Читать книгу Herrengolf und andere Irrtümer - Rotraut Mielke - Страница 5
4.
ОглавлениеEine knappe Stunde später standen die drei Freunde am Ort des Geschehens. Es war nicht wirklich viel zu sehen, aber mit etwas Fantasie konnte man sich durchaus einen passablen Abschlag vorstellen.
Walter staunte. „Wann hast du das denn alles gemacht?“
„Gestern Mittag.“ Alfred gab sich bescheiden. „Das war keine große Sache.“
„Und wie geht es jetzt weiter?“, fragte Gerd, dessen Augen flink über das Areal huschten. Er wusste nicht genau, wo Walters Besitz endete, aber soweit er blicken konnte, war alles mit Brachland bedeckt, das vermutlich dem Freund gehörte.
Alfred zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Mir war nur so langweilig, und da habe ich halt mal was gemacht.“
In Gerd baute sich allmählich eine Erregung auf, die sich durch hektisches Hin- und Herlaufen Luft verschaffen musste. Er warf einen Blick auf Walter, der es sich auf einem großen Feldstein gemütlich gemacht hatte und einer Lerche nachschaute, die hoch in der Luft unermüdlich zwitscherte und sang. Diese zwei Schlafmützen! War sich denn keiner der Bedeutung dieses Moments bewusst? Genau jetzt, in diesem historischen Moment, wurde die Idee zu etwas ganz Großem geboren. Visionsartig schoss ihm durch den Kopf, was das alles nach sich ziehen konnte: Neue Arbeitsplätze, Prestige, Umsätze, Steuerzuwachs – es war einfach gigantisch. Es haute ihn fast um, als er am Ende seiner Gedankenkette angelangt war. Das hier war eindeutig der Weg zum Bürgermeisteramt, der Schlüssel zum Rathaus.
„Wisst ihr eigentlich, was ihr hier seht?“, flüsterte er mit vor Aufregung heiserer Stimme.
„Eine ziemliche Sauerei, würde ich sagen. Schau dir nur mal den Schlamm an“, kommentierte Walter trocken.
„Oh nein! Ihr seht genau hier die Anfänge des Golfplatzes Gelnhausen.“
Zwei Köpfe ruckten herum.
Nach einer Schrecksekunde fing Alfred an zu lachen. „Du spinnst doch.“
Walter ließ sich mehr Zeit, um über Gerds Satz nachzudenken. „Wieviel Platz braucht man eigentlich für einen Golfplatz? Und was könnte so was kosten?“
Ausgerechnet Walter, der sonst manchmal eher langsam im Denken war, hatte es voll erfasst. Begeistert klopfte Gerd ihm auf den Rücken. „Das werden wir alles noch herausfinden. Stellt euch das doch nur mal vor: Keine langen Anfahrten mehr. Keine arroganten Tussis im Clubhaus, die unsere Tee Time verbummeln.“ Er lachte fröhlich. „Uns gehört dann schließlich der Platz, und wir können spielen, wann immer wir wollen.“
Er sah es schon vor sich, wie die Leute respektvoll zur Seite wichen und Spalier standen, wenn er und seine Jungs zum ersten Abschlag marschierten. Das Clubhaus würde direkt neben der Driving Range liegen. Gute, deutsche Küche würde es geben, nicht so einen italienischer Fraß, wie es ihn heutzutage fast nur noch gab. Eine weitläufige Terrasse, von der aus man den halben Platz überblicken konnte, musste natürlich auch her. Dieser Golfplatz würde die gesamte Region aufwerten, etwas vom Feinsten sein. Und das direkt vor den Toren Frankfurts. Begeistert von seiner brillanten Idee reckte er die Arme in die Luft. Das alles war seinem genialen Geist entsprungen.
„Du siehst aus, als wolltest du gleich abheben“, holte ihn Walter aus seinen Tagträumen.
Gerd starrte ihn verwirrt an. „Aber das muss einen doch einfach vom Hocker reißen“, sagte er in völligem Unverständnis dieses bäuerlichen Phlegmas.
„So langsam kapier ich es auch. Dann kann ich endlich wieder baggern. Sogar sehr viel baggern.“ In Alfreds Augen lag plötzlich ein unternehmungslustiger Glanz. Tschüss, Langeweile! Ade, Altersruhestand! Wieder mit dreckbespritzten Gummistiefeln herumzulaufen, mit den Kumpels ein Bierchen zu zischen, hach, das wäre schön. „Aber wir werden einen ganzen Haufen Kohle brauchen.“
„Nun mal ganz langsam“, stoppte Walter die Gedankenflüge. Er hatte das Gefühl, dass er als einziger noch klar denken konnte. „Das ist doch eine völlig aberwitzige Idee. Keiner von uns hat eine Ahnung davon, wie man so einen Golfplatz anlegt. Geschweige denn betreibt. Ganz davon abgesehen, was das kostet. Und wie wir eine Genehmigung für so was kriegen, wissen wir auch nicht.“
Gerd winkte ab. „Alles machbar.“ Das waren doch nur Kleinigkeiten, die ganz sicher in den Griff zu kriegen waren.
Er sah im Geiste schon die Zufahrtsstraße vor sich, vielleicht würde sie sogar nach ihm benannt werden. ‚Gerd-Scheurich-Allee‘, das hatte was. Dankbar würden sie ihm alle sein, ihn förmlich dazu drängen, den Bürgermeisterposten anzunehmen. Sein Blick verfinsterte sich kurzzeitig, als er an seinen Erzfeind Schneider dachte. Der sollte am besten direkt auswandern, denn wenn er erst einmal am Ruder war, würde der keinen Fuß mehr auf die Erde kriegen.
„Das ist doch ausgemachter Blödsinn.“ Walter ließ sich von Gerd Beschwichtigungen nicht beirren. „Wenn ich das richtig verstehe, wollt ihr diesen Golfplatz genau hier bauen. Aber bevor Alfred auch nur eine weitere Baggerschaufel in meinen Grund und Boden versenkt, habe ich ein gewichtiges Wörtchen mitzureden.“ Er verschränkte die Arme vor der Brust und starrte Gerd in die Augen.
Du sturer Kerl, dachte der, auch du wirst noch kapieren, dass das der Grundstein für ein Vermögen ist. Aber im Moment war da nichts zu machen, und so gab Gerd erst einmal klein bei.
„Hahaha“, lachte er gekünstelt. „Da bist du mir aber schön auf den Leim gegangen. Das war doch nur so daher gesagt. Da braucht es schon ganz andere als uns drei, um so etwas auf die Beine zu stellen. Und außerdem weiß ich ja, wie sehr du an deinem Land hängst. Das würdest du doch nie und nimmer für einen Golfplatz hergeben.“
Das saß und sollte genügen, um Walter und Alfred zum Nachdenken anzuregen. Nun musste er sich in Geduld fassen und abwarten, bis die beiden das Ganze in aller Ruhe überlegt hatten.
***
Obwohl in den nächsten Tagen keinem der drei Herren das G-Wort über die Lippen kam, spukte es natürlich ständig in ihren Köpfen herum.
Stirnrunzelnd betrachtete Marion einen ganzen Haufen bekritzelter Zettel, den ihr Mann auf dem Wohnzimmertisch hatte liegen lassen. „Was malst du da eigentlich“, fragte sie ganz beiläufig.
„Nichts. Das sind nur so Ideen.“ Alfred knüllte die Blätter zusammen und warf sie in den Papierkorb.
Marion glaubte ihm natürlich kein Wort. Und sie beobachtete, wie er wenig später klammheimlich die Zettel wieder aus dem Abfall hervorholte und in der Schublade seines Nachttischs versteckte. Allerdings ergab selbst eine genaue Untersuchung keine Erkenntnisse. Da gab es Bögen und Kurven und straffierte Flächen, die mit Sternchen und Dreiecken verziert waren. Es war ein vollkommenes Rätsel. Eindeutig war da etwas im Busch. Aber was?
Alfred war keiner, der viel redete. Marion wusste, dass sie abwarten musste, bis er endlich sein Ei gelegt hatte. Dann würde er auch anfangen zu gackern.
Über mangelnde Kommunikation konnte sich Marlene nicht gerade beschweren. Ganz im Gegenteil, wenn Gerd schon immer wie ein Wasserfall alles Mögliche von sich gegeben hatte, so wurde es nun noch schlimmer. Aber es war nur unzusammenhängendes Gerede, das sie nicht verstand. Er schien von einer fixen Idee besessen zu sein, die ihn offenbar sogar bis in seine Träume verfolgte. Jedenfalls wachte sie ein paarmal auf und hörte, wie er im Schlaf redete. Sie verstand allerdings nur ein paar Satzfetzen, in denen sich die Wörter ‚Bürgermeister‘ und ‚Allee‘ regelmäßig wiederholten. Maßlos enttäuscht musste sie feststellen, dass sein Interesse an ihr nun auf den absoluten Nullpunkt gesunken war. Egal, was sie versuchte, er behandelte sie wie Luft. Frust und Zorn über den nachlässigen Ehemann erreichten ein neues Allzeithoch. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis der Kessel überkochte.
Walter ruhte wie immer ganz in sich. Wenn überhaupt etwas auffällig war, dann die Tatsache, dass er häufiger als sonst in seiner Lieblingspose auf der Terrasse seines Häuschens verharrte. Er hatte eindeutig etwas von einem hessischen Buddha, wie er, die Hände unter seinem Bauch gefaltet, völlig regungslos da saß und Löcher in die Luft starrte. Sein Gesicht war entspannt, und ein leichtes Lächeln umspielte seinen Mund, während er diese Sache mit dem Golfplatz von allen Seiten ausführlich bedachte. Es wäre schön, wenn die brach liegenden Felder endlich wieder sinnvoll genutzt würden. Saftiges Grün statt stoppeligem Unkraut, das war eine Vorstellung, die ihm sehr behagte.
Und es gab noch einen zweiten Punkt, der ihn beschäftigte. Ein Golfplatz musste organisiert werden, und besonders aufs Geld musste jemand ein scharfes Auge haben. Wer war besser dafür geeignet als Ben? Wenn man ihm die gesamte Finanzierung dieses Projektes übertrug, würde das ein Quantensprung für die Karriere sein. Dieser Gedanke gefiel Walter immer besser, je länger er darüber nachdachte. Ben war einfach ein feiner Kerl und zudem bestimmt äußerst tüchtig. So jemanden musste man doch einfach ins Boot holen.