Читать книгу KNOCHENBLEICH - Рональд Малфи - Страница 8
Kapitel 1
ОглавлениеDer Mann, der Tabby Whites Café an diesem bewölkten Dienstagmorgen gegen sieben Uhr betrat, wurde nur von ein paar vereinzelten Gästen erkannt, obwohl er schon seit mehr als dreißig Jahren im Ort lebte. Er wurde von einem kalten Windstoß hereingeschubst; eine verschrumpelte Hülle von einem Mann in einem schweren, wollgefütterten Ledermantel. Fetzen von Blättern und Dreck hingen in seinem schwarzen graumelierten Bart, und seine gerötete Nasenspitze und die schweren Tränensäcke unter seinen Augen wirkten wie von Kälte geschwollen. Das Thermohemd, das er unter dem Mantel anhatte, sah aus, als wäre es steif von getrocknetem Blut.
Bill Hopewell, dessen Familie schon seit drei Generationen im Ort lebte, war der Erste, der den Mann erkannte – und selbst das erst, nachdem er ihn mehrere Minuten lang genau gemustert hatte. Als er den Mann schließlich als den alten Joe Mallory von der Durham Road identifiziert hatte, saß Mallory bereits am Frühstückstresen und wärmte sich die Hände an einer dampfenden Tasse von Tabbys heißer Schokolade.
»Bist du das, Joe?«, sagte Bill Hopewell. Tabbys Café war klein und obwohl es Frühstückszeit war, hatten sich nur etwa ein halbes Dutzend Gäste eingefunden. Ein paar von ihnen sahen von ihrem Essen auf und zu Bill Hopewell hinüber, der allein an einem der wackeligen Tische vor einer dampfenden Schüssel Haferbrei und einer Tasse starken Kaffees saß. Danach ließen dieselben paar Gäste ihren Blick zu dem vogelscheuchendünnen Mann im Ledermantel schweifen, der wie ein Fragezeichen in sich zusammengesunken an Tabbys Frühstückstresen hockte.
Der Mann am Tresen – Joe Mallory, falls er es denn war – drehte sich nicht um. Soweit Bill Hopewell sehen konnte, hatte er ihn nicht mal gehört.
Es war Tabby Whites Gesichtsausdruck, der Bill schließlich veranlasste, sich aus seinem Stuhl zu stemmen und an den Tresen zu schlendern. Tabby White war eine äußerst herzliche Frau, die man nur selten ohne ihr Lächeln sah. Aber jetzt lächelte sie nicht: Pflichtbewusst hatte sie dem Mann die von ihm bestellte heiße Schokolade serviert und beobachtete ihn jetzt so weit in die Ecke gedrückt, wie sie konnte, vom anderen Ende des Frühstückstresens aus. Direkt über ihr in der als Katze geformten Wanduhr tickten die Augen wie der Stab eines Metronoms hin und her. Tabby machte eine besorgte Miene.
»He, Joe«, sagte Bill Hopewell, trat neben den Mann und lehnte sich mit einem Ellbogen auf den Tresen. Als der Mann den Kopf wandte, um ihn anzusehen, stellte Bill seine Annahme, dass es sich hier tatsächlich um Joseph Mallory von der Durham Road handelte, einen Moment lang infrage. Mallory war Mitte fünfzig, und dieser Mann sah um die zehn Jahre älter aus – wenn nicht noch mehr. Und auch wenn Joe Mallory noch nie viel Wert auf Körperpflege gelegt hatte, roch dieser Typ, als hätte er sich gut einen Monat lang nicht mehr gewaschen.
Der Mann drehte sich zu Bill Hopewell um und grinste. Die zwischen den drahtigen Barthaaren aufblitzenden Lippen waren von der Kälte verschorft und gesprungen. In seinem einen Mundwinkel war die Haut schwarz und erfroren, rau wie Baumrinde. Die wenigen Zähne, die Mallory noch besaß, sahen wie kleine Holzstümpfe aus.
»Wo hast du dich denn rumgetrieben, Joe?«, fragte Bill. »Dich hat ja schon seit Ewigkeiten keiner mehr gesehen.«
»Seit Jahren nicht«, sagte Galen Provost, der von seinem Tisch beim Fenster zu den beiden hinübersah. »Stimmt doch, oder, Joe?«
Joseph Mallory drehte sich auf seinem Hocker wieder um. Mit beiden Händen brachte er die Tasse heiße Schokolade an seine Lippen und schlürfte. Ein Rinnsal aus Kakao rann seinen Bart hinunter und tropfte braun auf die Resopaloberfläche des Tresens.
Bill Hopewell und Galen Provost tauschten beunruhigte Blicke aus. Dann sah Bill zu Tabby hinüber, die immer noch mit dem Rücken in die Ecke gedrückt unter der Katzenuhr mit den tickenden Augen stand und heftig an ihrem Daumennagel kaute.
»Das ist ein leckerer Kakao, Tabs«, sagte Mallory. Die Worte kamen gedehnt heraus, rau wie Schmirgelpapier. »Sehr lecker.«
Als ihr Name fiel, zuckte Tabby zusammen und stieß gegen ein Regal. Eine Flasche Ketchup fiel zu Boden.
»Was hast du denn da überall auf deinen Klamotten?«, fragte Galen Provost vom anderen Ende des Raums. Inzwischen sahen alle zu.
»Ist das Blut auf deiner Kleidung, Joe?«, fragte Bill Hopewell in weniger vorwurfsvollem Ton als Galen, trotz der Direktheit seiner Worte. Bill dachte sich, dass Galen vielleicht weniger vorlaut sein würde, wenn er derjenige wäre, der neben Mallory stand und den Schmutz in den Falten von Mallorys Gesicht sah, die weißen Nissen in seinen Haaren und dem Bart und das Zeug unter den Fingernägeln des Mannes, das wie altes Blut aussah. Wenn er sehen könnte, wie unnormal Mallory aussah. Bill räusperte sich. »Bist wohl im Wald gewesen, Joe?«
Das war der Moment, in dem Joseph Mallory zu lachen begann. Oder vielleicht fing er auch zu weinen an; Bill Hopewell war sich in diesem Augenblick nicht ganz sicher und würde es auch lange, nachdem Mallorys Gesicht überall in den Fernsehnachrichten zu sehen war, nicht sein. Er wusste nur, dass das Geräusch, das aus der Kehle des alten Joe Mallory herausvibrierte, wie ein widerspenstiger Vergaser klang und dass dem Mann plötzlich Tränen in den Augen standen.
Bill Hopewell stieß sich mit dem Ellbogen vom Tresen ab und wich zwei Schritte zurück.
Das Lachen – oder was es auch war – dauerte nur ein paar Sekunden lang an. Als er damit fertig war, wischte Mallory sich mit seiner großen, schwieligen Hand die Tränen aus den Augen. Dann nestelte er ein paar feuchte Dollarscheine aus der Innentasche seines Mantels heraus und legte sie nebeneinander auf den Tresen. Er nickte in Tabby Whites Richtung.
Tabby White starrte ihn nur an.
Mallorys Hocker quietschte, als er sich zu Bill Hopewell umdrehte. Ungelenk stieg er vom Hocker. Er bewegte sich mühsam und steif, so als wären seine Muskeln verknotet und seine Knochen spröde Zweige. Die dunklen Streifen vorn an Mallorys Hemd überzogen auch seinen Mantel und die Hosen, erkannte Bill plötzlich.
»Na, die sind also alle da draußen«, sagte Mallory. Seine Stimme war ein kaum hörbares Krächzen. Später musste Bill für Galen Provost und den Rest von Tabby Whites Kundschaft, der außer Hörweite saß, wiederholen, was er gehört hatte. »Sie sind alle tot und ich hab sie umgebracht. Aber damit bin ich jetzt fertig. Das war’s also.« Er wandte sich von Bill Hopewell ab und sah Tabby an. »Ist Val Drammell noch der Hilfssheriff?«
Tabby antwortete ihm nicht. Sie sah aus, als sei es ihr unmöglich.
»Ist er«, antwortete Bill Hopewell für sie.
»Also gut dann«, sagte Mallory, der sich wieder Bill zugewandt hatte. Er nickte, als sei er höchst zufrieden. »Würde einer von euch hier so nett sein, ihn anzurufen? Sagt ihm, dass ich draußen vor der Kirche sitzen werde und warte, bis die State Trooper kommen und mich holen.«
»Ja, okay«, sagte Bill, der zu schockiert war, um irgendetwas anderes zu tun, als dem Mann beizustimmen.
»Vielen Dank«, sagte Mallory. Und dann drehte er sich um und schlurfte in den kalten, grauen Morgen hinaus.
»Tabby«, sagte Bill, ohne sie anzusehen – er starrte der ausgemergelten Gestalt von Joe Mallory, die in Richtung der alten Kirche die Straße hochging, durchs Fenster hinterher. »Ruf am besten Val Drammell an, wie er gesagt hat.«
Es dauerte einige Sekunden, bis Tabby White begriff, dass mit ihr geredet wurde. Sie ging zum schnurlosen Telefon neben den Kaffeeurnen hinüber – einer ihrer weißen Turnschuhe verschmierte einen Streifen Ketchup auf dem Linoleum, aber sie merkte es nicht – und fummelte am Apparat herum, bis sie ihn schließlich an ihr Ohr brachte.
»Val«, sagte sie ins Telefon. Ihre dünne Stimme ging pfeifend hoch, war fast ein Jammern. »Hier ist Tabby vom Café.« Eine Pause entstand. Dann sagte sie: »Ich glaube, ich reiche Sie an Bill Hopewell weiter.«
Sie gab Bill das Telefon und Bill drückte es an sein Ohr. Er beobachtete immer noch Joe Mallory, der die Straße zur Kirche hochschlenderte. Der Himmel am Horizont sah ausgeblichen aus, farblos. Es versprach ein kalter Winter zu werden. »Hier ist was, das Sie sich besser ansehen sollten, denke ich«, sagte er und erklärte dann, was vorgefallen war.