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Aus der Ferne sah die Insel wie eine Riesenschildkröte aus, und so war sie auch von Kolumbus getauft worden, als er sie 1492 auf der Suche nach dem sagenhaften Indien passierte – Tortuga, die Schildkröten-Insel.

Wäre er damals näher herangesegelt, dann hätte er feststellen müssen, daß diese „Schildkröte“ etwas ganz anderes war. Zwar war ihr Kopf nach Westen und ihr Schwanz nach Osten ausgerichtet, aber ihre Nordküste bestand aus riesigen Brocken übereinandergetürmter Felsen, die wie monumentale Burgzinnen aus dem Wasser ragten.

Einziger Zugang zur Insel und damit auch ihr natürlicher Hafen war eine liebliche Bucht an der Südküste, deren Gestade aber keineswegs der Willkür heranrollender Karibikbrandung ausgesetzt waren. Denn wenn die Stürme von Süden heranbrausten, dann fielen sie zuerst über Hispaniola her, jene Insel, die Tortuga breit und mächtig abschirmte.

Die Südküste Tortugas und die Nordküste Hispaniolas trennte ein Kanal von nur fünf Seemeilen Breite. Pfiff der Wind aus Osten oder Westen, dann preßte er allerdings ziemliche Wassermassen durch diesen Schlauch zwischen den beiden Inseln. Und wer diese Ecke kannte, vermied es dann, Tortuga anzusteuern.

An diesem Nachmittag Ende April 1581 wehte ein mäßiger Nordostwind, vor dem eine kleine, schlanke Zweimast-Karavelle und eine Dreimast-Galeone mit Kurs auf das Ostkap Tortugas herliefen, dieses rundeten, dann anluvten und mit Backstagswind in den Kanal steuerten.

Die Karavelle segelte voraus. Sie hatte ein auffallendes Merkmal, und zwar die Farbe ihrer Segel. Sie waren rot. Es war nicht die einzige Eigentümlichkeit dieses Schiffes, das von den Piraten der Karibik bereits mit Legenden umwoben wurde. Die Karavelle mit den roten Segeln stand unter dem Kommando einer Frau, deren Verwegenheit ebenso sprichwörtlich war wie ihre äußeren Reize.

Sie hieß Siri-Tong, aber unter den Piraten, Abenteuern und Glücksrittern der Neuen Welt nannte man sie die Rote Korsarin, was auf die rotgelohten Segel, aber auch auf die Farbe ihrer Kleidung zurückzuführen war. Sie trug rote Blusen.

Diese schlanke, mittelgroße Frau mit den langen schwarzen Haaren und den etwas schräg gestellten dunklen Augen war eine exzellente Degenkämpferin. Genauso virtuos beherrschte sie ihr Schiff – und die Männer, die unter ihr fuhren.

Jetzt allerdings war ihre Karavelle unterbemannt – aus gutem Grund, denn der größte Teil ihrer alten Crew war über die Klinge gesprungen, und zwar im Laufe einer Auseinandersetzung, deren Anlaß ein paar Hitzköpfe ihrer Mannschaft gewesen waren. Diesen Kerlen hatte der Erfolg des letzten Beutezuges die Gehirne vernebelt und sie waren aufsässig geworden. Der Erfolg war ihnen zu Kopf gestiegen.

Sie hatten zu schnell vergessen, wem sie diesen Erfolg eigentlich zu verdanken hatten, nämlich dem englischen Freibeuter Philip Hasard Killigrew und seinen Seewölfen, denen sich die Rote Korsarin mit ihrer Karavelle zu einem verwegenen Raid auf einen spanischen Geleitzug angeschlossen hatte.

Auf der Schlangen-Insel, dem Schlupfwinkel der Roten Korsarin, war von diesen Kerlen eine Meuterei entfesselt worden, die Siri-Tong mit Unterstützung Hasards und seiner Männer hatte niederschlagen können. Nur ein harter, ihr treu ergebener Kern der Crew war der Roten Freibeuterin geblieben. Die üblen Elemente befanden sich auf ihrer letzten Fahrt zur Hölle.

Jetzt wollte Siri-Tong Tortuga anlaufen, um neue Männer anzuheuern. Mit dem kläglichen Rest ihrer Mannschaft hätte sie die Karavelle kaum bis Tortuga segeln können. Auch da hatte ihr Hasard geholfen und ihr ein paar Männer aus seiner Crew zur Verfügung gestellt.

Deshalb war er auch gezwungen, mit seiner „Isabella VIII.“ die Karavelle zu begleiten, um seine Männer wieder übernehmen zu können, sobald Siri-Tong ihre Mannschaft beisammen hatte.

Viel versprach er sich nicht von diesem Unternehmen der Roten Korsarin, vor allem deshalb nicht, weil er der Ansicht war, daß in dem Piratennest Tortuga doch nur Kerle herumlungerten, die die Karibik als Strandgut ausgespuckt hatte – echte Galgenvögel, wüste Gesellen, Rabauken und Schlagetots, die allesamt kaum den Strick wert waren, an dem sie so oder so eines Tages baumeln würden.

Aber Madame mußten es ja wissen, Madame hatten zwar ein niedliches, aber sehr eigensinniges Köpfchen. Dazu waren Madame wie ein Pulverfäßchen, zu dem bereits die Lunte glimmt – explosiv, höchst explosiv. Aber ihr Schlupfwinkel – die Schlangen-Insel – war das Gold und die Silberbarren wert, die sie dort versteckt hatten.

Hasard stand auf dem Achterdeck der Galeone und beobachtete amüsiert, wie Ed Carberry, der die Seewölfe auf Siri-Tongs Karavelle unter sich hatte, vorn auf der Back herumturnte und den Buganker klarieren ließ. Es stank dem guten Carberry ganz gewaltig, von einer Frau Befehle entgegennehmen zu müssen. Gerade darum aber hatte Hasard ihn Siri-Tong überstellt. Es schadete Carberry gar nichts, sich einmal einer Frau unterordnen zu müssen, einer Frau, der er, wie er grimmig vor Verlassen der „Isabella“ erklärt hatte, am liebsten die Haut in Streifen von ihrem voll gerundeten Affenpopo ziehen würde. Immerhin – sonst sprach der Profos von „Affenarsch“, aber die neue Version war direkt feinsinnig und deutete trefflich den Unterschied zwischen weiblichem und männlichem Achtersteven an.

Hasard grinste, als er an Carberrys Ausspruch dachte.

Dann sah er, wie die Karavelle weiter anluvte.

Er blickte zu Pete Ballie hinüber, der am Ruder stand und stur weiter Kurs hielt, obwohl Hasard ihm befohlen hatte, im Kielwasser der Karavelle zu bleiben.

„Träumst du, Pete?“ fragte er sanft.

Pete Ballie zuckte zusammen und legte hastig Ruder. Ben Brighton, Hasards Erster Offizier und Bootsmann, ließ die Segel dichter holen.

Hasard sah, wie die Karavelle Kurs auf die Hafenbucht von Tortuga nahm.

Dann drehte er sich wieder zu Pete Ballie um. „Na, Pete, wovon hattest du geträumt?“

Pete Ballie, stämmig und untersetzt, grauäugig, blond, kriegte knallrote Ohren und stotterte: „Von – von – ach verdammt – von dieser schwarzhaarigen Hexe da vorn.“

Hasard seufzte und schüttelte nur den Kopf. Er warf Pete Ballie einen Blick aus seinen eisblauen Augen zu, der genug besagte.

Pete Ballie räusperte sich und murmelte: „Bitte um Entschuldigung, Sir.“

Jetzt sagte Hasard doch etwas. „Sie verdreht euch den Kopf, wie?“

„Wir sind alle weg“, erwiderte Pete Ballie schlicht.

„Aber Ed Carberry doch nicht“, sagte Hasard.

„Der am meisten“, erklärte Pete Ballie. „Der tut doch nur so, der alte Gauner. Natürlich paßt es ihm nicht, sich von ihr sagen zu lassen, was er tun soll. Das würde keinem von uns passen. Aber mit ihr mal bei Mondschein zu baden, dagegen hätte keiner von uns etwas einzuwenden.“

„Nackt, wie?“

„Sir“, erwiderte Pete Ballie mit Würde, „das hast du gesagt.“

Hasard seufzte wieder. Dann erwiderte er: „Ich glaube, wir werden, wenn wir Tortuga verlassen, einen Standortwechsel vornehmen. Ich habe keine Lust, mit verliebten Katern durch die Karibik zu streunen, vor allem mit solchen Katern, die anfangen, zu träumen und dabei vergessen, welchen Kurs sie steuern sollen. Ist das klar, Mister Ballie?“

„Aye, aye, Sir“, sagte Pete Ballie und peilte andächtig zum Großsegel hoch.

Und daraus entnahm Philip Hasard Killigrew, daß es wirklich allerhöchste Zeit wurde, die nächsten Raids ohne die Rote Korsarin vorzunehmen.

Wie schnell und wie brutal diese Situation eintreten würde, das wußte der Seewolf zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Und wenn er es gewußt hätte, dann hätte er sich einen anderen Anlaß gewünscht.

Fast gleichzeitig fielen bei den beiden Schiffen die Anker. Sie hatten in der Bucht ziemlich dicht an den Hafen heransegeln können, weil sie genügend Tiefe unter dem Kiel hatten. Die Südküste Tortugas präsentierte sich mit einer üppigen Vegetation. Hinter den Häusern am Hafen stieg das Gelände steil an, aber die Natur hatte terrassenförmige Abschnitte gebildet, auf denen Feigen- und Manschinellenbäume sowie Bananenstauden wuchsen. Ganz oben, auf dem Rücken der Schildkröte, hatte sich ein Wald riesiger Mahagonibäume gebildet.

Diese Insel gehörte niemandem. Für die Spanier war sie zu unbedeutend, nicht aber für jene Gesellen, deren Handwerk die Seeräuberei war und die einen Platz brauchten, wo sie ihre Beute absetzen, ihre Schiffe ausbessern und für die nächste Kaperfahrt ausrüsten konnten.

Zu einem solchen Platz hatte sich Tortuga gemausert. Da war kein Gouverneur, der Verordnungen erließ oder Steuern eintrieb. Wenn überhaupt, dann gab allenfalls derjenige den Ton an – und das auch nur zeitweise –, der die härtesten Fäuste und die erforderlichen kämpferischen Qualitäten hatte, sich gegenüber den anderen Karibik-Wölfen durchzusetzen.

Der Pirat Caligu war ein solcher Typ gewesen, aber dieser wüste Kerl gehörte bereits der Vergangenheit an, denn er hatte seinen Meister gefunden – den Seewolf. Sogar die übelsten Sünder auf Tortuga hatten aufgeatmet, als sie die Kunde vernahmen, daß diese Plage der Karibik nur mehr Haifischfutter war.

Zur Zeit lagen an den primitiven Bohlenstegen, von denen kein Mensch mehr wußte, wer sie gebaut hatte, ein paar Einmastschaluppen, drei kleine Zweimaster sowie einige Ruderbarken mit Besegelung.

Spätestens fünf Minuten nach dem Fallen der Anker wußte jedermann auf Tortuga, daß die Rote Korsarin aufgekreuzt sei. Die Dreimast-Galeone wußte man nicht so recht unterzubringen, aber dieses Schiff erregte mehr Aufsehen als die Karavelle mit den roten Segeln, die jetzt aufgegeit wurden.

Wer von den herumlungernden Kerlen am Hafen die Galeone sah, erkannte mit fachmännischem, meist neidischem Blick, daß dieses Schiff von einem Meister seines Fachs entworfen und gebaut worden sein mußte. Es wirkte nicht so behäbig wie die Galeonen üblicher Bauart, trug aber dennoch eine Armierung, die einer Festung zur Ehre gereicht hätte – an Backbord und Steuerbord je acht 17-Pfünder-Culverinen und vorn und achtern je zwei Drehbassen.

Von der Kuhl der Galeone wurde ein Boot abgefiert, in das fünf Männer abenterten. Sie pullten das Boot zu der Karavelle und nahmen noch einen Mann sowie die Rote Korsarin auf. Dann pullten sie zu den Bohlenstegen.

Unter allen denen, die das Einlaufen der beiden Schiffe, das Ankermanöver und das Übersetzen zum Anleger beobachtet hatten, befand sich eine Person, die sehr genau wußte, was das für eine Galeone und wer ihr Kapitän war.

Als diese Person die Karavelle und die Galeone erkannt hatte, war eine Haßwelle in ihr hochgestiegen, die sie fast erstickt hätte.

Diese Person war ein schwarzhaariges Weib mit kräftigen Hüften und großen Brüsten – Attributen, die in der rauhen Männerwelt der Karibik Gold wert waren, wie das Weib wußte. Aber da waren noch zwei andere Attribute, die für das einträgliche Geschäft einer Edelhure eine Wertminderung bedeuteten, nämlich zwei fürchterliche Narben, die das Gesicht dieses schwarzhaarigen Weibes auf entsetzliche Weise entstellten. Die eine Narbe war älteren Datums und verheilt, aber die andere wies noch Schorf und Grind auf und zeigte an, daß sie höchstens drei, vier Wochen alt war.

Beide Narben hingen mit den beiden Personen zusammen, die dort in dem Boot zum Anleger gepullt wurden – mit dem Seewolf und Siri-Tong, der Roten Korsarin. Die verheilte Narbe war die Folge eines Messerschnitts, den das Weib von einem spanischen Soldaten namens Valdez empfangen hatte, der sich vor knapp zwei Jahren auf die Seite des Seewolfs geschlagen hatte und in dessen Mannschaft aufgenommen worden war. Für die frische Narbe war Siri-Tong, die Rote Korsarin, verantwortlich.

Und beide – der Seewolf und die Rote Korsarin – hatten es geschafft, Caligu, den Schrecken der Karibik, vernichtend zu schlagen und zur Hölle zu schicken, jenen Caligu, dessen Geliebte das schwarzhaarige Weib gewesen war, das sich Maria Juanita nannte.

Kein Wunder also, daß das narbengesichtigte Weib jetzt beim Anblick des Seewolfs und der Roten Korsarin nahezu den Verstand verlor.

Nun befanden sich allerdings zwei Kerle bei ihr, die das Aufstöhnen Maria Juanitas für eine Äußerung der Lust hielten und sich bemüßigt fühlten, zu eindeutigeren Aktivitäten überzugehen. Denn sie turtelten beide bereits seit über einer Stunde vor dem Quartier Maria Juanitas herum, einer miserablen Bretterbude abseits am Hafen zwischen verrotteten Fässern, vergammelten Abfällen und stinkenden Fischresten.

So tief war das schwarzhaarige Weib gesunken, das vor nicht allzu langer Zeit zusammen mit Caligu Tortuga beherrscht und die Puppen hatte tanzen lassen.

Jetzt mußte sie froh sein, von Typen wie Bombarde und dem Marquis, so hießen die beiden Kerle, umworben zu werden. Sie hatte sich wechselweise mit einem der beiden Kerle auf der Seegrasmatratze in ihrer Bude gewälzt, aber an diesem Tage waren beide gleichzeitig erschienen, um ihre Liebeskünste in Anspruch zu nehmen.

Aus diesem Zufall entstand in Maria Juanitas vom Haß umnebelten Gehirn ein Plan, der Genugtuung und eine Befriedigung ihrer Rachegelüste versprach.

Bombarde war ein gedrungener, kurzbeiniger Kerl – daher der Name – mit gelben, tückischen Augen, einer Halbglatze und verknorpelten Ohren. Der Mann, der sich Marquis nannte, war zwar Franzose, aber gewiß kein Marquis. Er war schlank, schwarzhaarig und dunkeläugig, ein Liebling der Frauen, die meist zu spät merkten, daß dieser Schönling mit dem schmelzenden Lächeln ein brutaler, rücksichtsloser Bettgenosse war.

Beide hatten kein Schiff und das Kaliber Caligus schon gar nicht, aber in der ungeschriebenen Rangliste der Karibik-Wölfe standen sie nun auch nicht wieder ganz unten, sondern durften sich durchaus zu jenen rechnen, die das Schiffsvolk zu respektieren hatte, wollte es nicht riskieren, was auf die Schnauze zu kriegen.

In Ermangelung des verblichenen Caligu waren die beiden zu den bevorzugten Favoriten Maria Juanitas geworden, die nun in vollen Zügen das genossen, was einmal Caligu besessen hatte. Die Narben waren sie geneigt zu übersehen, man brauchte ja nicht hinzuschauen, wenn man sich der lustvollen Kurzweile hingab. Und im übrigen war bei dem Narbenweib alles am richtigen Platz, von ihrer Kunst, den Liebesdurst ihrer Verehrer auf vielfältige Weise zu löschen, ganz zu schweigen.

Wie gesagt, Maria Juanitas Stöhnen, das ein Stöhnen der Wut war, nahmen Bombarde und der Marquis als Aufforderung, weiteres Gelände zu erkunden, das sie beide zwar schon kannten, aber dennoch stets aufs neue untersuchten.

Bombarde betatschte die Brüste Maria Juanitas, der Marquis streichelte ihre Hüften. Als sie einen Ortswechsel vornahmen, begriffen sie, daß sie sich gegenseitig im Wege waren.

Während das Narbenweib mit funkelnden Augen beobachtete, wohin sich der Seewolf, die Rote Korsarin und die fünf Männer wandten – nämlich zu einer Spelunke mit dem sinnigen Namen „Zur Schildkröte“ –, maßen sich die beiden Männer mit giftigen Blicken und kriegten in keiner Weise mit, was ihre Herzdame so intensiv beschäftigte.

„Verschwinde, Bombarde“, sagte der Marquis, „jetzt bin ich dran, jetzt und heute abend und heute nacht und morgen den ganzen Tag. Und ob du übermorgen darfst, werde ich mir noch überlegen. Also hau ab, du verdirbst mir nur den Appetit.“

In den gelben Augen Bombardes glomm ein tückisches Licht auf. In Verbindung mit der Gier, die ihn gerade beherrschte, nahm sein Gesicht einen Ausdruck an, wie ihn ein alter Pavian zeigt, in dessen Harem ein jüngeres Männchen zu wildern beginnt. Seine Hand kroch zum Gürtel, wo das Messer in einer Scheide steckte.

„Du kuhäugiger Sohn einer gottverdammten französischen Hafenhure“, sagte er zischend, „du parfümierter Schmalzgockel! Dir schlitz ich den Bauch auf und schneid dir was ab, du krummer Bastard! Dir werd ich beibringen, einem Bombarde das Weib zu klauen, du verlauster Hurenbock …“ Mit einem Ruck hatte er das Messer aus der Scheide, ein Ding von der Länge eines Unterarms, zweischneidig geschliffen, mit Blutrille versehen und einer Spitze, die nadeldünn war. In der Hand dieses stämmigen, kleinen Muskelpakets von Mann verkörperte dieses Messer eine Waffe, die schneller und tödlicher wirkte als der Biß einer Viper.

Der Marquis wußte das. Er war Degenkämpfer. Aber seine Waffe hatte er noch nicht heraus, und wenn er sie heraus hatte, würde sie ihm nichts mehr nutzen, weil Bombarde nicht nur ein virtuoser Messerkämpfer, sondern ein noch besserer Messerwerfer war.

Der frauenbetörende Ausdruck im Gesicht des Marquis verschwand wie Schnee in der Sonne, und aus dem schönen Gesicht wurde eine Fratze aus Angst, Wut und Haß.

Der Tod hatte seine beiden knochigen Arme zum Sensenhieb zurückgeschwungen und grinste bereits.

Das war der Moment, in dem das Narbenweib seinen Racheplan zu Ende gedacht hatte und erst jetzt bemerkte, daß der eine von den beiden Verehrern sehr schnell kein Verehrer, sondern nur noch ein toter Mann sein würde.

Maria Juanita wurde zur fauchenden Katze. Die beiden Narben, die ihr Gesicht zu einer verwüsteten Landschaft gestaltet hatten, glühten rot auf.

„Weg mit dem Messer!“ pfiff sie den bulligen Bombarde an und reckte sich vor ihm auf, die Fäuste in die Hüften gestemmt, die Brüste herausgewölbt wie zwei pralle Melonen, überreif, um gepflückt zu werden.

Bombarde ließ das Messer sinken und glotzte auf das, was ihm dargeboten wurde. Seine Hitze ließ keineswegs nach.

„Dieser Bastard wollte …“ Weiter gelangte er nicht.

„Halts Maul!“ fauchte ihn das Narbenweib an und stampfte mit dem Fuß auf. „Jetzt red ich, und ihr werdet zuhören oder könnt zur Hölle gehen, verstanden?“ Unter dem Blick dieses monströsen weiblichen Ungeheuers schrumpften die beiden Kerle sichtlich zusammen.

„Was ist denn jetzt los?“ murmelte Bombarde verwirrt und steckte das Messer in die Scheide.

Die Hure Maria Juanita, deren Gesicht zerstört war, wußte, wie Männer kirre zu kriegen waren. Mit einer langsamen, aufreizenden Bewegung öffnete sie ihre Bluse und sagte mit heiserer Stimme: „Ihr seid scharf, wie? Ihr seid scharf darauf, mit mir auf der Matratze dort drin zu liegen und mir zu zeigen, wie scharf ihr seid. Aber seid ihr auch scharf genug, die beiden Schiffe dort zu entern und mir zu schenken?“

Die Köpfe Bombardes und des Marquis folgten dem ausgestreckten Arm, dessen Hand auf die Galeone und die Karavelle deutete. Dann wanderten die Köpfe wieder zurück. Zwei Augenpaare starrten das schwarzhaarige Weib an. In beiden Augenpaaren funkelten Gier, Tücke, lüsterne Erwartung, Bereitschaft und brutaler Wille, den Wunsch dieses Teufelsweibes zu erfüllen.

„Diese beiden Kästen kassieren wir“, sagte Bombarde, verbesserte sich aber schnell und fügte hinzu: „Das heißt, ich kassiere sie.“

„Nein, ich“, erklärte der Marquis und zeigte sein weißes Gebiß.

Maria Juanitas Stimme war von eisiger Kälte. „Mich kümmert es einen Dreck, wer von euch beiden die Schiffe entert. Denn ich will noch etwas. Ich will die beiden Kapitäne, und zwar lebend. Wenn sie gefesselt vor mir stehen, dann bin ich auch scharf auf das, was ihr mir zu bieten habt – beide zusammen oder nacheinander, wie ihr’s haben wollt. Und ich werde euch zeigen, wo in der Hölle das Paradies ist. Ich werde euch zeigen, was ich selbst Caligu nicht gezeigt habe …“

Die beiden Männer starrten sich mit glitzernden Augen an. Jeder war überzeugt – in diesem Moment jedenfalls –, noch besser als Caligu zu sein. Und beide wußten, daß sie den anderen in die Pfanne hauen würden, um dieses Teufelsweib ganz allein für sich zu haben.

Seewölfe Paket 4

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