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Evangelisation

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Bis in die 1960er Jahre setzten die Evangelikalen Mission weitgehend mit Evangelisation gleich. Es gab zahlreiche soziale Tätigkeiten im Umfeld der Mission, aber dieser Einsatz wurde nicht als missionarische Verpflichtung verstanden, sondern der Pflicht der Nächstenliebe zugeordnet. Soziale Verantwortung wurde nicht in erster Linie als Aufgabe der Kirche und der Mission gesehen, sondern als individuelle Pflicht einzelner Christen.

Die Evangelisation wurde als die vorrangige Aufgabe der Kirche verstanden. Es gab noch keine theologische Integration der sozialen Verpflichtung in den Missionsauftrag. Man befand sich im Grunde genommen immer noch auf dem Terrain von Edinburgh, wo Mission als Verkündigung im Vordergrund stand. So sagte Billy Graham an einem Kongress über Evangelisation in Berlin 1966, dass die soziale Verantwortung unter anderem deshalb wichtig sei, weil sie eine Brücke zur Evangelisation bildet (Johnston 1984, 162–163). Die soziale Verantwortung besaß, wie diese Aussage von Billy Graham zeigt, zu jenem Zeitpunkt keine eigenständige missionarische Legitimation. Mission wurde als die verbale Verkündigung der Heilstatsache von Golgata und dem Ruf zum Glauben definiert und diese Aufgabe wurde als das einzige Ziel der Mission betrachtet.

Zweifellos war es wichtig, dass sich die Evangelikalen zur Evangelisation bekannten und darauf bestanden, dass das Heil einzig in Christus zu finden ist. In den ökumenischen Theologien war dieses Ziel zu jenem Zeitpunkt weitgehend aufgegeben worden, und den sozialen Aufgaben wurde vermehrt Aufmerksamkeit geschenkt. Wenige Jahre vor Berlin hatte die ökumenische Bewegung eine Humanisierung und Politisierung des Heilsbegriffs eingeleitet. Von diesem Umstand her waren die Ängste der Evangelikalen vor der Preisgabe der Mission als Evangelisation verständlich. Die Veränderungen in der ökumenischen Missionstheologie und das Bewusstsein weltweiter sozialer Nöte blieben dennoch nicht ohne Auswirkungen auf die Evangelikalen und ihr Missionsverständnis.

Mitte der 1960er Jahre erwachte das soziale Gewissen der Evangelikalen wieder, das in der frühen evangelikalen Bewegung des 18. und 19. Jahrhunderts eine wichtige Rolle gespielt hatte. In jene Zeit fiel, zusammen mit großen evangelistischen Bemühungen, eine intensive soziale Tätigkeit der Evangelikalen (Tidball 1999, 261–267). Dabei spielten so bekannte Namen wie John Wesley, William Wilberforce, Charles Finney und Jonathan Edwards eine wichtige Rolle. Sie alle hatten ein traditionelles Evangelisationsverständnis, gleichzeitig war die soziale Betätigung, bis hin zum politischen Einsatz einzelner, ein wichtiger Bestandteil ihres Lebens. Die soziale Tätigkeit kam auch auf struktureller Ebene zum Ausdruck. So hatte die Evangelische Allianz, die 1846 in London gegründet wurde, von Anfang an eine soziale Agenda. Sie wurde namentlich auch deshalb gegründet, um für das Recht auf Religionsfreiheit auch für die Angehörigen anderer Religionen einzutreten (Randall und Hilborn 2001, 45–70).

Mit dem Aufkommen des protestantischen Fundamentalismus in Nordamerika zu Beginn des 20. Jahrhunderts zerbrach in der so genannten „großen Wende“ das Miteinander von Evangelisation und sozialer Aktion. Edinburgh lag nur einige Jahre zurück, aber die Situation hatte sich für die Kirche bereits verschlechtert. Vom Geist der Aufklärung beflügelt, begannen liberale Ideologien wie der Darwinismus und die Bibelkritik ihren Marsch durch die theologischen Institutionen. Die Evangelikalen mobilisierten im Kampf gegen den Liberalismus ihre Kräfte für die Verteidigung des Glaubens und die Selbsterhaltung. Eine zunehmend pessimistische Weltsicht als Folge des Ersten Weltkriegs verstärkte den Trend zum Rückzug aus der gesellschaftlichen Verantwortung. In der Folge konzentrierte man sich auf die Evangelisation als alleinige Aufgabe der Kirche. Man sah in der Welt ein sinkendes Schiff, aus dem die letzten Seelen zu retten waren – ein Bild, das auf den Evangelisten und Erweckungsprediger Dwight Moody zurückgeht und bis heute den Missionsgedanken der Evangelikalen prägt.

Kirche ist Mission

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