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An einem ganz anderen Ort, nämlich in St. Pölten, befanden sich zur selben Zeit die meisten gottesfürchtigen Familien schon auf dem Weg in die Messe. Kurz später, noch während die letzten zu spät Gekommenen hastig beim großen Portal hereinschlüpften und eilig den Finger in das Weihwasser tauchten, um sich zu bekreuzigen, setzte die Orgel ein. Dann der Chor. Und schon marschierte das etwas dickliche Geistige Oberhaupt der Diözese mit seiner Schar Ministranten auf.

In Rom würde der noch ältere Kollege gerade seinen Segen „Urbi et Orbi“ spenden...

Alles lief wie immer.

Und doch war irgendetwas anders dieses Jahr.

Irgendetwas, das Aufmerksamkeit erregte, obwohl vorerst kaum wer erkennen konnte, was es war. Der Gemeindehirte war gekleidet wie immer, der Stab, die Kappe... auch die Ministranten hatten nichts Außergewöhnliches an sich...

Die Stimme des Bischofs schien verändert, irgendwie weich, gütig, aber das konnte täuschen.

Er schwitzte nicht. Hatte er oft schon ganz verzerrte Züge, wenn ihm dicke Schweißperlen von der Stirn in die Augen rannen und man bis in die letzte Reihe sehen konnte, wie ihn das Salz quälte, so stand er dieses Jahr ganz gelöst am Altar und predigte, anstatt wie sonst zu sitzen.

Viele merkten trotzdem nichts, weil sie voller Inbrunst den Chor unterstützten. Einige wenige jedoch fingen zu tuscheln an, schauten ungläubig.

Wahrhaftig.

Der Bischof lächelte, nein er strahlte. Er hatte ganz weite, glänzende Augen, und mit diesen Augen schien er seine Schäfchen zu umfangen. Was er sagte, sagte er fließend, die Worte kamen wie von selber, doch schweifte er ab.

Fast visionär verkündete er den Osterfrieden und bat: „Gebet auch ihr einander ein Zeichen dieses Friedens weiter“ und in der Tat schien in der ganzen Kirche ein völlig neuer Geist zu herrschen.

Für einen Großteil der Gläubigen war vielleicht alles normal, die Frohbotschaft der Auferstehung tat Jahr um Jahr die gleiche Wirkung.

Doch schon vor der Wandlung tätschelte der Bischof einem der Ministranten den Kopf und zwinkerte irgendwem auf der, von den Gläubigen aus gesehen, linken Seite zu.

Auch bemerkten scharfe Beobachter, dass jener Ministrant mit dem Weihrauchschiffchen, der etwas abseits unter der Kanzel stand, ganz seltsam mit den Augen rollte.

Nichtsdestotrotz war es eine wirklich gelungene Messe, fanden die meisten, weil der Bischof so eine Begeisterung auf alle übertragen hatte. Soviel Nächstenliebe. Selbst die konservativen Kirchgänger, von bösen Zungen als Scheinheilige bezeichnet, verziehen dem Geistlichen, dass er sich plötzlich, selig lächelnd, übergangslos zurückzog.

„Gehet hin in Frieden“, sagte er, dann war er weg. Einige Ministranten folgten ihm blitzartig, andere blieben unschlüssig stehen.

Vor der Kirche wartete der ORF.

Durch seine ungewöhnlichen Ansichten war der Bischof meistens in den Medien präsent, wie man so schön sagt. Das musste wohl der Grund sein, warum gerade heute, am Ostersonntag, das Fernsehen da war. Zumindest dacht das Gros der Gläubigen so.

Oder verschwand der Hirte deswegen so plötzlich? Wollt er den Fernsehjournalisten aus dem Weg gehen – das war eigentlich nicht seine Art. Sonst.

Aber heute war er ja wie ausgewechselt.


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