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1.1Eine andere Traumapsychologie und eine andere Trauerpsychologie

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Viele Verluste werden von den Hinterbliebenen als traumatisierend erlebt. Wir sprechen dann von einem traumatisierenden oder traumatischen Verlust (Thompson, Cox a. Stevenson 2017; Carpenter a. Redcay 2019). Die damit verbundene Trauma- und Verlustreaktion bezeichnen wir als Verlusttrauma. Dieses ist mit einer massiven Traumareaktion verbunden, die einerseits den Reaktionen bei anderen Traumatisierungen gleicht, sich andererseits aber auch von diesen fundamental unterscheidet.

Deshalb brauchen wir ein neues traumapsychologisches Verständnis des Verlusttraumas. Die Psychotraumatologie eines Verlusttraumas muss ganz neu aufgestellt werden!

Dies wird häufig übersehen, sodass viele Trauerbegleitungen und -beratungen die Traumareaktion übergehen und versuchen, bei der Trauer einzusetzen. Nach einem traumatischen Verlust kommen die Betroffenen jedoch zuerst als Traumatisierte, die zugleich spüren, dass sie vom Trauma betroffene Trauernde sind, und erst später dann im eigentlichen Sinne zu Trauernden werden. Deshalb spreche ich in diesem Buch meist von Hinterbliebenen, weil diese Traumatisierte und Trauernde sind.

Ebenso sind die Trauerprozesse nach einem traumatischen Verlust ganz andere, weil sie von den Traumareaktionen massiv beeinflusst sind. Doch nicht nur die unmittelbare Verlust- und Trauerreaktion, sondern auch die Beziehung zum Verstorbenen1 sieht nach einem Verlusttrauma anders aus. Nach meinem Verständnis ist die Beziehung zum Verstorbenen ein zentraler Teil jedes Trauerprozesses, der hypnosystemisch verstanden immer auch ein Beziehungsprozess ist. Die Grundlage dieses Buches ist der von mir entwickelte hypnosystemische Traueransatz, in dem die innere Beziehung zum Verstorbenen ein wesentlicher Teil eines Trauer- und (!) Beziehungsprozesses ist (Kachler 2017; 2018; 2019). Deshalb brauchen wir auch ein neues Trauerverständnis für die Trauer- und (!) Beziehungsreaktion in einem Verlusttrauma.

Wir können also sagen, dass das Trauma bei einem Verlust den Verlustschmerz und die Trauer massiv beeinflusst und dass umgekehrt der Verlust die Dynamik einer Traumatisierung verändert. Zugleich verändert die Traumatisierung im Verlust auch die innere Beziehung der Hinterbliebenen zum Verstorbenen nach dessen Tod.

Merke!2

Die Traumatisierung bei einem schweren Verlust beeinflusst massiv die Trauer- und Beziehungsreaktion. Die Trauer- und Beziehungsreaktion gibt umgekehrt auch der Traumareaktion eine andere Dynamik.

Ein Verlusttrauma setzt sich zusammen erstens aus dem Verlust eines nahen, geliebten und existenziell wichtigen Menschen, der deshalb als schwerer Verlust erlebt wird, zweitens aus einem die Hinterbliebenen und den Verstorbenen (!) verletzenden, überwältigenden und damit traumatisierenden Tod und drittens aus den traumatisierenden, situativen Kontexten für die Hinterbliebenen bei diesem Verlust. Schließlich umfasst das Verlusttrauma viertens eine komplex miteinander interagierende Trauma-, Trauer- und Beziehungsreaktion der Hinterbliebenen. Die Art der Trauer- und Beziehungsreaktion hängt neben den traumatisierenden Aspekten auch von der bisher gelebten Beziehung der Hinterbliebenen zu ihrem verstorbenen nahen Menschen ab. Die Intensität der Trauma- und Trauerreaktion wird zudem von der Biografie, den Ressourcen und verfügbaren Abwehrmechanismen der Hinterbliebenen beeinflusst. Trotz dieser individuellen Kriterien bei den Hinterbliebenen ist ein schweres Verlusttrauma wie alle Traumata gerade auch dadurch definiert, dass es von der Mehrzahl der Betroffenen als überwältigend, bedrohlich, vernichtend und katastrophal, mithin also als traumatisierend erlebt wird (Maercker 2013).

Merke!

Ein Verlusttrauma umfasst den schweren Verlust eines geliebten Menschen, die Traumatisierung des Verstorbenen (!) und der Hinterbliebenen, die erlebten traumatisierenden Verlustsituationen und die sich gegenseitig beeinflussenden Trauma-, Trauer- und Beziehungsreaktionen der Hinterbliebenen.

Traumatische Verluste

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