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1Was sind traumatische Verluste?

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Fallbeispiel 1: Der sinnlose Tod eines Zweijährigen

Bei dem zweijährigen Lars wird in der Kinderklinik routinemäßig eine zunächst komplikationslose Darmspiegelung durchgeführt. Die Mutter bleibt in der darauffolgenden Nacht bei ihrem Sohn in der Klinik. Sie bemerkt, dass es ihrem Sohn schlecht geht und dass er wohl Fieber hat. Sie informiert mehrmals die Pflegekräfte, die ihr aber versichern, dass alles in Ordnung sei. Als dann auf weiteres Drängen der Mutter die diensthabende Ärztin kommt, liegt der Junge schon leblos in seinem Bettchen und reagiert nicht mehr. Die Mutter steht wie erstarrt daneben und nimmt schon nicht mehr richtig wahr, wie nun die Ärztin die Notfallmaßnahmen in Gang setzt. Der Junge kommt auf die Intensivstation, während die Mutter und der inzwischen gerufene Vater draußen vor dem Krankenhaus voller Verzweiflung warten. Sie sehen, wie der Oberarzt und der Chefarzt in die Klinik hasten. Ihre Ohnmacht und ihr Entsetzen werden immer größer. Nach zwei Stunden werden sie zum Chefarzt gerufen, der ihnen den Tod ihres Sohnes mitteilt. Die Mutter bricht schreiend zusammen, wird erst medizinisch und dann von der Klinikseelsorge betreut. Der Vater ist voller Wut und informiert noch aus der Klinik die Polizei, die dann in die Klinik kommt und mit den ersten Befragungen beginnt. Bei der angeordneten Obduktion stellt sich heraus, dass bei der Darmspiegelung der Darm des Jungen durchstoßen wurde und er letztlich an einer Sepsis verstarb.

In diesem Beispiel zeigen sich die verschiedensten Aspekte eines schweren traumatischen Verlustes. Der plötzliche, völlig unerwartete Tod eines geliebten kleinen Kindes, das Miterleben seines Leidens, die Erfahrung einer eigenen überwältigenden Ohnmacht und die weiteren Situationen, von der Eröffnung der Todesnachricht bis zu Bestattung, sind massiv traumatisierend. Beide Eltern werden zu mir zur Trauerarbeit überwiesen. Doch es geht hier offensichtlich nicht nur um eine Trauerbegleitung, sondern auch um die Arbeit mit dem Trauma und seinen Folgen wie dem Schock, dem Betäubt- und Erstarrtsein und den immer wieder einbrechenden Schreckensbildern vom Tod des Jungen. Zugleich brechen immer wieder intensivste Verlustschmerz-Attacken durch, die sich im Schreien und in Weinanfällen besonders bei der Mutter zeigen. Und keinesfalls übersehen werden dürfen die intensiven Gefühle der Liebe der beiden Eltern zu ihrem Jungen, die Sehnsucht nach ihm und das Mitleiden mit ihm. Fragen insbesondere der Mutter nach dem Warum des Todes des Kindes, nach der eigenen Mitschuld, und das Erleben der Sinnlosigkeit, der Ungerechtigkeit und der Willkürlichkeit des Todes brechen immer wieder auf. Eine intensive, lange Verlusttrauma- Psychotherapie für den verstorbenen Jungen und für die Eltern beginnt. Für solche und andere traumatischen Verluste brauchen wir als Berater und Psychotherapeutinnen ein neues Verständnis der Traumatisierungs- und Trauerprozesse und natürlich viele konkrete Handlungsmöglichkeiten für die traumatisierten und trauernden Hinterbliebenen.

Traumatische Verluste

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