Читать книгу Seewölfe Paket 13 - Roy Palmer, Fred McMason - Страница 49
2.
ОглавлениеHasard blickte durch das Spektiv, dann wandte er sich fragend an den Waffen- und Stückmeister Al Conroy: „Drehbassen einsatzbereit, Al?“
„Aye, Sir. Mit Grobschrot geladen. Wenn der Bursche schlechte Gedanken hat, fliegt ihm eine Menge Blei um die Ohren. Glaubst du, die Kerle haben sich eine List ausgeheckt, Sir?“
„Du meinst, wie sie die Araber uns kürzlich beschert haben?“
„So ähnlich, Sir.“
„Es ist nicht ausgeschlossen, aber für viele Leute ist die Feluke eigentlich zu klein. Sie sieht eher wie ein Händlerschiff aus, wie eins dieser Dinger …“
Hasard sprach nicht weiter, er überlegte, aber es fiel ihm nicht mehr ein, wo sie so ein ähnliches Ding einmal gesehen hatten. Jedenfalls war es nur eine sehr flüchtige Begegnung gewesen, und sie war sicherlich auch unwichtig. Feluken dieser Art gab es hier ja viele, und sie begegneten ihnen immer öfter.
Als das Spektiv absetzte, sah er auf der alten Feluke eine Bewegung.
Ein Mann erschien an Deck, dann ein zweiter, ein dritter. Einer der Kerle, er war in Türkenhosen gekleidet, deutete mit der Hand zur „Isabella“. Daraufhin erschienen noch zwei Männer an Deck, die ebenfalls angestrengt herüberblickten.
„Scheint so, als hätten sie uns jetzt erst bemerkt“, sagte Big Old Shane, der ehemalige Waffenschmied der Feste Arwenack.
„Ja, das scheint so“, sagte Hasard, „sie können aber auch nur so tun als ob. Ich traue den Kerlen nicht einmal so weit, wie ich sie sehen kann.“
„Sarazenen“, murmelte Ben. „Vielleicht sind auch ein oder zwei Türken dabei. Hast du mal die Waffe gesehen?“
„Eine Holzschleuder, um griechische Feuertöpfe zu verschießen“, sagte der Seewolf. „So ein kleines Biest kann uns ganz schön gefährlich werden. Diese Feluke ist wie ein kleiner giftiger Skorpion mit einem tödlichen Stachel.“
Er blickte wieder durch das Spektiv und suchte nach Qualm, der ankündigte, daß die Kerle einen dieser teuflischen Brandsätze vorbereiteten, er konnte jedoch nichts entdekken.
Dafür sah er eine recht abenteuerliche Gestalt auf der Feluke, die sich von den anderen bunten Figuren deutlich abhob.
Dort stand ein Mann, der eigentlich in keine Kategorie paßte, weil er einfach nicht einzuordnen war.
Fraglos war es ein Araber, und er erinnerte Hasard an eine Mischung aus edlem Scheich, buntem Abenteurer, tollkühnem Piraten und listigem Halsabschneider.
Niemand an Bord ahnte, daß sie diesem eigenartigen Glücksritter schon einmal begegnet waren. Sie hatten es nur nicht bemerkt, denn die Feluke gehörte Ali Abdel Rasul, dem geheimnisvollen Mann aus Ägypten, Syrien, Alexandria, oder woher auch immer er stammen mochte.
Ali Abdel Rasul war der „Isabella“ gefolgt, so unauffällig, wie es seinen Künsten entsprach, denn viele Stimmen hatten ihm etwas geflüstert, tausend Augen hatten die „Isabella“ gesehen, und viele hundert Ohren hatten etwas gehört.
Und das alles hatte Rasul in sich aufgesogen wie ein durstiger Schwamm. Außerdem hatte er mit der „Isabella“ noch eine Abrechnung offen, von der die Seewölfe nicht das Geringste ahnten.
Ebensowenig ahnte der Seewolf, daß dieser Mann hinter ihm her war, sehr viel Zeit hatte, und daß Ali Abdel Rasul mal als Bettler, mal als Arzt, mal als Händler und mal als Pirat auftrat. Er war ein Mann der tausend Verkleidungen, und er sollte einer der ersten sein, der die „Isabella“ und ihre Crew in die Knie zwang.
Aber das war an diesem Tag vor Weihnachten noch alles offen.
„Ein merkwürdiger Kerl“, sagte Hasard und reichte das Spektiv an Ben Brighton weiter. „Wie würdest du ihn einschätzen?“
Nach einer Weile hob Ben ratlos die Schultern.
„Ich weiß es nicht genau“, sagte er. „Ein Schlitzohr, ein Galgenstrick, ein Abenteurer auf jeden Fall. Sein Bart erinnert mich an einen Scheich. Scheint auf jeden Fall der Kapitän dieser seltsamen Leute zu sein.“
Er hatte gerade zu Ende gesprochen, als zwei Männer auf der Feluke plötzlich die Arme hochrissen und etwas herüberbrüllten. Auf die Entfernung war das jedoch kaum zu verstehen.
Dafür hatten es die Zwillinge verstanden.
„Sie entbieten uns ihren Gruß, Dad, Sir“, sagte Hasard junior. „Und sie sagen, daß Allah uns beschützen möge.“
Hasard blickte mißtrauisch in die Runde. Überall sah er Gesichter, in denen der gleiche mißtrauische Ausdruck stand. Da gab es keinen, der sich vorbehaltlos über diesen Gruß freute. Jeder seiner Männer vermutete ein abgekartetes Spielchen, zumindest eine boshafte Teufelei oder eine ausgeklügelte List.
Diese Feluke war keinem geheuer, sie wußten alle nicht so richtig etwas mit ihr anzufangen.
„Und wenn sie uns zehnmal ihren Gruß entbieten und freundlich sind“, sagte Hasard. „Seid auf der Hut. Die Kerle haben etwas vor, die liegen nicht von ungefähr hier. Sobald einer an der Feuerschleuder herumhantiert, kriegen sie was aufs Fell gebrannt.“
„So schnell legt uns keiner mehr rein“, brummte Ferris Tucker, der rothaarige Schiffszimmermann. „Und seht mal ganz genau hin: Der Äppelkahn liegt tief im Wasser, tiefer als normal jedenfalls. Und ihr wißt, daß wir so eine miese Tour gerade noch heil überstanden haben.“
Daran entsannen sie sich nur noch allzu deutlich, und ein zweites Mal passierte das mit Sicherheit nicht.
Gesundes Mißtrauen bedeutete an diesen Küsten das halbe Leben.
Der Nebel verzog sich weiter, und auf der Feluke riß wieder einer der seltsamen Kerle die Arme hoch und begrüßte die Seewölfe wie alte Freunde, als hätten sie nichts anderes erwartet, ausgerechnet hier auf die Crew zu treffen.
Acht Mann hatten sie jetzt zu Gesicht bekriegt, und dann tat sich auf der Feluke etwas. Da sich immer noch kein Lüftchen rührte, wurden drüben Riemen an Deck gebracht, eingehängt in armstarke Rundsein, und gleich darauf setzte sich die Feluke schwerfällig in Bewegung.
Vier Kerle pullten im Stehen, so ähnlich, als würden sie eine große Gondel über das Wasser treiben.
„Mut haben sie ja, das muß man ihnen lassen“, sagte Hasard, als die Feluke Kurs auf die „Isabella“ nahm. „Besetzt die Drehbassen und haltet auch zwei Culverinen schußbereit. Stückpforten hoch, sobald sie dicht dran sind.“
Ferris Tucker und Al Conroy hatten außerdem noch zwei Flaschenbomben zurechtgelegt.
Egal wie, aber mit einer List kamen die Kerle nicht an Bord, eher ging die Welt unter.
Langsam trieb die Feluke näher heran. Auf dem Deck waren überall freundliche lächelnde Gesichter zu sehen. Die Orientalen verbeugten sich, grüßten höflich, priesen Allah und wünschten den Seewölfen ein langes Leben.
Der Mann mit dem kühn geschnittenen Gesicht und dem scharf ausrasierten Oberlippen- und Kinnbart verneigte sich besonders tief.
Plötzlich sprach er zum Erstaunen aller spanisch. Hasard glaubte, nicht richtig zu hören.
„Allah sei mit euch, Senor“, sagte er laut. „Die Sonne möge ewig auf Seine Majestät Philipp den Zweiten scheinen, und sein Leben möge erfüllt sein von Glück und Freude.“
Wieder erfolgte eine respektvolle Verneigung, und die Blicke Hasards und Rasuls kreuzten sich für den Bruchteil einer Sekunde.
Hasard sah in kohlschwarze Augen, in ein kühnes Gesicht und gestand sich ehrlich ein, daß er den Mann nicht unsympathisch fand, wenn sich auch seine Seele nicht ausloten ließ. Hinter diesen Augen lauerte etwas, das nicht zu definieren war.
Der Seewolf beugte sich etwas weiter vor, zeigte zwei schneeweiße Zahnreihen und lächelte dünn.
„Meinetwegen kann es auf Philipp den Zweiten den ganzen Tag Kastanien regnen“, sagte er auf englisch. „Und wenn ihr nur noch ein Yard näher heranrudert, geht unser großer Böller los!“
Schlagartig wurde die Feluke gestoppt. Hasard sah unter dem arabischen Kopfputz des Mannes ebenfalls weiße Zähne blitzen.
Dann haute es ihn fast um, als Rasul sich wieder verneigte und in einwandfreiem Englisch antwortete.
„Vergebt mir Unwissendem tausendmal, o Herr. Möge die Sonne sich von dem spanischen König abwenden und von nun an das edle Haupt Eurer ehrwürdigen Königin Elisabeth bescheinen. Auch Ibrahim kann sich mal irren, denn ich hielt euch für Spanier.“
Schlitzohriger Bastard, dachte Hasard amüsiert. Hängst deinen Kopfputz immer in den Wind.
„Was wollt ihr von uns?“ fragte er direkt, ohne auf die lauen Höflichkeitsfloskeln einzugehen.
„O Herr, ich bin Ibrahim, der syrische Händler, euer ergebenster Diener. Ich möchte euch die Köstlichkeiten des Orients offenbaren, meine Waren vor euch ausbreiten und euch zum Kauf verlocken.“
„Ein einfacher Händler, der über die Meere fährt, um fremden Schiffen seine Waren zu verkaufen?“ fragte Hasard spöttisch.
„Ein armer, einfacher Händler, Herr, so ist es, der sieben nichtsnutzige Bastarde mit sich führt, die er ernähren muß.“
Wieder erfolgte eine Verneigung, dann zeigte Ibrahim, wie Rasul sich nannte, auf die „sieben nichtsnutzigen Bastarde“, die grinsend und freundlich an Deck standen.
Hasard suchte den Köder, aber noch fand er ihn nicht. Dieser schillernde Taugenichts war mit Leim beschmiert, von oben bis unten, das war ihm längst klar, nur kam er nicht dahinter, ob hier wirklich ein Köder auslag, oder ob es sich um einen ganz besonders gewieften orientalischen Schacherer handelte, einen fahrenden Kaufmann, der die Leute einseifte und übers Ohr haute.
Dieser Kerl war eine Herausforderung für ihn, er strahlte etwas Schlitzohriges aus und konnte ebensogut ein ehrlicher Kumpel wie betrügerischer Schnapphahn und Beutelschneider sein.
„Und jetzt möchtet ihr an Bord, um eure Köstlichkeiten vorzuführen?“ fragte der Seewolf ironisch.
Daß dieser Mann eine unerkannte Gefahr in sich barg, bewies ihm allein das sorglose Grinsen seiner Leute. Selbst der mißtrauische Profos amüsierte sich, und auch Old O’Flynn schien Sympathien für diesen Schnapphahn zu empfinden.
Ibrahim verstand es jedenfalls ganz hervorragend, die Wachsamkeit der Seewölfe einzulullen, und das gab Hasard sehr zu denken.
„Nein, o Herr!“ Ibrahim tat entrüstet. „Nie würden wir wagen, euer Schiff zu betreten. Wir sind nichtsnutzige, armselige und unwürdige Händler, die durch den Verkauf von Waren bescheiden leben. Wir möchten euch bitten, unsere Waren anzusehen, denn ganz sicher werdet ihr einiges brauchen können. Und ich kann versprechen, daß ich fast alles liefere, was ihr wünscht, Herr.“
In Hasards Gesichtsausdruck lag immer noch jener spöttische Zug, denn er glaubte dem Kerl nicht und hielt ihn für einen Märchenerzähler, der sie ablenken wollte, um in aller Ruhe eine Teufelei auszuhecken.
Dabei dachte der Seewolf unwillkürlich an den Gaukler, der sie damals reingelegt hatte, und an andere Kerle, die es ebenfalls auf ähnliche listige Weise versucht hatten.
Unwillkürlich zuckte er leicht zusammen, als sich weit hinter der Feluke etwas aus dem Wasser hob. Es schnellte hoch, verschwand aber sofort wieder, und erst im letzten Augenblick erkannte Hasard, daß es ein vorwitziger Delphin war, der wieder auf Tiefe ging.
„Wie wär’s denn mit Aladins Wunderlampe?“ fragte der Moses Bill grinsend. „So etwas würde ich gern kaufen.“
Ibrahim lachte leise und zeigte wieder sein prächtiges schneeweißes Gebiß.
„Ich sagte ‚fast alles‘, junger Herr. Aber Wunderlampen und fliegende Teppiche hat selbst Ibrahim nicht anzubieten. Aber ihr könnt Messer, reichverzierte Dolche, Pistolen, Lampenöl, Tonkrüge, und was der Dinge mehr sind, sehr billig erwerben.“
Der Sarazene blieb hartnäckig. Er wollte den Seewölfen mit aller Gewalt etwas verkaufen.
Was, fragte sich Hasard, wenn der Kerl nun wirklich ein ganz harmloser Händler war, der sein Dasein durch den Verkauf von Waren an Seeleute fristete? Mußte man deshalb immer gleich das allerschlimmste annehmen?
Ja, verdammt, das mußte man, die Erfahrung hatte das überreichlich gelehrt und immer wieder bewiesen, und er ärgerte sich insgeheim, daß er diesen Ali Baba, diesen Gaukler Aladin, oder wie immer der Kerl heißen mochte, schon als harmlos einzustufen begann.
Ungerührt und mit orientalischer Hartnäckigkeit pries er seine Waren weiter an. Dann ließ er die Feluke so drehen, daß der Blick auf einen achteren Raum fiel, der kostbar ausgestattet war. Hasards Kapitänskammer nahm sich dagegen fast schäbig aus.
Boden und Wände waren mit Teppichen belegt und behängt. Von der Decke baumelten Öllampen, über den Teppichen waren Krummschwerter und Dolche angebracht. Da gab es Wasserpfeifen, Tonkrüge, kostbare Stoffe, Silberwaren und arabische Teetische aus gehämmertem Messing.
Einer der Kerle, der die türkischen Bundhosen trug, zauberte ein paar winzige Tassen herbei, schnappte sich einen Kupferkessel voll dampfenden Wassers und goß das Zeug aus Kopfhöhe bis zu den Knien hinunter zielsicher in die Tassen, ohne einen einzigen Tropfen zu verschütten oder sich die Hand zu verbrühen.
„Pfefferminztee mit Rosenöl, Tee mit Orangenwasser, oder darf ich euch kühlen Tamarindensaft zur Begrüßung anbieten?“ fragte der vermeintliche Händler eifrig.
„Wir wünschen keine Getränke“, sagte Hasard schroff und dachte daran, daß der Herrscher von Tortuga mit einem ähnlichen Trick auch schon einmal versucht hatte, die „Isabella“ in seine Gewalt zu bringen. Damals war es vergiftetes Trinkwasser gewesen, hier konnte es vergifteter Tee sein. Der Trick war zwar nicht neu, aber immer noch wirksam.
„Was wir brauchen, sind Eisenkugeln und Pulver, und damit werdet ihr ganz sicher nicht handeln.“
„Ihr tut mir unrecht, Herr“, jammerte Ibrahim. „Ihr stoßt die Hand eines Freundes zurück, der es gut mit euch meint. Ibrahim will euch helfen, Herr. Ihr habt Siebzehnpfünder, wie ich sehe. Wie viele Kugeln braucht ihr?“
„Etwa hundert“, sagte der Seewolf lässig und grinste den Händler herausfordernd an, der ein unglückliches Gesicht zog.
„Sieh nach, ob wir noch hundert haben, Moshe!“ befahl Ibrahim einem seiner grinsenden Kerle. Dann wandte er sich wieder an den total verblüfften Seewolf. „Würden euch zehn Faß Pulver genügen, Herr?“
Hasard sah den Profos an, der blickte ungläubig zurück, und auch die anderen zogen ratlose und verblüffte Gesichter.
„Ihr habt Siebzehnpfünder an Bord?“ fragte Al Conroy fassungslos.
„Ja, Herr“, klang es unglücklich zurück, „aber vielleicht sind es nur noch neunzig oder ein paar weniger.“
„Das ist ja nicht zu fassen“, sagte Ben Brighton. „Diese Feluke ist wohl ein schwimmender Bazar, was? Der Kerl hat einfach alles. Wenn er vernünftige Preise hat, könnten wir ihm vielleicht doch einiges abkaufen.“
„Ich kann ja jetzt schlecht nein sagen, wenn ich die Kugeln und das Pulver geordert habe.“ Hasards Stimme klang leicht gereizt.
Und sein Blick wurde fast böse, als dieser Hundesohn von einem Händler voller Stolz verkündete, sie hätten doch noch zufällig, wie Allah es fügte, genau hundert Kugeln an Bord.
„Nimm dich in acht, Sir“, raunte der alte O’Flynn. „Dieser Kerl ist ein Zauberer, ein Gaukler, der steht mit dem Satan im Bund und hat einen Pakt mit ihm geschlossen.“
„Diesmal muß ich dir fast recht geben, Donegal. So etwas Ähnliches dachte ich auch schon.“
Hasard unternahm aber noch einen letzten Versuch, um diesen merkwürdigen Händler loszuwerden.
„Vorher müssen wir uns über den Preis einigen!“ rief er. „Wenn die Kugeln und das Pulver zu teuer sind, kaufe ich sie an Land.“
„O Herr, ihr wißt die wahre Freundschaft nicht zu schätzen“, klagte Ibrahim. „Ich habe die Kugeln und das Pulver von einem gestrandeten Schiff genommen. Ihr seht, ich bin ein ehrlicher Mann. Sie haben mich also nur die Arbeit gekostet und sonst nichts. Aber ich muß meine Leute bezahlen und habe die Unkosten. Würdet ihr es als unverschämt empfinden, Herr, wenn ich zwei englische Pfund nehme?“
„Für jedes Faß Schießpulver?“ fragte Hasard.
„Für alles zusammen, Herrn. Für die Kugeln, das Schießpulver und die dazugehörenden Fässer.“
Einen Augenblick lang hatte Hasard das Gefühl, als flögen ihm die Pulverfässer um die Ohren. Der Kerl kann doch nicht mehr ganz richtig im Kopf sein, dachte er entgeistert.
„Zwei englische Pfund?“ schrie er zurück.
„Ibrahim will euch nicht schädigen, Herr“, jammerte der Händler. „Gut, ich gebe mich mit eineinhalb zufrieden.“
Die ersten Kugeln und Fässer wurden bereits aus dem Bauch der Feluke an Deck geschleppt.
Hasard wandte sich an Ferris Tukker, der mit verblüfftem Gesicht neben ihm stand.
„Was hältst du davon, Ferris?“
Ferris kratzte seine roten Haarborsten und hob die Schultern.
„Mehr als geschenkt“, meinte er. „ein geradezu idiotisch geringer Preis. Entweder will er uns zu weiterem Kauf animieren, oder er führt etwas im Schilde. Aber ich habe mir den Kahn genau angesehen, Sir. Für Verstecke ist er nicht geeignet, und wenn er wirklich hundert Kugeln und viel Schießpulver an Bord hat, dann wundert mich auch sein Tiefgang nicht. Das ist ganz normal.“
„Das stimmt. Was könnte er, deiner Meinung nach, vorhaben?“
„Da bin ich überfragt, vielleicht täuschen wir uns wirklich in dem Schlitzohr, ganz geheuer ist er mir jedenfalls nicht.“
Während weiterhin Kugeln an Deck der Feluke gebracht wurden, verschwand Ibrahim in seiner Schatzhöhle, kehrte aber gleich darauf mit einem kleinen trommelähnlichen Instrument zurück.
Er hielt es an drei Fäden und ließ es langsam auf die Wasseroberfläche gleiten.
„Ibrahim wird euch ein Kunststück zeigen“, verkündete er, um seine neuen Kunden restlos zu verblüffen. „Mit dieser Trommel zaubere ich einen Delphin aus dem Meer!“
Hasard lachte schallend, und auch die anderen stimmten in das Gelächter ein.
Der gewiefte Kerl hatte den Delphin natürlich auch gesehen. Wahrscheinlich hing unten an der Trommel ein Fisch, der den Meeresbewohner anlockte, der sich hier in der Nähe herumtrieb.
Ging das Experiment schief, hatte Ibrahim nicht viel verloren, klappte es aber, dann würden natürlich alle staunen, und so köderte er seine Kunden wieder einmal.
Hasard und seine Männer nahmen es als einen kleinen Scherz, aber wenn sie den Ernst der Lage gekannt hätten, dann hätten sich ihnen allen die Haare gesträubt, denn Ibrahim konnte viel mehr, als einen Delphin aus dem Wasser zu locken. Er spielte schon jetzt mit den Seewölfen Katz und Maus, ohne daß es einer merkte.
An den Fäden ließ er die Trommel auf dem Wasser tanzen. Seine schlanken Finger zuckten in einem ganz bestimmten Rhythmus, dann wurden sie ruhig, und der schlitzohrige Händler schaute mit starrem Gesicht auf die ruhige Wasserfläche.
Hasard ließ sich jedoch nicht ablenken. Immer wieder blickte er in die Runde, beobachtete die Kerle auf der Feluke und konnte nichts Ungewöhnliches feststellen.
Doch dann wurde sein Gesicht sehr nachdenklich, und über seiner Nasenwurzel stand eine steile Falte.
Plötzlich war da ein Schatten unter der Feluke. Er wurde größer und schnellte sich dann mit einem gewaltigen Satz aus dem Wasser. Der schlanke Leib eines Delphins wurde in der Luft sichtbar, ein merkwürdiger Keckerlaut ertönte von dem Tier, dann fiel es wieder ins Wasser zurück und umschwamm die Feluke.
Zwischen der „Isabella“ und dem Händlerschiff zog der Delphin seine Kreise, und sobald er seine spitze Schnauze aus dem Wasser hob, schien es den Seewölfen, als grinse der Delphin.
Dicht neben der Trommel schnellte er sich mit einem gewaltigen Satz in die Höhe, schleuderte Wasser hoch und ließ sich von dem arabischen Händler einmal schnell streicheln. Dann fiel er wieder ins Meer zurück, blieb aber dicht unter der Wasseroberfläche immer in der Nähe der Feluke.
Noch ein paarmal ließ Ibrahim den Delphin springen, dann verschwand das Tier unter der „Isabella“ und jagte weiter.
Diese Vorführung war so verblüffend, daß zunächst keiner ein Wort sagte. Ungläubig sahen sie auf den geheimnisvollen Händler, der jetzt seine Trommel einholte und zufrieden vor sich hin grinste.
„Das – das ist fast wie Zauberei“, sagte Ben Brighton beeindruckt. „Der Kerl wird mir richtig unheimlich.“
Die Erstarrung von den Seewölfen löste sich, dann begannen sie alle wie wild zu klatschen, was der Händler mit sichtbarem Stolz zur Kenntnis nahm.
„Hat es euch gefallen, Herr?“ fragte Ibrahim.
„Nun, es hat mich beeindruckt“, gab der Seewolf zu. „Wenn ich den Trick kenne, wird er mir vielleicht auch gelingen.“
Zuvorkommend hielt der Kerl die Trommel hoch, auffordernd und grinsend, ganz im Gefühl seiner Überlegenheit.
Die Feluke war nur noch drei Yards von der „Isabella“ entfernt, und jetzt ließ Hasard zu, daß sie anlegte. Solange sich die Kerle auf ihrem Kahn befanden, drohte keine Gefahr. Selbst wenn sie an Deck erschienen, schafften sie es nicht, die Seewölfe zu überrumpeln.
Bill nahm die Trommel entgegen, und als die anderen ihn umringten, ließ er sie ebenfalls auf das Wasser gleiten und vollführte wilde Handbewegungen, wie er es bei dem Händler gesehen hatte.
Der Delphin ließ sich jedoch nicht blicken. Als Blacky, Smoky und auch Stenmark es versuchten, blieb er ebenfalls unsichtbar. Selbst die Zwillinge, mit allerlei Tricks des Orients vertraut, schafften es nicht, das Tier sichtbar werden zu lassen.
Hasard versuchte es erst gar nicht, damit die Überlegenheit des Händlers nicht zu sehr dominierte.
Eine gewisse Vertrauensbasis war jetzt aber doch hergestellt, fand der Seewölf, und das wurmte ihn. Denn Vertrauen schläfert den Verstand ein und schafft Unaufmerksamkeit. Verdammt, und gerade das wollte er vermeiden, aber es gab beileibe nichts, was er diesem gewieften Händler anhängen konnte. Der war anscheinend nur auf sein Geschäft bedacht.
Die Kugeln wurden zur Kuhl hinaufgereicht. Dann waren die Fässer mit Schießpulver an der Reihe.
Da faßte Hasard seinen Entschluß, als der Händler wieder mit den Teetassen winkte und sie erneut einlud, die Schätze des Orients zu besichtigen.
„Ferris und ich sehen uns einmal um“, sagte er. „Von den anderen erwarte ich nichts weiter als Aufmerksamkeit. Ihr wißt, was ihr zu tun habt.“
Ja, das wußten sie alle. Selbst wenn es Ibrahim einfallen sollte, die beiden Männer als Geiseln zu nehmen, gab es keinen Pardon. Sie ließen sich weder erpressen noch hereinlegen, auch nicht um den Preis eines Lebens. Das hatte der Seewolf angeordnet.
Hasard hatte dabei allerdings noch einen Hintergedanken. Dieser mit allen orientalischen Wässerchen gewaschene Händler konnte ihm vielleicht behilflich sein. Er kannte Allah und die Welt, und er kannte sicher auch das, was der Seewolf wissen wollte. Aber das würde sich ja gleich erweisen.
Der Profos verzog mißmutig das Gesicht, weil Hasard nicht ihn mitnahm, sondern seinen Freund Ferris Tucker. Aber auch das war geplant. Ferris hatte den richtigen Blick für Geheimverstecke und Größenverhältnisse auf Schiffen, das hatte er kürzlich gerade wieder einmal bewiesen.
Als sie an Deck der Feluke standen, verneigte sich Ibrahim fast bis auf die Planken.
Als Begrüßungsschluck reichte er den beiden Männern frisch gebrühten Tee mit Rosenöl. Die kleinen Tassen stellte er auf den eigens an Deck gestellten Messingtisch.
„Allah möge über euch wachen, Herr“, sagte er salbungsvoll. „Ihr, die ihr den Armen helft, sollt ewig leben.“
Dann griff Ibrahim zu seiner Tasse, doch Hasard faßte lächelnd sein Handgelenk und hielt es fest.
„Beim ersten Schluck auf eine neue Freundschaft tauschen wir immer die Tassen“, erklärte er.
Er wartete auf eine enttäuschte Reaktion, doch die blieb aus. Dafür blitzte es in den Augen des Händlers freudig auf.
„Eine ehrwürdige Sitte, Herr“, sagte er unterwürfig und ließ zu, daß der Seewolf die Tassen tauschte.
Das alte Schlitzohr hat mich durchschaut, dachte Hasard. Der hatte genau gemerkt, auf was er hinauswollte.
Der Tee schmeckte süß, war kochend heiß und verströmte ein köstliches Aroma.
„Herr“, sagte Ibrahim, „ihr habt ein gut bewaffnetes Schiff, eine prächtige Galeone, wir dagegen sind nur unzulänglich bewaffnet mit einer kleinen hölzernen Schleuder, aber ihr wäret gut beraten, wenn ihr griechisches Feuer bei mir kauftet. Auch solltet ihr euch eine ähnliche Schleuder zulegen, falls euch mal die Kugeln ausgehen.“
„Du hast griechisches Feuer zu verkaufen?“ fragte Ferris.
„Ja, Herr. Ihr könnt alle Zutaten haben, die ihr braucht.“
„Ich denke, die Zusammensetzung ist geheim.“
„Nun, Herr, Geschäft ist Geschäft, davon leben wir. Ihr werdet einige der dazugehörenden Ingredienzen nicht kennen, und ich werde auch nicht das Geheimnis verraten, sonst bin ich ja meine Kunden los“, setzte er listig hinzu. „Ich werde euch das gern einmal zeigen, Herr. Feuer, das von selbst entsteht.“
Dann wandte er sich an einen seiner ewig und unterwürfig grinsenden Kerle und sagte etwas auf Arabisch.
Zwei Männer verschwanden und kehrten gleich darauf mit kleinen Fässern unter den Armen zurück, die sie öffneten.
Der Händler erklärte es ihnen, griff in dieses und jenes Fäßchen, nahm ein paar Körner, etwas Pulver, Zeug, das aussah wie Holzkohle, und lächelte dazu.
„Man kannte es schon im alten Byzanz“, sagte er. „Kallinikus, der große Meister aus Heliopolis in Syrien hat es erfunden. Das ist fast tausend Jahre her. Hier sind Pech, Schwefel, Naphta, Holzkohle und ungebrannter Kalk, daraus besteht es.“
„Und was ist in dem Fäßchen da?“ wollte Ferris wissen, dessen Neugier jetzt immer stärker wurde.
„Das ist das Geheimnis, das mir meine Kunden sichert“, erwiderte der Händler lächelnd.
Er rührte die Mixtur, von jedem etwas, in ein Messingbecken und schnippte mit den Fingern.
„Geht nicht zu nahe heran!“ warnte er.
Ein weiteres Fingerschnippen zauberte den Kerl in Bundhosen herbei, der vorsichtig ein paar Tropfen gepütztes Meerwasser in das Messingbecken goß.
Es zischte, Qualm stieg auf, dann zuckte eine Flamme hoch, züngelte wild und heiß in der Luft und brannte ein paar Sekunden lang. Auch als der Mann weiteres Wasser nachgoß, erlosch das Feuer nicht. Schließlich ergriff der Händler das Messingbekken, hob es hoch und schüttete den Inhalt ins Meer. Auf der Oberfläche brannte das Zeug noch etwas weiter, dann erlosch es schließlich, wie der Inhalt der chinesischen Brandsätze.
Ferris Tucker war hellauf begeistert, Al Conroy verkniff sich gerade noch einen Freudenschrei, und auch der Seewolf war begeistert.
Über den Preis wurde man sich schnell einig. Ibrahim feilschte zwar noch ein wenig, aber er gab bald nach, und keiner hatte das Gefühl, er hätte sie übers Ohr gehauen.
Zum Teufel, dachte Hasard. Was hatte der Kerl nur vor? Er rüstete sie mit griechischem Feuer aus, schaffte Kanonenkugeln und Pulver herbei und verlangte lächerliche Preise. Aber er nahm nicht immer sehr wenig, trieb den Preis mitunter auch geschickt in die Höhe oder bedauerte, von diesem und jenem nur einen kleinen Vorrat auf Lager zu haben.
Die Seewölfe, die vom Schanzkleid aus zuschauten, begann jetzt auch noch, den Kerl zu loben. Ibrahim hatte sie mit seinen Sperenzchen schon halb in die Tasche gesteckt.
„Darf ich fragen, welchen Kurs ihr steuert, Herr?“ fragte der Händler, als sie zwischen Teppichen, Degen, Wasserpfeifen und Tonkrügen standen und immer wieder Datteln, Feigen, Nüsse und Backwerk angeboten kriegten.
Hasard sah den Händler aufmerksam an. War da nicht ein Lauern in den schwarzen Augen, eine versteckte Gier? Oder bildete er sich das nur ein?
Ibrahim senkte schuldbewußt den Blick.
„Verzeiht, Herr“, sagte er leise. „Es steht mir nicht an, Neugier zu zeigen, aber vielleicht kann ich euch helfen. Ibrahim kennt Weg und Steg. Ibrahim kennt alle Länder an den östlichen, nördlichen und südlichen Küsten.“
„Wir treiben Handel“, sagte Hasard ausweichend. „Oder versuchen, neue Märkte zu öffnen, Kostbarkeiten mitzubringen, und eines Tages werden wir, schwer mit den Schätzen des Orients beladen, wieder nach England zurückkehren. Aber vielleicht kannst du mir doch helfen, Ibrahim. Wir sind auch von Entdeckerdrang beseelt und haben von einem Land gehört, in dem es himmelhohe Bauwerke gibt oder geben soll. Diese Bauwerke sollen so unwahrscheinlich groß sein, daß ich nicht glauben kann, daß sie existieren, denn sie müßten allein durch ihr Gewicht einstürzen, können also gar nicht gebaut werden, wie mir zu Ohren kam.“
„Es gibt sie, Herr“, sagte der Händler sehr bestimmt. „Habt ihr eine Karte oder Aufzeichnungen darüber?“
„Ja, das heißt nein, natürlich nicht, wir haben mal eine Karte darüber in einer Spelunke gesehen, aber das ist schon lange her, und wahrscheinlich war das eine Fälschung.“
Der Händler ließ sich nichts anmerken, aber er spürte, daß der große schwarzhaarige Mann ihn soeben angelogen hatte.
„Diese Bauwerke“, sagte er. „nennt man die Pyramiden. Sie stehen in Ägypten, in der Wüste. Die Pharaonen haben sie vor Jahrtausenden erbauen lassen, und ich wette meine Feluke gegen euer Lächeln, daß es auf der ganzen Welt keine größeren Bauwerke gibt. Diese Pyramiden sind die Grabstätten der alten Könige und Pharaonen – und sie sollen unermeßliche Schätze bergen.“
„Das weißt du genau?“ fragte Hasard gespannt.
„Ganz genau, Herr.“
„Hast du sie selbst gesehen?“
„Nein, Herr. Um sie zu erreichen, muß man den größten Strom des Kontinents hinaufsegeln. Doch das ist mit unglaublichen Gefahren verbunden.“
Diesmal war sich der Seewolf ziemlich sicher, daß Ibrahim ihn anlog. Nicht, was diese Bauwerke betraf, die gab es vermutlich doch, und der Händler hatte sie auch schon gesehen, aber er stritt es ab, selbst schon einmal dort gewesen zu sein.
„Und wie gelangt man dahin?“ fragte Hasard. Er ließ sich seine Erregung nicht anmerken, denn er spürte, daß er ganz dicht vor dem entscheidenden Geheimnis stand, das die Karten bargen.
„Der Nil hat viele Arme“, sagte der Händler. „Ihr könnt in Dumyat hineinsegeln, in Rashid oder El Iskandariya, ihr werdet immer auf die Bauwerke stoßen, und sie werden euch ein Leben lang in Erinnerung bleiben.“
„Ich kann mit diesem Schiff auf dem Nil segeln?“ fragte Hasard gespannt.
„Ja, Herr. Natürlich braucht ihr viel Geschick und Mut. Ihr könnt bis zum ersten Katarakt segeln, bis zur Nilinsel Philae, vorbei an den Pyramiden, den Tempeln Echnatons, der Hathor, Karnak, Luxor, Theben. Ihr werdet den Tempel Amenophis’, den Tempel des Horus und den von Kom Ombo sehen. Dann geht es nicht mehr weiter, jedenfalls nicht mit eurem Schiff. Mit einem kleineren Fahrzeug könnt ihr weiter zum herrlichen Tempel der Göttin Isis oder des Ramses bis hinauf nach Abu Simbel zum zweiten Katarakt. Und damit ist der Nil immer noch nicht zu Ende und birgt Geheimnisse.“
Was Hasard hier hörte, ließ ihn erschauern, und er war fast geneigt, dem Händler die Karten zu zeigen.
Statt dessen aber fragte er: „Und woher weißt du das alles so genau?“
„Man hört viel, Herr, und man verkehrt mit Leuten, die das alles ganz genau wissen. Es stimmt, was ich sagte. Ihr könnt euch davon überzeugen, nichts an der Geschichte ist übertrieben oder gar gelogen.“
Hasard blickte nachdenklich auf die vielen Kostbarkeiten, die die Feluke in ihrem Innern barg. Sekundenlang spielte er wieder mit dem Gedanken, Ibrahim die Karten zu zeigen, doch ebenso schnell verwarf er diesen Gedanken wieder. Nein, die Karten sollte nur jemand sehen, der sein uneingeschränktes Vertrauen genoß, denn diesem Schlitzohr traute er nicht so richtig über den Weg.
Sie sahen sich weiter um, fasziniert von den Kostbarkeiten, die Ibrahim auf der Feluke hatte, und sie kauften auch einiges, genau genommen viel mehr, als sie eigentlich wollten.