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Vorwort

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Oftmals ist ein Vorwort ja nichts anderes als ein als „Vorwort“ deklariertes Nachwort. Das heißt: Der Autor schreibt – nachdem er sein Werk vollendet hat und ihm daher der Inhalt seines Buches bereits bekannt ist – ein „Vorwort“ zur Einführung. Mein Vorwort schreibe ich hingegen heute, am 5. Juli 2013, also lange bevor eine Zeile dieses Buches zu Papier gebracht beziehungsweise „in den Computer hineingeklopft“ wurde. Ich schreibe also über etwas, das ich noch nicht kenne, gar nicht kennen kann. Woher auch? Was es heute schon gibt, ist eine Absicht: Die Absicht, ein Buch zu veröffentlichen, es also auf den Markt zu bringen. Und dazu sind mir bereits ein paar Eckdaten bekannt:

- Erscheinungstermin ist Mitte November 2013, gerade noch rechtzeitig vor dem alljährlichen Weihnachtskaufrausch.

- Ein Coverentwurf mit dem Titel „Leb wohl Schlaraffenland – Die Kunst des Weglassens“, in Grün gehalten, liegt auf meinem Schreibtisch. Als Autoren zeichnen die Herren Roland Düringer und Clemens G. Arvay.

- Termine für Buchpräsentationen sind bereits fixiert, mediale Auftritte werden verhandelt. Kooperationen mit Medien werden angedacht und der eine oder andere Interviewtermin steht schon.

- Der Ladenpreis ist, hörte ich, bereits festgelegt, mir aber im Moment entfallen. Das Ding ist also im Laufen und es gibt kein Zurück.

Dieses Buch auch tatsächlich zu schreiben wäre insofern kein Fehler, denn was nicht geschrieben wurde, kann auch schwerlich gelesen werden. Und schon zeigt sich die erste Hürde, der erste große Stolperstein. Ein Felsbrocken, möchte ich meinen, legt sich in den Weg: Ich schreibe nicht!

Ich denke mir gerne etwas aus und erzähle es anderen. Ich liebe es, in fremden Köpfen Bilder entstehen zu lassen, aber das Schreiben wurde mir zur Pein. Es wurde mir zur Strafe gemacht und das im wahrsten Sinn des Wortes. Ungebührendes Verhalten in der Schule wurde durch Schreibaufgaben bestraft. Ich weiß nicht mehr, wie viele Seiten ich aus dem Lesebuch abschreiben musste – zur Strafe und zur Besserung, also zu meinem angeblichen Besten. Zugegeben, vielleicht hatte mir die eine oder andere abzuschreibende Seite gebührt, denn es schickt sich einfach nicht, das offene Klassenbuch und damit im selben Zug auch das beige Kostüm der Klassenlehrerin mit Tinte zu versauen, auch wenn es nur eine Mutprobe war. Dies war kein strafmilderndes Argument.

In der Summe waren es jedenfalls einfach zu viele Seiten, die ich zur Strafe schreiben musste, um der körperlichen Untätigkeit des Schreibens heute noch etwas abgewinnen zu können.

Auch jetzt sitze ich vor dem Computer und schlage die Tasten an. Ich tippe, vertippe, korrigiere, tippe … Dabei starre ich ins Flimmern des Bildschirms. Der Schultergürtel verspannt sich allmählich und mein Sitzfleisch geht verloren. Ich bin daher wirklich froh! Ich bin froh darüber, dass mir jemand anderes die Last des Schreibens von meinen schmerzenden Schultern nehmen wird. Jemand, der offenbar nicht durch Schreiben bestraft wurde, sondern der sogar darin aufgeht, und für den das Schreiben mehr bedeutet, als bloß mittels Tastatur in einem Computer schwarze Punkte entstehen zu lassen. Seine Berufung ist die Schreiberei und sein Name Clemens. Eigentlich Clemens G., was sich sehr elegant schreibt, gesprochen dann aber doch etwas protzig und angeberisch klingt. Dies zumindest, sofern man auch den „Punkt“ mit ausspricht: „G-Punkt.“

Clemens hat schon einige erfolgreiche Bücher verfasst. Es sind systemkritische Bücher über die Machenschaften der Lebensmittelkonzerne. Systeme, Machenschaften und die daraus entstehenden Zwänge sind auch Themen in meiner Arbeit. So haben wir uns vor geraumer Zeit gefunden, Zeit miteinander verbracht, miteinander gegessen und getrunken und oftmals im Beisein meiner geliebten Frau über Gott und die Welt, aber zumeist über das Leben an sich geplaudert. Clemens arbeitet gerade an einem neuen Buch und ich bin bald wieder mit meinen satirischen Vorträgen in Österreich unterwegs. So bleibt uns nicht viel Zeit, unsere Gedanken in ein Buch zu packen, zumal uns unser Verleger ja bereits einen Coverentwurf präsentiert und um einen Text für den Buchkatalog gebeten hat.

Wir haben also folgenden schlauen Plan: Clemens baut gerade zwei Videokameras in meinem Garten auf. Sobald das Bild eingerichtet ist, werden wir uns in dieses Bild rücken, die „Mühlen“1 anwerfen und unser Gespräch beginnen. Als Ausgangspunkt dafür haben wir meinen Selbstversuch „Gültige Stimme“, mein seit 2. Januar im Internet veröffentlichtes Videotagebuch, gewählt. Dabei geht es um die Kunst des Weglassens, um meinen persönlichen Rückzug aus unterschiedlichen Systemen. Clemens hat sich in den letzten Tagen etwa hundert Tagebucheinträge angesehen. Armer Clemens, aber er hat es ja selbst so gewollt. Dabei sind für ihn sicher einige Fragen aufgetaucht, die er mir nun stellen wird und ich werde sie so gut wie möglich beantworten und dabei, wie ich mich kenne, vom Hundertsten ins Tausendste kommen. Gut möglich, dass wir sogar übers Motorradfahren reden werden, eines meiner Fachthemen. Ich habe keine Ahnung, wie lange unsere Gespräche dauern werden. Geplant sind vorerst drei Tage. Da werden die Kameras quietschen und ächzen. Unmengen an Gerede werden auf Datenspeichern komprimiert werden.

Falls es uns nach drei Tagen genug erscheint – und ich denke, das wird es – ist damit mein Beitrag zu diesem Buch vorerst geleistet. Danach wird eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter des Verlages (ich weigere mich, „MitarbeiterIn“ zu schreiben, denn die Zeit für den männlichen Mitarbeiter muss alleine schon aus Respekt vorhanden sein) die undankbare Aufgabe erhalten, stundenlanges, undeutliches und dialektlastiges Geplaudere ins Hochdeutsche zu transkribieren. „Nau, do wean sa se dabei fest auscheiß’n“. Die transkribierte Rohfassung wird dann an den „Schreiberling“ Clemens G. Arvay übermittelt werden und dann: Ran an die Tasten, mein lieber Freund! Zusammenfassen, streichen, kopieren, einfügen, verschieben. Kurzum: stundenlanges Geplappere in Buchform bringen. Clemens, Clemens, darum werde ich dich nicht beneiden.

Nach einigen Wochen der Vorfreude wird dann ein dickes Kuvert mit dem Manuskript in meinem Postkasten landen. Das ist dann fast ein wenig wie Weihnachten. Vielleicht noch ein paar kleine Korrekturen und Verbesserungsvorschläge meinerseits und dann ab in die Druckerpresse. So werden heute Bücher gemacht. Vielleicht hatten Sie auch die naive Vorstellung von einem Autor, der monatelang seine Ergüsse unter Schmerzen zu Papier bringt, mit dem Manuskript von Verleger zu Verleger wandert, dabei die Klinken putzt und mit Menschen, die er gar nicht so recht leiden kann, essen geht und auf die Veröffentlichung seines Werkes hofft. Ähnliche Vorstellungen hatte auch ich einmal im Kopf. Aber die Welt dreht sich nun schneller und überholt sich fallweise selbst. Hinten ist plötzlich Vorne. Es kann auch beim Motorradfahren – übrigens ebenfalls „fallweise“ – passieren, dass dich das Hinterrad überholt. Dies endet aber zumeist mit einem Bauchklatscher.

Was ich mir wünsche: „Leb wohl Schlaraffenland“ soll kein Buch über mich werden, sondern über all jene Menschen, die so wie ich auf der Suche nach dem „Guten Leben“ sind und das selbstständige Denken nicht verlernt haben. Ich zähle mich dazu. Die Lust am Schreiben hat man mir in der Schule genommen, die Freude am Sprechen nicht, da ich etwas zu sagen habe. Das Selbstdenken konnte ich mir bewahren. Aber das ist nicht unbedingt eine Frage der Bildung.

Ah, Clemens winkt herüber, die Kameras sind bereit. Möge unsere Übung gelingen!

Und damit ich es nicht vergesse: Ein Vorwort werde ich irgendwann noch schreiben müssen, aber dabei werde ich mich wohl kurz fassen.

Roland Düringer, 5. Juli 2013

Leb wohl, Schlaraffenland

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