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AUS DER ZEIT GEFALLEN

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Snooker scheint auf den ersten Blick etwas gegen den Zeitgeist gebürstet. Vielleicht liegt darin auch ein Grund für die zunehmende Popularität des Sports außerhalb seines Mutterlands Großbritannien. Viele Menschen empfinden ein Snookermatch als angenehme Entschleunigung, als hektikfreie, fast meditative Zone. Das gilt in gleicher Weise für die Fernsehübertragungen der Matches. Auch da ist die Bildsprache relativ ruhig, mit nicht so vielen Schnitten, nicht einer so dynamischen Kameraführung wie heute sonst üblich. Diese Bildsprache begünstigt auch, dass die Zuschauer zu Hause eine besondere Bindung zu den Spielern aufbauen – sowohl im positiven wie auch im negativen Sinn –, denn die Akteure huschen nicht einfach nur schnell durch das Bild, sondern man sieht sie permanent in Großaufnahme, kann minutenlang jede Gesichtsregung beobachten.

Auch das Fair Play ist etwas, das Snooker auszeichnet und die Zuschauer anspricht. Diskutiert wird mit dem Schiedsrichter nicht, Protestszenen wie in anderen Sportarten sind hier nicht zu erleben. Vielmehr fordert das Reglement explizit ein gentlemanhaftes Verhalten von den Spielern. So ist es eine Selbstverständlichkeit, dass jeder Spieler ein vom Schiedsrichter nicht bemerktes eigenes Foul anzeigt (das gilt übrigens für alle Billarddisziplinen). Der Schiedsrichter kann ja unter Umständen nicht sehen, dass das Queue einen Ball leicht touchiert hat, der Spieler merkt das aber auf jeden Fall. Würde ein Spieler das Foul nicht zugeben und später durch TV-Bilder enttarnt, so wäre sein Ruf für alle Zeiten bei den Kollegen dahin. Hat ein Spieler das Gefühl, durch korrekte Regelauslegung einen ungerechtfertigten Vorteil erhalten zu haben, dann wird er versuchen, diesen Vorteil wieder zurückzugeben. Ein Beispiel: Ist er etwa der Meinung, dass die Foulentscheidung gegen seinen Gegner nicht korrekt war, dann wird er in der Regel seinerseits ein absichtliches Foul begehen (um so den Punktevorteil zurückzugeben) und sich bemühen, den Gegner wieder in die vorangegangene Situation zu bringen. Zum guten Ton gehört auch, sich für Flukes (also unbeabsichtigte Locherfolge) zu entschuldigen und bei einem gutem Shot des Gegners anerkennend auf den Tischrand zu klopfen. Und einen Handshake gibt es nicht nur vor und nach dem Spiel, sondern auch vor dem letzten Frame.

Eine weitere Besonderheit von Snooker, die viele fasziniert, ist die altmodisch wirkende formelle Kleiderordnung: Lederschuhe, Tuchhose, Hemd mit Kragen und Manschetten, Weste und Fliege sind vorgeschrieben. Darüber hinaus besagt das Reglement nur, dass die Kleidung zum Snooker passen sollte. Was das im Einzelnen genau heißt, wird nicht weiter ausgeführt, es ist Aufgabe des Turnierdirektors, die Angemessenheit des Outfits zu beurteilen und gegebenenfalls einzugreifen. Vom allgemeinen Dresscode darf nur in Ausnahmefällen abgewichen werden. So treten Stephen Maguire und Tom Ford immer ohne Fliege an. Das dürfen sie, weil sie ein ärztliches Attest besitzen, das allerdings zu Beginn jeder Saison erneuert werden muss. Ein ärztliches Attest ist aber kein Freifahrtschein. So hatte Ronnie O’Sullivan sich einmal den Fuß gebrochen und konnte deshalb keine Lederschuhe anziehen, sondern musste Sneaker tragen, was ihm auch ein Arzt attestiert hatte. Als er dann aber mit knallbunten Sportschuhen auflief, wurde es Turnierdirektor Mike Ganley sprichwörtlich zu bunt: Er entschied, O’Sullivan müsse sich Sportschuhe in Schwarz besorgen. Im Hinblick auf Hose und Weste lassen die Turnierdirektoren von World Snooker aber einiges an Farben und Mustern durchgehen. Ich denke da an die karierte Hose und Weste von Yan Bingtao, die durchaus das Potenzial hat, Augenkrebs zu verursachen. Oder an Peter Ebdon, der heute ja eher konservativ auftritt, aber als Jungprofi Anfang der 90er-Jahre eine Vorliebe für quietschbunte Westen hatte. Da wünschte sich so mancher Zuschauer den alten Schwarz-Weiß-Fernseher zurück. Ich habe damals viele hochgezogene Augenbrauen bei den Oberen des Snooker gesehen, die zu jener Zeit noch erheblich konservativer waren als heute. Aber das Reglement lässt eben einen gewissen Spielraum zu. In Sachen Schuhwerk gibt es inzwischen sogar einen Trend zur modischen Extravaganz – solange die Fußbekleidung aus Leder ist. Zum Trendsetter (der aber auch viel Spott auf sich zog) wurde Judd Trump, als er vor ein paar Jahren mit seinen „Igelschuhen“ auflief, Kreationen eines bekannten Designers, die mehrere tausend Pfund gekostet hatten. Die Ironie der Geschichte: Als er sie zum ersten Mal trug, musste er nach ein paar Frames wieder in seine alten Schuhe wechseln. Die Sohlen der teuren Treter waren einfach zu glatt; er fand darin keinen stabilen Stand, rutschte immer wieder weg.

Im Rahmen der strengen Vorgaben sind solche modischen Duftmarken amüsant für alle Beteiligten (außer für erzkonservative Snooker-Traditionalisten) und dienen natürlich auch der Spielerprofilierung (so wie übrigens auch die Frisuren, bei denen sich World Snooker grundsätzlich nicht einmischt). Allerdings wird über eine Lockerung der Grundrichtlinien oder sogar den kompletten Wegfall der Kleiderregularien in regelmäßigen Abständen diskutiert, auch unter den Spielern. So schlug Shaun Murphy vor ein paar Jahren vor, auch Poloshirts zuzulassen (dass man also etwas legerer gekleidet aufläuft, aber auf keinen Fall mit Jeans und Sneaker). Gerade das Poloshirt bietet auch mehr Vermarktungsmöglichkeiten durch den Verkauf entsprechend bedruckter Shirts. Auf der European Tour hat man es dann tatsächlich einmal versucht und das Antreten im Poloshirt gestattet. Dabei stellte sich aber heraus, das nicht unbedingt jeder Spieler darin eine gute Figur macht – der formelle Dress verdeckt doch die eine oder andere untrainierte Körperrundung. Bei den damaligen Turnieren trugen übrigens auch die Schiedsrichter Poloshirts mit kurzen Ärmeln. Das Ensemble Poloshirt, nackte Arme und Handschuhe hat mich persönlich stark an Mickey Mouse erinnert … Davon abgesehen bin ich – und mit mir viele Snookerfans – der Meinung, dass die strenge Kleiderordnung ein Alleinstellungsmerkmal ist, das Snooker von anderen Sportarten abhebt, zum Beispiel vom lauten Darts, wo die Spieler in schreiend bunten Schlabberhemden herumlaufen – schon aus diesem Grund sollte man sie unbedingt beibehalten. Die ungewöhnliche Gewandung macht übrigens auch einen Teil des Erfolgs im Fernsehen aus, denn viele stoßen durch Zufall auf Snooker, wenn sie spätabends einfach mal durch die Programme zappen. Der Zuschauer weiß, der nächste Kanal ist Eurosport, also ein Sportsender, und erwartet, junge Menschen in kurzen Hosen zu sehen, die irgendetwas Schweißtreibendes machen. Wenn er dann umschaltet, sieht er plötzlich Männer mit Weste und Fliege, fragt sich: „Hey, was ist das denn?“, und schaut sich die Sache mal genauer an. So sind viele zu Snookerguckern und -fans geworden, wie mir immer wieder berichtet wird.

Die faszinierende Welt des Snooker

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