Читать книгу Seewölfe Paket 12 - Roy Palmer, Burt Frederick - Страница 53

7.

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Der Kutscher hatte die Gelegenheit ausnutzen wollen, als der Triangel die Mannschaft zum Essenfassen gerufen hatte, aber diesmal waren ihm zwei andere Piraten in den Weg getreten und hatten ihm mit unmißverständlichen Gesten erklärt, was ihn erwartete, wenn er es wagte, auf der Kuhl zu erscheinen.

Er hatte die beiden Zwillinge nur ab und zu in der Menge der Piraten auftauchen sehen, sie dagegen schienen ihn nicht mal bemerkt zu haben. Nach einem wüsten Gebrüll und dem anschließenden Essen waren die Zwillinge wieder in dem Verschlag verschwunden. Seitdem hatte er nichts mehr von ihnen gesehen. Er war froh, daß es ihnen gutging. Anscheinend hatten sie jedoch genau wie er Anweisung, sich nicht auf dem Schiff herumzutreiben.

Einer der beiden Piraten, die ihn lauernd bewachten, sprach Englisch.

„He“, sagte der Kutscher zu ihm.

Der Pirat drehte den Kopf und starrte ihn an.

„Schnauze halten!“ erwiderte er grollend.

Wut stieg im Kutscher hoch. Wenn sie ihm wenigstens erklären würden, warum er sich von seinem Lagerplatz nicht entfernen und die Schnauze nicht aufreißen durfte! Die ganze Situation kotzte ihn allmählich an. Wahrscheinlich bin ich verwöhnt, dachte er. Beim Seewolf auf der „Isabella“ durfte jeder seine Meinung sagen. Hier bei den Piraten war das Denken wahrscheinlich verboten.

Er versuchte es noch einmal. „He, du Drecksack!“

Der Pirat erhob sich. Er überragte den Kutscher, der sich ebenfalls aufrichtete, um mehr als einen Kopf. Sein wild wuchernder Kinnbart, der in allen Farben schimmerte, sträubte sich.

„Was willst du Laus?“ fragte er und hob die rechte Faust, die groß wie eine Wassermelone war, zum Schlag.

„Ich will arbeiten“, sagte der Kutscher. „An Deck ist so viel zu tun, da ist es eine Schande, wenn drei Kerle nur herumsitzen. Ihr könnt mich doch auch im Auge behalten, wenn wir den anderen helfen, die neue Großbramstenge herzurichten.“

Der Pirat starrte ihn an, als hätte er sie nicht mehr alle.

„Du bist verrückt!“ sagte er aus voller Überzeugung. „Sei froh, daß du hier im Schatten sitzen und dich erholen kannst. Wenn du noch ein Wort sagst, polier ich dir die Zähne, daß dir die Lust an der Arbeit vergeht, klar?“

„Klar“, erwiderte der Kutscher sarkastisch. „Dann laß mich wenigstens den Holzteller, den mir einer deiner Kumpane gebracht hat, zur Kombüse zurückbringen.“

„Mann!“ stieß der bärtige Riese hervor. „Hast du Flöhe im Arsch oder was? Setz dich, verdammt noch mal, hin, und halt endlich die Schnauze! Dein Teller bleibt, wo er ist. Das Zeug, das noch drauf klebt, wird morgen wahrscheinlich besser schmecken als der neue Fraß von Ratatouille. Heute ist ihm wohl was mißlungen. So genießbar wie vorhin war sein Gekochtes schon lange nicht mehr.“

„Warum schmeißt ihr ihn nicht über Bord?“ fragte der Kutscher.

„Und wer soll dann für uns kochen, du Klugscheißer?“

„Ich“, sagte der Kutscher. „Ich bin gelernter Koch. Ich habe jahrelang in der Küche von Sir Freemont gestanden und ihm die besten Speisen bereitet.“

Der Pirat begann zu grinsen.

„So“, sagte er, „und warum kochst du nicht mehr für deinen Sir?“

„Er ist an Herzverfettung gestorben“, sagte der Kutscher mit traurigem Hundeblick. „Meine Speisen haben ihm so sehr gemundet, daß er sich überfressen hat. Vor Gram und Kummer habe ich mich von einem Freund überreden lassen, meine Kochkünste für ihn und seine Kameraden auszuüben. Leider merkte ich erst zu spät, daß mein Freund bei einem Piraten angeheuert hatte. Und so hat mich das Schicksal nach Westindien verschlagen und mich an Bord einer Karacke geweht, auf der es von Verrückten wimmelt, die sich über einen genießbaren Fraß, der einem den Magen nach außen kehrt, freuen, als würden sie an der Tafel eines Königs speisen.“

Der Kutscher war ein wenig freizügig mit seinem Lebenslauf umgegangen, aber er brauchte schließlich keine Befürchtungen zu haben, daß ihn jemand der Lüge bezichtigen könne.

Der bärtige Riese war nachdenklich geworden. Die Aussicht, von einem Mann bekocht zu werden, der etwas von seinem Fach verstand, war zu verlokkend, um so ohne weiteres darüber hinwegzugehen. Er drehte den Kopf und sprach kurz mit seinem Kumpan.

Der Kutscher sah, wie sich der Mann über die Lippen leckte und heftig nickte. Der Riese wandte sich ihm wieder zu und sagte mit grollender Stimme: „Wenn du mich angelogen hast, wirst du deines Lebens nicht mehr froh werden, das schwöre ich dir. Ich werde jetzt zu Vert-de-gris gehen und ihm deine Geschichte erzählen. Ratatouilles Fraß hat uns allen bereits den Magen versaut. Vielleicht wirst du schon heute abend unser neuer Koch sein.“

„Wer ist Vert-de-gris?“ fragte der Kutscher mit besorgtem Blick.

„Unser Profos“, erwiderte der Pirat.

„Der Glatzkopf mit der Pockenfresse?“ fragte der Kutscher flüsternd.

Der Riese drehte schnell den Kopf, bevor er sagte: „Laß ihn das nicht hören. Er ist verdammt empfindlich.“

„Vergiß es“, sagte der Kutscher.

„Was soll ich vergessen?“

„Daß ich für euch koche.“

„Warum denn?“

„Der Glatzkopf kann mich nicht leiden“, sagte der Kutscher. „Ich glaube, der würde lieber den Fraß eures Koches essen, als mich in die Kombüse zu meinen Söhnen zu lassen.“

„Quatsch“, sagte der Riese. „Wenn Vert-de-gris dir einen übergebraten hat, dann nur, weil er es nicht leiden kann, wenn einer nicht gehorcht.“

„Ich denke, der Bootsmann gibt auf diesem Schiff die Befehle? Und der hat mir geholfen, als der Glatzkopf mich totschlagen wollte.“

„Verdammt, sag nicht immer ‚Glatzkopf‘!“ zischte der bärtige Riese.

„Ich denke, der Kerl versteht kein Englisch?“

„Das denkst du“, flüsterte der Pirat. „Der versteht alles. Der ist gerissener als alle Männer auf der ‚L’Exécuteur‘ zusammen. Du könntest polnisch reden, und er würde dich verstehen.“

„Woher weißt du das?“ fragte der Kutscher.

Der Riese zuckte richtig zusammen.

„Ich weiß gar nichts, verdammt!“ sagte er heftig. „Ich glaube, du bist ein ganz gefährlicher Kerl. Ich hätte mich lieber nicht mit dir unterhalten sollen. Am Ende hänge ich noch neben dir an einer Rahnock oder schwimme mit dir zusammen mit einem Messer im Rücken den Fluß hinunter.“

Der Kutscher nickte grinsend.

„Gut, daß du weißt, daß wir jetzt an einem Strang ziehen“, sagte er. „Ich glaube, es ist besser, wenn du dich gleich an den Bootsmann wendest.“

Der Riese schüttelte den Kopf.

„Geht nicht“, erwiderte er.

„Und warum nicht?“

„Weil Le Requin sich nicht darum kümmert, was auf der Kuhl vor sich geht. Er hat Vert-de-gris noch nie mit Vorschriften belemmert, er hat ihn höchstens mal daran gehindert, wenn er in seiner Wut einen Mann totschlagen wollte. Aber sonst kann der Profos hier unten schalten und walten, wie er will.“

„Verdammt, dann geh zu diesem Vert-de-gris“, sagte der Kutscher wütend. „Mehr als totschlagen kann er uns schließlich nicht.“ Er hatte absichtlich „uns“ gesagt, damit der Riese sich auch wirklich mächtig ins Zeug legte, ihn als Austausch für den buckligen Koch anzupreisen.

Der Pirat nickte. Er drehte sich um und wollte sich entfernen, doch plötzlich blieb er stehen, als wäre er gegen eine unsichtbare Wand gelaufen. Der Kutscher sah, wie er den Kopf zwischen die Schultern zog, als erwarte er Schläge.

Plötzlich stand der Profos vor ihm. Die mit Pockennarben übersäte Glatze glänzte in der Sonne. Sein tückischer Blick glitt über den Riesen zu dem anderen Piraten und schließlich zum Kutscher.

Er sagte etwas auf französisch zu dem Riesen, der eine hastige Antwort hervorsprudelte. Immer wieder hörte der Kutscher das Wort „cuisinier“.

Der Glatzkopf unterbrach ihn mit einer kurzen Handbewegung, sagte etwas, drehte sich um und ging davon.

Der bärtige Riese blieb noch einen Augenblick stocksteif stehen, dann trat er hastig neben den Kutscher und packte ihn am Arm.

„Mann, wer weiß, was das wieder bedeutet“, sagte er zischend. „Der Alte will dich sprechen. Vert-de-gris soll dich zu ihm bringen. Die speisen jetzt erst zu Mittag. Du bist eingeladen, mit Vert-de-gris und dem Bootsmann an der Kapitänstafel zu sitzen.“

„Ich soll den Fraß noch mal essen?“ fragte der Kutscher empört und versuchte, sich aus dem Griff des Riesen zu befreien.

Der Pirat hielt ihn fest.

„Los, komm endlich mit!“ stieß er hervor. „Oder glaubst du, ich will deinetwegen die Neunschwänzige verpaßt kriegen? Du brauchst keine Angst vor dem Essen zu haben. Die Herren vom Achterdeck haben ihren eigenen Koch.“

„Wenn das so ist.“ Der Kutscher folgte dem Riesen, bevor der ihm den Arm ausreißen konnte.

Die anderen Piraten schienen inzwischen alle die Sensation vernommen zu haben. Sie starrten den Kutscher an, als sei er ein Fabeltier. Eben noch hatte ihn der Profos fast totgeschlagen, und jetzt sollte er mit dem Kapitän speisen. Der Kutscher begann zu grinsen. Wenn er allerdings gewußt hätte, was die Männer sonst noch dachten, hätte er sicher auf der Stelle umgedreht und hätte in Kauf genommen, von dem muskelbepackten Glatzkopf durch die Decksplanken geschlagen zu werden.

Er mußte sich Mühe geben, ein Grinsen zu verkneifen, als er den Riesen vom Achterdeck durch eine niedrige Tür treten sah. Der Mann sah aus wie ein Clown. Sein Oberkörper war bloß. Muskeln spielten unter der mit Narben übersäten Haut. Er trug eine gestreifte Hose, die von einer roten Schärpe an den Hüften gehalten wurde. Aber statt seines roten Kopftuches trug er eine grauweiße Perücke mit langen Lokken, die ihm fast bis auf die Schultern fielen.

Die Perücke war für seinen Kopf viel zu klein. Sie gab ihm das Aussehen eines Betrunkenen, zumal sie noch schief auf dem großen Kopf saß und an der linken Schläfe einen Teil seiner schwarzen Haare zeigte.

Ein kleiner, spindeldürrer Mann tauchte hinter dem Bootsmann auf. Er hatte eine Schürze vor dem Bauch, die eine Wäsche vertragen konnte. Der Mann hielt in jeder Hand eine Perücke, und als er dem glatzköpfigen Profos eine von ihnen reichte und der sie sich mit einer lässigen Handbewegung über die Glatze streifte, wußte der Kutscher, was ihm blühte.

Er dachte nicht mehr daran, über den Aufzug des Bootsmannes zu grinsen. Er nahm die Perücke aus der Hand des Schürzenträgers entgegen und drehte sie in den Händen. Er hatte offensichtlich die schmutzigste erhalten. Hoffentlich sind keine Würmer drin, dachte er voller Abscheu, als er sie sich gottergeben auf die Haare stülpte.

Le Requin, der Bootsmann, nickte.

„Der Kapitän liebt es nicht, wenn ihm ein Mann ohne Perücke gegenübertritt“, sagte er. „Er hält auf Etikette, die er seinem Adelsrang schuldig ist. Er möchte dich stellvertretend für deine Kameraden an Bord der ‚L’Exécuteur‘ begrüßen. Ich hoffe, du weißt die Ehre zu schätzen, an seiner Tafel Platz nehmen zu dürfen.“

Der Kutscher nickte. Mein Gott, dachte er, sind sie denn auf diesem Schiff alle verrückt?

Er folgte dem Bootsmann und Vert-de-gris durch eine niedrige Tür, die der Mann mit der Schürze hinter ihnen zuzog. Durch einen dunklen Gang gelangten sie in die Kapitänskammer, die von einem langen, schmalen Tisch fast völlig ausgefüllt wurde.

An dem ihnen zugewandten Ende des Tisches waren drei Gedecke aufgetischt, dazu eine Schale mit Obst und ein Kerzenleuchter mit sechs Kerzen, die brannten.

Am anderen Ende saß ein Mann.

Außer ihm befand sich niemand mehr in der Kammer, also mußte das der Kapitän sein.

„Der Comte Armand de Fauvenoir“, sagte der Bootsmann mit getragener Stimme. Er schob den Kutscher am schmalen Tisch entlang auf den Mann zu.

Erst jetzt war der Mann deutlicher zu sehen. Im Schein der Kerzen sah das rötlich glänzende, verfallene Gesicht wie die Maske eines Teufels aus. Der Kerl hing schief in seinem Sessel, in der einen Hand ein großes Glas, das bis zur Hälfte mit Rotwein gefüllt war. Die schmalen Finger der anderen Hand trommelten auf der Tischplatte.

Der Kutscher fühlte sich von den kleinen, stechenden Augen durchbohrt. Er dachte nicht daran, über die rosa Perücke, in die blaßblaue Schleifen gebunden waren, zu lächeln. Er hatte das Gefühl, einem Menschen gegenüberzustehen, dem es Freude bereitete, andere zu quälen.

Instinktiv verbeugte sich der Kutscher und vollführte eine wedelnde Bewegung mit der rechten Hand, wie er es schon häufiger bei vornehmen Spaniern gesehen hatte.

Der Comte schien davon sehr angetan. Er zog die Lippen in die Breite und zeigte ein paar braune Zahnstummel, die ihm sicherlich nicht allzuviel Freude bereiteten.

„Ich sehe, Sie wissen sich zu benehmen, mein Freund“, sagte der Comte mit süffisanter Stimme, die hell wie eine gläserne Glocke klang. „Nehmen Sie Platz, meine Herren.“

Der Kutscher trat zurück und wartete, bis Le Requin ihm einen Platz anwies. Er setzte sich. Erst jetzt wurde ihm bewußt, daß die Kammer nur von Kerzen erleuchtet wurde. Die Fenster zum Heck waren mit schweren Brokatgardinen verhängt. Er dachte über den Namen des Comte nach. Sicher hatte er ihn sich nur zugelegt, denn so viele Kenntnisse hatte der Kutscher, daß er wußte, daß Fauvenoir „schwarzes Raubtier“ hieß. Offensichtlich war es unter den Piraten Mode, sich möglichst wüste Namen zuzulegen.

Der Kutscher zuckte zusammen, als hinter ihm etwas hart auf den Boden gestampft wurde. Er wandte den Kopf und sah den kleinen, spindeldürren Aufklarer mit der Schürze, der einen langen Stab in der Hand hielt und ihn auf den Boden hämmerte.

„Le hors d’oeuvre“, sagte er mit krächzender Stimme. „Mouette á l’exécuteur!“

Ein Schauer nach dem anderen rann dem Kutscher über den Rükken. Er schaute den Bootsmann von der Seite an, aber Le Requin und auch der Profos starrten unbewegt durch die Kerzen auf den Kapitän, der immer weiter zur Seite sackte, dann aber von einem herzhaften Rülpser wieder in die richtige Position zurückbefördert wurde.

„Guten Appetit, meine Herren“, sagte er, als der spindeldürre Aufklarer die Teller vor sie hingestellt hatte.

Der Kutscher sah einen gebratenen Vogel vor sich liegen. Er hatte bisher noch keine Möwe gegessen, aber wenigstens sah es einigermaßen genießbar aus.

Le Requin wollte gerade seinen Vogel aufschneiden, als die helle Stimme des Kapitäns ihn innehalten ließ.

„Lieber Le Requin“, sagte der Comte, rülpste und sprach dann weiter: „Würden Sie mir die Ehre erweisen und persönlich eine neue Flasche Wein für mich holen?“

Der Bootsmann legte Messer und Gabel mit ruhigen Bewegungen auf den Tisch und erhob sich. Der Kutscher hatte genau gespürt, wie ein kurzer Blick ihn streifte, dann nickte Le Requin, drehte sich um und verließ die Kapitänskammer.

Es war offensichtlich, daß der Comte den Bootsmann los sein wollte. Die Karaffe, die vor ihm auf dem Tisch stand, war zu mehr als der Hälfte gefüllt.

Dem Kutscher schlug das Herz plötzlich bis zum Hals hinauf. Er war weiß Gott kein Angsthase, aber die ganze Atmosphäre dieses Raumes, der ihn an eine Gruft erinnerte, trieb ihm den Schweiß aus den Poren.

Der Kapitän begann plötzlich zu stöhnen. Sein Gesicht verzerrte sich. Wütend stampfte er mit dem Fuß auf.

Der kleine Mann mit der Schürze, der die Kammer wieder verlassen hatte, nachdem die Möwen serviert waren, wieselte durch die Tür, schenkte Wein nach und träufelte aus einer winzigen Flasche ein paar Tropfen in die dunkelrote Flüssigkeit.

Wie ein Verdurstender schüttete der Comte den Wein in sich hinein. Sein Gesicht blieb noch für Minuten verkniffen, dann löste es sich, und in seine Augen trat ein tückisches, gemeines Glitzern.

Er beugte sich vor und fixierte den Kutscher.

„Sag dem englischen Schwein, was ich von ihm wissen will“, sagte er. Es hörte sich an wie das Zischeln einer Schlange.

Ehe der Kutscher den Kopf drehen konnte, weil er merkte, daß der Comte den Profos angesprochen hatte, spürte er etwas Kaltes an seinem Hals. Er erstarrte. Langsam senkte er den Blick und sah die Schneide eines Messers im Schein der Kerzen blitzen.

„Was hat Le Requin mit euch vor?“ fragte der Muskelprotz mit gequetschter Stimme. Irgend etwas stimmte mit seinem Kehlkopf nicht. Dem Kutscher gingen noch andere Gedanken durch den Kopf, aber der Schmerz an seinem Hals brachte ihn wieder zur Besinnung. Er merkte, wie ihm Blut am Hals hinunter in den Kragen lief.

„Ich – ich weiß es nicht!“ stieß er hervor. „Ich weiß nicht einmal, warum sie mich allein an Bord zurückgelassen haben.“

„Er weiß nichts, Vert-de-gris“, sagte der Comte lächelnd. „Was für ein Glück, daß er kein Schwätzer ist. Sonst hätte er uns um unser Vergnügen gebracht, nicht wahr?“

Der Glatzkopf grinste unter seiner Perücke, die ihm in die Stirn gerutscht war, und nickte.

„Soll ich die Schaukel …“

Der Comte winkte ab und verzog gelangweilt das Gesicht.

„Das haben wir doch erst letzte Woche gehabt“, sagte er. „Vert-de-gris, du willst doch nicht anfangen, mich zu langweilen?“

Der Glatzkopf schüttelte so heftig den Kopf, daß ihm seine Perücke über die Ohren rutschte. Da er das Messer nicht vom Hals seines Opfers nehmen wollte, fiel die Perücke zu Boden. Hastig bückte sich der Profos danach. Es schien ihm in diesem Moment egal, daß er den Kutscher dabei aus den Augen lassen mußte.

Im nächsten Augenblick wußte der Kutscher auch, warum.

Das rötliche Gesicht des Comte verzerrte sich zu einer Maske des Wahnsinns. Seine rechte Hand zuckte zurück und schleuderte das Glas auf den Glatzkopf, der sich gerade wieder aufrichtete.

„Du haarloses Schwein wagst es, mir ohne Perücke unter die Augen zu treten?“ kreischte der Comte mit sich überschlagender Stimme. „Ich werde dich vierteilen und zerschneiden lassen und deine einzelnen Stücke an den Rahen aufspießen!“

Der Profos hatte die Perücke wieder auf dem Kopf. Er hatte die Hände an die Hose gelegt und verbeugte sich ein paarmal. Er sagte kein Wort. Wahrscheinlich wußte er, wie er den Comte am schnellsten wieder beruhigen konnte.

Der spindeldürre Mann tauchte wieder auf und fragte mit zitternder Stimme etwas auf französisch.

Der Comte sackte in seinem Sessel zurück und schnaufte. Erst als der kleine Mann seine Frage wiederholt hatte, nickte er. Er zog ein Spitzentaschentuch aus dem Ärmelumschlag seines Rockes und fuhr sich damit über das Gesicht, das plötzlich in Schweiß gebadet war. Seine Hand war ruhig, als er das neue Glas entgegennahm und der kleine Mann es mit Wein aus der Karaffe füllte.

Der Anfall des Comte schien von einem Augenblick zum anderen vorbei zu sein. Es war, als wäre nichts geschehen. Auch der Profos hatte sich gefangen. Er wußte offensichtlich, daß die Gefahr für ihn gebannt war. Er wollte wieder die Hand mit dem Messer heben, um die Spitze dem Kutscher gegen den Hals zu setzen, als dieser reagierte.

Nichts war dem Kutscher widerwärtiger als Menschen, die sich Lust dadurch verschafften, daß sie andere Lebewesen quälten. Er hatte schon viel auf diesem Gebiet kennengelernt, aber der Comte übertraf sie offensichtlich alle.

Als der Glatzkopf sich wieder aufrichtete und strammstand und der Comte sich wieder beruhigte, wußte der Kutscher, daß er handeln mußte, wollte er sich nicht als willenloses Opferlamm abschlachten lassen.

Seine rechte Hand zuckte blitzschnell vor, schloß sich um den Kerzenleuchter und riß ihn hoch.

Der Glatzkopf wollte sich zurückwerfen, als die Kerzenflammen auf ihn zuschossen, aber er war viel zu langsam.

Der Kutscher traf das pockennarbige Gesicht und ließ den Leuchter sofort fallen. Er wußte, daß der Muskelprotz nur vor den Flammen zurückgezuckt war. Viel Schaden konnten sie sicher nicht anrichten. Er sah den Degen, der an der vertäfelten Wand der Kammer hing, und sprang darauf zu. Wie durch eine Wand hörte er den unterdrückten Schrei des Glatzkopfes. Er riß den Degen aus der Scheide und wirbelte herum.

Der Glatzkopf stand immer noch an derselben Stelle und hatte beide Hände vor das Gesicht gepreßt. Offensichtlich hatte eine der Kerzen ihn geblendet.

Der Kopf des Kutschers ruckte herum zu dem Kapitän und dem kleinen Mann, der mit weit aufgerissenen Augen neben dem Sessel stand.

In den Augen des Comte war ein gieriges Glitzern. Vielleicht wartete er nur darauf, daß der Kutscher den Spieß umdrehte und den bärenstarken Profos vor seinen Augen tötete.

Der Kutscher dachte nicht daran. Er wußte, daß niemand auf das Leben des Glatzkopfes Rücksicht nehmen würde. Anders würde es sich bei dem Comte verhalten.

Es war klar, daß sein Leben verwirkt war. Der Kutscher konnte das Piratenschiff niemals lebend verlassen, wenn er nicht ein Faustpfand in der Hand hatte. Und selbst dieses Faustpfand würde ihm wahrscheinlich nicht einmal helfen.

Mit wenigen Schritten war er beim Comte und hielt ihm die Spitze des Degens unters Kinn. Der kleine Mann mit der Schürze hob die Hand mit der Karaffe und schleuderte sie. Der Kutscher konnte sich im letzten Augenblick ducken. Das geschliffene Glas zischte dicht an seinem Kopf vorbei und zerklirrte an der Kante einer Truhe.

Wein spritzte in den Raum. Der rosafarbene Rock des Comte war plötzlich mit kleinen roten Flecken übersät. Fauvenoir begann zu kreischen wie ein Schwein, das abgestochen wird. Er ruckte in seinem Sessel hoch. Die Degenspitze, die ihm der Kutscher gegen den Hals gedrückt hatte, ritzte seine Haut, und gurgelnd sackte er in seinen Sessel zurück.

Der Kutscher hatte sein Messer gezogen und richtete es gegen den Mann mit der Schürze, der zu zittern begann und beide Arme abwehrend vorstreckte.

„Raus hier, du Hundesohn!“ schrie der Kutscher ihn an. „Oder ich schneide dir die Ohren ab!“

Der Mann drehte sich um, lief wie ein Wiesel an dem Muskelprotz vorbei und huschte durch die Tür aus der Kammer.

Die Kerle verstehen alle verdammt gut Englisch, dachte der Kutscher wütend. Er vernahm einen gedämpften Ton, der sich anhörte, als blase jemand auf einer Fanfare. Ihm blieb keine Zeit, lange darüber nachzudenken, was das zu bedeuten hatte. Der Comte kreischte immer noch, wagte sich aber nicht mehr zu rühren.

Vert-de-gris hatte die Hände vom Gesicht genommen, das zu einer fürchterlichen Grimasse verzerrt war. Über dem linken Auge war ein schwarzer Fleck, den eine Kerzenflamme verursacht haben mußte. Er blinzelte mit dem rechten Auge, und ein tiefes Grollen drang aus seiner mächtigen Brust.

Seine Hände, die groß wie Schaufeln waren, öffneten und schlossen sich. Er trat einen Schritt auf den Kutscher zu, blieb aber wieder stehen, als dieser den Druck der Degenspitze auf den Hals des Comte verstärkte und dieser in noch höheren Tönen zu quieken begann.

„Bleib mir vom Leib, Glatzkopf!“ sagte der Kutscher mit erhobener Stimme. „Einen Schritt weiter, und dein Comte kann durch den Hals atmen!“

Der Glatzkopf zersprang fast vor Wut. Der Kutscher sah ihm an, daß er am liebsten keine Rücksicht auf den Comte genommen hätte, aber er war sich offensichtlich darüber im klaren, daß mit dem Tod des Kapitäns auch seine Zeit an Bord der „L’Exécuteur“ abgelaufen war.

Der Kutscher ruckte mit dem Messer in der linken Hand.

„Verschwinde, Glatzkopf!“ sagte er zischend. „Hol den Bootsmann. Ich will mit ihm sprechen.“

Er merkte erst im letzten Augenblick, daß ihm die schmuddelige Perücke übers Ohr rutschte. Die Hand mit dem Messer fuhr hoch, um sie zu halten, aber er schaffte es nicht. Die Perücke fiel auf den Tisch.

Das Kreischen des Comte verstummte abrupt. Seine kleinen Augen quollen hervor und starrten auf die Perücke, die vor ihm auf dem Tisch lag.

Mit einer kaum wahrnehmbaren Bewegung zuckte seine Hand vor und hieb die Klinge des Degens zur Seite. Daß die Spitze ein bißchen Haut mitnahm, schien er nicht zu spüren.

Der Kutscher wurde von der heftigen Bewegung überrascht. Er wollte den Degen wieder herumreißen, als er aus den Augenwinkeln sah, wie sich der Glatzkopf zum Sprung duckte.

Gleichzeitig griff die Hand des Comte zur Perücke und schleuderte sie dem Kutscher entgegen, der nicht mehr rechtzeitig ausweichen konnte. Sie traf ihn im Gesicht und lenkte ihn für einen kurzen, aber entscheidenden Augenblick ab.

Der Glatzkopf hatte seine Chance erkannt und nahm sie wahr. Mit einem wahren Panthersatz hechtete er dem Kutscher entgegen, stieß einen hochlehnigen Stuhl um und erwischte den zurückweichenden Kutscher an der Hüfte.

Der Kutscher verlor den Halt und krachte zu Boden. Krampfhaft hielt er den Degen fest und hieb damit nach dem Muskelprotz, der neben ihm auf den blankgescheuerten Planken gelandet war.

Der Glatzkopf schrie röhrend auf. Die Klinge des Degens hatte sein Hosenbein am rechten Oberschenkel aufgeschlitzt und eine blutige Schramme im Fleisch verursacht.

Der Kutscher war sofort wieder auf den Beinen. Er hatte den Comte in diesem Augenblick vergessen. Er wußte, daß der Glatzkopf ihn umbringen wollte. Wenn er nicht schneller war als der Profos, war er in einigen Minuten ein toter Mann.

Der Glatzkopf stemmte sich an einem Stuhl in die Höhe. Jedenfalls sah es für den Kutscher so aus. Daß es eine Finte war, merkte er fast zu spät. Der Stuhl flog ihm entgegen. Er ließ sich blitzschnell fallen, aber das hölzerne Geschoß traf ihn noch an der Schulter.

Ein stechender Schmerz raste durch seinen Körper, als er versuchte, sich am Boden herumzudrehen und die Degenspitze auf den Glatzkopf zu richten, der sofort wieder angriff.

Ein Fuß des Profos’ zuckte vor und traf den Parierkorb des Degens. Die Waffe flog durch die Luft, prallte gegen die Vertäfelung der Kapitänskammer und fiel klirrend zu Boden.

Ein Grinsen zog das verunstaltete Gesicht des Glatzkopfes in die Breite. Er baute sich vor dem am Boden liegenden Kutscher auf und stemmte beide Fäuste in die Hüften. Das Messer in der linken Hand des Kutschers schien ihn nicht im mindesten zu beeindrucken.

„Schneid ihm den Hals durch!“ kreischte der Comte, der wie ein Affe in seinem Sessel auf und ab sprang und nicht zu bemerken schien, daß aus der Wunde an seinem Hals immer noch Blut lief.

Der Kutscher rührte sich nicht. Er wußte, daß er verloren hatte. Nichts konnte ihn jetzt noch retten. Er dachte an die Zwillinge, für die er sich verantwortlich fühlte, und er verfluchte die Sekunde, als ihm die Idee durchs Hirn gezuckt war, sich diesen Karibik-Haien freiwillig zu stellen.

Übelkeit stieg in ihm hoch, als er daran dachte, was der Seewolf und die anderen Kameraden von der „Isabella“ sagen würden, wenn sie erfuhren, daß er es nicht geschafft hatte, auf die Zwillinge aufzupassen.

„Jetzt bist du dran, du englischer Hurensohn!“ quetschte der Glatzkopf hervor. „Ich werde dir die Haut in Streifen …“ Seine Worte gingen in ein Gurgeln über.

Der Kutscher sah, wie die Augen des Glatzkopfes plötzlich nicht mehr klar waren und durch ihn hindurchstarrten. Dann sackte er langsam vornüber, und der Kutscher mußte sich zur Seite wälzen, damit der Muskelberg nicht auf ihn fiel.

Über dem Profos stand wie aus dem Boden gewachsen der Bootsmann. Er hatte sein rotes Kopftuch umgebunden und hielt die gekürzte Pike in der rechten Hand, mit der der Glatzkopf den Kutscher fast in zwei Stücke gehauen hätte.

Der Kopf des Kutschers ruckte zum Comte herum. Er war gespannt, wie der verrückte Kapitän auf die Provokation des Bootsmannes reagierte.

Der Adamsapfel des Comte zuckte auf und ab und bewegte die blutige Strieme an seinem Hals, die dadurch wie eine lebendige Schlange wirkte. Der Kapitän stieß hohe Gickser aus. Für mehr reichte es ihm im Moment nicht. Er war außer sich vor Wut.

Der Kutscher hatte erwartet, daß der Comte Angst zeigen würde, aber dazu war er wohl zu verrückt. Der dünne Zeigefinger seiner rechten Hand stach auf den Bootsmann zu.

„Raus!“ kreischte der Comte. „Ich will niemanden in meiner Kammer ohne Perücke sehen! Ich lasse dich aufhängen, Le Requin! Moreau! Wo bleibst du verdammter Kerl? Ich lasse dich auspeitschen, wenn du dich nicht zeigst! Ich …“

Der Comte verstummte und starrte auf den Bootsmann, der in aller Seelenruhe den Degen vom Boden aufgehoben hatte und langsam auf den Kapitän zuging.

„Moreau!“ begann der Comte wieder zu kreischen.

Aber kein Moreau erschien, um ihm zu helfen.

Der Kutscher richtete sich an der Truhe auf und fluchte unterdrückt, als er sich an einer Glasscherbe die Hand ritzte. Sein Blick glitt zwischen dem Bootsmann, dem Kapitän und dem bewußtlosen Glatzkopf, dem die Perücke beim Sturz wieder vom Kopf gerutscht war, hin und her.

Das Kreischen des Comte ging in ein Wimmern über. Jetzt war die Angst in seinen Augen. In seinem irren Hirn schien doch noch ein Teil die Wirklichkeit erkennen zu können.

„Du – du willst mich töten?“ jammerte er.

„Das werde ich tun, Verräter“, sagte Le Requin mit kalter Stimme, in der nicht eine Spur von Gefühl mitschwang.

„Ich bin kein Verräter!“ kreischte der Comte. „Ich sorge für meine Leute! Noch nie haben uns die Spanier angegriffen!“

„Weil du ihnen andere Schiffe zum Fraß vorwirfst, indem du sie verrätst“, erwiderte Le Requin. „Sie wissen inzwischen alle, wer der Verräter ist. Zwölf Schiffe halten auf diese Insel zu, Comte. Und sie werden uns zusammenschießen, wenn du noch lebst. Nur dein Tod kann uns alle vor dem Untergang bewahren.“

„Nein!“ Die Stimme des Comte überschlug sich. „Ich habe niemanden verraten! Ich will nicht sterben. Ich will nicht …“

Der Degen bohrte sich ihm in die Brust und riß ihm die letzten Worte von den Lippen.

Der Bootsmann ließ den Degen los. Der Korb der Waffe wippte sanft auf und ab.

Der Comte hatte den Mund weit geöffnet, aber er brachte kein Wort mehr über die Lippen. Er starrte ungläubig auf die Klinge, die in seiner Brust steckte, griff aber nicht danach, um sie herauszuziehen.

Von einem Augenblick zum anderen verließ ihn das Leben. Er sackte nach vorn auf den Tisch. Dumpf prallte der Degenkorb auf die Platte.

Le Requin wandte sich von ihm ab und blickte den Kutscher starr an, als überlege er, was er mit ihm tun solle.

„Ich bin der neue Kapitän dieses Schiffes“, sagte er schließlich. „Ich hoffe, daß deine Kameraden sich so verhalten haben, wie Ecossais es sich erhoffte. Wenn das der Fall ist, seid ihr gleichberechtigte Mitglieder meiner Mannschaft. Wenn nicht, wirst auch du diesen Tag nicht überleben.“

Er ging auf die Tür zu und wies auf den am Boden liegenden Profos.

„Er war der Vertraute des Comte“, sagte er. „Meine Männer sollen das Urteil über ihn sprechen. Binde und bewachte ihn. Du bleibst so lange in dieser Kammer, bis du einen anderslautenden Befehl erhältst.“

Ohne auf eine Antwort zu warten, verließ Le Requin die Kapitänskammer. Die Tür schlug hinter ihm zu.

Der Kutscher wartete darauf, daß sich der Schlüssel im Schloß drehte, aber er hörte kein Geräusch. Hastig begann er, sich in der Kammer nach etwas umzusehen, mit dem er den Glatzkopf fesseln konnte. Er hatte keine Lust, sich mit dem Muskelberg noch einmal auseinandersetzen zu müssen.

Er öffnete die Truhe, neben der er stand, konnte aber keinen Blick hineinwerfen, weil der Glatzkopf in diesem Augenblick zu stöhnen begann.

Hastig lief der Kutscher um den Tisch herum, wo die gekürzte Pike lag, die der Bootsmann einfach fallen gelassen hatte, als der Profos reglos am Boden lag und nicht mehr in der Lage gewesen war, in das Geschehen einzugreifen.

Der Glatzkopf hatte sich schon am Tisch hochgerappelt, als der Kutscher wieder neben ihm auftauchte und kurz mit der Pike zuschlug. Mit einem Röcheln ging der Profos wieder zu Boden. An der Stelle, wo der Bootsmann hingelangt hatte, blühte schon eine prächtige Beule auf der pockennarbigen Glatze.

Der Kutscher beeilte sich mit der Suche nach etwas, mit dem er den Muskelberg binden konnte. Schließlich fand er in einem Wandschapp, in dem die Kleidung des Comte hing, auch ein paar Lederriemen, die sich gut dazu eigneten.

Zusätzlich fesselte er den Profos an eines der armdicken Tischbeine, die auf den Planken befestigt waren. Der Kopf des Muskelberges war auf die Brust gesackt. Eine Art Schnarchen kündigte an, daß er bald wieder aus seiner Ohnmacht erwachen würde.

Der Kutscher zog sich zurück zur Truhe. Die Augen gingen ihm über, als er es im Schein des zweiten Kerzenleuchters, der immer noch auf dem Tisch stand, funkeln und glitzern sah.

Die Truhe mit ihrem Inhalt war ein Vermögen wert!

Der Kutscher war versucht, nach den Smaragden, Rubinen und Perlen zu greifen, doch seine Hand zuckte zurück. Vielleicht wurde er durchsucht, wenn er diese Kammer wieder verlassen durfte, und dann hängte man ihn auf, weil er sich an dem Eigentum des neuen Kapitäns vergriffen hatte.

Er klappte den Deckel der Truhe zu und entfernte sich hastig davon, als sei sie glühend. Mit einer heftigen Bewegung riß er die Brokatgardinen von den Fenstern zurück, so daß grelles Licht in die Kammer des Kapitäns fiel.

Der Kutscher schloß für einen Moment geblendet die Augen. Dann starrte er hinaus, aber er konnte außer dem Fluß und dem einen Ufer nicht viel erkennen.

Er dachte an Matt Davies, Stenmark, Blacky und Batuti und hoffte inbrünstig, daß sie den Schotten nicht enttäuscht hatten. Vielleicht aber waren alle schon tot. Dann würde er noch an diesem Abend neben dem Profos an einer Rahnock hängen.

Der Kutscher schüttelte sich. In diesem Moment schwor er sich, ein Jahr lang keinen Fuß mehr von der „Isabella“ zu setzen, wenn er erst mal wieder ihre Planken unter seinen Fußsohlen spürte.

Das Stöhnen des Glatzkopfes riß ihn aus seinen Gedanken. Er packte die gekürzte Pike fester und trat auf den Profos zu, der die Augen geöffnet hatte und allmählich wieder in die Wirklichkeit zurückkehrte. Als er den Kutscher erkannte, begann er sofort, heftig an seinen Fesseln zu zerren.

„Keine Bewegung!“ stieß der Kutscher alarmiert hervor. „Wenn du versuchst, die Fesseln abzustreifen, brate ich dir wieder was mit der Pike über!“ Zur Bestätigung seiner Worte hob er die Pike.

Der Profos hielt in seinen Bemühungen knurrend inne. Sein malträtierter Kopf drehte sich, und als er den toten Comte auf der Tischplatte liegen sah, quollen ihm die Augen über.

„Le Requin!“ quetschte er hervor.

Der Kutscher nickte grimmig.

„Er ist der neue Kapitän, Glatzkopf“, sagte er, „und du hast nichts mehr zu melden. Wenn mich nicht alles täuscht, wird er dich den Haien zum Fraß vorwerfen.“

Der Profos sah aus, als hätte er die Worte des Kutschers nicht verstanden. Er konnte seinen Blick nicht von dem toten Comte wenden. Ein Schluchzen stieg in seiner Kehle auf, und dann fing er tatsächlich zu weinen an. Dicke Tränen liefen ihm über die zerfurchten Wangen. Er war nur noch ein Bündel Elend.

Dem Kutscher war es nur recht, wenn der Muskelberg sich aufgab. Er wünschte sich alles andere, nur nicht, daß er noch einmal gegen diesen bärenstarken Mann kämpfen mußte.

Seewölfe Paket 12

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