Читать книгу Analytisch orientierte Literaturwissenschaft - Rolf Breuer - Страница 14
4. Das Alter des Kosmos und der Erde (James Usher, Georges Buffon, Immanuel Kant und Charles Lyell)
ОглавлениеNatürlich begannen Kosmologie und Geologie nicht erst in der Mitte des 18. Jahrhunderts. So eindrucksvoll aber die Arbeit der früheren Wissenschaftler und Philosophen auch ist:14 Die Bestimmung des Alters der Welt und des zeitlichen Ablaufs der erdgeschichtlichen Formationsfolgen blieb so lange unmöglich, wie man im Prokrustesbett der von der Bibel gesetzten Zeitspanne verblieb. Das waren ungefähr 6000 Jahre.15 Den Höhepunkt der Berechnung aufgrund der Angaben im Alten Testament stellt James Usher (1580-1656) dar, anglikanischer Erzbischof in Irland; er schrieb in den Annals of the World (1658): die Schöpfung
fell upon the entrance of the night preceding the twenty third day of Octob. in the year of the Julian Calendar, 710,16
also auf 6 Uhr abends am 22.10.4004 v. Chr.
Das änderte sich um dieselbe Zeit, in der Hurd, Rousseau und die anderen bereits genannten Autoren schrieben. Georges Buffon (1707-88) setzte 1749 in seiner Théorie de la Terre das Alter der Erde erstmals dramatisch höher an. Die von ihm öffentlich genannte Zahl von 70.000 Jahren war allerdings immer noch geleitet von religiöser Rücksichtnahme; privat gab Buffon zu, dass auch diese Zahl noch viel zu niedrig angesetzt sei. Endlich, bereits im 19. Jahrhundert, gelangte die Geologie zu Vorstellungen, wie wir sie heute von der Erdgeschichte haben. Der Name, der hier in erster Linie genannt werden muss, ist Charles Lyell (1797-1875), Schotte und mit mehreren Büchern um die Mitte des 19. Jahrhunderts Begründer der modernen Geologie. Er revolutionierte die Ideen über das Alter der Erde, indem er die alten Katastrophen-Szenarien (Neptunismus oder Vulkanismus) ersetzte durch die Vorstellung eines allmählichen Entwicklungsprozesses,17 übrigens zum Teil bereits beeinflusst von Darwins Origin of Species.
Parallel verlief die Entwicklung der Kosmologie. Der erste, der Zeitspannen in Betracht zog, die der Wirklichkeit nahekamen, war Immanuel Kant (1724-1804). In seiner Allgemeinen Naturgeschichte und Theorie des Himmels … (1755) beschrieb er die gesamte Naturordnung nicht als etwas zur Zeit der Schöpfung Vollendetes, sondern als etwas, das noch immer im Entstehen begriffen sei. Diese allmähliche Bildung der Ordnung aus dem Chaos brauchte ganz offensichtlich bisher unvorstellbare Zeiträume, und Kant spricht denn auch von Hunderten von Millionen Jahren. Allerdings blieb seine Schrift bis ins 19. Jahrhundert fast unbeachtet, und vieles war tatsächlich eher Spekulation als gesicherte Erkenntnis und gehört insofern zur Vorgeschichte der wissenschaftlichen Kosmologie. Gleichwohl ist Kants Buch von erstaunlicher Kühnheit und prophetischer Weitsicht. Er erkannte, dass viele bisher als Sterne oder Nebel angesehene Objekte am nächtlichen Himmel vielleicht keine Sterne innerhalb der gerade erst18 als Galaxie erkannten Milchstraße sind, sondern selbst Galaxien, nur sehr weit entfernt.