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Unfähigkeit

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Das staatliche Durchgreifen profitiert an dieser Stelle von seinem scheinbar humanitären Charakter, deshalb kann eine große Zahl Freiwilliger für die Bekämpfung des Virus rekrutiert werden. Aber wie zu erwarten, gehen solche Aktionen immer auch nach hinten los. Aufstandsbekämpfung ist ganz generell ein verzweifelter Krieg, zu dem es erst kommt, wenn stabilere Formen von Eroberung, Beschwichtigung oder wirtschaftlicher Unterwerfung unmöglich geworden sind. In einem teuren, gefährlichen Rückzugsgefecht demonstriert die jeweilige Macht ihre Unfähigkeit – sei es der französische Kolonialstaat, das niedergehende amerikanische Imperium oder andere. Das Ergebnis ist fast immer ein zweiter Aufstand, blutig gezeichnet von der Niederschlagung des ersten und noch verzweifelter. Hier können Quarantänemaßnahmen die Realitäten von Bürgerkrieg und Aufstandsbekämpfung kaum noch spiegeln. Aber selbst in diesem Fall ging die Aktion zum Teil nach hinten los. Obwohl der Staat viel Aufwand mit Informationskontrolle und ständiger Propaganda über alle möglichen Medien betrieb, drückte sich über dieselben Kanäle auch Unmut aus.

Der Tod von Dr. Li Wenliang,56 ein früher Whistleblower über die Gefahren des Virus, am 7. Februar 2020, hat die in ihren Wohnungen einge­igelten BürgerInnen im ganzen Land erschüttert. Li war einer der acht Ärzte, die Anfang Januar wegen der Verbreitung »falscher Informationen« verhaftet worden waren, später zog er sich das Virus selbst zu. Im Netz äußerten Leute ihre Wut darüber, die Regierung von Wuhan äußerte ihr Bedauern.57 Die Leute beginnen zu sehen, dass der Staat aus stümperhaften Funktionären und Bürokraten besteht, die keine Ahnung haben, was sie tun, aber dennoch auf stark machen müssen.58 Das wurde besonders deutlich, als der Bürgermeister von Wuhan, Zhou Xianwang, im Fernsehen zugeben musste, dass seine Regierung die Veröffentlichung wichtiger Informationen über das Virus verzögert hatte. Die durch das Virus erzeugte Spannung und die totale Mobilisierung durch den Staat beginnen, den Leuten die Risse im Bild zu zeigen, welches die Regierung auf hauchdünnem Papier von sich zeichnet. Die aktuelle Lage hat eine wachsende Zahl von Menschen, die bisher der Propaganda geglaubt haben, die grundlegende Unfähigkeit des chinesischen Staates vor Augen geführt.

Wenn die Reaktion des Staates in einem einzigen Bild zusammengefasst werden kann, wäre es so etwas wie das Video, das ein Bewohner von Wuhan mit dem westlichen Internet über Twitter in Hongkong teilte.59 Es zeigt mehrere Leute, die Ärzte oder Sanitäter zu sein scheinen, Schutzkleidung tragen und Fotos von sich vor der chinesischen Flagge schießen. Die Person, die das Video aufnimmt, erklärt, dass jeden Tag vor dem Gebäude Fotos gemacht werden. Das Video zeigt dann die Männer, wie sie die Schutzkleidung ablegen und rauchend herumstehen, sie benutzen sogar einen Schutzanzug, um ihr Auto abzuwischen. Bevor sie wegfahren, wirft einer die Schutzausrüstung einfach in den Müll und versucht nicht mal, sie so hineinzustopfen, dass sie nicht gesehen wird. Solche Videos haben sich schnell verbreitet, bevor sie zensiert wurden – kleine Risse im dünnen Schleier des staatlich sanktionierten Spektakels.

Auf einer grundlegenderen Ebene zeigt sich die erste Welle wirtschaftlicher Auswirkungen der Quarantäne auf das Alltagsleben der Menschen. Über die makroökonomische Seite wurde viel berichtet: Mit der starken Abschwächung des Wirtschaftswachstums in China droht eine neue globale Rezession, vor allem im Zusammenhang mit der andauernden Stagnation in Europa60 und dem Einbrechen eines wichtigen Wirtschaftsindex in den USA, der einen plötzlichen Rückgang der Wirtschaftstätigkeit zeigt.61 Weltweit prüfen chinesische Unternehmen und die, die von chinesischen Produktionsnetzwerken abhängen, die Klauseln über die Einwirkung höherer Gewalt62 in ihren Verträgen, die Verzögerungen und Widerrufe ermöglichen, wenn der Vertrag nicht erfüllbar ist. Obwohl es im Moment unwahrscheinlich ist, hat allein die Aussicht darauf zu einem Wasserfall an Forderungen nach einer Wiederaufnahme der Produktion im ganzen Land geführt. Das ist bisher nur stückchenweise passiert, in einigen Regionen läuft alles bereits wieder, anderswo steht alles noch unbefristet still.

Andere Auswirkungen waren weniger sichtbar, sind aber viel wichtiger. Viele WanderarbeiterInnen hängen in der Luft, auch die, die über Neujahr am Ort ihres Arbeitsplatzes geblieben oder vor dem Lockdown dorthin zurückgekehrt sind. Aus Shenzhen, wo die große Mehrheit der Bevölkerung MigrantInnen sind, berichten BewohnerInnen, dass die Zahl der Obdachlosen zunimmt. Diese neuen Leute auf der Straße sind keine Langzeit-Obdachlosen, sondern sehen aus, als wären sie hier abgestellt worden, ohne zu wissen, wohin sie gehen sollen. Sie sind noch relativ gut gekleidet und kennen sich nicht damit aus, wo man am besten übernachten und an Essen kommen kann. Auch der Diebstahl hat zugenommen, vor allem von Essen, das vor die Türen von Menschen in Quarantäne geliefert wurde. ArbeiterInnen in allen Bereichen haben während der Produktionspause Lohnausfälle. Den günstigsten Fall durchleben die ArbeiterInnen von Foxconn in Shenzhen, die sich in Wohnheimen ein bis zwei Wochen in Quarantäne begeben müssen, in der Zeit ungefähr ein Drittel ihres Lohns bekommen, und dann wieder arbeiten dürfen. Ärmere Unternehmen können das nicht bieten, und das Angebot günstiger Kredite63 der Regierung an kleinere Firmen wird langfristig nicht viel helfen. Es scheint, als würde das Virus einfach den Trend zur Verlagerung von Fabriken beschleunigen, denn Firmen wie Foxconn weiten ihre Produktion in Vietnam, Indien und Mexiko aus,64 um den Rückgang in China auszugleichen.

Lockdown 2020

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