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SLOW BURNING DRAMA

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Als „Slow Burning Drama“ wird gerne bezeichnet, was sich rund um den grünen Tisch abspielt – ein auf kleiner Flamme vor sich hin köchelndes Drama beziehungsweise eine Abfolge vieler kleiner und mittlerer Dramen, die am Ende zu einem Kulminationspunkt finden und sich zu einem grandiosen Spannungsbogen vereinigen. Manchmal gerät dieses Drama, wie beim WM-Finale gesehen, zur Achterbahnfahrt. Tatsächlich entschieden ist ein Snookermatch erst dann, wenn der entscheidende Frameball gelocht und der Tisch abgeräumt wurde oder aber wenn das Punktepolster so groß ist, dass der Gegner garantiert nicht mehr an den Tisch kommt. Es ist erst vorbei, wenn der Gegner einem die Hand schüttelt und/oder der Schiedsrichter sagt „Frame and Match …“ Bis dahin kann das Match in jedem Moment noch kippen. Das gilt im Prinzip für jede Sportart, doch wie oft gewinnt schon einmal eine Fußballmannschaft, die 0:6 hinten liegt?

Im Snooker kommen solche Sensationen gar nicht so selten vor.

Gerade bei längeren Distanzen, wie sie vor allem bei der Weltmeisterschaft vorkommen, kann man immer wieder erleben, dass ein Spieler eine starke Phase hat, vielleicht sogar eine starke Session, dann aber auch wieder Schwächephasen, in denen der Gegner aufholen kann. Das ist auch der eigentliche Grund für das Phänomen, das ich gerne Päckchentheorie nenne: Eher selten gewinnen die Spieler die Frames im Wechsel; in der Regel holt ein Spieler ein paar Frames hintereinander, dann aber bekommt der Gegner wieder einen Lauf. Zugegebenermaßen ist die statistische Wahrscheinlichkeit höher, dass die Frames nicht im Wechsel gewonnen werden. Trotzdem: Schon ein kleines Nachlassen der Konzentration kann zu Schwächephasen führen, schon ein einziger verschossener Ball zur Folge haben, dass der Faden reißt. Umgekehrt kann auch ein einziger guter Ball den Spieler wieder in die Spur zurückbringen. Die Spieler an der Weltspitze haben zudem sehr sensible Antennen für die mentale Situation des Gegners. Sie spüren, wenn der andere zu kämpfen hat, und das kann ihnen (zumindest vorübergehend) Flügel wachsen lassen.

Die Aufholjagd von John Higgins beim WM-Finale startete bei 7:14, also als Mark Williams einen Vorsprung von sieben Frames hatte. Doch in diesem Fall ging das Ganze für Williams noch mal gut aus. Ein Beispiel dafür, wie man trotz eines satten Vorsprungs verlieren kann, ist das legendärste Match überhaupt, das WM-Finale 1985 zwischen Steve Davis und Dennis Taylor, das bei der BBC in der Spitzenzeit 18,5 Millionen Zuschauer live vor dem Fernseher verfolgten – bis heute ist dies die höchste Zuschauerzahl aller Zeiten bei einer Sport-Liveübertragung des britischen Senders. Kein Fußballspiel, kein Rugbyspiel, keine Olympischen Spiele haben jemals einen solchen Zuschauerrekord generiert wie dieses WM-Finale. Steve Davis galt damals als unschlagbar. Er war der Dominator der Szene, hatte den WM-Titel bereits dreimal gewonnen und ging, für niemanden weiter überraschend, mit 8:0 in Führung. Doch dann geschah, was sich keiner hätte vorstellen können: Davis’ enormer Vorsprung schmolz dahin wie Schnee in der Sahara. Entschieden wurde das Finale schließlich im allerletzten Frame, es ging also über die volle Distanz von 35 Frames. Es stand 17:17 und der 35. Frame wurde erst auf den letzten schwarzen Ball entschieden. Steve Davis hat später mal erzählt, dass er sich vor diesem letzten Ball immer wieder mantrahaft sagte: „Spiel den nicht zu dick, spiel den nicht zu dick, spiel den nicht zu dick.“ Und was machte er? Er spielte ihn zu dünn! Schwarz blieb auf dem Tisch. Dennis Taylor lochte Schwarz zum Frame- und Matchgewinn, konnte es selber kaum glauben, reckte das Queue in die Höhe. Das war einer der legendären Momente des Sports.

Möglich ist so etwas, weil Snooker eine Sportart ist, die mental extrem hohe Anforderungen an die Akteure stellt. Gerade wenn man sich die Weltklassespieler anschaut, wird man feststellen: Mit dem Queue umgehen können alle, was aber den absoluten Champion von einem guten Spieler unterscheidet, das ist die mentale Stärke, die Fähigkeit, im Laufe eines Matches auch mit belastenden und frustrierenden Situationen fertigzuwerden. Shaun Murphy hat einmal sehr richtig festgestellt: „Snooker wird zwischen den Ohren gewonnen.“ Wie oft haben wir schon miterlebt, dass ein Spieler merkt: Hier geht einiges schief – und dann vollkommen einbricht, bisweilen förmlich zerbröselt. Dann geht gar nichts mehr. Aber es gibt auch den umgekehrten Fall, dass der Spieler unerwartet einen guten Ball spielt, und alles, was vorher verloren schien, ist auf einmal wieder möglich. Das sind alles Sachen, die kopfgesteuert passieren. Diese Entwicklung über längere Zeitabschnitte zu verfolgen, ist ungeheuer faszinierend, eine Berg- und Talfahrt für die Spieler, bei der man sich als Zuschauer manchmal fragt: „Wie können die das überhaupt aushalten? Die sitzen da scheinbar so ruhig und müssten doch eigentlich schreiend von ihren Stühlen aufspringen oder wild mit dem Queue um sich schlagen.“ „Slow Burning Drama“, das heißt eben auch: Irgendwann hat sich ordentlich Druck im Kessel aufgestaut, aber er darf nicht explodieren. Diesen Druck auf irgendeine Weise abzuleiten, sicherzustellen, dass die Leistungsfähigkeit nicht beeinträchtigt wird, das ist der entscheidende Schlüssel, um ein wirklich sehr guter Spieler zu sein. Was nicht heißt, dass sich nicht doch mal Emotionen Bahn brechen, sei es durch einen Faustschlag gegen die Tischkante oder ein befreites Emporrecken der Faust nach einem Sieg. Im Extremfall haben Spieler auch schon ihr Queue beschädigt, als sie das gute Stück auf den Boden donnerten. Oder sich mit einem wütenden Schlag auf die Bande die Hand verletzt. Besonders toll trieb es einmal Stephen Maguire, als er im Crucible Theatre ein durchaus mögliches Maximum Break verpasst hatte. Der Schotte stürmte daraufhin in seine Umkleide und ließ seinen Frust an den Wandkacheln aus. Eine Kachel bezahlte diesen Wutausbruch mit ihrem Leben (was allerdings keine weitreichenderen Folgen hatte, nach der WM wurde das Crucible ohnehin komplett renoviert). Der Titel für den spektakulärsten Ausraster gebührt aber Tony Drago. Der „Tornado“ brauchte in einem Frame gegen Alan McManus schon Snooker, aber er holte die Foulpunkte und es gab sogar noch einen Freeball obendrauf. Den verschoss Tony jedoch. Frustriert gab er den Frame sofort auf. Dumm nur, dass er sich verrechnet hatte: Er brauchte gar keinen Snooker mehr, hatte den Frame also zu früh aufgegeben, was ihm zusätzlich eine Geldstrafe von 250 Pfund einbrachte. Als er das realisierte, schimpfte er nicht nur wie ein Rohrspatz, sondern begann, sich selber heftig zu ohrfeigen. Das tat schon beim Zuschauen weh!

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