf Minuten zu geben“, wandte er sich an die Anwesenden, „Ich muss mit Richie dringend etwas besprechen.“ Auf ein Zeichen seines Bruders folgte Richie ihm in die gegenüber liegende Ecke des Raumes, wo Benno leise zu Richie sagte: „Ich war so ziemlich sauer auf dich nach unserem Telefonat am Donnerstag, dass ich eigentlich nicht mehr mit dir sprechen wollte. Doch am Sonnabend habe ich es mir anders überlegt und versucht dich am frühen Abend auf dem Handy zu erreichen. Aber du gingst nicht ran. Blöd war, dass ich überhaupt keine Ahnung hatte um was es bei dir ging. Doch ich ging davon aus, dass du dir bei Rufus Unterstützung für den Auftrag besorgt hattest. Der bestätigte das und gab mit von Hartig eine Handynummer. Damit erreichte ich diesen aber auch nicht. Später war ich hier eingespannt und hatte das ganze wieder vergessen. Als ich dann heute Morgen 6.00 Uhr aufgestanden bin, sah ich eine SMS auf meinem Handy, ‚Richie in Dessau verhaftet‘. Ich habe umgehend Strobel wecken lassen. Der hat über seine Beziehungen die Ortspräzisierung mit Kochstedt erfahren.“

„Und von wem war die SMS?“

„Das ist ja das Rätselhafte. Ich kannte den Absender nicht. Daraufhin habe ich eine Frage an die Adresse geschickt, was nicht funktionierte. Als ich nun noch versucht habe die Person hinter der Nummer ausfindig zu machen erhielt ich die Antwort, dass diese Nummer gar nicht vergeben ist.“

„Das ist ja ein starkes Stück.“

„Aber egal, jetzt bist du hier und wegen dieses Zwischenspiels lassen wir uns heute den Tag nicht verderben.“ Benno fuhr nun mit seinem Rollstuhl an die Stirnseite der Tafel, wo unter einem drei Mal zwei Meter großem Plasmabildschirm an der Wand, auch zwei Computerarbeitsplätze eingerichtet waren. Das sonst übliche Kabeldurcheinander verschwand vollständig hinter einer Verkleidung und machte einen sehr aufgeräumten Eindruck. Zwei Drucker sowie ein Scanner vervollständigten das Bild und zeigten einen nach aktuellsten, technischen Standard eingerichteten Arbeitsplatz, der zwei Personen ausreichenden Platz bot. Für einen Moment sah es komisch aus, wie Benno zwischen den beiden Computern durch blickte. Auf der linken Tafelseite hatte Anton Platz genommen, der den Spitznahmen Erfinder trug, da er schon alles Mögliche technische Gerät entwickelt hatte. Neben ihm fand Cornelia ihren Platz, die mit ihren zwei Doktortiteln der Familie Zender zur Ehre gereichte. Einen Platz frei lassend setzte sich Doktor Strobel hin. Also die Doktoren unter sich, fand Richie.

„Sieht so aus als läuft hier immer noch eine Party. Oder ist das der Empfang für mich? So viel Ehre habe ich gar nicht verdient.“

„Ich muss dich enttäuschen, Richie, aber dieses Mal bist du wirklich nicht der Grund für unser Zusammentreffen”, sagte Reinhard, der bei der Staatsanwaltschaft in Dresden arbeitete und nun neben Richie auf der rechten Seite, von Benno aus gesehen, einen Stuhl belegte.

„Na dann bin ich aber gespannt”, meinte dieser. Benno, der in der Zwischenzeit einen Computer hoch gefahren hatte, sprach mit einem Blick auf den Doktor: „Doktor Strobel, der unseren Richie aus dem Knast befreite, hat uns das Angebot gemacht oder die Frage gestellt, mit uns in einem Team zusammen zu arbeiten. Ich dachte eine derartige Entscheidung können wir nur gemeinsam treffen. Um eine langwierige Verhandlung zu verkürzen haben wir uns kurzer Hand alle hier eingefunden. Gut so?” Richie, der seinen Worten das richtige Gewicht verleihen wollte, stand auf und sprach:

„Da du für den strukturellen Aufbau des Unternehmens zuständig bist, hast du freie Hand. Solange du im Auge behältst, dass wir unsere wirtschaftliche und finanzielle Unabhängigkeit nicht aufgeben oder verlieren, kannst du machen was du willst. Ich weiß, dass ich mich auf dich da voll verlassen kann. Wir sind ein Dienstleistungsunternehmen das für einen angemessenen Preis eine zufriedenstellende Lösung anbietet. Mit Geld zurück Garantie, wenn es nicht so sein sollte.” Auf dem Plasmabildschirm erschienen vier Buchstaben.

OfVB

„Organisation - für - Verbrechens - Bekämpfung“, sagte Benno als Erklärung ohne weitere Ausführungen zu machen.

„Und genau das ist der Grund“, ergriff Strobel das Wort, „weshalb ich beabsichtige mich ihnen anzuschließen. Ich weiß, dass Sie und speziell Richie Erfahrungen und Erfolge auf diesem Gebiet haben. Ich biete Ihnen meinen Wissens- und Verbindungsschatz an. Kürzlich habe ich meine Studien zur Bildung einer europäischen Gesamtpolizei abgeschlossen. Und bin dabei, um es auf einen Nenner zu bringen, zu dem Ergebnis gekommen, dass eine übergeordnete Polizeibehörde gebraucht wird, um Bürokratie abzubauen und die Schlagkräftigkeit bei der Bekämpfung von Straftaten zu erhöhen. Ich bin aber im gleichen Augenblick der Meinung, dass es noch Jahre dauern wird bevor eine solche Behörde richtig funktioniert. Es wird da immer von Annäherungen gesprochen. Aber jeder will sich eine gute Ausgangsposition verschaffen. Was den ganzen Prozess verlangsamt, oder gar aufhält. Sicher wird in zwei drei Jahren Europol ins Leben gerufen. Aber in der heutigen Zeit, wo das Sicherheitsbedürfnis Weltweit anwachsen wird, sollte sofort gehandelt werden, da jeder Zeitverlust schlimmste Folgen haben und tödlich sein kann. Für viele, nicht nur für Einzelne. Und deshalb bin ich der Meinung, dass Sie mit diesem Unternehmen genau den Nerv der Zeit treffen, und ich würde mich glücklich schätzen mit dabei sein zu dürfen.“

„An Ihnen ist ein Philosoph verloren gegangen, oder Sie hätten Politiker werden sollen. Ich habe schon lange keine solch geschwollene Wortwahl mehr gehört die den Punkt trifft. Wenn die Taten auch so aussehen, dann könnte unser Unternehmen tatsächlich etwas werden. Wenn ich auch mit den Bedingungen unseres Bekanntwerdens nicht so recht glücklich bin, denke ich doch das wir mit Strobel…” Der Genannte ruderte mit den Armen, setzte eine wichtige Miene auf und warf ein: „Doktor Strobel, so viel Zeit muss sein.“

„Ja mit Doktor Strobel in unseren Reihen einen guten Griff getan haben, beziehungsweise er hat ja nach uns gegriffen. Es war übrigens eine tolle Leistung wie Sie mich da raus geholt haben. Ich glaube die sitzen immer noch und schlottern vor dem rauen Ton. Nochmals meinen besten Dank dafür.“ Nach kurzem Schweigen brandete von allen Anwesenden Beifall auf, der durch das knallen eines Sektkorkens übertönt wurde. Sie stießen mit einem Glas Rotkäppchen auf Ihr neues Unternehmen an, als Doktor Strobel sein Glas erneut hob und ums Wort bat.

„Da es ja nun so aussieht als wäre der Weg vor uns einer den wir gemeinsam gehen wollen, möchte ich nicht versäumen einen ersten persönlichen Beitrag zu leisten.” Er wies auf zwei Koffer die auf einer kleinen Sitzbank hinter ihm an der Wand standen und sagte dazu: „Ich steuere hiermit einen kleinen finanziellen Beitrag zur Bildung unserer Organisationskasse bei. In den Koffern befinden sich fünf Millionen DM in bar. Ich denke, dass dieses Geld hier richtig angelegt ist und uns einen guten Start beschert. Ich wünsche uns große Erfolge und trinke auf den Wunsch dass wir immer am gleichen Strang ziehen.” Alle staunten und Richie war der erste der sich wieder fing und Doktor Strobel die Frage stellte: „Ich hoffe doch, dass es sich nicht um Schwarzgeld handelt oder sonst zwielichtiger Herkunft ist. Etwas verwundert bin ich schon, denn haben Sie im Voraus schon gewusst wie die Entscheidung ausfallen wird, wenn Sie das Geld schon dabei haben?”

„Mein lieber Ric, schließlich habe ich den Doktor nicht als Frauenarzt gemacht. Ich habe ihn mir auf mein Studium der Psychologie erarbeitet. Und da ich denke, dass wir so ziemlich die gleiche Sprache sprechen, muss man kein Orakel sein um relativ sichere Voraussagungen treffen zu können. Eine Liste mit den Angaben woher das Geld im Einzelnen stammt liegt dem Koffer bei, sollte jedoch mit Blick auf den Schutz der Personen mit der entsprechenden Diskretion behandelt werden.” Er hob erneut sein Glas und prostete den anderen zu. Dann wandte er sich an Benno, der mit seinem Rollstuhl noch immer an der Stirnseite der Tafel stand, und fragte derart laut: „Benno, eine wunderschöne Basis haben Sie hier errichten lassen, doch kann ich nicht umhin festzustellen, dass ich schon besseres gesehen habe als zwei Computer und ein paar Sitzplätze an den PCs. Und das soll, wie Sie gestern Abend sagten, die Steuerzentrale der Einsätze sein? Ein bisschen ärmlich, finden Sie nicht?” Durch die laute Stimme von Strobel aufmerksam geworden hielten alle Anwesenden den Atem an und waren gespannt auf die Antwort. Benno fuhr mit seinem Rollstuhl von der Tafel weg, in Richtung einer Tür die Richie bislang überhaupt nicht wahr genommen hatte. Da sie fugenloser Bestandteil der Wand war und erst jetzt ein kleines Tastaturfeld freigab, wo der Zugangscode einzugeben war. Benno hielt vor der Tür, drehte den Rollstuhl noch einmal herum. Die absolute Ruhe und das doch schon theatralische Ambiente brachte ihm die uneingeschränkte Aufmerksamkeit aller Anwesenden entgegen.

„Gestern war hier offizieller Empfang und Vorstellung unseres neuen Projektes Sicherheit”, sagte Benno leise. Er flüsterte fast und Richie war aufs äußerste gespannt. Wenn Benno so sprach stand er kurz vor der Explosion. Benno zauberte irgendwoher eine Fernbedienung und fuhr fort: „Und die Leute die hier waren sollten sehen das sich etwas tut was für sie gut ist, was für ihre Sicherheit sorgt und das keine Angstgefühle bei ihnen auslösen soll, Strobel.”

„Doktor Strobel, soviel Zeit muss sein”, verbesserte dieser wieder.

„Ja glauben Sie, - Doktor Strobel”, Bennos Stimme hatte Strobels Lautstärkelevel erreicht;

„das ich ohne meinen Bruder Richie, der einen riesigen Anteil an dem hat was hier entstanden ist, der der geistige Vater des Projektes ist, und ohne ihn das alles hier nicht möglich wäre, eine hundert Prozentige Eröffnung hinlege? Das was Sie vermissen ist nur für die bestimmt die hier arbeiten. Und die die heute hier sind. Denn selbst meine Familie hat das noch nicht gesehen. Es ist heute die absolute Erstbesichtigung.” Benno drückte irgendeinen Knopf auf seiner Fernbedienung und die Tür hinter ihm öffnete sich lautlos. „Folgt mir bitte.“ Er wendete den Rollstuhl und fuhr in die entstandene Öffnung. Richie war der erste der ihm folgte. Die nächste Tür hatte gut zwei Meter Abstand zu der ersten. Eine Schleuse, ging es Ric durch den Kopf. Benno der das Zögern seines Bruders bemerkt hatte sprach ohne sich umzuwenden: „Erkläre ich gleich, wenn alle dabei sind.“ Im selben Moment schwang die zweite Tür lautlos auf und gab den Blick auf einen spärlich beleuchteten Raum frei. Durch den Dämmerschein ließen sich die Dimensionen des Raumes nur erahnen. Doch das Gefühl sagte ihnen, dass hier etwas Besonderes auf die kleine Gruppe wartet. Als alle angekommen waren glitt die Tür wieder leise zu. Benno drückte abermals die Fernbedienung, die nun als Steuerung für das Licht fungierte und die Helligkeit der unsichtbaren Lichtquellen regulierte. Richie war an die Lampen im Kino erinnert, die langsam heller oder dunkler wurden. In diesem Fall ließen sie immer mehr Helligkeit in den Raum fluten. Mit jeder Sequenz, die von den Anwesenden wahr genommen wurde steigerte sich ihr Staunen. Als erstes fiel Richie die Größe des Raumes auf. Fünfzehn Meter lang, zwölf Meter breit und eine Höhe von sieben Metern. Wobei die Decke eigentlich nicht glatt war, sondern gewölbt. Es sah aus wie in einer Sternwarte. Das verlieh der Decke die Illusion unendlich zu sein. Rechts befand sich ein Podest, das fast die ganze Wand einnahm und einen Meter fünfzig hoch war. Richie konnte an der Wand ihnen gegenüber eine lange Auffahrt zu dem Podest erkennen, die für Benno angelegt war, da der sonst mit seinem Rollstuhl den Leitstand nicht erklimmen konnte. Der kürzere Weg waren die zwei Treppen rechts und links des Computer-Pultes. Vor dem Podest standen drei PC-Arbeitsplätze die jeweils durch einen Baldachin überdacht waren. Die vier Säulen umrundete eine Sichtbegrenzung von einem Meter Höhe. Auf der dem Podest zugewandten Seite war jeweils eine Tür. Bevor Richie noch andere Details erkennen konnte blieb sein Blick an der Stirnseite des Raumes hängen. Die Wand war mit neun Plasmabildschirmen bestückt, die von der Größe her aussahen wie der im Versammlungsraum. Das ergab eine Gesamtbildfläche von vierundfünfzig Quadratmeter. Etwas Vergleichbares hatte Richie noch nicht gesehen. Vor dem Riesenbildschirm komplettierten drei Sitzreihen das Gesamtbild der Raumaufteilung. Richie war auch von den großzügigen Gängen zwischen den einzelnen Bereichen angetan, was dem Raum eindeutig das Gefühl von Überladung nahm.

„Das ist das Herz von OfVB. Die Steuerzentrale. Der Leitstand, oder wie man auch immer dazu sagen will. Ich denke das Zentrale der geeignetste und einfachste Name ist. Auf dem Podest befindet sich der eigentliche Leitstand. Zwei Plätze mit allem ausgerüstet was in der Branche gängig ist. Hier liegt die Überwachung des Hauses, genauso wie eine Verbindung zu unserem Zentralrechner. Es besteht Satellitenverbindung, Internet und Telefon mit jeweils zwei Nummern. Vorerst aber nur eine Nummer mit Direktverbindung. Die drei Computer-Kabinen vor dem Podest sind für jeweils drei Zweierbesatzungen ausgestattet. Sie finden als Leitstände bei Einsätzen ihre Anwendung, wo die Lenkung mehrerer Teams koordiniert werden muss. Dabei haben wir vorgesehen, dass jede Kabine die Scheiben aus dem Umgrenzungssegment herauffahren kann, um so ungestört arbeiten zu können. Damit können wir vier verschiedene Einsätze zur gleichen Zeit steuern, wenn ich den Arbeitsplatz auf dem Podest noch dazu rechne. Vorerst fehlt dafür allerdings noch Personal. Aber lieber vorbereitet sein, als für ein neues Projekt in Kürze schon wieder nachrüsten zu müssen. Die dreißig Sessel im anschließenden Bereich dienen zur Unterhaltung oder Schulungszwecken. Sie lassen sich komplett demontieren und durch weitere mobile Computer-Einheiten austauschen.“ Benno fuhr die Rampe hinauf zum Leitstand. Die anderen folgten, noch immer andächtig schweigend. Er fuhr am ersten Arbeitsplatz vorbei, wo ein Stuhl stand, der bereits belegt schien, da eine Jacke über der Lehne hing. Als er den zweiten Platz erreicht hatte erklärte er weiter. „Von hier aus kann ich die gesamte Sicherheitstechnik überwachen. Ich kann meine Bilder auf einen der großen Bildschirme legen oder eines herausgreifen und von allen Bildschirmen gesamt anzeigen lassen.“ Er hämmerte auf seiner Tastatur herum, um das eben Gesagte zu demonstrieren.

„Das ist jetzt das große Eingangsportal von der Überwachungskamera 25 aufgezeichnet, das lege ich auf den linken Bildschirm an der Wand.“ Gesagt getan.

„Und jetzt sollen alle Bildschirme das Eine anzeigen.“ Und da war es auch schon.

„Weiterhin kann ich mich von hier aus in jede Leitstelle einklinken, mithören oder auch was zu dem Verlauf sagen. Ebenso kann ich mit jedem Mann im Einsatz so in Verbindung treten. Ich verfüge hier über Internet, Drucker, Scanner. Ich kann jeden Speicherchip anschließen und lesen. Weiterhin stehen auch zwei Camcorder zur Verfügung und zwanzig USB-Schnittstellen. Fragen bis hier her?“

„Ja, der langen Gang vom Besprechungsraum bis hier her ist immerhin zwei Meter lang, warum? Dann glaube ich mich an eine Fensterfront erinnern zu können. Ich denke, dass die Wand mit der Rampe die Südseite ist. Wo sind hier die Fenster?“ Nur Richie stellte diese beiden Fragen, die ihm die ganze Zeit durch den Kopf gingen.

„Ich glaube so etwas stellst nur du im Vorbeigehen fest“, erwiderte Benno als erstes.

„Die Wand an der Rampe ist dieselbe wie die vom Eingangsportal. Und das liegt im Süden. Das da auch Fenster angebracht sind, stimmt. Eine Fassade der Illusion. Aber dennoch echt hoch gezogen. Ich kann aber eine Verbindung zu den Fenstern herstellen, dann hätten wir auf der ganzen Längsseite eine Fensterfront. Doch um jegliche Ablenkung zu vermeiden halten wir die zumeist geschlossen. Richtig ist deine Beobachtung des langen Ganges. Dort kann ich noch mehrere Türen zur Sicherheit schließen. Damit wird die Zentrale zur absoluten Festung. Hoffen wir, dass wir so etwas nicht brauchen. Und noch etwas liegt im Dunkeln des Gemäuers verborgen. Die Zentrale ist auf riesigen Federn gelagert und somit absolut Erdbebensicher. Durch drei Eingänge kann man diesen Raum hier betreten oder wieder verlassen. Durch die Tür durch die wir gekommen sind. Durch die Tür links neben der Bildschirmwand, wo es übrigens zu unserem Speisesaal geht, sowie durch die Tür zu dem Fahrstuhl hier links neben dem Portal.“

„Das ist echt Spitze was ich hier gesehen und gehört habe“, tat Strobel seine Meinung kund. „Ohne zu übertreiben, aber etwas Derartiges habe ich noch nicht gesehen, und darauf können Sie sich etwas einbilden.“

„Auch ich bin begeistert, Benno“, sagte Richie mit einem Blick in die Runde.

„Ich glaube die Zentrale ist ein würdiger Schritt in die Zukunft und zeigt uns dem neuen Jahrtausend gewappnet.“ Zustimmendes Gemurmel kam von allen Seiten zu diesen Worten. Dennoch befanden sich die Menschen in einer merkwürdigen Befangenheit angesichts dieses Bauwerkes und sind sich sicher, dass noch so manche Überraschung auf sie zukommen wird. Bevor die Menschengruppe ihre Erstarrung ablegen konnte ertönte eine Glocke. In der Tür neben der Bildschirmwand erschien ein Mann, der große Ähnlichkeit mit einem englischen Butler hatte. Und seine Ausdrucksweise unterstrich den Eindruck, als er sich an alle wandte:

„Herrschaften es ist angerichtet. Ich bitte hier herüber zu kommen und sich zu stärken.” Er machte zackig kehrt und ging zum Speiseraum voraus.

„Wo hast du den denn aufgegabelt?”, fragte Richie Benno als dieser an ihm vorüber fuhr.

„Gehört zu einem interessanten Paket, was dich noch weiter überraschen wird. Doch dazu später mehr. Lass uns erst mal etwas essen.” Es gab fünf Gänge und nahm fast eineinhalb Stunden Zeit in Anspruch. Richie nutzte die Gelegenheit seinen Bruder Reinhard beiseite zu nehmen.

„Dein Anruf vor zwei Tagen hat mich auf dem falschen Fuß erwischt, tut mir leid. Was wolltest du eigentlich von mir, oder wie kann ich dir helfen.”

„Ach nicht so tragisch. Wir haben hier einige Fälle von Kunstdiebstahl und Schiebung, ohne klare Konturen greifen zu können. Jetzt sind drei kostbare Gemälde in Berlin gestohlen worden und erstmals hat es zwei Tote gegeben. Irgendwelche Spuren gehen in Richtung Cottbus und von da aus gibt es Seilschaften nach Dresden. Damit sind wir im Spiel. Ich hatte gehofft, dass du mit deiner Erfahrung für uns ein paar Ermittlungen anstellen kannst.”

„Das würde ich gern tun. Aber gib mir zwei drei Tage, dann dürfte mein aktueller Fall erledigt sein und ich kann die ganze Kraft in das neue Projekt stecken. Übrigens was springt eigentlich dabei heraus?”

„Nun, dass kann sich durchaus sehen lassen. Die Bilder sind auf mehrere Millionen versichert. Ich glaube die Zahlen für das Wiederfinden pro Bild ca. zwei Millionen.”

„Na das ist doch was. Da muss ich wohl doch zwei Fälle gleichzeitig bearbeiten. Wir hören voneinander.” Als Richie wieder die Zentrale betrat, sah er die Video- und Fotodatei aus dem Skoda, die Anton für die Auswertung geholt hatte. Da fiel ihm ein, dass er ja auch noch die Bodenprobe vom vermeintlichen Mordtatort in der Tasche hatte. Er wandte sich an Benno, der schon wieder seinen Leitstand befahren hatte, mit der Bitte um Anfertigung einer Substanzanalyse. Nicht zuletzt wollte Richie sehen ob sein Bruder auch in dieser Richtung eine gute Grundlage für die zukünftige Arbeit gelegt hatte. Benno drückte einen Knopf und sprach in ein Mikrofon: „Cassandra kannst du bitte mal kurz hochkommen?” Was dann kurze Zeit später zur Tür hereinkam ließ Richie den Atem anhalten. Vom linksseitigen Scheitel fiel dunkelblondes, gewelltes Haar, bis auf die Schultern. Eine Haarsträhne verlief knapp über dem rechten Auge, was sie verschmitzt drein blicken ließ. Die strahlend blauen Augen, die von einer leichten violetten Schattierung umrandet wurden, zogen die Blicke magisch an. Die Grübchen rechts und links der Nase führten zu einem dezent geschminkten Mund den die Frau leicht geöffnet hatte, was ihr eine gewisse Sinnlichkeit verlieh. In beiden Ohren trug sie einen Perlenohrstecker. Das Kleid im Leopardenlook, mit dem Dekolleté bis zum Brustansatz, endete gut zwei Handbreit über den Knien in einer doppelten Rüschenwelle. Ihre langen schlanken Beine steckten in leichten Filzschlappen, was gar nicht zum Rest der Aufmachung passte und Richie zu einem Grinsen verleitete. Ihre 1,78 Meter Körpergröße brachten sie auf Richies Augenhöhe, der sie gerade mal um sieben Zentimeter überragte. Als Richie sich wieder gefangen hatte, was nur den Bruchteil eines Augenblicks dauerte, murmelte er in Bennos Richtung: „…Paket?” Dieser nickte und murmelte zurück: „Paket.”

„Solche Pakete schickt mir keiner”, beschwerte sich Richie in scherzhaftem Ton und überreichte dem eben erschienen Top-Model seine mitgebrachte Probe, nachdem sie sich zu Begrüßung die Hände geschüttelt hatten.

„Bis wann brauchst du das Ergebnis der Analyse?”, fragte die blonde Göttin gleich mit dem du beginnend.

„Bis gestern.”

„Okay, ich bin übrigens Cassandra Fischer, ausgebildete Laborantin mit Chemiestudium. Zusatzlehrgang forensische Anthropologie mit zwei Jahren Praxis in der Gerichtsmedizin und zuletzt beim Nelson Special Team tätig. Muss jetzt aber leider wieder los um annähernd den vorgegebenen Termin zu halten. Was angesichts der Ausgangszeit ziemlich schwer werden dürfte.“ Und schon rauschte sie wieder davon und lies einen verdutzt dreinblickenden Richie zurück.

„Tja mein Lieber“, warf Benno lachend ein. „So langsam büßt du deine Vormachtstellung als Sprücheklopfer ein. Aber Konkurrenz belebt ja das Geschäft. Na lass uns mal sehen was du schönes mitgebracht hast.“

Das Geheimnis der Toten von Zerbst

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