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5. Recherchen

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Am frühen Morgen des nächsten Tages genügt eine Flasche Schnaps, um in die Stadt zu kommen. Nichts weiter. Sam gibt sie dem Wächter, der immer noch so grimmig dreinblickt wie gestern. Der deutet ein Nicken an und lässt die Flasche in den Tiefen seines Wachhäuschens verschwinden. Danach müssen sie sich trotzdem registrieren lassen, aber die Formalität besteht lediglich aus einem Namenseintrag in einer Liste. Nicht einmal ihre Ausweise will man sehen. Es ist Markttag und der Andrang ist beachtlich. Deshalb fallen die drei Fremden nicht auf.

In Kellinghusen angekommen, statten sie zuerst dem Markt einen Besuch ab. Die Auswahl an Lebensmitteln ist übersichtlich, die Qualität schlecht und die Menge überschaubar. Dafür gibt es umso mehr Menschen, die alles Mögliche an Kleidung, Werkzeugen, Büchern, Alkohol, Zigaretten, Porzellan und vieles mehr mitgebracht haben und nun versuchen, dafür möglichst viele Nahrungsmittel zu bekommen. Sehr erfolgreich sind sie damit nicht. Die wenigen Anbieter sind eindeutig im Vorteil.

Es gibt auch einen Stand mit Treibstoffen und Öl. Sam beobachtet das Treiben dort für eine Weile und stellt fest, dass die paar, die an dieser Verkaufsbude etwas mitnehmen, alle mit Gold bezahlen.

Danach erkunden die Freunde den Gasthof Zur Post. Mit sicherem Gespür besorgt sich Urs beim Wirt an der Theke gegen Gold einen Oldesloer Kümmel, wählt einen Tisch mit zwei Bauern aus, stellt die Flasche darauf und fragt, ob sie sich dazusetzen dürfen.

Die Kleidung der Bauern ist abgetragen, ungewaschen und sie riechen nach Kuhstall. Sam schätzt ihr Alter auf einen niedrigen Sechziger-Wert. Einer von ihnen hat einen Bart. Beide sind abgemagert und haben den typischen Haarkranz älterer Männer. Er betrachtet sie und stutzt. Sam fragt sich, was mit ihnen nicht stimmt. Während er noch darüber grübelt, ist Urs fleißig beim Einschenken. Der Bärtige starrt ihn an. Er deutet mit dem Finger auf ihn.

»Trägst du etwa einen Holoport?«

So wie der Landwirt ihn anschaut, sträuben sich Sams Nackenhaare. Deshalb beschließt er, vorsichtig zu sein.

»Nein, ich habe keinen Holoport. Wie kommst du darauf?«

»Hm, ich dachte, ich hätte da was gesehen.«

Er steht auf, beugt sich über den Tisch zu Sam und inspiziert dessen Kopf von links und rechts. Sam rührt sich nicht und lässt ihn gewähren. Er verlässt sich auf sein sündteures Hochtechnologie-Holoport, das mit einer Schicht aus Metamaterial überzogen ist, die das Licht herumleitet. Es ist unsichtbar. Man müsste schon in den Haaren herumtasten, um es zu finden. Der Bauer erweckt den Eindruck, genau das zu tun. Da bekommt Sam unerwartet Rückendeckung.

»Lass ihn in Ruhe, Elias. Der Typ sieht ganz und gar nicht danach aus. Und die anderen auch nicht.«

Elias dreht sich dem Sprecher zu. Dabei fällt sein Blick auf die vollen Schnapsgläser. Sofort verändert sich sein Ausdruck. Es wirkt, als würde er aus einer anderen Welt zurückkehren. Seine Hand greift nach dem Oldesloer Kümmel und hält ihn fest.

»Du hast recht, Noah. Der sieht tatsächlich nicht so aus. Ich weiß auch nicht, was ich glaubte, da gesehen zu haben. Das liegt alles an dem verfluchten Cyber-Blackout. Seit dem ist nichts mehr so, wie es sein sollte. Ich bin nicht der Einzige, dem das Gehirn hin und wieder einen Streich spielt.«

Er schüttelt den Kopf. Dann hebt er das Glas und leert es in einem Zug. Noah beeilt sich gleichzuziehen. Urs schenkt nach.

»Es wäre auch dumm, so einen Holoport zu tragen.«, brummt Elias hinterher. »Abgesehen davon, dass er nicht funktioniert, ist er auch verboten. Die Einzigen, die das dürfen, sind die von Militär und Polizei.«

»Und die Spitzel.«, ergänzt Noah.

»Spitzel? Welche Spitzel?«, fragt der Bärtige. »Ich habe noch nie einen gesehen. Du etwa?«

Noah kratzt sich am Kinn.

»Nein, aber es muss welche geben.«

Elias zuckt mit den Schultern und leert auch das zweite Glas in einem Zug. Noah zögert, dann zieht er gleich.

»Wieso muss es welche geben?«, erkundigt sich Urs betont beiläufig. Gleichzeitig schenkt er wieder ein.

»Na, weil die alles wissen.«

»Ach so.«, antwortet Urs. »Das ist aber nichts Neues. Es gab schon immer welche, die alles wissen. Es kommt darauf an, was mit dem Wissen passiert.«

»Genau das ist das Problem.«, stimmt Elias zu und kippt den dritten Kümmerling hinunter.

»Genau!«, pflichtet Noah bei und leert auch sein Glas.

Danach fließen die Informationen in Strömen. Die beiden erweisen sich als wahre Goldgrube für die Art von Auskünften, hinter denen Sam, Urs und Vilca her sind.

Eine gute Stunde später wissen sie Bescheid. Die Menschen teilen die Zeit in vor und nach dem Cyber-Blackout ein. Der weltweite elektromagnetische Impuls hat, wie erwartet, zu einem Totalausfall der Kommunikation, der Energie- und der Informationsversorgung geführt. Auch das Chaos danach, die Plünderungen und Gewalttaten überraschen sie nicht. Erstaunlich ist allerdings, wie schnell das Militär und die Polizei eingegriffen und Recht und Ordnung wieder hergestellt hatten. Sie verfügen über funktionierende Infrastruktur, Treibstoff, Kommunikationsgeräte und Fahrzeuge. Sie scheinen alles zu wissen, haben detaillierte Informationen über jeden einzelnen, wissen über seine Vorlieben und Schwächen Bescheid und wo er zu finden ist.

Das Militär und die Polizei übernahmen zuerst die Kontrolle über die Lebensmittel- und die Energieversorgung. Beides wird über entsprechende Berechtigungsscheine zugeteilt. Um diese zu bekommen, muss man sich verpflichten, die zugewiesenen Tätigkeiten und Arbeiten auszuführen. Die Erfüllung wird streng kontrolliert. Wer über dem Soll liegt, bekommt etwas mehr, aber das Soll ist für viele so hoch angesetzt, dass kaum eine Chance besteht, es zu erreichen. Wer darunter liegt, bekommt entsprechend weniger. In der Praxis bedeutet das, man hat zu wenig zum Leben.

Keiner kann dem System entrinnen. Fast alle Versuche, Lebensmittel oder Treibstoffe zu stehlen oder um das Kontrollsystem herum etwas für sich abzuzweigen, scheitern. Jeder, den sie erwischen, wird streng bestraft.

Die Bauern können sich nicht erklären, wie das alles möglich war. Insbesondere verstehen sie das System der Zuteilung nicht. Für die Mehrheit ist es einfach, das zugewiesene Soll zu erfüllen, aber für viele andere ist es praktisch ausgeschlossen. Sich darüber zu beschweren oder zumindest eine Erklärung zu bekommen, ist unmöglich. Wer das Soll nicht erfüllt, wird einfach sich selbst überlassen, was in vielen Fällen einem Todesurteil gleichkommt. Besonders in den Großstädten hat kaum jemand etwas übrig, um mit anderen teilen zu können.

***

Zurück im Bunker erzählen die drei von ihrem Ausflug in das Dorf. Aya und Paul hören gespannt zu. Sie nehmen die Informationen einfach auf, ohne Fragen zu stellen. Nachdem Sam seinen Bericht beendet hat, schauen sie sich eine Weile nachdenklich an. Urs ist der Erste, der das Schweigen bricht.

»Ich hätte nie gedacht, dass das Militär und die Polizei die Situation so schnell in den Griff bekommen. Es klingt fast so, als wären sie auf diesen EMP vorbereitet gewesen. Anders kann ich mir das nicht erklären.«

»Das kann nicht sein.«, widerspricht Paul. »Mir ist kein Katastrophenszenario für diesen Fall bekannt.«

Vilca zuckt nur mit den Schultern.

»Mir auch nicht, aber das muss beileibe nicht heißen, dass es nicht doch eins gibt.«

»Und was machen wir jetzt?«, fragt Aya.

Urs entscheidet sich für das Nächstliegende.

»Erst mal abendessen.«

Aya rollt mit den Augen. »Du denkst auch immer nur an das eine.«

»Nein, ich denke gerade an das andere. Das eine kommt dann danach.«

Sam seufzt innerlich. Urs nimmt die Situation nicht so Ernst, wie er sollte. Bevor die Konversation noch weiter abdriftet, entschließt er sich, das Thema zu wechseln.

»Morgen bauen wir die Antennen fertig auf. Mal sehen, was wir über Funk in Erfahrung bringen können.«

***

Am nächsten Nachmittag versammeln sie sich im Bunkerholovers, um den Funkverkehr auszuwerten. Die meisten Übertragungen sind verschlüsselt. Sam und seine Freunde verfügen zwar über genug Rechenleistung und Entschlüsselungswerkzeuge, um die Nachrichten zu dekodieren, aber es kostet etliche Stunden Zeit pro Nachrichtenkanal. Trotzdem machen sie sich die Mühe. Es gibt kaum Unterhaltung und keine Werbung. Das verwundert nicht, da praktisch alle Empfangsgeräte, die früher genutzt worden waren, um News und Informationen zu konsumieren, durch den EMP unbrauchbar wurden.

Nach ein paar Tagen haben sie genug Nachrichten entschlüsselt, um sich ein Bild zu machen. Fast der gesamte Funkverkehr besteht aus Kommunikation zwischen den Ordnungskräften, aus Steuerbefehlen und Statusmeldungen. Meistens geht es um die Verteilung lebenswichtiger Güter und um die Zuteilung von Energie. Sie werden Zeugen, wie Durchsuchungen und Verhaftungen angeordnet werden, wie Einsatzkräfte losgeschickt werden, um Protestaktionen aufzulösen oder Aufstände niederzuschlagen und etliches mehr.

»Es ist schon erstaunlich,«, stellt Sam schließlich fest, »wie gut die Regierungsstellen und Behörden miteinander vernetzt sind. Alle arbeiten mustergültig zusammen und die Organisation klappt reibungslos. So hätte man sich das schon immer gewünscht. Das ist so perfekt, dass es schon wieder verdächtig ist.«

»Wieso?«, fragt Aya. »Was stört dich daran? Endlich läuft einmal etwas in unserem Staat gut und jetzt ist es auch wieder nicht okay. Sonst hast du keine Gelegenheit ausgelassen, dich über die schlechte Organisation und Kooperation zwischen den einzelnen Behörden lustig zu machen.«

»Ja, genau deshalb ist das Ganze verdächtig. Wieso läuft es auf einmal so gut?«

»Das ist doch klar. Unter dem Eindruck der Krise blieb unseren Politikern doch gar nichts anderes übrig als zusammenzuarbeiten.«

Vilca nickt Sam zu.

»Ich finde es auch eher unwahrscheinlich, dass Politiker aller Couleur und alle Behörden so reibungslos zusammenarbeiten. In Krisensituationen sind alle unter extremem Stress. Da wäre es ganz normal, dass es hier und da einmal klemmt oder kracht.«

Paul zuckt mit den Schultern.

»Am Anfang vielleicht. Immerhin hatten sie etliche Monate Zeit, um sich einzuspielen.«

»Hmmm…«, brummt Sam, während er die Karte der Umgebung des Bunkers studiert. »Ich bin dafür, noch mehr Informationen einzuholen. Wir sollten dabei so diskret wie möglich vorgehen.« Er tippt mit einem Stift auf die Karte. »Itzehoe und Elmshorn sind zwei und zweieinhalb Stunden Fußmarsch entfernt. Ich schlage vor, wir teilen uns in zwei Gruppen auf und statten denen morgen einen Besuch ab.«

Die anderen nicken. Schnell sind sie sich einig, dass Sam und Vilca nach Itzehoe aufbrechen. Urs, Aya und Paul beschließen, Elmshorn einen Besuch abzustatten.

Evolution 5.0 - Selektion

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