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Seuchenproduktion

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Wie sein Vorläufer Sars-CoV, aber auch wie bei der Vogelgrippe und der Schweinegrippe davor, ist das Virus, welches die gegenwärtige Epidemie bestimmt (Sars-CoV-2), an einem Verknüpfungspunkt zwischen Ökonomie und Epidemiologie verortet. Es ist kein Zufall, dass so viele dieser Viren Tiernamen in ihren Bezeichnungen führen: Die Ausbreitung neuer Krankheiten auf die Humanbevölkerung ist fast immer das Ergebnis sogenannter »zoonotischer Übertragung«, eine fachsprachliche Ausdrucksweise für das »Springen« solcher Infektionen von Tieren auf Menschen. Das Über-Springen von einer Spezies auf die nächste ereignet sich unter bestimmten Bedingungen wie etwa Nähe und regelmäßiger Kontakt. Diese Faktoren bilden die Umgebung, in der die Krankheit entsteht. Ändert sich diese Schnittstelle zwischen humaner und animalischer Welt, so ändern sich auch die Bedingungen, unter denen die Krankheit sich fortentwickelt. Nun erhitzt sich ein viel grundlegender Ofen unter den vier Hochöfen (am Yang-Tse), der die industriellen Zentren der Welt unterfüttert: der evolutionäre Dampfkochtopf der kapitalistischen Agrikultur und Urbanisierung. Er stellt das ideale Medium dar, in dem immer verheerendere Seuchen erzeugt, verändert und zu zoonotischen Sprüngen veranlasst werden, die sich dann auf aggressive Weise unter den Menschen verbreiten. Hinzu kommen ähnlich tief greifende Prozesse in den Randzonen der Ökonomie, wo »Wildgebiete« mit Menschen in Berührung kommen, die gezwungenermaßen immer umfangreichere agroökonomische Eingriffe in lokale Ökosysteme vornehmen. Mit seinen »wilden« Ursprüngen und seiner blitzschnellen Verbreitung inmitten eines hoch industrialisierten, verstädterten Kernbereichs der Weltwirtschaft verdeutlicht das jüngste Coronavirus beide Dimensionen unserer neuen Ära politisch-ökonomischer Seuchen.

Der dargelegte Grundgedanke wurde am gründlichsten von linksgerichteten Biologen wie Robert G. Wallace entwickelt, dessen 2016 erschienenes Buch Big Farms Make Big Flu10 das Thema der Verbindung zwischen kapitalistischer Landwirtschaft und der Ursachenkette vorausgehender Epidemien von Sars bis Ebola erschöpfend behandelt.11 Diese Epidemien lassen sich vorläufig in zwei Gruppen unterteilen. Die erste umfasst solche, die sich in Kernbereichen der agroökonomischen Wertschöpfung entwickeln, die zweite in deren »Hinterland«. Im Nachweis der Ausbreitung von H5N1, bekannt als »Vogelgrippe«, fasst er bestimmte geografische Schlüsselfaktoren von Epidemien zusammen, die in produktiven Kernzonen entstehen:

Ländliche Flächen in vielen der ärmsten Länder tragen inzwischen die Kennzeichen von ungeregelter Agroökonomie, unmittelbar neben weiträumigen städtischen Slums. Die unüberwachte Übertragung in anfälligen Gegenden erhöht die genetische Variationsbereitschaft, unter der H5N1 humanspezifische Eigenschaften entwickeln kann. Bei seiner Verbreitung über drei Kontinente tritt H5N1 in Berührung mit einer wachsenden Vielfalt sozioökonomischer Umfelder, einschließlich ortstypischer Verbindungen von vorherrschenden Wirtsformen, Varianten der Massengeflügelhaltung und Maßnahmen der Veterinärmedizin.12

Solche Verbreitung folgt selbstverständlich den weltweiten Warenkreisläufen und der üblichen Arbeitsmigration, welche die Geographie der kapitalistischen Ökonomie bestimmen. Als Ergebnis erscheint »ein Typus von eskalierender breiteninfektiöser Selektion«, über welche das Virus sich auf einer größeren Anzahl evolutionärer Pfade in kürzerer Zeit positioniert. Das befähigt die erfolgreichsten Varianten, die anderen aus dem Feld zu schlagen.

Dies jedoch lässt sich leicht beweisen und ist bereits Alltagsweisheit in der Berichterstattung: der Umstand, dass die »Globalisierung« die Ausbreitung solcher Krankheiten beschleunigt, wenn auch hier mit dem bedeutenden Zusatz, dass diese Verbreitung selbst das Virus zu schnellerer Mutation anregt. Der entscheidende Punkt lässt sich allerdings schon früher erkennen: Vor der Ausbreitung, welche die Vitalität solcher Krankheit(skeime) erhöht, intensiviert die kapitalistische Grundlogik die Tendenz, vorher abgeschottete oder harmlose Virenstämme in extrem selektionsfördernde Umfelder zu versetzen. Hier finden diese Stämme Bedingungen, die für epidemische Formen günstig sind: schnelle virale Lebenszyklen, die Kapazität für zoonotische Sprünge zwischen Träger-Spezies und die Fähigkeit, neue Übertragungshilfen zu generieren. Diese Virenstämme treten gerade wegen ihrer Virulenz hervor. Rein rechnerisch scheint es, als müsste die Entwicklung virulenterer Stämme die entgegengesetzte Wirkung haben, weil der schnelle Tod des Wirtes dem Virus weniger Zeit für die Verbreitung lässt. Die Alltagserkältung bietet ein gutes Beispiel für dieses Prinzip: Ihre niedrige Intensität erleichtert die Verbreitung in der Bevölkerung. Doch in bestimmten Umfeldern gewinnt die entgegengesetzte Logik an Wahrscheinlichkeit: Findet ein Virus zahlreiche Wirte in naher Umgebung vor, und besonders, falls solche Wirte bereits unter verkürzter Lebenserwartung stehen, so verwandelt sich die höhere Virulenz in einen Evolutionsvorteil.

Die Vogelgrippe liefert ebenso ein gutes Beispiel. Wallace erläutert, dass Untersuchungsergebnisse »keine endemischen hoch pathogenen Stämme [von Grippe] bei Wildvogel-Populationen, dem absoluten Ursprungsreservoir nahezu sämtlicher Grippe-Unterarten«13 zeigen. Domestizierte Populationen, dicht gedrängt bei industrieller Haltung, scheinen hingegen eine deutliche Verbindung mit Ausbrüchen aufzuweisen – und dies aus nahe liegenden Gründen:

Die Aufzucht genetischer Monokulturen in der Tierhaltung beseitigt jede Art von immunologischer »Brandmauer«, die Krankheitsübertragung verlangsamen könnte. Größere Populationen und höhere Belegungsdichte fördern wachsende Übertragungsquoten. Die Lebensbedingungen bei erhöhter Belegung vermindern Immunreaktionen. Hoher Durchsatz, wie er zu jeder industriellen Produktion gehört, stellt unablässig neue Infektionskandidaten bereit: Brennstoff für die Evolution der Virulenz.14

Selbstredend entsteht jedes dieser Merkmale aus der Logik des indus­triellen Wettbewerbs. Insbesondere hat der hohe »Durchsatz« in diesen Kontexten erhebliche biologische Dimensionen: »Sobald Tiere aus industrieller Haltung das richtige Gewicht erreichen, werden sie getötet. Vorhandene Grippeinfektionen müssen bei jedem Einzeltier den Schwellenwert für die Übertragung schnell erreichen […]. Je schneller die Viren entstehen, desto größer der Schaden für das Tier.«15 Ironischerweise können Versuche, derartige Ausbrüche durch Massenschlachtung zu unterdrücken, eine unbeabsichtigte Folge haben. Sie verschärfen den Selektionsdruck weiter und verursachen die Evolution hypervirulenter Stämme. So war es jedenfalls bei der 2019 aufgetretenen Schweinepest, die zum Verlust von ungefähr einem Viertel des Weltangebots an Schweinefleisch führte.16 Obwohl sich in der Geschichte solche (epidemischen) Ausbrüche bei domestizierten Tierarten oft nach Kriegszeiten oder Umweltkatastrophen ereignet haben, die erhöhte Anforderungen an den Viehbestand zur Folge hatten, so gehen doch anschwellende Intensität und Virulenz derartiger Krankheiten unbestreitbar mit der Ausbreitung der kapitalistischen Produktionsweise einher.

Lockdown 2020

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