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Textilhändler und Warenhäuser
ОглавлениеShopkeepers waren nicht salonfähig, schreibt Heinrich Treichl über die Gesellschaft des Fin de Siècle.109 Besitzer von Warenhäusern, Handelsketten oder auch einfachen Ladengeschäften hatten gegen sehr große gesellschaftliche Widerstände anzukämpfen und genossen bei weitem nicht jenes Ansehen, das sich andere Wirtschaftstreibende, Bankiers, Industrielle, geschweige denn Beamte oder Künstler verschaffen konnten.
Die klassische Domäne des Handels war und ist der Textilhandel: Stoffe, Kleider, Kurzwaren, Teppiche. In Wien traf man auf eine bunte Palette von Textilgeschäften: Leinwandhändler, Pfaidler, Tuchschneider, Currentwarenhändler, Galanteriewarenhändler, Kurz- und Weißwarenhändler, Händler mit roher und gefärbter Seide, Händler mit reichem und schwerem Seidenzeug, Spezereiwarenhändler sowie die „gemischten Warenhändler vor der Stadt“. Vermögende Kunden in Wien, vereinzelt auch in der Provinz, bezogen ihre Kleidung im späten 19. Jahrhundert immer noch direkt aus Paris, London oder Brüssel. Der Handelsvertreter kam mit einem Berg von Schachteln ins Palais oder die Villa. Da wurde anprobiert, ausgesucht, gekauft. Kam der Vertreter nicht direkt ins Haus, so legte man im Geschäft Wert auf diskrete Bedienung und Zustellung der erworbenen Ware durch das Personal. Man kaufte feine Stoffe bei Jungmann & Neffe, exquisite Herren- und Damenkleidung bei Heinrich Grünbaum und Reformmode bei den durch Gustav Klimt bis heute bekannt gebliebenen Schwestern Flöge. Zu einem Millioneneinkommen brachte es zum Beispiel Grünbaum, dessen Witwe 1910 ein Jahreseinkommen von 162.180 Kronen deklarierte.
Palastarchitektur für ein Warenhaus: die Fassade des 1897/98 nach Plänen von Maximilian Katscher errichteten Stammhauses von August Herzmansky in der Mariahilfer Straße, 1899.
Die neuen Tempel der Kauflust waren die Warenhäuser. „Kathedralen des Massenkonsums“ und „Museen des kleinen Mannes“ lauteten die Schlagwörter. Emile Zola hatte mit seinem Kaufhausroman die Vorstellung vom „Paradies der Damen“ geprägt, auch wenn es vor allem die Herren waren, für die vorerst die dort angebotenen Waren gedacht waren: Reise-, Jagd- und Stadtkleidung, Herrenpelze, Fräcke und Gehröcke, Livreen, Schlafröcke, Turnanzüge, Knabenkleidung und Priesterröcke umfasste das Sortiment bei Rothberger. Nach 1900 kam auch Automobilkleidung dazu. Das Angebot wurde immer breiter, bis zuletzt die ganze Warenfülle der beginnenden Massenkonsumgesellschaft in einem pompösen Ambiente für jedermann zu bestaunen war. Denn die Unterschichten konnten bestenfalls staunen. Zum Kaufen fehlte das Geld. Aber man musste ja nicht kaufen. Und der Zutritt war gratis.110
Die Warenhäuser waren die Leuchttürme der neuen Zeit. In religiöser Feierlichkeit wurden sie inszeniert. Die Palastarchitektur schuf Gefühle des höchsten Luxus. Verkauft wurden die Massenwaren des Fabrikszeitalters. Im Erdgeschoß gab es die Schwemme, in den oberen Stockwerken waren die Verkaufssalons und ganz oben die Werkstätten. Orientalische Basare waren sie in den Augen ihrer antisemitischen Kritiker, die Vorhut des Massenkonsums für die Stadtflaneure. Rothberger platzierte sein Warenhaus direkt gegenüber dem Haupttor des Stephansdoms, Neumanns hochtrabender Metropolitan Clothing Palace in der Kärntner Straße mutierte im Mund der Wiener bald zum „Steffl“. Die Mariahilfer Straße, der tägliche Weg des Kaisers von Schönbrunn in die Hofburg, war der rechte Ort für die Zurschaustellung dieser neuen Stadtwahrzeichen. So konnte der Kaiser tagtäglich die Paläste der neuen Zeit vor Augen haben. Von den 24 im Jahr 1907 als Warenhäuser erfassten Wiener Unternehmen befanden sich zwölf im 1. Bezirk und zehn in der Mariahilfer Straße. Hier waren auch die drei weitaus größten nahezu benachbart: Gerngroß, Herzmansky und Esders „Große Fabrik“. Während bei den übrigen die Umsatzhöhe zwei Millionen nicht überschritt, gaben Esders 7,5 Millionen, Herzmansky acht bis zwölf Millionen und Gerngroß über 10 Millionen an. Die Beschäftigtenzahl bei Gerngroß überstieg die 1000er-Grenze. Gerngroß war auch bereits in den Möbel-, Haushalts- und Lebensmittelbereich eingestiegen. Rechnet man alle fünf Gerngroß-Brüder zusammen, so versteuern sie mehr als 700.000 Kronen Einkommen im Jahr, Vater und Sohn Esders zusammen fast 800.000 Kronen. Herzmansky lag da schon weit abgeschlagen zurück.111 Die 29 Millionäre unter den Warenhausbesitzern brachten es auf Durchschnittseinkommen von etwa 200.000 Kronen.
Als Pionier der österreichischen Kleiderhäuser gilt Mayer Mandl. 1843 hatte der Sohn des Prossnitzer Altkleiderhändlers Moses Mandl um die Kleinhandelsbefugnis für alte Kleider eingereicht. 1849 kam jene für neue Kleider dazu. Bald beschäftigte Mayer Mandl mehrere 100 Schneider, die aus billigen Stoffen Konfektionsstücke für den Vertrieb in Ungarn und am Balkan fertigten. Im Krimkrieg war er als Lieferant der osmanischen Armee zu derartigem Ansehen gelangt, dass ihm die osmanische Regierung für einige Zeit die Ausstattung ihrer gesamten Armee übertrug. 1858 suchte er um die Fabriksbefugnis für die Erzeugung von Männerkleidung an. Es war die erste Kleiderfabrik Österreichs. In den 1860er Jahren etablierte sich Mandl direkt in Wien. 1910 stellte die Mandl-Familie eine Reihe von Millionären: Julie Mandl, die Witwe des 1888 verstorbenen Mayer Mandl, ihren Sohn Arnold Mandl, Inhaber des Bank- und Großhandlungshauses J. & M. Mandl und M. Mandls Söhne und 1881 zusammen mit Salomon Kohnberger Gründer der Österreichisch-Amerikanischen Gummiwarenfabrik in Breitensee bei Wien, ferner Max Mandl, Ritter von Maldenau, Gesellschafter der Fa. M. & J. Mandl und der Fa. M. Mandls Söhne, und Sigmund Mandl, Direktor dieser beiden Unternehmen.112
In den fünfzig Jahren vor dem Ersten Weltkrieg etablierten sich in Wien etwa 40 Betriebe in der Art von Mandl. Der aus dem ungarischen Alberti Irsa stammende Schneidergeselle Jakob Rothberger eröffnete 1855 sein „Kleidermagazin“ nach einem System, das er in Paris kennen gelernt hatte. Seine Idee war die „Kleiderschwemme“. Gebrauchte Kleider wurden gegen neue getauscht. Die alten Kleider reparierte er und verkaufte sie weiter. Die Schneiderarbeiten wurden nicht von Angestellten, sondern von selbständigen Stückmeistern erledigt. Mit zwei Standbeinen, der Kleiderschwemme und der gehobenen Herrenkleidung, verfügte er über eine so breite Basis, dass er 1861 sein Geschäft auf den zentralsten Platz Wiens, den Stephansplatz übersiedeln konnte. 1868 wurde er zum Hoflieferanten ernannt und 1886 ein spektakulärer, von den Theaterarchitekten Fellner & Helmer geplanter Neubau eröffnet. Die zwei Stockwerke hohe Verkaufshalle wurde von 380 elektrischen Glühbirnen taghell erleuchtet. Es gab eine Dampf-Zentralheizung und einen hydraulischen, ab 1897 elektrischen Aufzug. Im Souterrain fand man die Schwemme, darüber in zwei Etagen die Verkaufsräume. Es wurde auch eine Kleiderleihanstalt geführt. Das Geschäft wurde angeblich mehr wegen seiner billigen als seiner eleganten Ware bekannt. Eingemietet war auch das Süßwarengeschäft Victor Schmidt & Söhne. Geöffnet war von 7 Uhr morgens bis Mitternacht.
Als Jacob Rothberger 1899 verstarb, wurde sein Nachlass mit 2,149.244,07 fl eingeantwortet, davon ein Viertel Firmenvermögen. Die restlichen drei Viertel bestanden in Wertpapieren und Realitäten. Neben den Hälfteanteilen an den beiden Häusern Stephansplatz 9 und 11, einem Haus am Salzgries und einem in Budapest gehörte Rothberger ein Sommerhaus in Neuwaldegg. Drei der vier Söhne übernahmen die Geschäftsleitung. Es waren über 300 Personen angestellt, weitere 600 arbeiteten als selbständige Stückmeister. In Budapest hatte man eine Filiale. 1908 wurden auch Filialen in Paris und London eröffnet. Die Erfolgssträhne brach in der Zwischenkriegszeit. Die Filialen im Ausland waren verloren, der Kontakt zu den Zulieferern riss ab. Die Geschäftsfläche im Stammhaus wurde reduziert und verpachtet. 1938 wurde das Warenhaus „arisiert“ und 1945 im Zuge der letzten Kriegshandlungen zerstört.113
Rühmte sich für seinen aristokratischen Kundenkreis: das Damenmodehaus Zwieback an der Ecke Kärntner Straße/Weihburggasse. Foto: Madame d’Ora, 1913.
Rothbergers Idee wurde rasch von anderen nachgeahmt oder ebenfalls entdeckt. Der aus einer schlesischen Weberfamilie gebürtige August Herzmansky kam 1848 nach Wien und eröffnete in der Kirchengasse, 7. Bezirk, ein Geschäft für Textilien. Die Produktpalette wurde ständig vergrößert. Das „Spezialkaufhaus für Textilien“ hatte sich bis 1896/97 in einem Neubau zum Warenhaus gewandelt. August Herzmansky erlebte die Eröffnung jedoch nicht mehr. Nach dem Tod des Firmengründers übernahmen seine Neffen Johann und Eduard die Unternehmensführung, waren darin aber nicht besonders erfolgreich. Herzmanskys Hauptkonkurrent in der Mariahilfer Straße wurde sein ehemaliger Mitarbeiter Alfred Gerngross. Er eröffnete 1879 ein eigenes Stoffgeschäft, das rasch zum größten Warenhaus Wiens wurde. Beide Unternehmen operierten erfolgreich mit dem in Europas Großstädten im Vordringen begriffenen Konzept: Fixpreis und großer Umsatz durch mäßigen Aufschlag. Gerngross war auf den Handel mit Seiden-, Woll- und Waschstoffen, Samt- und Modewaren spezialisiert. Es gab eigene Abteilungen für Wäsche, Damen-, Herren- und Kinderkonfektion, Wirk- und Strickwaren, Schuhe, Handschuhe, Teppiche, Vorhänge, Haus- und Küchengeräte sowie Galanteriewaren. Die Textilprodukte wurden nicht nur verkauft, sondern zum Teil in den drei Industrieabteilungen für Herren- und Damenbekleidung und Wäsche auch selbst produziert. In der Kärntner Straße eröffnete die Fa. M. Neumann ein Herrenkonfektionshaus. Der von Otto Wagner 1895/1896 errichtete Neubau trug am Parapet des vierten Obergeschoßes die schlicht gehaltene, aber unmissverständliche Aufschrift Metropolitan Clothing Palace. Im Erdgeschoß und in zwei Obergeschoßen befanden sich die Verkaufssäle, im 3. und 4. Stock Wohnungen; 1.000 Glühlampen sorgten für die Beleuchtung.
Das 1895 nach Plänen von Friedrich Schön an der Ecke Kärntner Straße/Weihburggasse errichtete Damenmodehaus Zwieback galt als das „pariserischste“ aller Wiener Warenhäuser. Um 1900 beschäftigte es 187 Beamte und 150 Arbeiter und rühmte sich vor allem für seinen aristokratischen Kundenkreis; Souterrain, Erdgeschoß und die ersten beiden Obergeschoße des achtgeschoßigen Gebäudes waren für den Kundenverkehr bestimmt, darüber lagen die Büros und Werkstätten, im Keller die Depots und das Maschinenhaus; Personenlifte und elektrische Beleuchtung waren selbstverständlich. Das Unternehmen war 1877 in der Mariahilfer Straße/Ecke Webgasse von den drei aus Bonyhad gebürtigen Brüdern Ludwig, Emanuel und Samuel Zwieback gegründet worden. Nach dem frühen Tod der beiden Brüder Emanuel und Ludwig erbte Ella Zirner-Zwieback die wesentlichen Teile des Unternehmens.114
Als das erste Warenhaus Wiens wird meist das Haus angeführt, das der Teppich- und Möbelstofffabrikant Eduard Haas 1865 am Stock-im-Eisen-Platz, gegenüber dem Stephansdom, eröffnet hatte. Aber eigentlich war es „nur“ ein exklusiv ausgestattetes Verkaufshaus für Teppiche und Möbelstoffe. 1886 kaufte sein Sohn Philipp Haas auch den 1883/84 nach Plänen von Karl König errichteten Philipp-Hof (ursprünglich Ziererhof). Später erwarb der leidenschaftliche Jäger auch große Waldherrschaften, u. a. das „Herrschaftsgut Teichen“ in Kalwang, und wurde 1898 mit dem Prädikat „von der Teichen“ in den Freiherrnstand erhoben.
Auf Wäsche und Kinderbekleidung spezialisierte sich Ignaz Bittmann, der im Jahre 1879 mit einem bescheidenen Laden seine geschäftliche Tätigkeit begonnen hatte. Um 1900 waren Blusen, sogenannte „Trikottaillen“, und Anzüge der Firma Bittmann bereits beliebte und gerne gekaufte Artikel. Große Sorgfalt verwendete die Firma auf die Konfektion der Kindergarderobe. Ihr „Kindermodenpalais“ in der Kärntner Straße war in der ganzen Monarchie berühmt.
Das 1892/93 von Emanuel Braun und seinem Bruder Josef als stillem Teilhaber gegründete Kleiderhaus E. Braun & Co. wurde ursprünglich als Brautausstattungsunternehmen geführt. 1912 wurde eine Filiale in Karlsbad eröffnet, eine weitere in Prag und 1914 die größte in Berlin. Vertreten war das Unternehmen auch in Baden-Baden, Southampton und Palm Beach. Auf Straßenebene befand sich das Verkaufslokal, im ersten und zweiten Stock gab es die Wohnungen der beiden Brüder, im obersten Geschoß die Schneiderwerkstätte. Die berühmte Jugendstileinrichtung dient heute einem H&M-Store als stilvolle Kulisse für Massenware.
Ein Kennzeichen, das diese Warenhäuser einte, war, dass sie als jüdisch galten und einer entsprechend von Hass erfüllten antisemitischen Agitation ausgesetzt waren. 86,2 Prozent der Millionäre dieser Branche waren jüdisch. Das nutzten Stefan Esders und sein Bruder Henri, die sich, ausgehend vom deutschen Emsland, mit Filialen in Brüssel, Berlin, Paris, St. Petersburg, Rotterdam und 1895 auch in Wien ganz bewusst als katholische Unternehmer zu positionieren versuchten. In ihrem nach den modernsten Pariser Vorbildern errichteten fünfgeschossigen Etablissement „Zur großen Fabrik“ in der Mariahilfer Straße mit 39 großen, bereits elektrisch beleuchteten Auslagen in Parterre und Mezzanin, mit einem von Glas überdachten Innenhof und Verkaufsräumen auf zwei Etagen im Ausmaß von 12.000 m2 standen 120 Verkäufer bereit. Mit den von Esders neu eingesetzten Schaufensterpuppen konnte die Konfektion entsprechend attraktiv präsentiert werden. Neben Herren- und Knabenbekleidung sowie Herrenwäsche wurden auch Herrenhüte, Schuhe, Handschuhe und Schirme angeboten. Erst später kam auch Damenmode dazu. Im dritten und vierten Stockwerk war die Kleiderfabrik untergebracht, im fünften die Wohnung des Eigentümers. Stefan Esders präsentierte sich bewusst katholisch: Er stiftete die Wiener Kaasgrabenkirche, in deren Gruft er auch beigesetzt wurde. Seine Villa (Stefan-Esders-Platz 1) wurde nach seinem Tod dem Orden der Schwestern vom Armen Kinde Jesu übergeben. Auch in ihrem Geburtsort, in Haren im Emsland, hatten die beiden Brüder für die Errichtung der neuromanischen Pfarrkirche St. Martinus, auch Emsland-Dom genannt, insgesamt 110.000 Mark, knapp die Hälfte der gesamten Baukosten, beigetragen. Religiös bewusste bzw. antisemitisch geprägte Kunden gingen selbstverständlich zu Esders, etwa die oberösterreichischen Landadeligen Coreth: Am Tag seiner Einschreibung ins Jesuitenkolleg Kalksburg erhielt der junge Coreth eine komplette Ausstattung von der berühmten Firma Esders.115 Weil im Falle Esders die antisemitisch-antikapitalistische Propaganda kleingewerblicher Gruppierungen, nur bei „Christen“ einzukaufen, ins Leere ging, kehrte man die Argumentation um und kritisierte das internationale Kapital, das diesmal im christlichen Gewand eine „besonders schlaue Form gewählt“ habe. Die christlichsoziale Reichspost vom 6. April 1895 meinte, es sei zu bedauern, dass man „in einem Geschäftszweige, der in Österreich bisher ausschließlich ein Ausbeuteobject in Judenhänden war, nunmehr auch einem Christen begegnen müsse“. Das neue Etablissement werde hunderte kleingewerbliche selbständige Existenzen vernichten.116
Die Warenhäuser gingen auch in die Vorstadt und in die Provinz. Das 1890 gegründete Vorstadtwarenhaus Dichter im 16. Wiener Gemeindebezirk war in den 1930er Jahren das größte Kleiderhaus außerhalb des Wiener Gürtels.117 Große Kleiderhäuser entstanden auch in den Provinzhauptstädten Graz, Innsbruck, Linz und Salzburg. Das Grazer Warenhaus Kastner & Öhler geht auf einen 1873 von Carl Kastner und Hermann Öhler in Troppau (Opava, Tschechien) gegründeten Kurzwarenhandel zurück. Das Kapital für die Firmengründung, 30.000 fl, stammt aus einer Erbschaft, die Carl Kastner von seiner Großmutter gemacht hatte. Die Anteilsverteilung an dem Unternehmen war von Anfang an zwei Drittel Kastner, ein Drittel Öhler. Die Wiener Niederlassung wurde 1877 eröffnet. 1883 folgte der Schritt nach Graz, das man zum Hauptsitz wählte. 1887 wurde mit dem Postversand begonnen und ein Katalog aufgelegt. 1912 waren bereits 60.000 Versandkunden erreicht. 1897 wurde eine Niederlassung in Agram begründet, die sich rasch zum größten Warenhaus der ungarischen Reichshälfte entwickelte. 1912 bis 1914 wurde der Grazer Standort durch die Wiener Architekten des Büros Fellner & Helmer um etwa 1,5 Mio. Kronen in eines der damals modernsten Warenhäuser ausgebaut. Es wurden zwei Kundenlifte, ein Stromaggregat und eine Rohrpostanlage installiert. Zur bestehenden Damenkonfektion kamen auch Herrenkonfektion, Schuhabteilung, Damen und Herrenhüte, Parfümerie, Lederwaren und Papierwaren, ab 1915 auch Spielwaren und eine Haushalts- und Ofenabteilung.118
Österreichische Präsenz am türkischen Markt: Im Istanbuler Stadtteil Galata befand sich ein großes Textilkaufhaus der Brüder Victor und Konrad Tiring. Foto, um 1920.
In Linz begann der aus Königswart/Lázn Kynžvart in Westböhmen zugewanderte Franz Hofmann 1853 im prominent am Hauptplatz gelegenen Palais Weißenwolff mit einer Tuchhandlung und Greißlerei. Im selben Haus befand sich auch das Handelshaus und Posamentierwarengeschäft Karl Schober und Eduard Kraus. Der ebenfalls aus Königswart gebürtige Wilhelm Hirsch, der eine Tochter Hofmanns heiratete, kaufte Kraus & Schober, vereinigte es mit der Fa. Franz Hofmann und eröffnete 1910 das erste Linzer Warenhaus. Ein Firmenbericht aus dem Jahr 1913 sprach von einer „für die Warenhäuser typischen nur kleinen Stammkundschaft, aber einer großen Laufkundschaft”, die von „Zeit zu Zeit, aber doch sehr regelmäßig das Etablissement aufsuche und nicht immer kaufe, aber das müsse man nicht“.119 Man durfte lustwandeln, Lift fahren und sich an den Waren erfreuen. Wilhelm Hirsch, der 1898 nach Wien übersiedelt war, starb 1916. Seine Tochter Hilda Greiff, die mit dem Gesangspädagogen Paul Greiff/alias Paul Goldschmidt verheiratet war, schaffte die erfolgreiche Weiterführung nicht. 1930 wurde über das Unternehmen der Ausgleich eröffnet. Die Mehrheitsbeteiligung wurde von der Salzburger Unternehmensgruppe Walter, Paul und Max Schwarz übernommen, die das Warenhaus Schwarz in Salzburg, den gleichnamigen Betrieb in Graz, das Kaufhaus Bauer & Schwarz in Innsbruck und das Warenhaus Falnbigl in Wien führte.