Читать книгу Seewölfe Paket 12 - Roy Palmer, Burt Frederick - Страница 49
3.
ОглавлениеWenn die grimmig blickenden Gesichter der wilden Gestalten an Bord der Karacke es noch nicht getan hatten, so verriet ihnen der Name des Schiffes, den der Kutscher am Heckspiegel entzifferte, deutlich, was sie erwartete.
„L’Exécuteur“, stand dort in großen, verschnörkelten Buchstaben.
„Das heißt ‚Der Henker‘“, sagte Hasard zu seinem Bruder.
„Woher weißt du das?“ fragte Philip zurück.
„Hast du die Galionsfigur nicht gesehen?“ flüsterte Hasard. Seine Augen funkelten vor Abenteuerlust. „Ein Mann mit einer roten Kapuze über dem Kopf und einem Henkersbeil in der Hand.“
Philip nickte. Ihm war die ganze Geschichte so unangenehm wie den anderen Männern. Er konnte Hasards Begeisterung nicht teilen. Ihm wäre es lieber gewesen, Dad hätte es geschafft, die Karacke zu versenken.
Kräftige Arme streckten sich ihnen entgegen, als sie über das Schanzkleid kletterten. Der Kutscher betrat als erster das Deck, dann folgten die Zwillinge und die anderen Männer.
Der Blick des Kutschers glitt sofort zum Achterdeck hinauf. Der Riese mit dem mächtigen Brustkasten, über den das messerbestückte Bandelier lief, lehnte lässig an der Balustrade, die das Quarterdeck zur Kuhl hin abgrenzte.
Hasard stellte sich neben den Kutscher und ließ seinen Blick über das ziemlich verwüstete Deck der Karacke gleiten. Die Großstenge war voll in die Kuhl geschlagen und hatte ein Boot, das auf der Gräting festgezurrt gewesen war, in Kleinholz verwandelt.
Hasard zuckte zusammen, als ein Mann auf ihn und den Kutscher zutrat. Der Kerl war untersetzt und muskulös, wie Hasard noch keinen Mann gesehen hatte. Auf seinen Schultern saß fast ohne Hals ein kahler Kopf. Das Gesicht und auch die Glatze waren mit Pockennarben übersät. Die Haut hatte eine undefinierbare Farbe so zwischen Gelbrot und Graugrün. So ungefähr hatte Hasard sich immer die von den Toten auferstandenen Geister vorgestellt, von denen ihnen Batuti des öfteren berichtet hatte.
Der Unheimliche redete mit gequetschter Stimme auf den Schotten ein, der sich in aller Ruhe anhörte, was der Mann zu sagen hatte. Ehe er antworten konnte, ertönte eine dröhnende Stimme vom Quarterdeck.
„Ecossais!“
Der Schotte wandte den Kopf und starrte den Riesen mit dem roten Kopftuch an.
„Euer Kapitän?“ fragte der Kutscher flüsternd.
Fast ebenso leise gab der Schotte zurück: „Unser Bootsmann. Aber er führt das Schiff.“ Es schien, als ob er noch mehr sagen wollte, doch der Glatzkopf gab ihm einen Stoß in den Rücken, der ihn aufs Quarterdeck zutrieb.
Wütend wandte der Schotte den Kopf und zischte ein paar Worte auf französisch. Der Glatzkopf trat einen Schritt zurück. Seine Hand legte sich auf den Griff eines Entermessers, das in einer Schärpe steckte, die er sich um seinen Wanst geschlungen hatte.
Der Schotte winkte dem Kutscher und den anderen, ihm zum Quarterdeck zu folgen. Der Riese war von der Balustrade verschwunden. Sie sahen ihn erst wieder, nachdem sie den schmalen Niedergang hinaufgestiegen waren. Er stand unterhalb der Poop vor einem großen hölzernen Bottich, den ein paar Männer mit heißem Wasser füllten, das sie von der Kuhl heraufschleppten.
Der Riese streifte sein Bandelier ab und reichte es einem Mann. Dann entkleidete er sich ganz und stieg in den Bottich. Sein braungebrannter Körper war mit Narben übersät.
Hasard riß die Augen auf. So etwas hatte er noch nicht gesehen. Ein Mann, der so viele Narben hatte und immer noch lebte, mußte die sieben Leben einer Katze haben.
Der Schotte wandte sich an die Männer von der „Isabella“ und wies auf den Riesen im Bottich, der sich von einem Mulatten den Rücken einseifen ließ.
„Das ist Le Requin, unser Bootsmann“, sagte er. „Er ist der Herrscher auf diesem Schiff, wenn unser Kapitän nicht mehr geradestehen kann – was meistens der Fall ist“, fügte er leicht grinsend hinzu.
Der Riese grinste ebenfalls.
Der Schotte begann zu erzählen, wo er die Männer aufgelesen hatte. Als er mit seinem Bericht zu Ende war, schwieg der Riese eine Weile. Erst als er sich aus dem Bottich erhob und der Mulatte ihm ein großes Tuch um die Schultern legte, begann er zu sprechen.
„Willkommen an Bord der ‚L’Exécuteur‘“, sagte er in einem akzentfreien Englisch. „Ich kann gute, kräftige Männer gebrauchen. Wenn ihr den Tod nicht scheut, einen heißen Kampf liebt und eine Menge Geld gebrauchen könnt, seid ihr bei mir an der richtigen Adresse. Ecossais wird euch zeigen, wo ihr schlafen könnt.“ Er nickte zu den Zwillingen hin. „Die beiden werden dem Koch helfen.“
Hasard lief rot an.
„Ich geh nicht in die Kombüse!“ stieß er hervor. „Ich kann mit einer Kanone …“
„Wer auf diesem Schiff Widerreden hat, wird ausgepeitscht, gehängt, geköpft und den Fischen zum Fraß vorgeworfen“, sagte der Riese. Er stieg in seine gestreifte Tuchhose und kümmerte sich nicht mehr um die Männer.
Hasard hätte sich fast verschluckt. Sein Gesicht war rot angelaufen. Philip sah, daß sein Bruder fast vor Wut platzte. Er zog ihn schnell hinter den Kutscher zurück.
Sie folgten dem Schotten hinunter in die Kuhl. Die anderen Piraten musterten sie mißtrauisch. Wahrscheinlich hatten sie erwartet, daß Le Requin die Männer töten lassen würde, nachdem er aus ihnen herausgequetscht hatte, was das für ein Schiff gewesen war, das ihnen die Masten zerfetzt hatte.
Der Kutscher konnte ihr Mißtrauen verstehen. Er selbst hatte keine Antwort auf die vielen Fragen, die ihn bestürmten, und er wollte sie auch nicht dem Schotten stellen, auch wenn er das Gefühl hatte, diesem Mann trauen zu können.
Die Karacke war mit den über hundert Mann hoffnungslos überbelegt. Die Männer hatten kaum Platz, sich irgendwo einmal lang auszustrecken. Dennoch hatte der Bootsmann sie aufgenommen. Aus Menschlichkeit? Der Kutscher schüttelte den Kopf. Unter den Flibustiern gab es alles, nur keine Menschlichkeit. Hier galt es, seinen eigenen Vorteil zu wahren und ihn mit allen Mitteln zu verteidigen.
Der Schotte wies ihnen einen Platz im Vorschiff auf dem Hauptdeck an. Überall lag Zeug herum, das irgendeinem der Piraten gehörte. Der Platz war knapp, aber sie begnügten sich damit, weil sie wußten, daß sie Ärger mit der Mannschaft kriegen würden, wenn sie sich ausbreiteten.
Mit zusammengepreßten Lippen starrten sie dem Schotten nach, der die Zwillinge zurück zum Quarterdeck führte, unter dem sich offensichtlich die Kombüse befand.
„Verdammte Scheiße!“ murmelte Matt Davies.
„Das kannst du laut sagen.“ Blacky donnerte seine Faust auf die Planken. „Wir hätten uns doch lieber auf der Insel verstecken sollen. Hasard hätte uns schon wieder herausgehauen.“
„Sie hätten uns erwischt“, erwiderte der Kutscher böse. „Und du kannst sicher sein, daß sie unsere Hälse in die Länge gestreckt hätten.“
„Hört auf“, sagte Stenmark. „Es hilft nichts, wenn wir darüber reden, was gewesen wäre, wenn. Wir müssen das Beste aus der Situation herausholen. Dazu müssen wir zuerst wissen, was auf diesem Kahn eigentlich los ist. Der Bootsmann spielt den Kapitän, und dieser kann nie gerade auf den Beinen stehen. Ich frage mich, warum sich der Bootsmann noch nicht zum Kapitän aufgeschwungen hat. Die Piraten sind doch sonst nicht so zimperlich.“
„Wir müssen vor allem sehen, daß wir die Kleinen im Auge behalten“, warf Matt Davies ein. „Wenn ihnen was passiert, können wir uns auf der ‚Isabella‘ nicht wieder blicken lassen.“
Sie nickten alle. Die Tatsache, daß man die Zwillinge von ihnen getrennt hatte, war das schlimmste für sie. Wer konnte wissen, wie die Piraten auf Hasards Streiche reagierten? Und daß der Knabe die Puppen tanzen lassen würde, nachdem er nicht mehr unter Aufsicht war, davon waren sie alle überzeugt.
„Dieser Schotte hat irgend etwas mit uns vor“, murmelte Stenmark. „Ich hab von Anfang an das Gefühl gehabt, daß wir in sein Spiel passen. Warum sonst hat er den kleinen Giftzwerg mit der Riesennase davon abgehalten, den Kutscher zu massakrieren?“
„Was soll das heißen?“ fuhr der Kutscher auf.
„Reg dich ab“, sagte Blacky. „Stenmark hat recht. Dieser Schotte hat nicht aus Menschlichkeit so gehandelt. Der will was von uns. Ecossais hat der Riese ihn genannt.“
„Ecossais heißt nichts anderes als Schotte“, sagte der Kutscher beleidigt. „Ihr hättet ruhig zuhören können, als Ribault euch ein bißchen Französisch beibringen wollte.“
Matt Davies winkte ab.
„Blackys Vermutung stimmt“, sagte er. „Und ich glaube, daß wir nicht lange zu warten brauchen, dann erzählt der Schotte uns von selbst, was er von uns will.“
„Dein Wort in Gottes Ohr“, murmelte der Kutscher. „Hoffentlich beeilt er sich und spricht mit uns, bevor Hasard die Karacke in die Luft gejagt hat.“
Hasard spürte zum erstenmal, seit er sich an Bord der Karacke befand, so etwas wie Bedenken in sich aufsteigen. Die Gestalt des Koches, zu dem der Schotte sie in die Kombüse geschoben hatte, weckte in ihm und Philip die Erinnerung an Trolle und Gnomen, von denen ihnen Stenmark erzählt hatte.
Der Koch war nur wenig größer als die Zwillinge. Durch den Höcker, der auf seinen Schultern saß, sah es aus, als rage der Hals von vorn aus dem Oberkörper. Der fleckige Kopf war mit spärlichem, brandrotem Haar bewachsen, das schiefe Gesicht war eine Kraterlandschaft von Falten, Narben und Warzen.
„Sein Name ist Ratatouille“, hatte der Schotte zu ihnen gesagt, bevor er das Schott hinter ihnen zugeschlagen hatte. Der zwergenhafte Koch hatte hastige Worte hervorgestoßen, und Hasard hatte begriffen, obwohl er kein Wort Französisch verstand, daß es Flüche gewesen waren.
Der verunstaltete Zwerg hatte sich jetzt vor den Zwillingen aufgebaut und betrachtete sie mißtrauisch. Er sagte etwas und zeigte dabei, daß er sowohl im Ober- als auch im Unterkiefer keine Schneidezähne mehr hatte.
Hasard schüttelte den Kopf.
„Nix wuhlewuh“, erwiderte er. „Wir sprechen nur Englisch.“
Der Koch legte den Kopf schief. Philip hatte den Eindruck, als würde er von einem hungrigen Geier angestarrt, und verkroch sich hinter seinem Bruder.
„Keine Angst haben“, sagte der Koch, wobei er das h nicht mitsprach. „Wenn ihr immer fleißig und gehorchen, ich gut zu euch.“
Hasard nickte. Er wußte auch nicht, warum er es tat, aber auf einmal hatte er die Hand ausgestreckt und reichte sie dem häßlichen Gnomen.
„Ich heiße Hasard und mein Zwillingsbruder Philip“, sagte er.
Der Gnom starrte einen Moment auf die ihm dargebotene Hand, dann griff er danach, schüttelte sie kräftig und zeigte so etwas wie ein Grinsen.
„Mein Name Jean-Luc“, sagte er.
„Aber der Schotte sagte doch, daß du Ratatü heißt“, sagte Hasard.
„Ratatouille heißen Fraß“, stieß der Koch wütend hervor. „Verdammte Verbrecher an Bord nix mögen mein Essen. Sie sagen, ich nix können kochen.“
Hasard dachte sich seinen Teil. Wenn er sich in der Kombüse umsah, konnte er sich denken, daß der Zwerg tatsächlich nichts anderes als Fraß zusammenbraute. Der kleine Verschlag, der ihm zur Verfügung stand, strotzte vor Dreck. Er begann in Gedanken, dem Kutscher Abbitte zu leisten. Gegen den Schweinestall hier sah es bei ihm wie im Boudoir einer Prinzessin aus.
Der Zwerg hatte eine Schachtel von einem Bord genommen und streckte sie Hasard entgegen.
„Das sein Gift“, sagte er grinsend. „Wenn Scheißkerle mich noch lange ärgern, werden sie Fraß hiermit kriegen. Dann sie schlafen drei Tage, und wenn aufwachen, ist Jean-Luc für immer verschwunden, und sie können sich Fraß selber kochen.“ Er drehte sich um und stellte die Schachtel aufs Bord zurück.
Hasard war seiner Bewegung mit den Augen gefolgt. Er konnte den Blick nicht von der Schachtel wenden und zuckte regelrecht zusammen, als der Gnom zu ihm sagte: „Los, an Arbeit. Mannschaft warten auf Fraß.“
Philip mußte sich ums Feuer kümmern, während Hasard die Töpfe heranschleppen mußte, die sicher mehr als zehn Liter faßten. Hasard wunderte sich, daß Jean-Luc keine Hilfe hatte. Immerhin war es nicht einfach, über hundert Kerle mit Essen zu versorgen. Als Hasard den Zwerg fragte, ob dem Kapitän denn sein Essen schmecke, schüttelte Ratatouille den Kopf.
„Kapitän und Männer von Pont supérieur haben eigenes Koch“, sagte er und schüttelte sich vor Zorn. „Er kriegen bestes Fleisch und alle guten Sachen.“
Hasard erwiderte nichts. Ihm wurde fast schlecht, als er den Dreck in den Töpfen sah, die nur oberflächlich gereinigt worden waren.
Als Ratatouille für einen Moment aus der Kombüse verschwand, hatten die Zwillinge zum erstenmal Gelegenheit, miteinander zu sprechen.
„Wir müssen uns mit dem Kerl gut stellen“, flüsterte Hasard.
„Warum?“ fragte Philip. „Wenn ich mir das alles hier anschaue, dann glaube ich, daß die Mannschaft recht hat, wenn sie ihn ‚Fraß‘ nennt.“
„Klar hat die Mannschaft recht“, erwiderte Hasard ungeduldig, weil sein Bruder nicht merkte, auf was er hinauswollte. „Aber solche Typen, die von niemandem ein gutes Wort hören, fressen dir aus der Hand, wenn du nett zu ihnen bist.“
„Woher weißt du denn das?“ fragte Philip.
„Das hat Carberry mir erzählt“, sagte Hasard. „Und ich glaube, er hat recht. Dieser Ratatü ist bestimmt kein schlechter Kerl, wenn er auch aussieht wie die Ausgeburt der Hölle. Wahrscheinlich kann er mit dem Zeug, das er erhält, gar nichts anderes kochen als Fraß.“
„Und was erhoffst du dir von ihm?“ fragte Philip.
„Informationen“, erwiderte Hasard wichtig. Er drehte den Kopf und nickte zum Bord hoch. „Hast du gehört, was er gesagt hat? Gift, nach dem die Mannschaft drei Tage schlafen würde. Wenn wir es schaffen, das Zeug unter das Essen zu mischen, können wir die Karacke im Handstreich nehmen, ohne zu kämpfen!“
„Du vergißt, daß die Männer auf dem Quarterdeck und auf der Poop sein Zeug nicht essen müssen“, warf Philip ein.
„Das stimmt“, sagte Hasard. „Aber da wird uns schon noch was einfallen. Vor allem müssen wir Verbindung mit den anderen aufnehmen, damit die über unsere Pläne Bescheid wissen.“
„Sie würden ganz schön wütend sein, wenn sie wüßten, was du hier schon wieder ausheckst.“
„Pah“, sagte Hasard, „wenn die Lust haben, ein paar Monate auf diesem vergammelten Kahn zu verbringen, ist das ihre Sache. Ich will zurück auf die ‚Isabella‘. Sobald ich nur den Flaggentopp von Dads Galeone sehe, werde ich entweder die Piraten ausschalten oder die Karacke in die Luft sprengen.“
Philip schüttelte den Kopf. Sein Bruder war ihm in solchen Augenblicken immer ein bißchen unheimlich. Aber er hatte recht. Auch er, Philip, wollte so schnell wie möglich auf die „Isabella“ zurück.