Читать книгу KNOCHENBLEICH - Рональд Малфи - Страница 9
Kapitel 2
ОглавлениеEs war Viertel nach acht Uhr morgens, als das Telefon auf Jill Ryersons Schreibtisch klingelte.
»Kapitalverbrechen«, sagte sie. »Ryerson am Apparat.«
»Ms. Ryerson, hier ist Valerie Drammell, ich bin der Hilfssheriff oben in der Hand. Ich habe Ihre Visitenkarte hier und dachte mir, ich gebe Ihnen wegen der Umstände bei uns vor Ort Bescheid.« Eine Männerstimme mit einem Frauennamen, erkannte sie. Er sprach hastig und atemlos, so abgehackt, dass es zuerst schwierig war, ihn zu verstehen.
»Was sagten Sie, von wo Sie anrufen, Mr. Drammell?«
»Aus der Hand, Ma’am.« Dann räusperte der Mann sich. »Aus Dread’s Hand, um genau zu sein, Ma’am.«
Der Ortsname war ihr geläufig – er war zu ungewöhnlich, als dass man ihn vergessen konnte –, aber im Moment entging ihr, woher oder wieso sie ihn kannte. Aber irgendetwas war dort kürzlich passiert, vielleicht innerhalb der letzten zwölf Monate, und irgendwie hatte sie etwas damit zu tun gehabt.
»Was für Umstände haben Sie da oben, Drammell?«
»Hören Sie, ich habe hier einen Mann, der hier lebt, namens Joe Mallory«, erklärte Drammell. »Er sagt, dass er einige Leute umgebracht hat und die Leichen hier in der Gegend im Wald begraben hat. Er hat … na ja, es sieht so aus, als hätte er Blut auf der Kleidung, getrocknetes Blut. Frisch sieht es nicht aus. Er wirkt … er sieht ungut aus, Ms. Ryerson – äh, Detective. Ich habe doch die richtige Nummer, ja? Ist das die richtige Nummer?«
Sie versicherte Drammell, dass er die korrekte Nummer gewählt hatte, und sagte, dass sie so schnell wie möglich kommen würde. Nachdem sie aufgelegt hatte, verließ sie ihr Büro und spähte in die Zentrale, wo Mike McHale hinter dem Schreibtisch saß.
»Dread’s Hand«, sagte sie. »Wo ist das?«
Mike McHale zuckte nur mit den Schultern. Er war kein auffallend beleibter Mann, bewegte sich aber, als wäre er es. Auf der Anrichte hinter McHales Schreibtisch lag ein Straßenatlas. Er lehnte sich hinüber, grunzte dabei, und nahm ihn sich. Er schlug den Atlas auf seinem Tisch auf und sah sich eine der Karten genauer an.
»Eben hat der Hilfssheriff von da angerufen. Er sagt, er hätte einen Ortsansässigen, der behauptet, mehrere Menschen ermordet zu haben.«
Stirnrunzelnd sah McHale von der Landkarte auf. »Oh ja?«, sagte er.
Ryerson zuckte die Achseln.
»Hier ist das«, sagte McHale und tippte mit dem Finger auf eine vergrößerte Karte von Alaskas Landesinnerem. »Ganz da draußen in den Bergen. Schätze, wir brauchen um die anderthalb Stunden bis dahin«, sagte McHale.
Ryerson verzog eine Seite ihres Mundes zu einem halben Lächeln. »Wir?«
»Was für ein Mann wäre ich denn, wenn ich dich mutterseelenallein losziehen und Mordverdächtige jagen ließe?«
»Dann darfst du fahren«, sagte sie.
Sie fanden Drammell auf einer Bank vor der Dorfkirche. Er saß neben einer ausgemergelten Vogelscheuche von einem Mann, dem sein krauser Bart bis unters Schlüsselbein hing. Ryerson und McHale stiegen aus ihrem Streifenwagen aus und näherten sich den Männern entspannt. Es dauerte keinen Sekundenbruchteil, bis Ryerson die kupferbraunen Streifen aus getrocknetem Blut vorn auf Mallorys Thermohemd und an seinen Hosenaufschlägen auffielen. Nicht, dass sie das sofort überbewertete – schließlich konnte dieser Mann die letzten beiden Tage im Wald auch Wild ausgeweidet haben –, aber als er sie das erste Mal ansah, flößte ihr irgendetwas in Mallorys grauen Augen ein Gefühl von Kälte ein.
»Ich bin hier, weil ich damit ins Reine kommen will«, sagte Mallory, bevor Ryerson und McHale auch nur den Mund aufmachen konnten.
»Womit?«, fragte Ryerson.
»Kommen Sie mit und ich zeig’s Ihnen«, erklärte Mallory. Er nahm Val Drammells Schulter zur Hilfe, um sich von der Kirchenbank hochzustemmen. Drammells Miene vermittelte den Eindruck, dass die Berührung des Mannes ihn anwiderte, auch wenn er keinerlei Versuche unternahm, die Hand von seiner Schulter zu stoßen. Als sein Blick zu Ryerson schweifte, wirkte er äußerst erleichtert, dass sie hier war und dass er sein Problem an sie und ihren Kollegen abgeben konnte.
»Einen Moment«, sagte Ryerson. »Mr. Drammell hier hat uns angerufen und gesagt, dass Sie hier in der Gegend mehrere Menschen getötet haben. Stimmt das?«
»Ja, Ma’am«, sagte Mallory.
»Haben Sie das erst kürzlich getan?«
»Oh nein, Ma’am. Das habe ich schon länger nicht mehr gemacht.«
»Wo sind sie?«
»Das wollte ich Ihnen zeigen, Ma’am«, sagte Mallory. Er zeigte auf die Bäume, die das Vorgebirge der White Mountains umkränzten.
»Da befinden die sich? Da oben?«
»Alle«, sagte Mallory.
»Menschen«, schob Val Drammell ein. »Er sagt, er hat da oben mehrere Menschen begraben. Nur, damit das allen klar ist.«
»Ich verstehe«, sagte sie zu Drammell. Dann sah sie wieder Mallory an. »Das ist es, was Sie uns hier sagen, oder? Dass Sie mehrere Menschen getötet und sie da oben begraben haben. Stimmt das?«
»Stimmt«, sagte Mallory.
Sie sah einen Augenblick lang zur Waldgrenze hinauf, bevor sie ihren Blick wieder auf Mallory fallen ließ. Diese Wälder waren immens und das Vorgebirge schwieriges Terrain. Außerdem sah Mallory unterernährt aus und stand ungefähr so sicher auf den Beinen wie ein neugeborenes Fohlen. »Wie weit ist es bis dahin?«
»Das schaffen wir auf jeden Fall zu Fuß«, antwortete Mallory, obwohl Jill Ryerson angesichts seines Äußeren und der Art, wie er Drammells Schulter gerade eben als Krücke zum Aufstehen von der Bank benutzt hatte, stark daran zweifelte.
»Ich glaube, Sie brauchen vorher vielleicht erst mal ärztliche Hilfe«, sagte sie zu ihm.
»Dafür ist später noch genug Zeit«, sagte Mallory. »Ich werde da draußen schon nicht gleich mein Leben aushauchen, Ma’am. Zuerst zeige ich Ihnen, wo die liegen. Es ist wichtig, dass ich Ihnen zeige, wo sie liegen. Das hier ist alles sehr wichtig.«
Sie warf einen Blick auf McHale, der aussah, als sei ihm kalt und als wäre er sich unsicher. Er zuckte die Schultern.
»Also gut«, sagte Ryerson. Aus irgendeinem Grund glaubte sie ihm – dass es wichtig war, von ihm jetzt und sofort gezeigt zu bekommen, wo sie lagen. Als würde es später keine Gelegenheit mehr dazu geben. Sie holte eine Extra-Jacke aus dem Kofferraum des Streifenwagens und half Mallory, sie überzuziehen. Amüsiert verzog Mallory sein verwittertes Gesicht und spähte auf das aufgestickte Polizeiabzeichen hinunter.
»Na, schau mal einer guck«, murmelte er und befingerte das Rangabzeichen.
Mallory führte sie in den Wald, auf einen Marsch, der fast eine Stunde währte, und über eine Distanz, die Ryerson im Kopf auf knapp über eine Meile berechnete. Wäre sie zurückgegangen, um das Auto zu holen, hätte sie etwas weniger als die Hälfte der Strecke auf der ehemaligen Bergbaustraße zurücklegen können: Nachdem sie ungefähr eine Viertelstunde lang gegangen waren, verschmälerte die Straße sich auf vielleicht einen Meter Breite, und ab und zu mussten sie über umgestürzte Bäume klettern oder massive Felsbrocken umgehen, um weiterzukommen. Und dann verschwand die Straße vollends, ergab sich einem spärlichen Bewuchs aus Kiefern und Sitka-Fichten und großen, mit weichem, grünem Moos bepelzten Felsbrocken.
»Falls sich jemand das hier als Streich ausgedacht hat«, sagte McHale zu niemandem Bestimmten auf der Hälfte der Strecke, »knalle ich dem meine Taschenlampe auf den Kopf.«
Ryerson überließ Mallory die Führung. Sie hatte ihm keine Handschellen angelegt – es wäre zu schwierig für ihn, mit hinter dem Rücken gefesselten Händen durch den Wald zu klettern –, aber sie hatte ihn unauffällig abgetastet, als sie ihm in den Parka geholfen hatte, und keine Waffen gefühlt. Außerdem war sie immer noch nicht überzeugt, dass es sich bei diesem Typen nicht um einen Irren handelte. Es gab weiß Gott genügend davon. Trotzdem ließ sie ihn während ihres Marsches nicht aus den Augen.
»Woher hatten Sie meinen Namen und meine Telefonnummer?«, fragte Ryerson Drammell, als sie sich auf den Scheitelpunkt der waldigen Hügel zuarbeiteten. »Der Name Ihres Orts kommt mir bekannt vor, aber hier gewesen bin ich noch nie.«
»Vor vielleicht einem Jahr kamen zwei Trooper her, die jemanden suchten«, sagte Drammell. »Soviel ich weiß, haben sie den Mann nie gefunden. Als sie wieder fuhren, haben sie mir Ihre Visitenkarte dagelassen. Falls der Mann hier auftauchen sollte, hätte ich Sie anrufen sollen.« Drammell runzelte die Stirn und fügte hinzu: »Ist er nie.«
Ja, jetzt erinnerte sie sich. Sie hatte vor ungefähr einem Jahr einen Anruf von dem Bruder eines Mannes erhalten, der in dieser Gegend verschwunden war. Der Mann hatte herausgefunden, dass sein Bruder zuletzt in Dread’s Hand gesehen worden war. Ryerson hatte den Anruf entgegengenommen und die entsprechenden Formulare ausgefüllt, aber selbst hergekommen war sie nicht. Stattdessen hatte sie zwei Kollegen nach Dread’s Hand geschickt, um Nachforschungen anzustellen. Ganz sicher war sie sich im Moment nicht, meinte aber, dass es ihnen gelungen war, den Mietwagen des Mannes zu finden.
»Haben Sie diesen Mann je gefunden?«, fragte Drammell.
»Nein«, sagte Ryerson.
Überraschenderweise schien Mallory das Gehen trotz seiner schlechten körperlichen Verfassung keine Schwierigkeiten zu bereiten. McHale und Drammell dagegen waren beide außer Atem, als sie eine große Lichtung erreichten. Genau hier, erklärte Joseph Mallory, hatte er die Leichen der acht Opfer begraben, die er über einen Zeitrahmen von fünf Jahren hinweg ermordet hatte. Über die Anzahl der Opfer schien er sich sicher zu sein, weniger sicher darüber, wie lange er gemordet hatte. »Hier draußen«, versuchte er zu erklären, »ist es komisch mit der Zeit.«
Ryerson und McHale sahen sich an.
»Sie begreifen, was Sie uns sagen, oder nicht?«, sagte McHale.
»Natürlich.« Plötzlich war Mallory aufgebracht und starrte McHale wütend an. »Ich bin doch nicht blöd, Junge.«
»Nein, Sir«, sagte McHale. Ryerson fiel mehr als nur ein Hauch von Sarkasmus in seiner Stimme auf.
»Das ist eine große Fläche«, sagte Ryerson. »Ist es möglich, dass Sie es auf einen genaueren Platz eingrenzen?«
»Es sind viele Plätze«, informierte Mallory sie. »Na, dann kommen Sie mal.«
Er zeigte, wo ungefähr jedes einzelne nicht erkennbare Grab lag; Ryersons Schätzung zufolge handelte es sich um eine Fläche von ungefähr fünf Hektar Wald. Und obwohl Ryerson direkt neben ihm gestanden und den düsteren Ausdruck von Joseph Mallorys verwittertem Gesicht studiert hatte, als er murmelte »Hier liegt eine tote Seele, ein ganzes Stück weiter dahinten noch eine«, glaubte sie immer noch, dass hier keine einzige Leiche verscharrt war. Und dass Joseph Mallory nur ein weiterer verrückter Hinterwäldler mit getrocknetem Hirschblut auf den Klamotten war, der bei der Staatspolizei aus Fairbanks nach seiner Viertelstunde Ruhm suchte. Schließlich war unübersehbar, dass der alte Mann eine Kirsche zu wenig auf der Torte hatte, wie Jill Ryersons Vater immer gern gesagt hatte.
»Das war’s«, sagte Mallory, als er damit fertig war, Ryerson, McHale und Drammell kreuz und quer über Gottes grüne Erde zu führen (obwohl dieser Wald in Alaska Mitte September keinerlei Grün zu bieten hatte – der Boden war so kalt und grau wie die Stämme der Sitka-Fichten). Die ganze Exkursion hatte über zwei Stunden gedauert – Mallory war sich an mehreren Stellen unsicher gewesen, und dann hatte er sich einige Male ausruhen müssen – und sie hatten immer noch den Rückweg aus dem Wald vor sich. Ryerson hatte sich überanstrengt und war in ihrer Uniform und dem Parka trotz der Kälte schweißgebadet. Sie wies Mike McHale an, jede Stelle, die Mallory ihnen zeigte, zu markieren, und McHale rammte Stöcke in die Erde und knotete an jedem ein Papiertaschentuch fest, damit sie einen schnellen Überblick bekamen.
»Du glaubst doch nicht wirklich, dass hier Leichen begraben sind, oder?«, fragte McHale sie irgendwann leise. Sein heißer, nach Kaffee riechender Atem strich ihr über den Hals.
»Nein, glaube ich nicht«, sagte sie. »Er scheint verwirrt zu sein. Aber lass uns das machen, wie es sich gehört, nur für den Fall, dass wir falsch liegen. Okay?«`
»Verstanden«, sagte McHale.
»Ich werde Ihnen jetzt Handschellen anlegen und Sie mit nach Fairbanks nehmen«, sagte Ryerson zu Mallory, als er ihnen alle der acht nicht erkennbaren Gräber gezeigt hatte. »Und mir wäre wohler, wenn ich Sie von einem Arzt untersuchen lassen könnte.«
»Jetzt geht’s mir gut«, sagte Mallory, der mitten auf der Lichtung stand. Er schloss die Augen und hielt sein gerötetes, verwittertes Gesicht zum Himmel hoch. Wunde Stellen überzogen seine Wangenknochen und wässerten an seinen Lippen. Es sah aus, als hätte er mehrere Erfrierungen. »Aber wir haben hier draußen zu viel Zeit zugebracht. Ich hab sie mir schon einmal abgeschrubbt. Lassen Sie uns in den Ort zurückfahren, bevor sie wieder gierig wird.«
Hätte Valerie Drammell sich in diesem Moment nicht zu Wort gemeldet, hätte Ryerson vielleicht darum gebeten, diese Feststellung genauer erläutert zu bekommen. »Ja, wollen wir uns auf den Rückweg machen. Jetzt gleich.« Er sah sich verstohlen um, als erwartete er, dass jemand aus dem Wald heraustrat und sich zu ihnen gesellte – ein Gespenst vielleicht.
»Sie beide sollten die Lichtung absperren und Fotos machen«, empfahl Ryerson und sah von Drammell zu McHale hinüber. »Verfahren wir wie mit einem Tatort. Sobald ich beim Wagen bin, fordere ich Verstärkung an. Ich werde außerdem den Gerichtsmediziner in Anchorage informieren, nur für den Fall, dass … ähm … unser Freund hier weiß, wovon er redet.«
»Natürlich tue ich das«, brummte Mallory, dessen Blick sich plötzlich verfinstert hatte.
»Ich?«, hakte Val Drammell nach. »Ich auch hierbleiben?«
Ryerson fand, dass er sich peinlich ähnlich wie Tarzan anhörte. »Verpflichtet sind Sie dazu nicht, aber wir könnten die extra Hilfe gebrauchen, Mr. Drammell«, erklärte sie ihm.
Obwohl nicht zu übersehen war, dass Drammell nicht dableiben wollte, nickte er. Die von McHale mit den Stöcken und Taschentuchfahnen bepflanzte Lichtung bot einen beunruhigenden Anblick, und die anderthalb Stunden, die er neben Mallory auf der Kirchenbank gesessen hatte, waren dem armen Mann gehörig unter die Haut gegangen. Er steckte sich eine Zigarette in den Mund.
»Bitte rauchen Sie hier nicht«, sagte Ryerson. »Es ist der Schauplatz eines Verbrechens.«
Drammell starrte sie zwei Herzschläge lang an – lange genug, dass Jill Ryerson dachte: Na gut, dann muss ich wohl den starken Mann markieren –, doch dann nahm er sich die Zigarette aus dem Mund und steckte sie sich hinters linke Ohr.
»Willst du keine Hilfe dabei, ihn zum Wagen zurückzubringen?«, fragte McHale, als Ryerson Mallory die Hände hinter den Rücken zog und die Handschellen zuschnappen ließ.
»Ich komme schon klar«, sagte sie. »Sehen wir zu, dass hier alles abgesichert ist. Und dass keiner von den Anliegern herkommt.«
»Niemand aus der Gegend würde hierherkommen«, sagte Drammell, ohne es weiter zu erklären.
Als sie unten im Ort in den Streifenwagen einstiegen, setzte Ryerson Mallory über seine Rechte in Kenntnis.
»Rechte brauche ich nicht«, sagte Mallory im Drahtkäfig hinten im Wagen. »Und einen Anwalt auch nicht. Ich hab alle meine Sünden gebeichtet. Damit wären wir so gut wie fertig, oder?«
»Ich sage Ihnen nur, was gesetzlich Pflicht ist, Mr. Mallory«, erwiderte sie, ließ das Auto an und drehte die Heizung voll auf. Auf der anderen Straßenseite stand eine kleine Gruppe Schaulustiger, die die neuesten Entwicklungen beobachtete. Aus ihren offenen Mündern stiegen Dunstwolken auf. Ryerson fand, dass sie wie Flüchtlinge aussahen, die man an den Ufern eines fremden Landes ausgesetzt hatte.
Sie fuhr die Hauptstraße, die zum Teil aus gefrorenen Matschrillen, zum Teil aus Schotter bestand, langsam hinunter, während die Gaffer alle gleichzeitig die Köpfe verdrehten, um ihnen hinterherzuschauen.
»Haben Sie Lust, mir das Motiv zu verraten, aus dem Sie all diese Leute umgebracht haben?«, fragte sie.
»Nein«, sagte Mallory ausdruckslos.
»Sie hatten kein Motiv?«
»Hab keine Lust, es zu verraten«, stellte er klar.
»Wieso nicht?«
Diesmal antwortete Mallory nicht.
»Wie wär’s mit den Namen?«, fragte Ryerson. »Möchten Sie mir sagen, wer diese Menschen waren? Kamen sie aus der Gegend hier?«
»Mir ist nicht danach, ihre Namen laut auszusprechen, Ma’am, wobei ich nicht erwarte, dass Sie das verstehen«, sagte Mallory. »Im Moment erinnere ich mich nicht so recht an die Namen, um ganz ehrlich zu sein. Das war was, auf das es nie ankam.«
»Tatsächlich?«, sagte sie.
»Ich nehme allerdings an, dass Sie die mit der Zeit herausfinden werden. Und das ist okay.«
»Falls das hier ein Spielchen ist, das Sie mit uns treiben, Mr. Mallory, sagen Sie es mir am besten jetzt, damit wir uns eine Menge unnötiger Arbeit ersparen können.«
»Spielchen?«, fragte er.
»Falls Sie versuchen, uns einen Streich zu spielen, um es anders auszudrücken«, sagte sie. »Falls es da oben keine Leichen gibt, meine ich.«
»Oh«, sagte er. »Die liegen da schon, Ma’am. Bei Gott, die liegen da.«
Jill Ryerson hatte ihre Zweifel.
Neunzig Minuten später setzte Ryerson Mallory im Fairbanks Memorial Hospital ab und übergab ihn zwei jungen Polizeibeamten. McHale und Drammell hatten inzwischen die Lichtung im Wald abgesperrt und warteten auf die Verstärkung, zu der Spürhunde und ein in der Verwendung von Bodenradar ausgebildeter Techniker gehörten. Ryerson verschwendete kaum mehr einen Gedanken daran, bis sie etwas später einen Anruf von McHale erhielt, der immer noch am Tatort war.
»Du kommst besser wieder her, Jill«, sagte McHale. Obwohl er sehr versuchte, sich zu beherrschen, fiel ihr der Unterton ungestümer Aufregung in seiner Stimme auf. »Wir haben eine Leiche gefunden.«