Читать книгу Seewölfe Paket 13 - Roy Palmer, Fred McMason - Страница 46
10.
ОглавлениеLord Henry, Selim, Marciaux und ihre Begleiter hatten Dhalis Haus verlassen und waren unterwegs zum Hafen, um ein für Marciaux’ Zwecke geeignetes Warenhaus zu finden und auszuplündern. Als jedoch die Explosionen ertönten, liefen sie entsetzt zum Kai und wohnten von hier aus fassungslos dem Untergang der Schebecke bei.
„In die Boote!“ schrie Selim. „Wir müssen retten, was noch zu retten ist!“
In Windeseile kletterten sie in ihre Boote und pullten auf die Reede hinaus, übersahen jedoch das zweite Beiboot der „Grinta“, das an einer Pier vertäut war.
Jella und die Türkinnen hatten unterdessen unbeobachtet und unbehelligt durch einen Seiteneingang Einlaß in Dhalis Haus gefunden. Dhali und seine Dienerschaft eilten gerade verwirrt in die Gasse nach draußen, lauschten dem Donnerschlag der großen Explosion und sahen den Feuerblitz, der aus dem Rumpf der „Grinta“ über dem Hafen aufstieg.
Jella entdeckte die Treppe, die in den Keller hinunterführte, und sah unten, im Gewölbe, Licht brennen. Sie ahnte, daß Dalida dort zu finden war, und zögerte nicht, die Stufen hinunterzueilen. Sie hatte eine Pistole gezückt, die sie von Bord der Schebecke mitgenommen hatte. Ihre Gefolgschaft war ebenfalls mit Pistolen und Messern bewaffnet.
Dalida, immer noch halb nackt, war an eine Säule des Gewölbes gefesselt worden. Mechmed und die vier Berber lagen nach wie vor bewußtlos am Boden. Sämtliche Wächter hatten das Gefängnis verlassen und befanden sich oben bei Dhali und den anderen Hausbewohnern in der Gasse.
Jella schnitt Dalida von der Säule los und befreite sie von dem Knebel. Rasend vor Wut entriß die Ägypterin der Libanesin das Messer und stürzte sich damit auf die Berber.
Die Türkinnen sammelten Dalidas Kleidungsstücke vom Boden auf. Jella lief zu Dalida, zerrte an ihrem Arm und zischte: „Hör auf damit! Wir müssen schleunigst verschwinden. Willst du, daß sie uns hier ertappen und niederprügeln?“
Dalida richtete sich von Mechmed auf. „Nein. Aber diese Hunde haben geduldet, daß Henry mich verkaufte, mehr noch, Mechmed hat Henry gut zugeredet. Tod – Tod allen Verrätern und Bastarden! Ich will mich auch an Dhali rächen und …“
„Nein. Du kommst mit.“ Jella zerrte sie an der Hand mit sich fort. Sie verließen das Gewölbe, gefolgt von den Türkinnen. Erst als sie in der kleinen Seitengasse waren, konnte Dalida sich wieder ankleiden.
„Was haben diese Explosionen zu bedeuten?“ fragte sie keuchend.
„Ich weiß es nicht“, erwiderte Jella. „Aber ich fürchte, sie haben mit unseren Schiffen zu tun. Wir müssen so schnell wie möglich zum Hafen und nachsehen, was es damit auf sich hat.“
So eilten sie durch das Gewirr von Gassen zum Hafen hinunter, ehe Dhali die Flucht der Ägypterin entdeckte.
Mechmed erwachte aus seiner Ohnmacht und verspürte einen brennenden Schmerz in der linken Schulter. Stöhnend richtete er sich auf. Er drehte sich um und sah entsetzt auf seine vier Kumpane, die aus tiefen Wunden bluteten.
Er untersuchte sie, dann erhob er sich wieder und taumelte zur Treppe. Er zog sein Messer, das Dhalis Diener ihm noch nicht abgenommen hatten.
Tot, dachte er erschüttert, alle vier tot, und Dalida ist fort. Sie ist die Mörderin, nur sie kann es sein.
Im Erdgeschoß des Hauses drückte er sich in einen Alkoven, als er Stimmen vernahm. Der Sklavenhändler und seine Diener kehrten zurück. Was immer sich im Hafen abspielen mochte, es berührte ihn nicht weiter, da er seine persönliche Sicherheit nicht gefährdet sah.
Mechmed sah die Männer zum Greifen nah an sich vorbeischreiten, doch sie entdeckten ihn nicht im Dunkel des Alkovens. Er überlegte, ob er sich auf Dhali stürzen sollte, verwarf den Gedanken aber sofort wieder. Gegen die Übermacht der Diener kam er nicht an, zumal er verletzt war und Schwindelgefühle und würgende Übelkeit verspürte.
Dalida, dachte er voll Haß, du hast auch mich erstechen wollen, du wolltest mich töten, aber es ist dir nicht gelungen. Rache, Rache, Rache!
Die Männer stiegen in den Keller hinunter. Mechmed verließ den Alkoven und hastete aus dem Haus. Er lief die Gasse entlang und war kurz darauf zwischen den Menschen verschwunden, die vom Markt aus zum Hafen eilten, um nachzusehen, welche Bewandtnis es mit den Explosionen und mit dem Geschrei hatte.
Dhali blieb im Keller seines Hauses wie vom Donner gerührt stehen. Mit einem einzigen Blick erkannte er die Lage.
„Vier tot, zwei entflohen“, murmelte er bestürzt.
Dann fuhr er zu seinen Dienern herum.
„Ihr Hunde!“ brüllte er sie an. „Das ist eure Schuld! Ich habe mehr als sechzig Piaster verloren, für nichts und wieder nichts! Dafür peitsche ich euch aus, bis ihr Allah um Vergebung anfleht!“
Dalida, Jella und die Türkinnen nutzten das allgemeine Durcheinander im Hafen aus, um in das Beiboot der Schebecke zu steigen und zur „Cruel Jane“ zu pullen. Während Lord Henry, Selim, Marciaux und die anderen Piraten in ihren Booten noch an der Unglücksstelle verharrten und hilflos und voll ohnmächtigem Zorn zusehen mußten, wie die „Grinta“ endgültig unterging und auf den Grund der Reede sank, erreichten die Frauen die Galeone des Engländers und enterten über eine Jakobsleiter an Bord.
„He!“ rief einer der Männer der Deckswache ihnen zu, als er sie auf dem Hauptdeck erscheinen sah. „Was wollt ihr denn hier?“
Dalida stand zwischen den Türkinnen, der Mann konnte sie im Dunkeln unmöglich erkennen. Die anderen Männer der Wache hatten sich auf der Back versammelt und blickten zu dem Platz, an dem die Schebecke eben noch geankert hatte.
Jella hob in einer verzweifelten Gebärde die Arme. „Wir waren an Land, aber zur ‚Grinta‘ können wir ja nicht mehr zurück. Wohin sollen wir denn wohl sonst als zu euch?“
„Ja, wir müssen euch wohl aufnehmen“, brummte er. „Wartet auf Henry, er wird euch sagen, was mit euch wird.“
Die Frauen blieben vor dem Achterkastell stehen. Dalida gelang es, unbemerkt durch das Schott ins Innere zu schlüpfen und sich in einer der Kammern zu verstecken.
Die Boote der Piraten näherten sich der „Jane“ und der „Sans Pareil“. Marciaux war mit zu Henry in die Jolle gestiegen und saß neben ihm auf der Heckducht.
„Glaubst du wirklich, daß es das Werk des Seewolfs war?“ fragte er.
„Ich bin davon überzeugt!“ stieß Henry voll Wut hervor. „Wir müssen sofort auslaufen und ihn fassen, bevor er wieder flieht. Dieser gemeine, feige Bastard!“
„Was wird aus Selim und dessen Leuten?“
„Wir nehmen sie an Bord der ‚Jane‘. Und was wirst du tun, Marciaux?“
„Ich begleite dich“, erwiderte der Franzose. „Meine Galeone ist gut bestückt, es wäre doch gelacht, wenn wir den Seewolf nicht gemeinsam schlagen würden.“
Lord Henry hatte zwar erkannt, wer der Urheber des Attentats auf die Schebecke war, doch in einem Punkt irrte er sich: Der Seewolf floh nicht vor ihm. Zwei Meilen von Paphos entfernt lag die „Isabella“ jetzt mit aufgegeiten Segeln beigedreht in der See und wartete auf den Gegner – und diesmal hatte Hasard die Hecklaterne anzünden lassen, damit Henry und Selim ihn auch sofort fanden.
Es war eine offene Herausforderung zum Kampf, und der Gegner nahm sie an. Um sechs Glasen vor Mitternacht erkannte Gary Andrews, der nach wie vor im Großmars der „Isabella“ stand, daß sich von Nordosten zwei Galeonen näherten und Kurs auf sie nahmen.
Gefechtsbereit war die „Isabella“ nach wie vor. Hasard ließ zunächst das Großsegel, die Fock und die Blinde setzen und lief mit langsamer Fahrt, über Steuerbordbug segelnd, auf den Feind zu.
Er enterte mit Ben Brighton die Back und blieb neben Smoky stehen, der sich an den vorderen Drehbassen postiert hatte.
Shane war mit Pfeil und Bogen im Hauptmars verschwunden, Batuti hatte den Vormars geentert. Old O’Flynn hatte wieder die achteren Drehbassen übernommen, sein Sohn war auf die Kuhl hinuntergestiegen, um den Männern an den Culverinen zu helfen. Carberry rief seine letzten Anweisungen. Bill und die Zwillinge standen als Ladenummern an den Culverinen bereit, sie würden von einer Station zur anderen laufen, wenn die ersten Schüsse abgegeben waren und nachgeladen werden mußte.
„Noch einen Strich weiter Backbord, Pete!“ rief Ben Brighton Pete Ballie zu.
„Aye, Sir! Ein Strich Backbord!“
Hasard blickte zu den heransegelnden Galeonen, die jetzt für jedermann mit dem bloßen Auge zu erkennen waren.
„Na prächtig“, sagte er. „Henry hat mit dem Franzosen offenbar ein Bündnis geschlossen. Sie rücken beide an, um uns den Garaus zu bereiten. Bestimmt hat Henry bei seinem neuen Freund den Appetit angeregt und ihm erzählt, bei uns gebe es immense Schätze zu holen, bei deren Anblick jedem die Augen übergehen.“
„Der Franzose ist gut armiert, Sir!“ rief Gary Andrews. „Er hat mindestens zwölf Stücke auf jeder Seite.“
„Fein“, sagte der Seewolf mit einem kühlen Lächeln. „Wir führen die Hundesöhne ein wenig an der Nase herum. Erst sollen sie glauben, daß wir mitten zwischen ihnen hindurchsegeln wollen. Dann tun wir so, als wollten wir weiter anluven, um die überragende Position im Kampf zu gewinnen.“
„Das sollte doch auch unser Bestreben sein“, sagte Ben Brighton.
„Ich habe eine andere Taktik.“
„Du willst vor den Wind gehen?“
„Ja. Sag Ferris, daß wir die Höllenflaschen erst im allerletzten Moment einsetzen. Diesmal feuern wir zuerst unsere Kanonen ab.“
„Aye, Sir.“ Ben verließ die Back und kehrte zu Old O’Flynn, Ferris Tucker und Pete Ballie auf das Achterdeck zurück.
Hasard verweilte noch auf der Back.
„Der Abstand schrumpft schnell zusammen“, sagte er zu Smoky. „Uns trennen jetzt nur noch höchstens zweitausend Yards von Henry, Selim und dem Franzosen.“
„Glaubst du, daß Selim an Bord der ‚Jane‘ ist?“
„Mit seiner ganzen Mannschaft. Ich nehme an, er glüht vor Haß und Vergeltungssucht.“
„Achtung!“ schrie Gary. „Es tut sich was!“
Und da blitzte es auf der Back der „Cruel Jane“ auch schon hellrot auf. Eine Drehbassenkugel raste heran und schlug vor der „Isabella“ ins Wasser – gut und gern fünfzig Yards entfernt.
„Die Kriegserklärung“, sagte der Seewolf. Er drehte sich um und rief seinen Männern zu: „Kurs halten! Marssegel und Besan setzen!“
Die Männer wiederholten die Befehle, dann wurden die Geitaue des Großmars-, des Vormars- und des Besansegels gelöst. Straff spannte sich das Tuch, die „Isabella“ beschleunigte und rauschte mit steiler Bugwelle auf den Gegner zu.
„Anbrassen und höher an den Wind!“ schrie Hasard. „Zwei Strich Backbord!“
„Braßt an, ihr müden Barsche!“ brüllte der Profos. „Los, zeigen wir diesen Bastarden, wie wendig wir sind!“
Es krachte wieder, diesmal an Bord des Franzosen. Die zweite Kugel heulte auf die „Isabella“ zu und verschwand dicht vor ihrem Vorsteven mit einem hallenden Klatscher in den Fluten.
„Soll ich darauf antworten?“ fragte Smoky.
„Nein. Warte ab. Sieh mal, sie gehen auf unser Manöver ein“, erwiderte der Seewolf. „Sie luven an und gehen auf Kurs Westnordwest, um uns den Weg abzuschneiden. Darauf habe ich nur gewartet.“ Wieder wandte er sich der Kuhl zu und rief: „Abfallen jetzt und auf Kurs Ostnordost! Neun Strich Steuerbord!“
Pete legte Hartruder Steuerbord, die Crew stürzte an die Brassen und Schoten, um die Stellung der Rahen zu ändern. Die „Isabella“ fiel außerordentlich schnell vom Wind ab und lief, noch schneller werdend, in Lee auf den Franzosen zu, der, auf gleicher Höhe mit der „Jane“ segelnd, jetzt fast heran war.
Plötzlich hatte Hasard ihn genau vor den Mündungen der Backbord-Culverinen.
„Die vorderen vier Kanonen – Feuer!“ schrie er.
Fernand Marciaux erkannte genau wie Lord Henry und Selim das Vorhaben des Seewolfs zu spät. Er versuchte noch, wieder abzufallen, doch die „Sans Pareil“ ging zu langsam herum und zeigte der „Isabella“ immer noch ihre Bordwand und damit viel Angriffsfläche, als sich beide Schiffe auf entgegengesetztem Kurs begegneten.
Schon donnerten die 17pfünder der „Isabella“.
„Feuer!“ schrie nun auch Marciaux, doch zum genauen Zielen blieb seinen Geschützführern keine Zeit mehr.
Die Seewölfe hingegen hatten das richtige Maß genommen: Drei der vier losorgelnden Kugeln trafen die „Sans Pareil“, rasierten ihr das halbe Galion samt Bugspriet und Blinde weg, knickten ihren Fockmast an und nahmen ein Stück des Kuhlschanzkleides mit. Einer von Marciaux’ Decksleuten wurde außenbords befördert. Sein Todesschrei gellte durch die Nacht.
Die Kugeln der „Sans Pareil“ lagen zu kurz und rissen nur gischtende Wasserfontänen aus der See hoch.
„Feuer!“ tönte es wieder an Bord der „Isabella“, und jetzt spuckten die achteren vier Backbordgeschütze Feuer, Eisen und Rauch aus.
Marciaux ließ wutentbrannt die letzten Kanonen der Backbordseite zünden. Diesmal hatte er mehr Glück und brachte der „Isabella“ ein kopfgroßes Loch in der Bordwand und einigen Schaden am Schanzkleid bei.
Doch größer war die Zerstörung auf der „Sans Pareil“. Auch die zweite Salve der „Isabella“ saß. Die „Sans Pareil“ erbebte, Holz- und Eisentrümmer wirbelten, die Männer schrien, Verwundete wälzten sich auf dem Oberdeck.
Fernand Marciaux war entsetzt, einen solchen Auftakt der Schlacht hatte er nicht erwartet. Er ließ weiter abfallen und versuchte, der „Isabella“ nachzustellen, doch die lag jetzt bereits platt vor dem Wind und lief – mit noch schnellerer Fahrt – nach Südosten. Ihre beiden achteren Drehbassen dröhnten und entsandten noch einen Eisengruß an Marciaux, der dem ramponierten Galion den Rest besorgte.
Die „Isabella“ lief der allmählich auf Südkurs gehenden „Sans Pareil“ also davon, halste und luvte wieder an. Somit segelte sie jetzt in westlicher Richtung.
Lord Henry ließ fluchend vom Wind abfallen und steuerte ebenfalls nach Süden, dann aber, als er die neue Absicht des Gegners erkannte, wieder nach Südwesten.
Hasard ging auf Nordwestkurs, und somit befanden sich die beiden Erzfeinde jetzt auf Kollisionskurs. Dann aber schwenkte die „Isabella“ überraschend noch weiter herum und ging über Stag. Statt die „Cruel Jane“ von Luv her anzugreifen, wie Lord Henry und Selim fest angenommen hatten, zog sie hart am Vorschiff der „Jane“ vorbei, drehte bis nach Nordosten und rauschte in Lee dicht, sehr dicht an den vor Wut aufschreienden Freibeutern vorbei.
„Feuer!“ brüllte Lord Henry.
„Feuer!“ rief auch der Seewolf.
Die inzwischen nachgeladenen Backbordgeschütze wummerten und rollten zurück. Die volle Breitseite jagte zur „Jane“ hinüber und schien sich mit deren Breitseite zu kreuzen – und dann bohrten sich die Kugeln auf beiden Seiten mit Krachen und Splittern ins Schiffsholz.
Hasard und seine Männer lagen flach auf den Decksplanken und schützten ihre Köpfe mit den Händen. Trümmerteile prasselten auf sie nieder, aber niemand wurde schwer verletzt, nur hier und da gab es ein paar Kratzer, Beulen und Prellungen.
Hasard sprang wieder auf, lief von der Back auf die Kuhl und schrie: „Shane, Batuti, die Pulverpfeile! Ferris!“
Darauf hatten Shane, der Gambia-Mann und der Schiffszimmermann der „Isabella“ nur gewartet. Die Flaschen flogen torkelnd durch die Luft, die Brandpfeile mit den pulvergefüllten Schäften sirrten, und auf das Einschlagen der 17-Pfünder-Kugeln folgte eine ganze Serie von Explosionen an Bord der „Jane“.
Die „Isabella“ lief jetzt von der „Jane“ ab, befand sich mit einemmal wieder auf einer Höhe mit der „Sans Pareil“ und hatte sie in Lee liegen. Sofort ließ der Seewolf die komplette Steuerbordbatterie abfeuern, und so glitt die „Isabella“ nun doch als feuerspeiende Festung mitten zwischen den beiden Gegnern hindurch.
In Paphos wurde der Kanonendonner sehr wohl vernommen, doch kein Schiff lief aus, um in die Schlacht einzugreifen. Man fragte sich zwar, warum dort draußen so erbittert gekämpft wurde, aber niemand wollte seine Haut zu Markte tragen, nicht für einen windigen Franzosen oder für einen großen, groben Engländer oder für einen zwielichtigen Türken – oder für noch jemand anders, der in Paphos auf Zypern überhaupt nicht bekannt war.
Marciaux ließ das Feuer der „Isabella“ zwar noch erwidern, doch dann verzog er sich nach Süden, denn er hatte die Nase voll. Alles war anders gelaufen, als er sich ausgemalt hatte, ein Sieg war nur noch unter größtem Einsatz an Männern und Material zu erringen. Doch selbst für all das, was Henry ihm versprochen hatte, waren ihm sein Schiff und seine Mannschaft zu schade.
Fernand Marciaux, der einen Pakt genauso schnell brach, wie er ihn einging, verschwand mit seiner „Sans Pareil“ in der Nacht. Er hatte schon genug Verwundete und Tote zu verzeichnen. Es würde viel Arbeit verursachen, die Galeone wiederherzurichten, aber als ein noch schlimmeres Übel empfand es der Franzose, daß seine Leute und er in den nächsten Tagen nun wohl doch nur Thunfisch essen mußten.
Die „Isabella“, fast so schwer angeschlagen wie die „Sans Pareil“, luvte wieder an, lief um das Heck der „Cruel Jane“ herum und griff Lord Henry und Selim von Luv her an, ehe diese so weit herummanövriert hatten, daß sie die Steuerbordkanonen abfeuern konnten.
Schräg von achtern schob sich die „Isabella“ auf ihren Gegner zu, und immer noch flogen die Höllenflaschen und die Brandpfeile und sorgten drüben für Zustand. Smoky konnte jetzt die vorderen Drehbassen zünden. Er traf das Ruderblatt der „Jane“, so daß die Piratengaleone steuerlos in der See trieb.
„Klar zum Entern!“ schrie der Seewolf.
Er stand wieder auf der Back, hatte sich seinen Radschloß-Drehling umgebunden und hielt einen schweren Cutlass bereit.
Die Männer seines Enterkommandos versammelten sich hinter ihm.
„Sie sind schneller als wir!“ brüllte Tim Scoby Lord Henry vom Achterdeck aus zu. „Sie schaffen es, sie entern!“
„Drehbassen – Feuer!“ schrie Henry, der mit Selim auf dem Hauptdeck stand und selbst mithalf, die entstandenen Feuer zu löschen. Dort, wo sich die Kuhlgräting befunden hatte, klaffte ein gewaltiges Loch in den Planken, gerissen von der einen Flaschenbombe Ferris Tuckers, die die Luke des Frachtraums um ein Vielfaches erweitert hatte. Eine andere Flasche war weiter vorn eingeschlagen und hatte das halbe Vorkastell weggerissen.
Größer waren diesmal die Schäden, viel größer als bei dem Gefecht vom Vortag.
Scoby feuerte die beiden achteren Drehbassen auf die „Isabella“ ab und traf die Back, doch sofort erwiderte Smoky, der seine beiden Geschütze inzwischen nachgeladen hatte, die Schüsse. Scoby wurde getroffen und wie von einer unsichtbaren Faust nach vorn gestoßen. Er kippte über die Balustrade weg und schlug auf die Kuhl. Hier blieb er liegen und regte sich nicht mehr.
„Das Ruder ist zerstört!“ schrie Dark Joe, der kurz vorher den Platz des schwerverwundeten Rudergängers eingenommen hatte.
Henry schleuderte den Wasserkübel fort, den er gerade entleert hatte. Er winkte Selim zu, der nicht weit von ihm entfernt stand, und wies auf das Achterkastell. Selim verstand. Wenn sie zur Heckgalerie liefen, konnten sie von dort aus ein paar sichere Musketenschüsse auf die Gegner abgeben, die sich anschickten, die „Jane“ zu entern.
So liefen Henry und Selim Hals über Kopf in die Hütte – geradewegs in ihr Verderben. Die Türen der Kammern öffneten sich, plötzlich waren die Frauen im Gang und stachen mit Messern auf die beiden Männer ein – Dalida, Jella und die Türkinnen, insgesamt mehr als ein Dutzend.
Weil er sich Selim gegenüber nicht anders hatte verhalten können, hatte Lord Henry auch Jella und die Türkinnen im Hafen von Paphos zu sich an Bord genommen, doch er hatte ein unangenehmes Gefühl dabei gehabt. Er hatte ihnen befohlen, die Achterdeckskammern aufzusuchen und sich von dort nicht fortzurühren – und jetzt war das Komplott perfekt, jetzt kam zum Ausbruch, was seit Wochen geplant war, sowohl gegen Henry als auch gegen den türkischen Seeräuber.
Der Angriff erfolgte so unvermittelt, daß Henry und Selim sich nicht mehr verteidigen konnten. Stöhnend sanken sie zusammen.
Henry sah noch Dalidas Gesicht, ihre blitzenden dunklen Augen und hörte ihre Worte.
„Stirb, du elender Bastard! Du warst deiner Sache zu sicher und dachtest, leichtes Spiel mit mir zu haben. Dies ist nun meine Rache.“
Sie stieß noch einmal zu, dann beugte sie sich über ihn. Jella durchsuchte Selim, der mit weit von sich gestreckten Armen und Beinen im Gang lag. Sie förderte einen kleinen Lederbeutel zutage, in dem sie die Edelsteine, das Gold und die Perlen wußte, die Selim stets als seine Glücksbringer bei sich getragen hatte.
Dalida fand in einer von Henrys Taschen den Schlüssel zur Kapitänskammer. Sie lachte, richtete sich auf und lief den anderen Frauen voran. Sehr schnell hatten sie die Tür am Ende des Ganges erreicht und öffneten sie.
Über ihnen war das Gebrüll der Männer der „Isabella“, die jetzt die „Cruel Jane“ zum Greifen nah vor sich hatten und die Enterhaken warfen. Dark Joe, Codfish, Firuz und die anderen Überlebenden eröffneten das Musketenfeuer auf die Streitmacht der Gegner, doch dies konnte die Seewölfe nicht zurückhalten. Sie sprangen auf das Achterdeck der „Jane“ hinüber und kämpften sich säbel- und entermesserschwingend nach vorn.
Dalida betrat Lord Henrys Kammer und öffnete einen der Wandschränke, in dessen Boden sie das Versteck der kleinen Truhe wußte. Henrys wohlgehüteter Privatschatz – jetzt gehörte er ihr. Sie lockerte die Bodenbretter und warf sie achtlos hinter sich in den Raum. Jella eilte ihr zu Hilfe, und gemeinsam hoben sie die Truhe heraus.
Plötzlich aber schrie eine der Türkinnen auf.
Dalida und Jella fuhren zu ihr herum.
In der Tür stand eine grauenerregende Gestalt: Mechmed, der Berber. Schwimmend hatte er im Hafen von Paphos die „Cruel Jane“ noch erreicht, trotz seiner verletzten Schulter. Er war durchs Hennegat gekrochen und in dem Ruderraum bewußtlos geworden. Erst bei Beginn der Schlacht war er wieder zu sich gekommen, hatte aber die Entwicklung der Dinge abgewartet, um nicht von Henry und dessen Leuten entdeckt und über Bord geworfen zu werden.
Jetzt, da er sicher sein durfte, daß Henry und Selim die Verlierer des Gefechts waren, erschien er, um sich an Dalida zu rächen.
Er hatte immer noch sein Messer. „Du hast meine Kameraden umgebracht!“ schrie er. „Stirb auch du!“ Damit stürzte er sich auf sie.
Jella versuchte, der Ägypterin beizustehen, doch Mechmed war schon über ihr und stach auf sie ein. Dalida sank neben Lord Henrys Schatztruhe zusammen. Mechmed fuhr wieder hoch und wirbelte zu den anderen Frauen herum.
Jella schleuderte ihr Messer, traf Mechmeds Brust und sah mit Genugtuung, wie er zusammenbrach.
„Öffnet die Truhe!“ fuhr sie die Türkinnen an.
Doch jetzt stürmten die Seewölfe, die inzwischen die Kuhl der „Jane“ erobert hatten, auch schon das Achterkastell.
Jella riß die Tür zur Heckgalerie auf.
„Fort!“ rief sie. „Ins Wasser! Es ist unsere einzige Chance! Diesmal verschonen sie uns nicht!“
Sie kletterte als erste über die Balustrade und ließ sich ins Wasser fallen, die anderen folgten ihr.
Hasard und Ben Brighton blieben an der Spitze ihrer kleinen Gruppe im Achterdecksgang stehen. Das Handgemenge auf der Kuhl war bereits entschieden und hatte damit geendet, daß Dark Joe, Dobran und Firuz ihr Leben gelassen hatten, während Codfish und etwa ein Dutzend anderer Männer von der Galeone ins Wasser gesprungen waren. Die Ratten verließen das Schiff – die „Jane“ gehörte den Seewölfen.
Erschüttert sah Hasard auf Selim hinunter, dann entdeckte er auch Henry.
Lord Henry war noch nicht tot. Auf allen vieren war er bis zu seiner Kammer gekrochen, drückte nun die nur angelehnte Tür auf und arbeitete sich weiter vor bis zu Dalida und Mechmed.
Auch Mechmed lebte noch.
Er erkannte Henry in den rötlichen und schwarzen Schleiern, die vor seinen Augen wallten, stieß ein heiseres Lachen aus und flüsterte: „Henry, du verfluchter Hund von einem Giaur. Du hast uns – verkauft – aber wir, Dalida und ich – wir sind dir wie Geister gefolgt.“
„Verrecke“, sagte Henry keuchend.
„Weißt du noch – Reagan …“
„Du hast ihn vor Elba ins Meer – gestoßen?“
„Ja. Ich war es.“
Henry war bei der Truhe angelangt und zog sich halb an ihr hoch. „Scoby hat es – immer behauptet. Jetzt ist er tot.“
„Wir alle – müssen sterben“, murmelte Mechmed.
„Dann stirb“, sagte Henry rauh.
Mechmeds Kopf sank zur Seite, seine Gestalt erschlaffte.
Hasard und Ben betraten die Kapitänskammer und sahen, wie Henry über seiner Schatztruhe zusammenbrach. Der Seewolf, der sich sofort über ihn beugte, konnte nur noch seinen Tod feststellen.
„Fünf Messerstiche haben ihn getroffen“, sagte Hasard, als er sich wieder erhob und zu Ben umwandte. Soeben betraten auch Carberry, Ferris Tucker und die beiden O’Flynns den Raum. „Eine Verschwörung, wahrscheinlich von Dalida und Mechmed angezettelt. So hat er ein unrühmliches Ende gefunden, genau wie Selim.“ Er blickte Old Donegal Daniel O’Flynn an. „Und dein frommer Wunsch, Donegal, ist auch in Erfüllung gegangen.“
„Sollen wir die Beiboote der ‚Jane‘ abfieren, ehe der Kahn sinkt?“ fragte der Profos. „Sir, ich glaube, du willst die Überlebenden doch wenigstens vor den Haien bewahren, oder?“
„Ja. Fiert die Boote ab.“
„Die Truhe nehmen wir mit?“ erkundigte sich Dan.
„Selbstverständlich“, antwortete der Seewolf, dann bückte er sich, um Henrys Körper zur Seite zu räumen. „Los, helft mir!“
Keine Viertelstunde später waren sie von Bord der „Cruel Jane“ auf die „Isabella“ zurückgekehrt. Die Enterhaken wurden gelöst, die „Isabella“ gewann Abstand und segelte bald darauf nach Süden davon.
Die „Isabella“ geriet am darauffolgenden Morgen, dem 21. Dezember 1591, in einen jäh von Westen heraufziehenden Sturm und mußte an Zyperns südlicher Küste vorbei nach Osten ablaufen, um das Toben von Wind und Wasser abzureiten. Einen Tag und eine Nacht dauerte der Sturm an, und die Seewölfe wurden über den östlichen Landzipfel Zyperns hinaus auf die Küste des Libanons zugetrieben.
Ägypten und die Mündung des Nils waren immer noch fern …