Читать книгу Stadt der Sünde - Romy G. - Страница 6
ОглавлениеKapitel 2
Die Sonne schien mir ins Gesicht. Ich machte mir innerlich eine Notiz, dringend Vorhänge zu kaufen. Es war noch viel zu früh, um aufzustehen. Ich gähnte und sah auf die Uhr. Kurz nach sechs. Ich versuchte noch mal meine Augen zu schließen, aber es brachte nichts. Ich war wach. Ich stand auf, streckte mich und duschte dann erst mal. Ich hatte eine wundervoll geräumige ebenerdige Dusche und eine Badewanne, das war wirklich purer Luxus. Ich duschte ausgiebig. Meine Gedanken hingen immer noch an dieser Szene gestern. Was meinte James damit, dass hier öfter solche Dinge passieren? Verrückte Dinge? Vielleicht sogar perverse Dinge?
Ich föhnte mir schnell meine Haare trocken. Jetzt brauchte ich dringend einen Kaffee. Mich zog es automatisch wieder in dieses Café. Ich hoffte, dass es schon offen war und hatte Glück. Es machte ab 6.30 Uhr auf. Als ich mich gerade fragte, ob ich wegen des Vorfalls gestern wieder hierher zurück gekommen war oder weil es das einzige war, das ich hier kannte, hörte ich einen Gesprächsfetzen. Zwei Tische weiter unterhielt sich ein Pärchen. Es klebte förmlich aneinander und der Mann versuchte sich der Frau immer weiter anzunähern. Sie schob ihn aber jedes Mal weg und ich hörte wieder das Wort von eben. Ich lauschte genauer.„Hör auf Schatz, das hier ist eine blaue Zone! Benimm dich!“„Ist mir doch egal und wieso wolltest du dich überhaupt in einer blauen Zone treffen, bei uns gibt es viel bessere Cafés.“Die Frau schob ihn wieder zur Seite und sah ihn ernst an.„Ja, gerade deswegen, ich will ja mit dir reden.“Er näherte sich ihr wieder an und sie zeigte auf mich. Ich sah schnell weg, damit sie nicht merkten, dass ich sie beobachtete und belauschte.
„Hier sind Newbies, benimm dich.“Er zuckte mit den Achseln und seufzte. Meine Beobachtung wurde jäh unterbrochen, als der Kellner plötzlich vor mir stand und nach meinen Wünschen fragte. Ich bestellte mir einen Kaffee und ein kleines Frühstück. Nachdem der Kellner gegangen war, sah ich wieder in die Richtung des Paares, aber es war plötzlich weg. Ihre Sachen standen auch nicht mehr da. Hatten die sich in Luft aufgelöst? Nur die benutzten Tassen standen auf ihrem Tisch.Ich aß mein Frühstück und trank meinen Kaffee aus. Dann blickte ich auf die Uhr – immer noch viel zu früh. James wollte erst um 11 Uhr wieder bei mir auftauchen und mit mir mittagessen gehen. Ich seufzte und beschloss, die Stadt auf eigene Füße schon ein wenig zu erkunden.Diese Stadt erschien mir bisher sehr merkwürdig. Und auch James’ Andeutung hatte mich nicht beruhigt. Trotzdem sah draußen alles normal aus. Ich blickte auf mein Armband und dachte an das Gespräch von eben. Deswegen fielen mir auch plötzlich zusätzliche Straßenschilder auf, die einen blauen Kreis zeigten. Ich kam an einer U-Bahnstation vorbei und sah oben einen Verkehrsplan. Auch dort gab es verschiedenfarbige Zonen. Das war ja nichts Neues, das kannte ich auch aus meiner Stadt. Die Innenstadt hatte dort auch eine andere Farbe als der Außenring. Hier waren die Zonen aber eher wie Stadtbezirke eingeteilt. Und der aktuelle Punkt, auf dem ich stand, war in einer blauen Zone. Okay, so weit, so gut. Aber wieso musste man sich in einer blauen Zone mehr benehmen als in den anderen? Ich beschloss einfach mal, mit der U-Bahn in eine gelbe Zone zu fahren. Dort stand auch das Rathaus und es gab ein paar interessante Sehenswürdigkeiten, von denen James mir gestern erzählte hatte. Er meinte zwar, da würden wir später auch mal zusammen hingehen. Aber ich war jetzt neugierig. Am Ticketautomat sollte ich eine Karte einschieben. Ich hatte aber keine. Nach kurzem Überlegen beschloss ich schwarzzufahren und hüpfte über die Absperrung. Es war noch sehr früh und der Berufsverkehr schien noch nicht eingesetzt zu haben. In meiner Stadt war gegen 7 Uhr alles schon gerammelt voll, aber hier schien es anders zu sein.
Die U-Bahn füllte sich aber dann doch schneller, als ich die blaue Zone verließ. In der Bahn hing auch ein Plan. Ich verfolgte die Stationen und beobachtete die Menschen. Es war ein warmer Sommertag und ich hatte mir nur eine dünne Jeansjacke übergeworfen. Aber mir fiel auf, dass die Passagiere doch sehr dünn bekleidet waren. Einige hatten Kleider an, die fast wie Negligés aussahen. Es stiegen ein paar Männer ein, die alle nackte Oberkörper hatten und muskelbepackt waren. Als gingen sie zu einem Bodybuilder-Contest. Fehlte nur noch, dass sie sich mit Öl einrieben und glänzten. Ich grinste bei der Vorstellung und bemerkte, dass auch ich ab und zu schief angeguckt wurde. Es wurde suchend an mein Handgelenk geschaut, aber ich hatte das Armband höher geschoben, sodass man es unter meiner Jacke nicht sehen konnte. Nachdem noch mehr Gäste eingestiegen waren, hatte ich definitiv das Gefühl, mich auf einer Motto-Party zu befinden und als Einzige das Motto nicht zu kennen. Ich fühlte mich so deplatziert, dass ich froh war, als ich meine Station erreichte und endlich aussteigen konnte.
Ich ging die Treppe hinauf und stand schon direkt vor dem Rathaus. Es war ein beeindruckendes Gebäude mit großen Marmorsäulen und einem fünf Meter hohen Eingangsbereich. Der Marmor sah sehr edel aus und alles wirkte wie frisch aus dem Ei gepellt und sehr sauber. Ich versuchte mich zu erinnern, ob die Stadt völlig neu aufgebaut worden war. Aber ich glaubte, dieser Ort existierte schon vorher und sie hatten ihn nur an die Bedürfnisse des Projektes angepasst und dazu neue Bauten erstellt. Dieses Gebäude gehörte wohl dazu.Mehrere Doppeltüren standen offen und ich beschloss hineinzugehen. Auch hier waren die Personen ganz anders angezogen, als ich es in einem Rathaus erwartet hätte. Ich sah, dass die meisten Angestellten Schlips oder Fliege trugen. Auch die Frauen, aber dazu gab es meistens keinen langärmligen Anzug, sondern eben kurze Hemden in verschiedenen Farben. Und sehr kurze Röcke und Hosen. Wieder hatte ich das Gefühl mit meiner langen Jeans etwas aufzufallen, aber ich ging weiter zum Empfang. Ich sah, wie die Empfangsdame gerade jemanden begrüßte und ihn dabei sehr lange auf den Mund küsste. Vielleicht besuchte ihr Freund sie auf Arbeit? Als er ihr an die Brust fasste und mit der anderen Hand unter den Rock griff, sah ich den beiden verwirrt zu. Die Empfangsdame bemerkte meinen Blick und sah an mir hinunter. Sie löste sich von ihrem Partner und hob die Hand in meine Richtung. Ich senkte den Blick und ging schnell zum Fahrstuhl, der sich just in diesem Moment öffnete. Ich stieg ein und drückte schnell irgendeinen Knopf. Die Tür schloss sich und ich atmete erleichtert auf. Ich hörte ein Kichern hinter mir. Mein Herz setzte einen Schlag aus. Dann drehte ich mich um. Hinter mir stand ein blonder Mann, der mich charmant anlächelte. Auch er trug eine Krawatte, in Rot. Dies passte zu seinem schwarzen, kurzärmligen Hemd und seiner sehr engen, schwarzen Hose, die erstaunlicherweise aber lang war. Anzugschuhe komplettierten diesen interessanten Stil. Auch er blickte auf meine Kleidung. Und grinste dann süffisant.„Lassen Sie mich raten, Sie sehen nicht so aus, als würden Sie hier arbeiten. Neu in der Stadt und verlaufen?“Seine Art nervte mich irgendwie sofort. Ich mochte es gar nicht, von oben herab behandelt zu werden. „Ich bin schon ganz absichtlich hier.“Er näherte sich mir und ich wich erschrocken zurück. So groß war der Fahrstuhl aber nicht, dass das lange gut gegangen wäre. Irgendwann hatte ich natürlich eine Wand im Rücken. Er griff an mir vorbei und drückte den Halteknopf. Der Fahrstuhl blieb stehen.„Hey, was soll das?“Er grinste nur weiter, sehr nah vor meinem Gesicht.„Also wenn Sie hier ganz absichtlich sind, wo wollen Sie denn genau hin?“Ich drehte mich errötend zur Zifferntafel und zeigte auf die gedrückte Zahl.„Na, in den elften Stock.“„Und was wollen Sie da?“Ich blieb ihm die Antwort schuldig und starrte ihn nur weiter an. Er kam nun mit seinem Körper noch näher an mich heran und berührte mich an der Schulter. Er strich mit seinen Fingern meinen Arm hinunter und obwohl ich kaum etwas spürte durch den Jeansstoff, bekam ich eine Gänsehaut. Auch das bemerkte er natürlich und sein Grinsen wurde breiter. Dann zog er plötzlich ruckartig meinen rechten Ärmel hoch und entblößte mein blaues Armband.Er sah mir in die Augen und machte ein“Tststs“. Ich versuchte wegzuschauen, was nicht so einfach war, so nah klebte er jetzt an mir.„Da hat sich ein Newbie in die gelbe Zone geschlichen. Dein wievielter Tag ist das hier?“Langsam reichte es mir, diese Nähe, dieser Moschusgeruch, der mir in die Nase stieg und mich ganz wuschig machte, und dieses Grinsen. Ich hatte Lust, es ihm aus dem Gesicht zu wischen. Wenn ich ihn jetzt küsste, würde es ihn aus der Fassung bringen? Ich schob den Gedanken beiseite und fragte mich, was dieser Begriff „Newbie“ zu bedeuten hatte. Dass ich neu hier war? War das ein Schimpfwort oder nur ein Begriff für Neuankömmlinge?Ich legte meine Hände auf seine Brust, um ihn wegzuschieben und ein wenig Abstand zu gewinnen. Aber er rührte sich keinen Zentimeter und gab mir zu verstehen, dass er eine Antwort haben wollte. Ich seufzte, anders wurde ich diesen aufdringlichen Kerl wohl nicht los.„Ich bin gestern angekommen.“Er schaute mich überrascht an und rückte ein paar Zentimeter von mir ab. Ein Teil von mir war erleichtert, der andere vermisste verrückterweise sofort den intensiven Geruch und die Körperwärme von ihm.„Hast du deinen Buddy schon kennen gelernt?“Ich nickte.„Und hat er dir etwas ...über diese Stadt erzählt?“Ich sah ihn irritiert an.„Naja, klar, über die Einkaufsmöglichkeiten, Cafés und so weiter.“Er rückte noch ein Stück ab und sah mich auf eine merkwürdige Art und Weise an.„Und er hat dir nicht gesagt, dass du erst mal nicht alleine die Stadt erkunden sollst?“Ich schüttelte verwundert den Kopf. Ich war ein freier Mensch, ich dachte, wegen dieser Freiheitsliebe sei ich hier.„Und du dachtest dir, hey, in einer fremden neuen Stadt gibt es nichts Besseres, als auf eigene Faust los zuziehen?“„Bin ich eine Gefangene oder was?“Jetzt, wo ich wieder ein wenig mehr Luft zum Atmen bekam, versuchte ich den Halteknopf zu drücken, damit der Fahrstuhl wieder los fuhr. Doch der Unbekannte hielt mich wieder auf und fing meine Hand in der Luft ab. Er sah mich immer noch mit diesem merkwürdigen Blick an.„Deine Neugier ist bemerkenswert. Ich weiß nicht, ob du dumm, naiv, mutig oder blind bist.“Ich holte empört Luft. Mit war auch aufgefallen, dass er inzwischen zum Du übergegangen war.„Was fällt Ihnen ein?“
Er sah mich weiter an und hatte immer noch mein Handgelenk umschlossen. Und dann machte er mir plötzlich ein Angebot. Er beugte sich wieder zu mir, ging ganz nah an mich heran und wisperte mir eine Frage ins Ohr, sodass es kitzelte und ich ein Kribbeln im mir spürte.
Umfrage 2: Was sagt der Unbekannte? Das stand zur Auswahl:
1 Komm mit in mein Büro und ich schwöre dir, ich werde deine Neugier befriedigen.
2 Willst du für mich arbeiten?
3 Wenn deine Neugier so groß ist, würde ich dich heute Abend gerne zum Essen einladen.Kapitel 2– Wie hättest du gevotet?
„Komm mit in mein Büro und ich schwöre dir, dass ich deine Neugier befriedigen werde.“
Ich sah den Unbekannten an. War das sein Ernst? Ich sollte mit einem völlig Fremden in einen geschlossenen Raum gehen, wo er wer weiß was mit mir anstellen könnte? Diese Stadt und dieses Rathaus waren an sich schon sehr eigenartig. Ich sah ihn skeptisch an und er bemerkte natürlich meine Zweifel.
„Na, doch nicht mehr so mutig? Da habe ich dich wohl falsch eingeschätzt.“
Er tat enttäuscht oder war es vielleicht auch. Als er von mir abrückte und ich ihn weiter schweigend ansah, seufzte er und drehte sich zum Zahlenpult. Diesmal hielt ich ihn auf.
„Gut, ich komme mit. Ich hoffe, Sie haben nicht zu viel versprochen.“
Er grinste mich an.
„Du wirst es nicht bereuen.“
Er drückte den Halteknopf und wir fuhren weiter. Ich bemerkte, dass nur der elfte Knopf leuchtete. Entweder hatte ich vorhin in meiner Panik beim Einstieg genau den Knopf gedrückt, der eh schon leuchtete, oder er hatte noch gar keinen gedrückt gehabt. Beides kam mir sehr unwahrscheinlich vor. Aber nun fuhren wir die letzten Stockwerke hinauf zum elften Stock. Er stieg aus und wandte sich nach rechts. Wir gingen an vielen Büros vorbei. Einige hatten Glasfronten, aber bei den meisten waren die Rollos unten.In den Büros, die einsehbar waren, konnte ich wieder Leute in dieser seltsamen Kleidung sehen, die ich schon unten beobachtet hatte. Alle hatten kurze Hosen an. Ich fragte mich, wieso der Mann vor mir lange Hosen trug. Wer war er?
In seinem Büro angekommen, öffnete er die Tür und hielt sie mir auf. Ich ging voran und staunte nicht schlecht. Trotz der beeindruckenden dunklen Bücherregale aus Eiche, die sich die Wände entlang erstreckten, erschien sein Büro sehr hell. Die riesige Fensterfront und der helle Teppich trugen wohl dazu bei. Die Sonne schien in das Büro ohne zu blenden und machte den Raum sehr freundlich. Am Fenster war ein Schreibtisch so aufgestellt worden, dass der Besitzer auch beim Arbeiten die Aussicht genießen konnte. Der Schreibtisch war natürlich aus der gleichen dunklen Eiche und die weißen Schreibtischstühle ließen ihn noch edler wirken. Mir fiel nach ein paar Sekunden auf, dass mein Mund offen stand. Natürlich erst in dem Moment, als er die Tür geschlossen hatte und lächelnd an mir vorbeiging. Ich machte ihn schnell zu und nickte anerkennend.
„Wer sind Sie eigentlich? Der Bürgermeister dieser Stadt?“
„Höchstpersönlich! Darf ich mich vorstellen? Bürgermeister Lorenz Eichenschild.“
Jetzt klappte mir der Mund doch wieder auf und meine ganze Spucke rutschte mir in den Rachen und sammelte sich zu einem Kloß. War das sein Ernst? Ich sprach wirklich am zweiten Tag schon mit dem Bürgermeister und dann auch noch auf diese Art und Weise? Eigentlich hatte ich einen gesunden Respekt vor Autoritätspersonen. Aber bei ihm regte sich unnatürlicherweise wieder mein Trotz.
„Oh … na, dann sind Sie ja wirklich prädestiniert, alle meine Fragen zu beantworten.“
Ich wollte schon Luft holen, als er mich wieder mit diesem Tststs unterbrach.
„Von Fragen beantworten hat niemand gesprochen. Ich werde deine Neugier befriedigen und das auf meine Art.“
Er kam ganz nah zu mir und erst jetzt wurde mir die Doppeldeutigkeit dieses Satzes deutlich bewusst. Ich versuchte einen Schritt nach hinten auszuweichen, aber er ergriff meine Hand und zog mich einfach zu sich. Er hielt mich ein paar Herzschläge lang, laute Herzschläge, jedenfalls meine … und dann zog er mich zur Fensterfront weiter.
Mein Blick fiel hinaus auf eine atemberaubende Aussicht. Zum dritten Mal innerhalb von fünf Minuten konnte ich mein Staunen kaum verbergen. Der Blick reichte über die ganze Stadt. Alle Gebäude waren kleiner als das Rathaus und man konnte jede U-Bahnstation von hier aus sehen.
Er nickte und schien sich zu freuen, dass ich so beeindruckt war von dieser Aussicht.
„Ja, das ist die ganze Stadt. Als ich das Büro zum ersten Mal betrat, wusste ich, dass es meins werden musste. Ich liebe diese Aussicht und genieße sie jeden Tag. Aber deswegen habe ich dich nicht hergebracht, also nicht, weil die Aussicht schön ist. Sondern, weil man hier auch etwas genau zeigen kann. Siehst du die farbigen Flachdächer?“
Ja, ich sah sie. Um das Rathaus herum waren gelbe Dächer und auf der Straße gegenüber grüne und blaue. Die blauen Dächer ergaben eine zusammenhängende Form, fast wie ein Trapez. Die grünen Dächer waren unförmig, erinnerten aber an ein großes Rechteck mit ein paar Dellen darin.
„Das sind unsere Bezirke, auch Zonen genannt. Du wohnst im blauen Bezirk, nehme ich an.“
Ich nickte und nach einigem Suchen fand ich die U-Bahnstation, bei der ich eingestiegen war und zeigte vage in die Richtung.
„ Wir sind in der gelben Zone.“ Ich nickte wieder und wurde ungeduldig.
„Ich dachte, Sie erzählen mir etwas Neues. Das weiß ich schon.“
Er zog eine Augenbraue hoch.
„Und du weißt auch, was es mit den Zonen auf sich hat?“
Als ich schwieg, lächelte er zufrieden.
„ Es wäre die Aufgabe deines Buddys gewesen, dir das zu erklären. Wahrscheinlich hätte er es heute oder die nächsten Tage gemacht. Er konnte ja nicht ahnen, dass er so ein ungeduldiges Exemplar von einem Newbie betreuen muss.“
Wieder dieses Wort. Ich sah ihn an, verkniff mir aber die Frage, weil er ja gesagt hatte, er würde mir keine direkt beantworten. Er verstand meinen Blick und erklärte endlich den Begriff.
„Newbies heißen alle Neuankömmlinge, wie der Name schon sagt. Weil sie neu sind. Aber er hat noch eine andere Bedeutung. So werden auch die Unwissenden genannt. Manche nennen auch alle im blauen Bezirk so. Weil sie halt noch von nichts in der Stadt eine Ahnung haben.“
Ich schnaubte empört.
„Ist ja auch klar, wenn einem vorher niemand etwas sagt.“
Er nickte.
„Das ist aber pure Absicht. Es würde schlicht die meisten Leute überfordern. Diese Stadt tickt sehr viel anders als die im Rest des Landes. Es gibt sogar einige Gesetze, die hier nicht gelten, und andere Regeln sind dazu gekommen, damit diese besondere Stadt nicht aus dem Ruder läuft. Uns ist die Freiheit wichtig, aber wie du weißt, kommt man nicht so einfach in die Stadt. Auch nicht als Besucher. Ich nehme an, das wurde dir gesagt?“
„Ja, aber nicht, warum.“
„Alles zu seiner Zeit, Madam. Gab es schon Gerüchte, bevor du in die Stadt kamst?“
Jetzt wirkte er neugierig und ich fand diesen spitzbübischen Ausdruck und das Funkeln in seinen Augen fast schon niedlich.
„Ich muss Sie enttäuschen. Trotz meiner großen Neugier war ich viel zu beschäftigt damit, mein altes Leben komplett zu bereinigen und nichts mehr zurückzulassen. Und auch meine Spuren zu verwischen, sodass man mich nicht ausgerechnet hier sucht. Bis auf eine alte Kollegin, die mir diese Stadt empfohlen hat, weiß niemand, dass ich hierher kam. Das war so aufwendig, dass ich keine Zeit hatte, mich über Gerüchte schlau zu machen.“
Er wirkte nachdenklich nach meinen Worten.
„Schade, mich hätte interessiert, ob und was für Gerüchte dort draußen kursieren. Schließlich ist die Stadt ja doch schon ganz schön gewachsen und Geheimnisse bleiben bei vielen Menschen meistens nicht lange geheim. Wir haben ein ganzes Stockwerk hier, musst du wissen, das sich darum kümmert, die Presse in Schach zu halten und das Internet zu durchforsten. Wir wollen um Gottes Willen keine Zensur, aber eine Verzerrung der Wahrheit täte der Stadt nicht gut.“
Ich war verwirrter als vorher, doch er winkte ab.
„Politik. Also zurück zu den Zonen. Die blaue Zone ist also für die Neuankömmlinge und Unwissenden. Hier ist das Leben noch relativ normal, so wie du es aus deiner Stadt kennen wirst. Die gelbe Zone ist auch noch relativ harmlos. Wir leben hier aber schon unsere Freiheit und machen uns über moralische und ethische Verfehlungen keine so großen Gedanken.“
Diese Formulierung wälzte ich ein paarmal in meinem Kopf hin und her. Ich verstand sie trotzdem nicht und schaute ihn weiter fragend an.
Er grinste und trat wieder einen Schritt an mich ran. Er hob seine Hand und als ich dieses Mal nicht zurück wich, strich er mir die Schläfe hinunter bis an meinen Hals und zeichnete dann mein Brustbein nach. Dabei folgte sein Blick der Bewegung und am Ende sah er mir wieder in die Augen. Ich hielt dem Blick stand und er wirkte zufrieden.
„Zum Beispiel darüber, dass der Bürgermeister einen Newbie in sein Büro nimmt und ihn einfach streichelt, weil er wissen will, wie der Newbie sich anfühlt. Oder schmeckt.“
Mit den letzten Worten näherte er sich meinem Gesicht, wich nach rechts aus und biss sacht in mein Ohrläppchen. Sein Atem kitzelte in meinem Ohr und es schoss mir schon wieder heiß in den Schoß. Mit etwas Willenskraft unterdrückte ich aber gerade noch ein Stöhnen und rückte dann wieder ein Stück von ihm ab. Weil mir nichts Besseres einfiel, kam nur ein gekrächztes:
„Und, mundet es?“
Er leckte sich amüsiert über die Lippen und fuhr dann fort, als wäre nichts gewesen. Sein Blick richtete sich wieder über die Stadt und er zeigte nach links.
„Dann gibt es die grüne Zone. Dort ist es sehr viel freizügiger. Die rote Zone solltest du vielleicht am Anfang noch nicht erkunden. Die ist wirklich nichts für kleine Welpen, die noch keine Blicke in die menschlichen Abgründen geworfen haben.“
Er redete mir weiterhin noch viel zu sehr in Rätseln. Das und dieses Ohrenknabbern hatten mich aber so durcheinander gebracht, dass ich nicht imstande war, eine Frage diesbezüglich zu formulieren.
Er sah mich wieder an. Seine Augen fixierten eine Haarsträhne von mir. Er nahm sie in die Hand und spielte verträumt mit ihr. Dann ging ein Ruck durch ihn und er ließ sie abrupt los. Er sah fast schon entsetzt auf seine Hand, als hätte er sich gerade an meinem Haar verbrannt.
Ich fand diesen Bürgermeister immer eigenartiger. Fast schon skurril.
Er drehte sich weg von mir und wirkte deutlich kühler und distanzierter.
„Falls du noch mehr Fragen zu den Zonen hast, musst du deinen Buddy fragen. Er kann dir dazu mehr sagen. Ich kenne die momentanen Richtlinien nicht, wann was wie gesagt werden soll.“
Er sah über die Stadt und schwieg. Nach einer Minute hatte ich mich an der Aussicht sattgesehen und meine Augen richteten sich auf sein Profil. Die Sonne schien auf sein blondes Haar und ließ es fast golden wirken. Er wirkte ruhig und irgendwie faszinierte mich diese Ruhe.
Natürlich bemerkte er meinen Blick und das Grinsen erschien wieder auf seinem Gesicht.
„Fasziniert von dem Bürgermeister dieser Stadt? Ja, nicht jeder hat das Privileg, am zweiten Tag ein Schwätzchen mit dem höchsten Tier der Stadt zu halten.“
Keine Ahnung warum, aber mir stieg die Röte ins Gesicht. Ich fühlte mich ertappt und sah wieder auf die Stadt.
Das Telefonklingeln riss mich aus meinen Gedanken. Herr Eichenschild drehte sich um und nahm ab. Ich störte mich etwas an diesem Namen, er klang so ritterlich und das passte so gar nicht zu ihm. Ich beschloss, ihn in Gedanken weiterhin Bürgermeister zu nennen.
Er meldete sich natürlich mit seinem Namen und hielt inne. Er lauschte ein paar Sekunden und nickte dann. Nach dem Versprechen gleich vorbeizukommen, verabschiedete er sich und legte auf.
Dann drehte er sich zu mir, sagte im Geschäftston, dass es schön war, mich in der Stadt begrüßen zu dürfen und komplimentierte mich mit einer Entschuldigung hinaus. Er folgte mir und schloss die Tür ab, sobald ich sein Büro verlassen hatte. Dann verschwand er schnurstracks durch den Flur und hinterließ gefühlt eine Staubwolke hinter sich. Ich blieb völlig verblüfft und überrumpelt stehen. Das nannte der Herr also „Neugier befriedigen“. Er hatte mich mit mehr Fragen zurück gelassen, als ich beim Herkommen hatte.
Mit dem leichten Gefühl, einfach nur ein kleines Spielchen für den Bürgermeister gewesen zu sein, verließ ich das Stockwerk und das Rathaus.