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Griechenland

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Über Jahrhunderte schienen die alten Griechen an der Schwelle zum wissenschaftlichen Aufbruch zu stehen. Es gefiel ihnen, die natürliche Welt mit angemessen abstrakten und allgemeinen Prinzipien zu erklären. Einige von ihnen beleuchteten die Natur systematisch – und das, obwohl Sokrates Empirismen wie die astronomische Beobachtung als »Zeitverschwendung« abtat und Platon ihm nur zustimmen konnte, wobei er seinen Studenten empfahl, »den Sternenhimmel in Frieden zu lassen«.47 Auch bildeten griechische Gelehrte Netzwerke – die berühmten philosophischen »Schulen«. Doch war alles, was sie letztlich zustande brachten, nicht- oder sogar anti-empirische, spekulative Philosophie, nicht-theoretische Kompilationen von Tatsachen, isolierte Zünfte und Technologien – ein wissenschaftlicher Durchbruch hat nie stattgefunden.

Dafür gab es drei Gründe. Erstens waren die Götter, wie die Griechen sie sich vorstellten, nicht wirklich als bewusste Schöpfer aufzufassen. Zweitens begriffen die Griechen das Universum nicht nur als ewig und unerschaffen, sondern als eingeschlossen in endlose Zyklen von Fortschritt und Verfall. Drittens verwandelten die Griechen, die ja auch die Himmelskörper als echte Götter ansahen, leblose Objekte in lebendige Kreaturen mit Zielen, Gefühlen und Wünschen – wodurch sie dem Streben nach physikalischen Theorien einen Strich durch die Rechnung machten.48

Von all den Göttern, die das himmlische Pantheon der Griechen bevölkerten, brachte keiner und nicht einmal Zeus die nötige Befähigung als Schöpfer eines Gesetzen unterworfenen Universums mit. Nicht anders als die Menschen waren auch die Götter dem unerbittlich waltenden Kreislauf aller Dinge unterworfen. Einige griechische Gelehrte, etwa Aristoteles, postulierten zwar einen allmächtigen »Gott«, in dessen Betätigungsfeld das gesamte Universum fällt, doch sahen sie in ihm, ähnlich wie das Tao, lediglich eine Essenz. Ein solcher Gott verlieh einem zyklischen Universum und dessen hypothetischen, abstrakten Eigenschaften eine gewisse spirituelle Aura, doch blieb »Gott«, da er ja nur eine Essenz war, praktisch immer tatenlos. Platon wiederum ging von einem sehr geringwertigen Gott als Schöpfer der Welt aus, dem Demiurgen, denn für ein solches Unternehmen sei der höchste »Gott« allzu vergeistigt und entrückt gewesen. Aus diesem Grund sei die Welt auch so unvollkommen.

Viele Gelehrte hatten Zweifel daran, ob Platons Postulat des Demiurgen wörtlich zu verstehen sei.49 Doch gleichgültig, ob er ein wirklicher oder metaphorischer Schöpfer war – der Demiurg Platons erblasst vor einem allmächtigen Gott, der das Universum aus dem Nichts hat entstehen lassen. Außerdem war für Platon das Universum nicht im Einklang mit wirkmächtigen Prinzipien erwachsen, sondern mit Idealen. Diese stellten vor allem musterhafte Formen dar. So gesehen, konnte das Universum nichts Handfestes, sondern bloß eine Sphäre sein, denn diese war seine symmetrische und perfekte Form.50 Auch konnten die Himmelskörper nur in einem Kreis rotieren, da diese Bewegungsform als die allerperfekteste angesehen wurde. Als Sammlung apriorisch angestellter Mutmaßungen war Platons Idealismus für die Entdeckung und Erkenntnis lange Zeit ein echtes Hindernis – noch Jahrhunderte später war es sein unerschütterlicher Glaube an ideale Formen, der Kopernikus von dem Gedanken abhielt, dass die Planetenbahn nicht kreisförmig, sondern elliptisch sein könnte.

In mancherlei Hinsicht ist es seltsam, dass die Griechen überhaupt nach Wissen und Technologie gestrebt haben, da sie die Idee des Fortschritts doch für das Seins-Modell eines endlosen Kreislaufs aufgaben. Platon war immerhin noch der Ansicht, dass das Universum geschaffen wurde. Andere griechische Gelehrte betrachteten es stattdessen als unerzeugt und einfach ewig. Aristoteles verurteilte die Vorstellung, »dass das Universum zu einem bestimmten Zeitpunkt ins Dasein gekommen ist … als undenkbar«.51 Obwohl die Griechen das Universum als ewig und unveränderlich ansahen, berücksichtigten sie die unübersehbare Tatsache, dass Geschichte und Kulturen sich ständig veränderten, dies aber nur in den Grenzen einer endlosen Wiederholung. In seinem Werk Über den Himmel schrieb Aristoteles, dass »die Menschen die gleichen Ideen nicht ein- oder zweimal haben, sondern immer und immer wieder« und in seiner Politik betonte er, dass alles »mehrfach im Laufe des Weltalters erfunden wurde, oder im Laufe einer Zeit ohne Ziffern«. Da er außerdem in einem Goldenen Zeitalter lebte, war die Technologie auf einem höchsten zu erreichenden Niveau, was weiteren Fortschritt entbehrlich machte. Was Erfindungen betraf, galt auch für Individuen – ein und derselbe Mensch wurde wieder und wieder geboren, während die blinden Zyklen des Universums vor sich hin kreisten. Laut Chrysippos in seinem verschollenen Werk Über den Kosmos lehrten die Stoiker, dass »der Unterschied zwischen einer früheren und jetzigen Existenz bloß äußerlich und zufällig ist; doch führen diese Unterschiede nicht zu einem neuen Menschen, der sich von seinem Gegenstück aus einem früheren Weltalter unterscheidet«.52 Im Universum selbst sei, Parmenides zufolge, jeder Eindruck von Veränderung bloße Illusion, da das »unerschaffene und unzerstörbare« Universum sich in einer konstanten Perfektion befinde, »in dem alles vollständig, ortsfest und endlos ist«.53 Andere einflussreiche Griechen wie die Ionier lehrten, das Universum sei zwar unbegrenzt und ewig, jedoch seinerseits der Abfolge unendlicher Kreisläufe unterworfen. Platon sah das etwas anders, doch glaubte auch er felsenfest an Zyklen und dass, durch ein ewiges Gesetz bewirkt, auf jedes Goldene Zeitalter Chaos und Zusammenbruch folgen müssten.

Schließlich ließen die Griechen es sich nicht nehmen, den Kosmos sowie unbelebte Dinge im Allgemeinen in lebende Wesen zu verwandeln. Platon lehrte, der Demiurg habe den Kosmos als »einzelnes sichtbares lebendiges Gebilde« geschaffen, wodurch auch der Welt eine Seele zukomme. Obwohl sie »alleinsteht«, sei sie »durch ihre Vortrefflichkeit in der Lage, sich selbst Gesellschaft zu leisten, wobei sie keine weiteren Bekanntschaften oder Freunde braucht, sondern sich selbst genügt«.54

So man aber Mineralien Leben zuerkennt, geht die Erklärung natürlicher Phänomene notwendig in eine falsche Richtung. Man schreibt dann den Grund, warum ein Gegenstand sich bewegt, Motiven zu und nicht natürlichen Ursachen. Von den Stoikern, insbesondere von Zenon, dürfte die Idee stammen, den Gang des Kosmos auf der Basis seiner willentlichen Vorsätze zu erklären, doch wurde sie bald Allgemeingut. So bewegten sich Aristoteles zufolge die Gestirne in Kreisen, weil ihnen diese Bewegung so gut gefiel und Dinge fielen deswegen zu Boden, »weil sie eine angeborene Liebe für den inneren Kern der Welt empfinden«.55

Letztlich wurden die griechischen Denkschulen durch ihre eigene innere Logik auf ein totes Gleis gefahren. Nach Platon und Aristoteles gab es bis auf einige Erweiterungen der Geometrie kaum mehr Neues. Als Rom die griechische Welt in sich eingliederte, begrüßte es die griechischen Denkschulen – ihre Gelehrten hatten den gleichen Erfolg unter der Republik wie unter Caesar.56 Auch im Byzantinischen Reich sollten die Denkschulen nicht untergehen, doch misslang ihnen hier erneut jede Innovation.57 Der Niedergang Roms behinderte die Ausbreitung des menschlichen Wissens nicht mehr als die »Genesung« des griechischen Denkens, die diesen Prozess wieder neu beginnen ließ. Das griechische Denken war ein Hindernis für den Aufstieg der Wissenschaft! Es führte weder die Griechen noch die Römer zu einem wissenschaftlichen Verständnis und erstickte zudem den intellektuellen Fortschritt im Islam, wo es ebenfalls sorgfältig studiert und aufrechterhalten wurde.

Der Sieg des Abendlandes. Christentum und kapitalistische Freiheit

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