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Das Leben als Experiment

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Durch die Unabhängigkeit, die mein Beruf mit sich bringt, habe ich nun das Privileg, mir Zeit nehmen zu können. Ich kann es mir also leisten, Zeit zu investieren, um mit dem Leben an sich zu experimentieren. Und ich habe in meinem Leben tatsächlich schon einige Experimente durchgeführt. Jetzt, während dieses Gesprächs, sitzen wir zum Beispiel in meinem Garten, den ich vor fünf Jahren angelegt habe und der davor einfach eine grüne Wiese war. Ich pachtete diese Fläche von einem lieben Nachbarn, um mir mein eigenes Gemüse anzubauen. Auch das war eine Art Experiment. Ich wollte wissen, wie sich das Leben mit einem Garten und in einem Garten anfühlt.

Warum ich ständig auf der Suche nach solchen Experimenten bin, ist relativ einfach erklärt: Es ist ein beachtlicher Teil meines Berufs, zu experimentieren und Erfahrungen zu machen. Auch außerkörperliche! (lacht)

Wenn man Schauspieler ist, schlüpft man in die Rollen anderer Personen. Dazu muss man Menschen sehr genau beobachten, ihr Verhalten studieren. Man muss aber auch sich selbst beobachten können, seine eigenen Verhaltensmuster erkennen. Erst dann kann man sich selbst ablegen, um in eine Rolle zu schlüpfen.

Ich muss weg sein, damit jemand anderes da sein kann – darin liegt das wirklich Spannende an dem Beruf des Schauspielers.

Was mich schon immer fasziniert hat, ist, dass man in einer Rolle plötzlich Dinge tun kann, die man üblicherweise nicht tun, ja sogar strikt ablehnen würde. Um aber nicht nur eine Maske zu kreieren oder eine flache Karikatur einer Figur darzustellen, sondern stattdessen wirklich in dieses gespielte Wesen hineinzuschlüpfen – oder besser gesagt: dieses Wesen in sich hineinzulassen –, muss man selbst ein Stück zurücktreten.

Ein guter Schauspieler beobachtet andere nicht nur und äfft sie nach, kopiert sie, karikiert sie, sondern versteht, weshalb er in seiner Rolle dieses und jenes tut. Wenn man erkennt, warum eine Figur das tut, was sie tut, wenn man also begreift, was sie antreibt, dann hat man irgendwann die Fähigkeit, dieses Wesen förmlich in sich hineinzulassen.

Ich denke zum Beispiel an meine Rolle als Herr Breitfuß. Dieser war eine Figur, die ich in der TV-Serie „MA 2412“ und im gleichnamigen Kinofilm spielte.


Roland Düringer als Engelbert Breitfuß in der satirischen Sitcom „MA 2412“, die in den Jahren 1998 bis 2002 im Auftrag des Österreichischen Rundfunks produziert und ausgestrahlt wurde.

Die Figur des Herrn Breitfuß war sehr, sehr weit von dem entfernt, was ich selbst bin. Um den Charakter authentisch spielen zu können, musste ich diesen fiktiven Menschen dennoch verstehen und genau wissen, weshalb er sich so oder so verhielt und wie er innerlich funktionierte. Seit ich das weiß, kann ich in jeder Lebenssituation Herr Breitfuß sein. Ich muss nur den Schlüssel finden und umdrehen. Herr Breitfuß ist allerdings keine real existierende Person, die ich irgendwann im Leben traf, dieser Charakter entstand aus einer Sammlung vieler Beobachtungen an unterschiedlichen Menschen. Hat man den Schlüssel zur Figur gefunden, muss man sie ausprobieren, am besten im Alltag. Dann gehe ich einkaufen wie Herr Breitfuß. Ich kaufe Dinge, die ich selbst nicht kaufen würde. Was isst Herr Breitfuß? Was schmeckt ihm? Welche Zeitung liest er? Welche Autos sieht er sich auf der Straße an? Worauf legt er seinen Fokus, wenn er die Straße entlanggeht? Ihm fallen bestimmt andere Dinge auf als mir. Wenn ich über die Straße gehe und dort steht irgendwo ein Motorrad, dann sehe ich mir dieses Motorrad an. Er geht wahrscheinlich an dem Motorrad vorbei, weil es für ihn gar nicht wahrnehmbar ist.

Das Entwickeln einer Rolle ist also ein Experiment, das man innerhalb des eigenen Lebens durchführt. Man verändert sich ganz bewusst und geht eine Zeit lang als dieses Wesen durch die Welt. Man kann es jederzeit ab- und dann wieder einschalten. Abschalten, einschalten. Das ist mein Beruf. Ich experimentiere mit dem, was das Leben ausmacht, mit verschiedenen Verhaltensweisen.

Irgendwann dachte ich mir: „Das kann ich doch genauso gut mit mir selbst machen.“ Wenn ich die Fähigkeit besitze, jemand anderen zu erkennen, mich in ihn hineinzuversetzen und seine Verhaltensmuster zu übernehmen, dann kann ich auch meine eigenen Verhaltensmuster ändern, weil ich ja weiß, wie das geht. Ich muss bloß den Schlüssel dazu finden. Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass wir zwar schon mit einer gewissen inneren Programmierung auf die Welt kommen – das kann man jetzt den „Dämon“ nennen, der in uns wohnt, die Seele, den Geist oder das Göttliche, wenn man so will. Ich bin mir aber auch sicher, dass vieles erst durch äußere Einflüsse im Laufe unseres Lebens mit uns geschieht. Das kleine göttliche Lebewesen, das Kind, erkennt sich zunächst nur durch die anderen, also durch Mama und Papa. Erst durch andere erfährt es, was es eigentlich selbst ist, nämlich kein kleiner Gott, sondern vielleicht nur Kevin. (lacht)

Ich glaube daher, dass, wenn ich äußere Rahmenbedingungen verändere, sich zwangsweise mein Verhalten und vielleicht sogar mein Seelenleben verändern. Bei mir war das im Zusammenhang mit dem Garten sogar sehr deutlich der Fall. Frage mich nicht, wie ich auf die Idee eines Gartens gekommen bin. Ich war damals so weit weg von einem Garten wie die meisten Menschen vom Dirigieren eines Symphonieorchesters. Ich hatte keinen Bezug zum Garten, bis ich mir einfach dachte: „Garten? Damit habe ich in meinem Leben noch nie experimentiert.“ Im Falle eines Gartens macht man das natürlich, indem man sich einen anlegt und einfach geradewegs mit dem Gärtnern anfängt. Und das habe ich getan.

Ein Garten ist wie ein lebender Organismus. Mit Gärten zu experimentieren ist vergleichbar mit dem Beobachten von Menschen. In beiden Fällen wollte ich verstehen, wie sie funktionieren. So war also auch mein Garten für mich ein Experiment und er hat einiges in meinem Leben in Bewegung gesetzt.

Leb wohl, Schlaraffenland

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