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3. Forschungsobjekt

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»Das ist unglaublich.«, wiederholt Sam zum dritten Mal.

Vilca sitzt zusammengekauert auf der Liege in der Krankenstation und vergräbt ihr Gesicht in den Händen.

»Bitte überprüfe es noch einmal. Das kann nicht sein. Mach ein anderes Ergebnis. Irgendwie. Bitte!«, fleht sie, ohne aufzublicken.

Sam setzt sich neben das Häuflein Elend, legt seinen Arm um Vilca und drückt seine Freundin an sich. Als Reaktion erhält er lautstarkes Schluchzen.

»Warum ist bei mir immer etwas abnormal? Ich will kein Monster sein. Ich möchte normal sein. Nichts weiter. Einfach nur normal.«

Er versucht, seine Freundin zu beruhigen. Da er nicht weiß, was er sagen soll, beschränkt er sich erst einmal darauf, ihr sanft über den Rücken zu streicheln. Das Ergebnis der Untersuchung verwirrt ihn. Biologisch ist es unmöglich, aber die Fakten sind eindeutig. Es gibt nur eine logische Schlussfolgerung.

»Du bist etwas Besonderes. Gerade deswegen mag ich dich so, Sternchen. Ich liebe dich, wie du bist.«

»Das sagst du nur so. Gib zu, du hast Angst vor mir.«, erwidert sie unter Tränen.

»Ich? Angst? Aber ganz und gar nicht. Wieso denn?«

»Frag nicht so blöd. Weil ich Gedanken lesen und es nicht kontrollieren kann.«, schreit sie aufgebracht. Vilca reißt sich los und springt auf.

»Verstehst du denn nicht? Ich bin der einzige Telepath auf Erden. Wenn sich das rumspricht, wird alle Welt wissen wollen, wie das funktioniert. Sie stecken mich in ein Labor und nehmen mich auseinander, testen und analysieren mich, bis sie es herausgefunden haben.«

Vilca ist völlig aus dem Häuschen.

»Du weißt doch, wie das läuft. Für die bin ich kein Mensch, sondern nur ein Forschungsobjekt. Andere Menschen werden entweder Angst vor mir haben oder verlangen, dass ich Gedanken für sie lese. So will ich nicht leben. Lieber sterbe ich.«

Bevor Sam reagieren kann, stürmt Vilca aus dem Labor und knallt die Tür hinter sich zu. Da er lediglich einen Schritt hinter ihr ist, prallt er im vollen Lauf gegen die Tür und holt sich eine blutige Nase. Vor lauter Sorge um seine Geliebte nimmt er den Schmerz nicht wahr. Eine Blutspur hinter sich her ziehend rennt er seiner Freundin nach. Als er die Tür zu ihrer Suite erreicht, ist sie bereits abgeschlossen.

»Sternchen, mach auf!«, ruft Sam und klopft an die Tür.

»Oh Gott, was ist denn hier passiert?«

Aya steht hinter ihm. Er dreht sich zu ihr um.

»Sam, du blutest ja. Was ist geschehen? Habt ihr euch gestritten?«

»Nein! Vilca ist ... Sie hat ...« Sam unterbricht sich und starrt auf seine blutige Hand. Erst jetzt nimmt er die Verletzung seiner Nase wahr. Er schaut Aya verwirrt an. Diese schüttelt den Kopf.

»Ich hole den Verbandskasten.«

Sie ist schon ein paar Schritte gegangen, als er sich in Bewegung setzt. »Ich komme besser mit.« Sam beschleunigt und schließt auf.

»Was ist denn passiert?«, fragt sie besorgt, als sie auf gleicher Höhe sind.

»Hast du zufällig ein Tuch oder so etwas? Meines ist bereits total durchnässt.«

Die Samariterin reicht ihm ihr Taschentuch.

»Soll ich mit ihr reden?«

»Auf keinen Fall!«, erwidert er scharf.

Aya zuckt vor Schreck zusammen.

»Entschuldigung, ich habe es ja nur gut gemeint.«

»Das ist sehr freundlich von dir.«, ergänzt Sam ruhiger. »Aber das ist eine Sache zwischen Vilca und mir. Das müssen wir beiden unter uns ausmachen.«

Sam eilt voraus und erreicht die Krankenstation vor der Chinesin. Er verschwindet darin, ohne ihr eine Chance zu geben mitzukommen. Perplex steht sie vor der verschlossenen Tür.

»Sam, was ist denn los mit dir? Lass mich dir wenigstens helfen, deine Nase zu verarzten.«

»Nicht nötig.«, ertönt es von drinnen.

Die Chinesin bleibt skeptisch.

»Wie du meinst. Mein Angebot steht. Du weißt ja, wo du mich findest. Der Bunker ist zwar geräumig, aber hier ist noch keiner verloren gegangen.«

»Ich weiß dein Angebot zu schätzen, liebe Aya.«, sagt er freundlich. Durch die Tür klingt seine Stimme gedämpft. »Wenn es geht, wäre ich jetzt gerne einen Moment alleine. Ich hoffe, du verstehst das.« Mit einem Klick verriegelt er die Tür von innen.

»Schon gut, ich habe verstanden.«

Sie schüttelt den Kopf und wendet sich ab. Auf dem Weg in den Gemeinschaftsraum achtet Aya sorgfältig darauf, nicht in die Blutspuren zu treten.

Sam sieht sich im Labor um. Auf keinen Fall darf Aya den Raum so sehen. Beinahe jedes Gerät hatten sie eingesetzt, um ihre Denkorgane zu untersuchen. Sämtliche Bildschirme zeigen Gehirnscans. In einer Ecke schwebt eine dreidimensionale Darstellung von Vilcas Gehirn mit einer Unzahl Analysedaten. Zum Vergleich daneben das von Sam.

Nachdem er seine Nase mit einer Kompresse versorgt hat, beginnt Sam alle Spuren ihrer Aktivitäten zu löschen und räumt die Station auf. Er lässt sich Zeit. Sein Verstand läuft auf Hochtouren. Wie kann er seiner Liebsten helfen?

***

»... sieht übel aus. Ich glaube, die beiden hatten Streit. Da müssen die Fetzen geflogen sein. Sam hat ordentlich was abbekommen. Wie ...?« Vilca stockt der Atem, als sie das hört. Was ist passiert, fragt sie sich. Wieso weiß Aya davon? Sam hat doch nicht ...

»Vilca, da bist du ja!«, ruft die Sprecherin aus dem Gemeinschaftsraum.

Dort sitzen sie locker versammelt und starren sie an. Aya und Urs aneinandergekuschelt auf der Couch und Paul in einem Ledersessel. Alle gut versorgt mit Knabberzeug und Drinks. Wie im Kino, mit ihr auf der Leinwand als böse Nebendarstellerin, die gerade der beliebten Hauptdarstellerin den Geliebten ausgespannt hat. Zu allem Überfluss dröhnt auch noch Say My Name von Destinys Child aus dem Lautsprecher.

»Wir haben uns schon Sorgen um dich gemacht.«

Die Sängerin würde am liebsten im Boden versinken. Nachdem sie entdeckt wurde, ist es zu spät sich zu verstecken.

»Sorgen um mich? Wieso?«

Vilca gibt sich Mühe, gelassen zu wirken. So aufgewühlt fällt ihr das nicht leicht. Gerade hatte sie sich so weit beruhigt, dass sie sich in der Lage fühlte, mit ihrem Freund über ihr Problem sachlich zu sprechen. Sie bedauert, nicht besser aufgepasst zu haben. Sie weiß doch, dass der Weg zurück zur Krankenstation am Gemeinschaftsraum vorbeiführt. Schlauer wäre gewesen, sich vorbeizuschleichen. Am besten mit einem von Sams Tarnmänteln.

»Vilca, Sams blutende Nase ist nicht zu übersehen. Komm, setz dich zu uns und erzähl was passiert ...«

»Blutende Nase?« Es dauert einen Moment, bis sie kapiert. »Ihr glaubt doch nicht, dass ich ...?« Nach Auswertung der auf sie gerichteten Blicke fügt sie frustriert hinzu: »Doch, das tut ihr.«

Dann sprintet sie los. Wenige Sekunden später klopft sie hektisch an die Tür, hinter der sie ihren Freund vermutet. Ihr Herz pocht bis zum Hals.

»Wer ist da?«, tönt es von innen.

»Sam, ich bin’s«, flüstert sie. »Mach auf!«

Vilca glaubt, Schritte zu hören, die sich nähern. Sie schaut sich um, der Gang ist leer. Noch.

»Schnell!«, fügt sie hinzu.

Endlich öffnet er die Tür. Vilca saugt scharf die Luft ein, als sie die blutgetränkte Kompresse sieht, die er sich vor die Nase hält. Dann drängelt sie sich an ihm vorbei in die Krankenstation.

***

»Glaubst du, es hat etwas mit den Symbots zu tun?«, fragt Vilca später, nachdem sie die Nase ihres Freundes verarztet hat.

Sam liegt flach auf der Behandlungsliege, um die Blutung zu reduzieren. Vilcas Frage nach seiner Erfindung beschäftigt ihn. Nach Faktenlage gibt es in ihrem Gehirn keine Symbots. Dafür veränderte Neuronen. Mit diesen Neuronen kann sie sich entweder über einen Computer ins Cybernet einklinken oder am Holoport vorbei direkt mit anderen Symbots kommunizieren. Das hatte er nicht vorgesehen. Dadurch wird eine unmittelbare Verbindung von Gehirn zu Gehirn ermöglicht, die ihr erlaubt, Gedanken zu lesen. Sam zieht die Augenbrauen hoch.

»Du bist besser in Biologie als ich. Du kennst die Antwort.«

Resignierend sinkt die unfreiwillige Telepathin in einen Stuhl.

»Natürlich.«, seufzt sie. Vilca sucht nach Worten. »Sam, du hast doch sonst immer so geniale Einfälle. Du hast die Symbots erfunden. Hast du denn gar keine Idee, wie man das wieder rückgängig machen kann?«

Die Frage kommt überraschend für Sam. Er überlegt, sie schaut ihn erwartungsvoll an.

»Ich fürchte nicht. Die Symbots sind so designt, dass sie sich an die Nervenzellen im Gehirn anbinden. Ihre Aufgabe ist, elektrische Signale per Funk zwischen den Neuronen und dem Holoport zu übertragen. Der wiederum verbindet sich mit dem Cyberspace. Bei dir haben sich die Neuronen verändert. Symbots und Neuronen sind zu einer Einheit geworden. Ich wüsste nicht, wie man das rückgängig machen kann.«

»Ich auch nicht.«, gibt sie zu. »Aber vielleicht kann man es blockieren?«

»Du meinst die Verbindung zwischen deinen Neuronen und den Symbots eines anderen Gehirns?«

»Genau, das ist es.« Hoffnung keimt in den smaragdgrünen Augen auf.

Sam steht auf und geht zu Vilca.

»So einfach geht das nicht. Ich fürchte, du musst lernen damit zu leben.«

»Das will ich aber nicht. Ich ...«

»Doch das willst du.«, sagt er bestimmt.

»Wieso? Nein, will ich nicht.«, trotzt Vilca mit verschränkten Armen zurück.

»Was ist so schlimm daran?«

»Ich habe Angst davor ausgegrenzt zu werden, wenn das bekannt wird. Ich will als Mensch angesehen und behandelt werden. Nicht als ein exotisches Ausstellungsstück oder so etwas.«

Der Erfinder lächelt sie aufmunternd an.

»Bisher wissen nur wir beide davon. Von mir wird ganz gewiss nie jemand davon erfahren. Außerdem, wer hat gesagt, du musst mit einem Schild um den Hals herumrennen, wo draufsteht »Ich kann Gedanken lesen« ?«

»Niemand.«, bestätigt sie. »Aber solange ich das nicht kontrollieren kann ...«

»Genau das ist der Punkt.« Sein Lächeln wandelt sich zu einem schelmischen Grinsen. Genüsslich macht er sich an ihrer Bluse zu schaffen.

»Hey«, warnt sie. »Das ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt. Ich bin nicht in der Stimmung für sowas.«

Vilca greift nach seinen Händen, um sie zu stoppen.

»Sternchen, entspann dich! So verkrampft kann ich dich nicht trainieren.«

»Mich trainieren?« Vilca ist ein einziges Fragezeichen.

Sam küsst ihre Hände. Seine Lippen arbeiten sich zu ihrer Ellenbeuge hoch.

»Hör auf«, kichert sie. »das kitzelt.« Sie zuckt, entwindet sich aber nicht seinem Griff.

»Möchtest du nicht lernen, deine Gabe zu kontrollieren?«

Vilca überlegt. Ihr Gesicht spiegelt ihre Gefühle wider. Sam wartet geduldig, bis sie antwortet. »Wenn es keine Möglichkeit gibt, das abzuschalten, dann muss ich ja wohl. Also ja.«

»Na dann, lass uns anfangen.«

»Gut, wenn du meinst. Aber wieso darf ich dafür meine Bluse nicht anlassen?«, beschwert sie sich.

»Die brauchst du nicht für das Training. Den Rock übrigens auch nicht.«

»Samuel Niyol Lee! Jetzt aber mal ernst. Was hast du mit mir vor? Nach Telepathietraining sieht das nicht gerade aus.«

»Doch! Genau so steht es im Handbuch!«

»Welches Handbuch? Das Kamasutra ist wohl kaum der richtige Ratgeber für Telepathen.«

Nachdem er Vilca vollständig entkleidet hat und bei ihr der Groschen immer noch nicht gefallen ist, beginnt Sam lasziv sein Hemd auszuziehen.

»Auf Seite eins des Kamasutra steht: »Man bringe die Telepathin in den Zustand, der sie befähigt Gedanken zu lesen.« Bei dir heißt das bekanntermaßen starke Erregung.«

Endlich geht sie auf ihn ein.

»Ach, so meinst du das. Du glaubst also im Ernst, du darfst mit mir eine Sexorgie nach der anderen veranstalten und kannst das ungeniert als notwendiges Training deklarieren?«

Sie wirft ihm einen Blick zu, der nach Sams Meinung mehrere Interpretationen zulässt. Der Telepathietrainer entscheidet sich für die Variante: Da bin ich aber gespannt, was du dir alles einfallen lässt, damit mir dabei nicht langweilig wird.

»Genau, mein Blondchen.«

»Vorsicht, mein Lieber. Wut ist auch ein Zustand starker Erregung.« Vilcas Augen funkeln.

Sam entledigt sich demonstrativ seiner Hose. »Das kannst du dir nicht leisten.«

»Wart’s ab«, warnt sie.

»Nein. Denk an dein Image. Im Moment glaubt hier jeder, du hättest mich geschlagen.«

»Vorsicht! Ist der Ruf erst ruiniert, ...«

»... lebt sich’s gänzlich ungeniert.«, beendet Sam die Redensart. Mit diesen Worten fällt sein letztes Kleidungsstück. »Also, was ist jetzt? Meldest du dich freiwillig zum Telepathietraining oder muss ich dich erst fesseln und knebeln?«

Evolution 5.0 - Selektion

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