Читать книгу Herrengolf und andere Irrtümer - Rotraut Mielke - Страница 4
3.
ОглавлениеAlfred war es wieder einmal langweilig. Mit der Fernbedienung in der Hand zappte er sich durch sämtliche Kanäle, die das Fernsehen zu bieten hatte. Es gab nur Schrott, und dafür zahlte er auch noch Gebühren! Er drückte genervt die Aus-Taste und stand auf.
Ziellos schlenderte er hinaus auf die Terrasse und schaute sich um. Der große, fast parkähnliche Garten war in einem äußerst gepflegten Zustand. Der Rasen sah aus, als wäre er mit der Nagelschere geschnitten worden. Und in der Mitte prangte Alfreds ganzer Stolz, ein großer Teich, der von einem üppigen Pflanzengürtel eingefasst wurde. Im klaren Wasser schwammen ein paar herrlich gefärbte Koifische herum. Es war ein wahrhaftiges Idyll, und der Blick von der großzügig angelegten Terrasse bereitete ihm immer wieder große Freude. Auch das Haus, das er höchstpersönlich entworfen hatte, war ein Traum.
Ja, Alfred hatte es geschafft, wie man so sagt. Er hatte vor vielen Jahren eine Baufirma aus dem Boden gestampft, mit der er ein Vermögen gemacht hatte. Fleiß und der richtige Riecher für lukrative Projekte, dazu das Quäntchen Glück, dass die Baubranche genau in dieser Zeit boomte, waren die Grundsteine für einen sorglosen Lebensabend gewesen.
Ein Schmunzeln huschte über sein Gesicht, als er an die Zeit damals dachte. Knochenarbeit war es gewesen, und der Schweiß war in Strömen geflossen. Aber das erhebende Gefühl, etwas zu bewegen, war alle Strapazen wert gewesen. Und auch der Spaß war nie zu kurz gekommen. Das Feierabendbier hatte genauso dazu gehört wie die jährliche Betriebsfeier, bei der sie alle auf den Tischen getanzt hatten.
Vor ein paar Jahren, gerade rechtzeitig bevor die Konjunktur einbrach, hatte er den größten Teil der Firma verkauft. Nur ein bescheidenes Gebäude und einen kleinen Fuhrpark hatte er behalten, mehr aus Gewohnheit und aus einem gewissen Spieltrieb heraus. Schon als kleiner Junge hatte er stundenlang Bauklötze aufeinander gestapelt und mit seinem kleinen Plastikbagger eifrig Sandberge aufgetürmt. Und im Grunde gab es auch heute nichts, was er lieber tat.
Nun stand er da und schaute auf sein Eigentum, das so makellos durchgestylt war, dass ihm fast schlecht davon wurde. Immer noch stand er jeden Morgen um fünf Uhr auf, eine Gewohnheit, die er nicht ablegen konnte. Aber dann, schon nach dem Frühstück, wurde das Leben langweilig. Es war einfach nicht normal, dass man nichts zu tun hatte. Er schaute auf seine kräftigen Hände, die trotz professioneller Maniküre immer noch die unauslöschlichen Spuren harter Arbeit zeigten. Sie lechzten förmlich danach, wieder einmal kräftig zuzupacken. Das einzige Highlight seiner meist recht ereignislosen Woche waren die Golftermine. Dienstags und donnerstags wusste er zumindest, wofür er aufstand. Er stöhnte leise. So hatte er sich den Wohlstand nicht vorgestellt.
Marion kam irgendwie besser damit zurecht, das musste er zugeben. Sie beschäftigte sich immer mit irgendwas, allerdings meistens mit Sachen, die ihn nicht interessierten. Die Kleckserei zum Beispiel war ihr neuestes Steckenpferd. Sie kniete sich da richtig hinein, und er stand neidisch daneben, die Hände in den Hosentaschen zu Fäusten geballt. Er brauchte dringend wieder eine richtige Aufgabe, sonst würde er durchdrehen. Aber was?
Er drehte sich um und ging wieder ins Wohnzimmer zurück. Im Haus war es totenstill, es kam ihm vor wie ein Mausoleum. Mein Gott, er war doch nicht schon tot und hatte es womöglich gar nicht mitgekriegt? Aber nein, er stand ja noch in der Blüte seiner Jahre. Allerdings knackste und knirschte es hörbar in den Gelenken, als er sich jetzt dehnte und die Arme nach oben streckte.
Mit einem Klick stellte er wieder den Fernseher an. Vielleicht gab es ja wenigstens auf dem Sportkanal ein Golfturnier. Von den Profis konnte man sich das eine oder andere abgucken. Zumindest ging dabei die Zeit herum. Er setzte sich in seinen Ledersessel. Aber dort hielt es ihn nicht lang. Er sprang auf und tigerte wieder hinaus auf die Terrasse. Irgendetwas musste es doch zu tun geben, das ihn interessierte. Er starrte auf den Garten und sinnierte vor sich hin.
***
„Das darf ja wohl nicht wahr sein!“ Mit zorngerötetem Gesicht stürmte Gerd aus dem Sekretariat des Golfplatzes. Um ein Haar hätte er Walter über den Haufen gerannt, der gerade mit seinem Golfwägelchen über den Vorplatz geschlendert kam.
„Hey, was ist denn mit dir los?“, fragte der gut gelaunt.
„Du kannst gleich wieder kehrt machen. Die haben unsere Tee Time vergessen.“
Walter schaute ihn ungläubig an. „Kann nicht sein.“
„Doch, ist aber“, brauste Gerd sofort auf. „Die behaupten glatt, dass wir uns nicht angemeldet haben.“
Walter überlegte. „Alfred hat das letzte Woche übernommen, da bin ich ganz sicher. Er hat sein Golfbag im Auto verstaut, und dann ist er extra noch einmal ins Sekretariat zurückgegangen.“
Gerd schaute auf seine Armbanduhr. „Wo steckt der überhaupt? Wir haben in zehn Minuten Abschlag. Also – wenn wir eine Tee Time hätten, hätten wir in zehn Minuten Abschlag“ korrigierte er.
Wie aufs Stichwort bog Alfreds grauer Kombi auf den Parkplatz ein.
„Wann können wir denn nun los?“, fragte Walter. „Ich will heute nicht so spät heimkommen.“
Gerd warf ihm einen höhnischen Blick zu. „Du wirst sogar sehr früh wieder zu Hause sein. Es geht nämlich gar nichts, alles belegt.“
„Ach nö!“
„Eine Dreiviertelstunde gefahren, und alles für die Katz“, schimpfte Gerd und kam nun erst richtig in Fahrt.
Zwischenzeitlich hatte Alfred sein Auto geparkt und machte sich am Kofferraum zu schaffen.
„Hallo!“, brüllte Gerd zu ihm hinüber. „Du brauchst gar nicht erst auszupacken.“ Aufgebracht fuchtelte er mit den Händen in der Luft herum.
Alfred schaute hoch. „Was ist los?“
„Der braucht dringend ein Hörgerät“, murmelte Gerd und machte sich auf den Weg zu ihm.
Walter schaute frustriert auf seinen Golfwagen, das er vor dem Sekretariat abgestellt hatte. Er hatte sich sehr auf die heutige Runde gefreut. Und außerdem wollte er Ben auf den Zahn fühlen, der vor zwei Tagen so auffallend schweigsam gewesen war. Der ließ sich aber heute nicht blicken. Walter beschloss, selbst bei den Damen des Golfplatzes nachzufragen, was eigentlich los war. Schwungvoll stieß er die Tür auf und betrat gesetzten Schrittes das Sekretariat.
Die Dame hinter dem Empfangstresen schaute hoch und setzte sofort eine abweisende Miene auf.
„Guten Morgen“, grüßte Walter artig, aber dann war es auch schon vorbei mit seiner Selbstbeherrschung. „Wir haben keine Tee Time heute, ist das richtig?“, fragte er mit vor Entrüstung bebender Stimme.
„Ich kann es nicht ändern, Ihre Tee Time ist gestern Nachmittag telefonisch storniert worden. Hier steht es.“ Sie zeigte auf den Monitor ihres Computers, von dem Walter allerdings nur die Rückseite sehen konnte.
„Das muss ein Irrtum sein. Wir spielen jeden Dienstag und Donnerstag um dieselbe Zeit. Das wissen Sie doch.“ Walter pflanzte seine stämmigen Beine in den Boden, gewillt, nicht ohne einen positiven Bescheid wieder abzuziehen.
„Tja.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Daraus wird wohl heute nichts werden. Der Platz ist voll gebucht.“
Alfred brauchte einen Moment, um die schlechte Nachricht zu begreifen. „Kein Golf?“, fragte er und starrte Gerd mit offenem Mund an.
Der schüttelte den Kopf. „Wir sind völlig umsonst hergefahren. Es ist eine Frechheit. Und das ist ja nicht das erste Mal, dass so etwas passiert. Letzten Monat hatten wir genau das gleiche. Eine Stunde haben wir blöd herumgesessen, bis wir endlich starten konnten.“
Alfred kratzte sich am Kopf. „Dann brauch ich auch nicht auszupacken“, folgerte er scharfsinnig und knallte die Kofferraumtür zu.
„So geht das nicht“, schimpfte Gerd wieder los. „Das werden wir jetzt ein für alle Mal klären.“ Er drehte sich auf dem Absatz um und stapfte zurück zum Clubhaus. Alfred blinzelte sein Auto zu und folgte ihm.
Aber auch die geballte Männerpower, die sich vor dem Empfangstresen aufbaute, konnte nichts an der Situation ändern. Stocksauer mussten die drei zusehen, wie sich zwei wildfremde Damen zu ‚ihrer‘ Tee Time am Abschlag Eins spielbereit machten.
„Das ist ein absoluter Chaosladen. Wir zahlen schließlich gutes Geld für unsere Mitgliedschaft. So könnt ihr uns doch nicht behandeln.“ Wie immer war Gerd der Wortführer, und im Eifer des Gefechts war er zum vertraulichen ‚Du‘ übergegangen.
„Und wenn Sie sich auf den Kopf stellen: Ihre Buchung wurde gestern telefonisch storniert.“ Die Dame wurde jetzt patzig.
„Der Platz ist sowieso völlig verwahrlost. Vorgestern habe ich einen Ball verloren, mitten auf dem Fairway von der Sieben. Das kann doch nicht sein. Wir haben alle gesehen, wo er gelandet ist. Und dann war er nicht mehr auffindbar.“ Die nun schon zwei Tage lang schwelende Empörung machte sich bei Walter endlich Luft.
Die Dame lächelte süffisant. „Da haben Sie wohl doch ins Rough geschlagen. Dafür können Sie kaum den Golfplatz verantwortlich machen.“
Walter verschlug es angesichts einer solchen Unverschämtheit kurzfristig die Sprache.
Gerd hatte endlich Zwei und Zwei zusammengezählt. „Wahrscheinlich ist Ben was dazwischengekommen, und er hat seine Startzeit abgesagt. Und ihr habt dann kurzerhand den ganzen Flight storniert.“ Da Ben immer noch nicht aufgetaucht war, sprach viel dafür, dass es sich genau so abgespielt haben musste.
„Dann müsst ihr halt sehen, wo ihr uns dazwischenschiebt. Das ist schließlich nicht unsere Schuld“, wetterte nun auch Alfred los.
Die Dame starrte verbissen auf ihren Monitor.
„Was ist jetzt?“, raunzte Gerd sie an, aber da fuhr sie auf wie eine Klapperschlange.
„Ich kann mir doch keine Tee Time aus den Rippen leiern. Wenn alles belegt ist, dann ist das eben so. Dann müssen Sie halt an einem anderen Tag wiederkommen.“
Dagegen war nicht anzukommen. Die drei Herren buchten ihre Abschlagzeiten für die kommende Woche und verzogen sich dann nach draußen. Wie verlorene Kinder standen sie da und wussten nicht, was sie jetzt machen sollten. Zur Beruhigung steckte sich Alfred erst einmal eine Zigarette an.
„Dass du das nicht lassen kannst“, ereiferte sich Gerd und wechselte den Platz, denn eine Rauchwolke schwebte genau in sein Gesicht.
Er schnappte sich eines der Hochglanzmagazine, die zum Lesen auslagen, und blätterte lustlos darin herum. Im Mittelpunkt standen die Fotos des letzten Masters-Turniers mit strahlenden Profis in Siegerpose. Und ein paar Promis, die erstaunlicherweise alle einstellige Handicaps hatten, eröffneten feierlich einen neuen Golfplatz, bereits den vierzehnten der Firma ‚Golf Unlimited‘, wie der rotgesichtige Firmensprecher stolz verkündete. Gelangweilt legte Gerd das Magazin auf ein Tischchen zurück. Es stand nicht wirklich etwas Interessantes darin.
Alfred setzte sich auf die Bank vor dem Clubhaus. „Schade um das Benzin, das wir verfahren haben.“ Seine Augen schweiften über den Golfplatz und hefteten sich kurz darauf auf die beiden Damen, die inzwischen den Hügel der Bahn Eins erklommen hatten. „Na, das Gelbe vom Ei ist das auch nicht, was die da zusammenspielen“, bemerkte er mit unverhohlener Schadenfreude.
Die Spielerinnen eilten mit gesenkten Köpfen auf dem Fairway hin und her, offensichtlich auf der Suche nach einem Ball.
„Sag ich doch: Der Platz ist einfach ungepflegt. Hier findet man keinen Ball wieder.“ Gedankenverloren lehnte sich Walter zurück. „So etwas hätten wir uns früher nie erlauben dürfen. Pfusch und Nachlässigkeit, das gab’s nicht. Da hätten wir gleich einpacken können. Aber heute sieht man das ja alles nicht mehr so eng.“
Gerd nickte heftig. „Genauso ist es. Daran krankt unsere Gesellschaft, dass jeder nur an sich selbst denkt. Aber wir sind ja selbst schuld. Wir haben eine Generation von Egoisten groß gezogen. Denen wurde alles zu leicht gemacht, da fehlt der Charakter, die innere Härte. Verhätschelt sind die und maßlos verzogen. Keiner ist mehr bereit, Verantwortung für irgendetwas zu übernehmen. Wenn sich das nicht schnellstens ändert, geht alles den Bach runter.“
Er schaute sich Beifall heischend um, aber Walter beäugte weiterhin fasziniert das Golfspiel der Damen, und Alfred war wie so oft geistig abwesend.
„Was machen wir denn jetzt?“ Nervös spielte Gerd mit seinem Handy.
Die beiden Damen waren in einer Bodenwelle verschwunden, und Walter drehte sich zu seinen Kumpels um. „Heimfahren, was sonst?“ Er zuckte mit den Schultern.
Aber keiner bewegte sich von der Stelle.
„Mir war langweilig“, sagte Alfred plötzlich in die Stille hinein.
„Dir ist doch immer langweilig.“ Gerd hatte keine Lust auf die Jammerarie, die jetzt wohl mal wieder fällig war.
„Du hörst nicht zu. Das ist auch so eine neumodische Krankheit, dass keiner richtig zuhört. Ich hab gesagt: Mir war langweilig.“
„Und dann hast du in der Nase gebohrt und dir den Finger verstaucht.“ Gerds Stimme troff vor Ironie.
„Wenn es euch nicht interessiert…“ Beleidigt wandte sich Alfred ab.
„Nun erzähl schon“, gab Walter ihm endlich das erhoffte Stichwort.
„Und dann hab ich angefangen, ein bisschen Erde zu schieben.“ Alfreds Augen funkelten plötzlich.
„Haste wieder mal mit dem Bagger im Sandkasten gespielt?“ Gelangweilt schaute Gerd auf das Display seines Handys.
„Ich hab einen ziemlich großen Bagger, wie du weißt.“ Alfred ließ sich nicht beirren.
„Ja und?“, hakte Walter nach. Besser, man brachte es hinter sich. Der Lange hatte manchmal völlig abgedrehte Ideen, vielleicht konnte er etwas zur allgemeinen Aufheiterung beitragen.
Alfred drehte seinen Kopf demonstrativ in Richtung Driving Range und grinste.
Gerd und Walter starrten ihn verständnislos an.
„Hast du nervöse Zuckungen?“ Genervt klappte Gerd sein Handy zu.
Wieder diese ruckartige Kopfdrehung, und endlich schwante Walter etwas.
„Die Driving Range?“, fragte er gedehnt.
Alfred nickte heftig.
Jetzt fiel der Groschen. „Du baggerst doch nicht etwa an einer Driving Range?“ Walter schaute ihn entgeistert an.
Alfred strahlte wie ein kleiner Junge.
Auch Gerd durchzuckte es jetzt. „Im Ernst? Du baust wirklich eine Driving Range?“
„Nein, aber eine Spielbahn. Es ist natürlich erst der Anfang. Ich hab das Feld hinten am Ortsausgang ein bisschen eingeebnet. Und eine erhöhte Plattform gebaut, so was wie einen Abschlag.“
„Ist das nicht Walters Acker?“ Plötzlich war Gerd sehr interessiert. Er stieß Walter seinen Ellenbogen in die Rippen. „Komm, das schauen wir uns an.“