Читать книгу Der komplette Projektmanager - Roel Wessels - Страница 11

1.2 Sowohl die Kontrolle behalten als auch Freiraum lassen

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Als die Finanzkrise im Jahr 2007 ausbrach, war ich als Programmdirektor verantwortlich für Projekte innerhalb von Assembléon, einem High-Tech-Unternehmen mit einer Entwicklungsabteilung von mehr als 200 Mitarbeitern. Die Finanzkrise hatte einen enormen Einfluss auf die Verkäufe des Unternehmens, ich spreche hier von einem Rückgang von mehr als 50%.

Der damalige CEO stand vor der Herausforderung, den Gürtel enger schnallen zu müssen. Solch ein Prozess ist wahres Mikromanagement. Alle Kosten unterlagen, ungeachtet der Autorisierungsregeln, ihm und dem CFO. Also auch Ausgaben unter 100 Euro. Natürlich gab es keine Neuanstellungen und mögliche Vertragsverlängerungen lagen immer zuerst auf seinem Schreibtisch. Dies hatte zur Folge, dass innerhalb kürzester Zeit die finanzielle Situation wieder im Griff war. Da kein Schritt mehr ohne den CEO gemacht wurde, wusste dieser jederzeit über alles Bescheid. Eine echte Krise benötigt echte Maßnahmen! Selbst wenn diese für manche Prozesse lähmende Auswirkungen haben können, wollen und erwarten tatsächlich die meisten Mitarbeiter solche Eingriffe während schwieriger Zeiten!

Was mir dabei deutlich in Erinnerung geblieben ist, ist, dass der CEO klar und deutlich ausstrahlte, dass diese Phase vorübergehend sein sollte. Er konnte gut mit dem zweiten Beispiel des &-&-& -Paradoxons umgehen: Sowohl die Kontrolle behalten als auch dem Team Freiraum lassen. Dies half dem Team dabei, mitzumachen und durchzuhalten. Der

CEO nutzte Mikromanagement nicht, weil er ein Kontrollfreak war. Er hatte eine deutliche Botschaft und wollte dem Personal ein gutes Beispiel dafür geben kritisch alle Ausgaben zu betrachten. Sein Kredo war: “Wir sind wieder wie ein kleines Familien-Unternehmen”, womit er unterstreichen wollte, dass jeder wieder jede Quelle von Einkommen und Ausgaben so betrachten sollte, als ob es sein eigenes Geld sei. Für abstraktes Denken oder Gedanken wie “Aber das machen wir doch immer so” war in dieser Situation kein Platz. Man konnte nur das Geld ausgeben, das auch tatsächlich vorhanden war und auch nur dann, wenn klar erkennbar war, was es, finanziell gesehen, bringen würde. Und dies auf jeder Ebene innerhalb der Organisation.

Diese Anekdote beschreibt sehr gut die Macht einer klaren Botschaft, den Einfluss diese häufig zu wiederholen und die Bedeutung selbst ein gutes Vorbild zu sein. “Tell me and I forget, teach me and I may remember, involve me and I learn”, wie der amerikanische Politiker Benjamin Franklin einmal sagte.

Während einer echten Krise ist ein zeitweiliges klares Eingreifen erwünscht, um die Kontrolle zu erhöhen. Es ist eine bewusste Wahl. Jeder Projektmanager sollte sich diese Fähigkeit des Krisenmanagements zu eigen machen. Es läuft allerdings schief, wenn Krisenmanagement dann eingesetzt wird, wenn es gar keine Krise gibt. In diesem Fall sehen wir eine entgegengesetzte Wirkung: Die Krise wird durch übermäßiges Kontrollieren und Regeln verursacht. Also durch Mikromanagement.

Man könnte sagen, dass in dieser Situation nicht gut mit dem &-&-& -Paradoxon “Sowohl die Kontrolle behalten als auch dem Team Freiraum lassen” umgegangen wird. Der übermäßige Wunsch nach Kontrolle eskaliert immer weiter und das Kontrollieren von Mitarbeitern und Bedürfnis nach Details wird zu einer Obsession. Oftmals wird dies meiner Beobachtung nach durch einen Mangel an Vertrauen an den Absichten oder Fähigkeiten Anderer angetrieben, oder aber auch durch einen Mangel an eigenem Selbstvertrauen.


Ist ein Auge fürs Detail haben denn falsch? Im Gegenteil! Die Kontrolle über ein Projekt zu haben und zu halten, ist von wesentlichem Belang, der Teufel steckt bekanntlich im Detail. Aber wenn es zu einer Obsession wird und sich das Management in alle alltäglichen Prozesse einmischt, dann läuft etwas schief: Entscheidungen werden nur dann zu Entscheidungen, sobald der (Mikro)Manager die Freigabe erteilt und, als ob das nicht schon genug wäre, auch noch jedes Detail hinsichtlich der Umsetzung vorgeschreiben will. In anderen Worten: Fokussieren auf Details ist nicht das Problem, sondern ein Mikromanager der bestimmt auf welche Details der Fokus gelegt werden sollte.

Und was ist die Folge? Die Mitarbeiter entwickeln keine Eigeninitiative mehr und erbringen anstatt exzellenter nur noch mittelmäßige Leistungen. Denn hinsichtlich dieser werden sie schließlich kontrolliert und instruiert. Dazu kommt, dass sich der Mikromanager durch seine Obsession unbewusst das Wesentlichste aus den Augen verliert: Das Ziel des Projekts zu erreichen! Kein Wunder, dass das Wort Management in unserer Gesellschaft oft einen negativen Beigeschmack hat. Es handelt sich um die verkehrte Art von Management.

Steuern-in-Richtung-Kontrolle

Auch in unserer Gesellschaft sehen wir häufig Steuern-in-Richtung-Kontrolle und zu wenig Ergebnis- und Prozessorientiertes Denken. Aktuelle Missstände wie die Bankenkrise und Machtmissbrauch innerhalb von Organisationen haben das Vertrauen zerstört und stimulieren so den neurotischen Reflex der öffentlichen Organe, weitere Kontrollinstanzen zu installieren. Es tauchen immer weitere Key Performance Indicators (KPIs) auf, bei denen man sich fragen muss, ob sie verwendet werden, um den Prozess zu verbessern oder, um die Ausführenden besser kontrollieren zu können. KPIs sind Indikatoren, also Warnsignale. Oftmals werden Sie jedoch als Targets missbraucht. Es wird KPIs nachgejagt, anstatt das zu tun, was wirklich notwendig ist. Sodass als Konsequenz das Heilmittel schlimmer als die Krankheit selbst ist.

Es folgt ein Beispiel aus der Gesundheitsbranche. Nachdem die niederländischen Krankenversicherer auf den Mangel an Benchmarking in der Qualität der Gesundheitsversorgung aufmerksam gemacht worden waren, versuchten diese, hier Abhilfe zu schaffen und den Prozess zu verbessern. Dazu wurde entschieden, wieder das System der “Praxis Variationen” einzuführen, wobei das Abrechnungsverhalten von Hausärzten und anderen Gesundheitsdienstleistern statistisch mit Daten von ähnlichen Anbietern verglichen wird. Ziel ist hierbei, statistische Ausreißer zu finden, ohne dass medizinische Daten von einzelen Patienten untersucht werden müsssten, was im Einklang mit der europäischen Datenschutz-Grundverordnung (GDPR) steht. Erst nach dieser Filterung erfolgt bei den gefundenen Ausreißern eine detaillierte Untersuchung, bei der die Abweichungen erklärt werden müssen.


Hier handelt es sich also um ein reines Kontrollmittel. Zwar gibt es mit Hilfe von Data-Mining viele zusätzliche, clevere Analysemöglichkeiten, allerdings ist dabei fraglich, ob der Patient wirklich eine bessere Versorgung erhält. Und auch die Gesundheitsdienstleister sind nicht begeistert von dieser Vorgehensweise. Stattdessen fühlen sie sich oft sogar wie vor den Kopf gestoßen und in ihrer professionellen Ehre angegriffen, wenn sie auf Abweichungen vom KPI “Praxis Variationen” angesprochen werden. Natürlich gibt es viele logische Erklärungen dafür, warum es zu Praxisabweichungen vom Standardmittelwert gekommen ist. Betrug ist dabei nicht unbedingt ein wesentlicher Aspekt. Es regiert aber ein gegenseitiges Misstrauen. Letztendlich ist zu erwarten, dass Gesundheitsdienstleister auf eine Art und Weise stimuliert werden, sich dem Kontrollsystem anzupassen. Dann wird die Gruppe, die kontrolliert wird, selbst in Richtung Kontrolle statt Resultat steuern, beispielsweise beim Patienten- und Sprechstundenplanung. Sie wird alles so einrichten, dass sie dem Mittelwert entspricht, anstatt sich auf die Wünsche und Bedürfnisse des Patienten zu konzentrieren, um eine möglichst hohe Patientenzufriedenheit zu erreichen. Bei solch einer Maßreglung für Gesundheitsdienstleister gilt: Die Innovationskraft verschwindet.

Steuern-in-Richtung-Kontrolle anstatt Steuern-in-Richtung-Ergebnis-und-Prozess ist vielmals im öffentlichen Sektor zu erkennen. Oftmals aus dem Wunsch heraus, in Richtung Verantwortung steuern zu wollen. Und selbstverständlich: Weil die Finanzierung aus Steuergeldern beglichen wird, ist es logisch, dass angegeben werden muss, dass das Budget schlau verwendet wurde. Und dennoch wird in diesem Beispiel zurück und nicht nach vorne geschaut. Aber nur ein Blick nach vorne ist der richtige Weg, um ein Ziel zu erreichen. Denn das hat der Steuerzahler wirklich verdient.

Beim Definieren der KPIs handelt es sich also um eine professionelle Aufgabe, die systematische Denkarbeit erfordert. Die Urheber der Business Balanced Scorecard (BBSC), Robert Kaplan und David Norton, warnten bereits mit dem Wort balanced, dass das Wählen von KPIs eine Aufgabe ist, die Präzision verlangt (Kaplan und Norton, 1996). So muss eine Verbindung zwischen den Indikatoren unterschiedlicher Perspektiven (bei der BBSC die finanzielle, kundenspezifische, interne Prozess- und Lern- und Wachstumsperspektive) hergestellt werden, um sicherzustellen, dass die einzelnen KPIs tatsächlich Ergebnisse für die Organisation produzieren. Darüber hinaus müssen KPIs von einem komplementären KPI begleitet werden, um sicherzustellen, dass sich der Prozess auf der richtigen Bahn befindet. Ein bekanntes Beispiel ist das Call Center. Ein wichtiger KPI ist hier die First call resolution rate, die angibt, wie viel Prozent der Fragen sofort beantwortet werden. Allerdings sagt die Berechnung dieses KPIs nichts darüber aus, wie effizient die Organisation die Kundenfragen beantwortet hat. Indem ein komplementärer KPI hinzugefügt wird, beispielsweise die “Dauer des Gesprächs”, kann jedoch erkannt werden, wie effizient Fragen beantwortet wurden.

Die Schwierigkeit ausgewogene KPIs zu definieren, kombiniert mit der Tatsache, dass die KPI-Interpretation ein Mittel ist, das Vertrauen wachsen aber auch Mistrauen schaffen kann, zeigt, dass die Festlegung einer guten Reihe von Messinstrumenten (KPIs) nicht während einer Kaffeepause geregelt werden kann, sondern viel Sachverstand und Geschick erfordert!

Diminisher und Multiplier

Der Balanceakt zwischen “Sowohl die Kontrolle behalten als auch dem Team Freiraum lassen” ist ein Thema, mit dem sich viele Menschen ihr ganzes Leben lang beschäftigen. Und das ist keine Schande. Der amerikanische Wachstums-Guru Verne Harnish vertieft sich seit Jahren in die Grundprinzipien, die nötig sind, um ein Unternehmen schneller wachsen zu lassen. In seinem Buch Wachstum durch Führung: Die 10 entscheidenden Management-Prinzipien (Harnish, dt. Ausgabe 2012) erklärt er - was Sie nicht überraschen sollte - dass man nur skalieren kann, wenn man delegieren kann. Er fügt hinzu, dass 96% aller Unternehmen weniger als zehn Mitarbeiter haben, ein Großteil davon weniger als drei. Als einen der Gründe hierfür nennt er, dass die meisten Unternehmer nicht wissen, wie sie den ersten Schritt hin in Richtung Delegieren-von-Verantwortungsbereichen machen sollen.

Eine andere Perspektive auf dieses &-&-& -Paradoxon wird von der amerikanischen Führungsexpertin Liz Wiseman in ihrem Buch Multipliers: How the Best Leaders Make Everyone Smarter (Wiseman, 2015) aufgezeigt. Sie beschreibt in Ihrem Buch, mit welchen Methoden und Techniken der Manager die Ergebnisse seines Teams verdoppeln kann. Obwohl wir in Kapitel 4 den “Faktor 10” besprechen werden, ist diese Verdopplung sicherlich schon eine Bereicherung. Wiseman zeigt anhand einer Analyse von 150 Managern auf, dass viele Organisationen nicht wirklich an einem Mangel an Personal oder anderen Mitteln leiden, sondern dass es sich hierbei oft nur um die Konsequenz der Unfähigkeit handelt, effektiven Zugang zu den zur Verfügung stehenden Ressourcen zu erhalten. In der Praxis würde die Mehrheit der Manager, die sie Diminisher nennt, ihren Mitarbeitern zu wenig zutrauen und selbstständig ausführen lassen. Denn Sie legen eine Verhaltensweise an den Tag, die die Intelligenz und Kreativität ihrer Mitarbeiter beschränkt anstatt Sie zu fördern. Die Multiplier jedoch holen das Beste aus ihnen heraus! Sie sind der Managertyp, für den Mitarbeiter gerne durchs Feuer gehen. Sie wissen verborgene Talente zu erkennen und verstehen die Kunst des Vertrauens in ihre Mitarbeiter.


Auch wenn Sie denken, dass Sie alles gut im Griff haben, wird jeder von Ihnen bewusst oder unbewusst manchmal auch Diminisher-Verhalten gezeigt haben. Manager mit viel Drive gemeinsam Erfolge zu verbuchen, können beispielsweise durch ihre Energie und Begeisterung unbewusst andere davon abhalten, selbst die Initiative zu übernehmen. Wiseman nennt sie Accidental Diminishers. Vielleicht bringen Ihnen diese Einsichten zunächst noch nicht viel und erscheinen Ihnen nicht bahnbrechend. Die fünf Disziplinen jedoch, in denen sich Multiplier von Diminishern unterscheiden, können Ihnen helfen, Ihre Perspektive zu wechseln und auf diese Weise den toten Winkel in Ihrem eigenen Verhalten aufzuspüren (Abbildung 1.2). Weiterhin zeigt Wiseman auch auf, dass jeder Multiplier-Verhalten erlernen kann. Und das klingt doch ermutigend!

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