Читать книгу Seewölfe Paket 4 - Roy Palmer - Страница 43
9.
Оглавление„Mensch, verdammt, beeilt euch doch!“ keuchte Ravella. Seine Hände waren blutig von der Kraxelei, an einem scharfkantigen Felsen hatte er sich das rechte Bein aufgerissen.
Den anderen erging es nicht besser. Sidi fluchte pausenlos, Rahim Baa war der einzige, der geschickter hinunterkletterte als die anderen.
Am schlimmsten erging es dem Unrasierten, von dem keiner den Namen wußte. Er war zu Tode erschöpft, ausgelaugt und erledigt, und nur die Gier nach den reichen Schätzen ließ ihn durchhalten. Wenn er erst einmal da unten war, dann wollte er eine ganze Woche lang hintereinander pennen, wie er immer wieder versicherte.
Ravella grinste vor sich hin. Der Kerl würde ewig pennen können, sobald er erst an Bord war. Und der andere auch.
Hastig kletterten sie weiter. In der Dunkelheit war der Abstieg mehr als gefährlich. Kein normaler Mensch wäre das Risiko eingegangen, zwischen den tückischen Felsen nach unten zu klettern.
Aber das Gold trieb und schob sie mit unwiderstehlicher Gewalt immer weiter nach unten, bis sie endlich die Klippen erreichten, die im Wasser lagen.
Sidi warf sich ins feuchte Element und schwamm ein paar Yards auf das Schiff zu. Er hatte das Gefühl, als würde er den Zweimaster nie mehr in seinem Leben erreichen, so weit schien er ihm entfernt.
Aber dann schaffte er es doch, an Bord zu gelangen. Er enterte auf und ließ sich erschöpft sinken. Muddi und der andere Mann halfen ihm auf die Beine. Sie hatten geschuftet wie noch nie in ihrem Leben, und jetzt lag das Gold und Silber verstaut in dem Laderaum.
Rahim enterte ebenfalls auf. Nur Ravella und der Unrasierte befanden sich noch auf den Klippen.
„Mann, ich kann nicht mehr“, stöhnte der Mann. Mondlicht beschien sein totenblasses Gesicht, er atmete schwer und keuchend. Dann knickte er in den Knien ein. Seine Hand tastete nach Ravellas Arm.
„Bring mich an Bord!“ verlangte er. „Ich bin fertig, laß mich hier nicht liegen.“
Ravella zog sein Messer und hielt die Klinge so, daß der andere sie nicht sehen konnte.
„Keine Sorge, Kumpel“, sagte er grinsend. Jetzt sah er tatsächlich aus wie ein Dämon. Mit seinem schwarzen Vollbart und der leeren dunklen Augenhöhle wirkte er furchteinflößend.
Ein Blick zum Schiff bewies ihm, daß sich keiner um sie kümmerte. Die Kerle hatten genug mit sich zu tun, sie waren ausgelaugt und am Ende ihrer Kräfte.
Don Ravella stieß zu. Das Messer verschwand bis zum Heft zwischen den Schulterblättern des Mannes.
Ein erstickter Laut drang über seine Lippen, Blut schoß aus seinem Mund, und er brach zusammen. Mit dem Gesicht voran trieb er im Wasser.
Ravella zog das Messer aus dem Rücken des Toten und wischte es ein paarmal durchs Wasser.
„So, du hast jetzt Ruhe, Kumpel“, sagte er leise. „Kein Mensch wird dich mehr im Stich lassen.“
Er lachte leise wie über einen Witz und schwamm die restlichen Yards zum Schiff. Dort halfen ihm die anderen, aufzuentern.
„Los, kappt die Ankertrosse!“ brüllte er Rahim an. „Und ihr anderen setzt die Segel, ich helfe euch dabei. Wir müssen jetzt ganz schnell hier verschwinden, denn jeden Augenblick können die Kerle hier sein und uns entdecken.“
„Und wo ist mein Kumpel?“ fragte der Kerl mit der blutenden Visage.
„Wie soll ich das wissen, Mann? Eben war er noch im Wasser. Los, Beeilung, sonst sind wir die Beute wieder los!“
Die beiden anderen wußten von der Entdeckung noch nichts, aber als Muddi vernahm, daß die Seewölfe jeden Moment aufkreuzen konnten, wurde er plötzlich lebendig.
Die Ankertrosse wurde mit zwei Beilhieben gekappt. In aller Eile wurde das Lateinersegel hochgezogen.
Ravella übernahm das Steuer, während der andere Mann immer noch nach seinem Kumpan Ausschau hielt, der nicht mehr zu sehen war. Seine Leiche trieb längst mit der leichten Strömung achteraus.
„Wenn die anderen Kerle kommen, wie du sagtest“, erklärte er Ravella, „dann werden wir sie mit Musketen empfangen. Wir haben geladene Waffen an Bord.“
„Dann hol sie und steh nicht ’rum, verdammt! Die können ganz schnell hier sein, und wenn sie uns erwischen, dann ziehen sie uns die Hälse an einem Strick in die Länge.“
Der Mann flitzte los und brachte drei Musketen, schwere Dinger, die man ohne Gabelstützen kaum abfeuern konnte.
Ravella schielte immer wieder nach oben zu den Klippen. Jeden Augenblick erwartete er das Auftauchen der Seewölfe. Wenn die bewaffnet waren, dann …
Der Zweimaster schwang schwerfällig herum. Sie hatten nur den einen Mast takeln können, an dem anderen ließ sich kein Segel anbringen. Die Gaffelrute lag zerschmettert an Deck.
Ein leichter Stoß erschütterte das Schiff.
Ravella stieß einen ellenlangen Fluch aus und riß den Kolderstock herum, um den Segler aus den Klippen zu bringen. Doch die leicht auflandige Brise erschwerte das Manöver. Außerdem fehlten Ravella die Fähigkeiten eines Rudergängers.
Kaum war der Bug frei, da hob eine lange Dünung das Schiff und versetzte es weiter an die Klippen. Wieder knirschte und krachte es an der Steuerbordseite, und wieder fluchte Ravella los.
„Gib her!“ schrie der andere Mann der Besatzung, der letzte, der noch an Bord war. Hart griff er nach dem Kolderstock und hebelte ihn herum.
Auch er schaffte es nicht, sich von dem auflandigen Wind freizusegeln, und ein paar Kreuzschläge verboten sich von selbst, der vielen Klippen wegen, die links und rechts überall aus dem Wasser ragten.
„Verdammt!“ schrie Muddi. „Jetzt haben wir das viele Gold und kommen nicht mehr von der Stelle. Zum Kotzen ist das!“
„Nimm den Haken, du Idiot, und drück den Kahn ab!“ brüllte Ravella zurück, der mit seinen Nerven jetzt ziemlich am Ende war. „Los, ihr anderen auch! Gafft nicht, tut etwas!“
Und dann fuhr es ihnen eiskalt durch die Knochen. Wie gelähmt starrten sie nach oben, wo gerade ein überraschter Ruf erscholl.
„Ein Schiff!“ klang es deutlich herunter. „Es liegt direkt unter uns zwischen den Klippen.“
„Jetzt haben wir die Scheiße“, stellte Sidi Mansur fest. „Und freisegeln können wir uns auch nicht mehr, hä?“
Oben auf den Klippen tauchten Gestalten auf. Unter ihnen war auch die zierliche Silhouette der Roten Korsarin.
Ravella ließ den Kolderstock fahren, den er gerade wieder übernommen hatte, und schnappte sich eine der geladenen Musketen.
Er hockte sich hinter das Schanzkleid und visierte. Bei der Dünung, die das Schiff auf und niederhob, war an ein genaues Zielen nicht zu denken. Aber die Seewölfe sollten merken, daß mit ihnen nicht zu spaßen war.
Ravella drückte ab. Die große Muskete entlud sich mit einem höllischen Krachen.
Der harte Rückstoß warf ihn zurück.
Hasard glaubte zu träumen, als Dans Ruf ertönte. Tucker, Carberry und Siri-Tong waren mit einem Satz am Rand der Klippen.
Da schaukelte tatsächlich ein Schiff mit zwei Masten auf dem Wasser. Die Dünung hob und senkte es, versetzte es näher an die Klippen heran und ließ es tanzen.
Ein Schiff! Hier an der Schlangen-Insel! Noch nie hatte ein Schiff diese Klippen angelaufen. Aber dieser beschädigte Zweimaster hatte es geschafft, und die Kerle aus Siri-Tongs Crew hatten die Gelegenheit wahrgenommen. Das Schiff war ihnen buchstäblich wie ein Geschenk des Himmels in den Schoß gefallen. Und natürlich hatten sie sofort einen Plan entwickelt.
Hasard sah jetzt klar.
„Der Sturm hat es hier angetrieben“, sagte er, „diese Halunken haben es entdeckt und die Besatzung auf ihre Seite gebracht. Unsere Gold- und Silberbarren liegen längst in den Laderäumen.“
„Die Banditen haben das Gold über die Klippen geworfen“, sagte Dan. „Das war das Poltern, das Matt und ich hörten. Na, denen werden wir die Suppe versalzen.“
„Hoffentlich können wir das noch“, erwiderte der Seewolf. „Wenn sie es schaffen, sich aus den Klippen zu lösen, können sie sich totlachen, denn wir können sie nicht verfolgen.“
Sprachlos sahen sie zu, wie tief unter ihnen ein Segel gesetzt wurde. Dunkle Gestalten hetzten über Deck, aber es waren nicht mehr als vier oder fünf Männer. Hasard nahm an, daß der größte Teil der Besatzung umgekommen sein mußte, wenn Siri-Tongs Piraten ihnen nicht vorher das Lebenslicht ausgeblasen hatten.
Auf dem Schiff blitzte es auf, und sofort danach rollte ein Donner über die See, brach sich an den Felsen, pflanzte sich fort, bis er langsam verebbte.
Ein Bleibrocken orgelte über sie weg und pfiff in den dunklen Himmel. Die Kerle hatten sie entdeckt, und sie wußten, um was es jetzt für sie ging. Da setzten sie alles auf eine Karte.
„Schaffen wir es mit der Karavelle durch die Passage?“ fragte Hasard die Korsarin.
„Es müßte gehen“, erwiderte sie zögernd. „Aber bis wir das Schiff seeklar haben, sind die Halunken weg.“
„Sie segeln sich nicht frei“, sagte der Boston-Mann, von dem Hasard noch nie einen längeren Satz gehört hatte. „Der auflandige Wind treibt sie immer wieder zurück.“
Ja, sie hatten schwer zu kämpfen, das sah man deutlich. Sobald der Bug des Schiffes in die See schwenkte, warf der auflandige Wind das Schiff wieder herum. Immer wieder schurrte es an die Felsen und legte sich hart auf die Seite.
Ein zweiter Schuß aus einer Muskete krachte. Ein Blitz, ein überlauter Knall, und wieder pfiff es in den Nachthimmel, an dem die ersten Zeichen der Morgendämmerung erschienen.
Hasard zog die Reiterpistole aus dem Hosenbund. Flach legte er sich auf die Felsen, zielte sorgfältig und drückte ab.
Die Kugel bohrte sich in das Segel, aber auf dem Schiff gingen die Männer sofort hinter dem Schanzkleid in Deckung.
Tucker war außer sich vor Wut.
„Diese verfluchten Hurensöhne“, schimpfte er und packte seine Axt fest. „Wie kommen wir nur an die heran? Wenn wir die Klippen hinuntersteigen, knallen sie uns einen nach dem anderen ab.“
Wütend hieb er mit der Axt in den Lavafelsen. Der poröse Stein zersprang sofort, ein riesiger Brocken fiel dem Schiffszimmermann vor die Füße. Er hob ihn hoch über seinen Kopf und warf ihn dann mit Schwung hinunter.
Der Brocken, schwerer als ein Zentner, landete unter donnerartigem Getöse an Deck und schlug ein Loch in die Planken.
„Dan!“ rief der Seewolf. „Du läufst zurück an Bord. Alle Männer sollen sich bewaffnen, sie sollen Fackeln Musketen und Pistolen mitbringen Auch Brandpfeile! Beeil dich, Dan!“
„Aye, aye“, erwiderte Dan und wollte loslaufen. Aber der Boston-Mann hielt ihn zurück.
„Ich komme mit“, sagte er. „Wir sind es euch schuldig, daß wir euch helfen.“
Hasard sah Siri-Tong an. Er wollte gerade eine ablehnende Antwort geben, als die Korsarin ihm leicht die Hand auf den Arm legte.
„Die anderen sind ehrliche Leute“, sagte sie leise. „Ich bedaure diesen Vorfall, aber …“
„Ehrlich?“ wiederholte der Seewolf erbittert. „Das ist ein großes Wort, Madame. Sehen Sie sich nur diese Hundesöhne an, die …“
„Ich weiß“, fiel sie ihm ins Wort. „Aber es ist nicht unsere Schuld. Überall gibt es Halunken.“
Hasard nickte. Er traute keinem von der Besatzung, aber der Boston-Mann schien tatsächlich einer von den ehrlichen zu sein. Auch in seiner Mannschaft hatte es Halunken gegeben, dachte Hasard, die erst nach und nach ausgesiebt worden waren.
„Also gut“, sagte er. „Holt eure Leute!“
Tucker wütete mit der Axt im leichten Lavagestein. Hart fuhr die Schneide in die Felsen und sprengte Stück um Stück heraus.
„Damit halten wir sie eine Weile auf“, sagte er grimmig. „Solange, bis die anderen da sind, wird es gehen.“
Wieder stemmte er einen Brocken über seinen Kopf und warf ihn voller Wut und mit dem nötigen Schwung hinunter.
Es war nicht schwierig, das Schiff zu treffen. Als Ziel bot es sich ideal an. Der Gesteinsbrocken donnerte an Deck, zersprang dort in viele Teile und überschüttete die wüst fluchenden Piraten mit einem Hagel aus kleineren Steinen.
Hasard sah es aufblitzen. Diesmal raste die Kugel haarscharf an seinem Kopf vorbei. Er gab den zweiten Schuß aus seiner doppelläufigen Pistole ab, und diesmal klang ein lauter Schrei herauf.
An Deck brach eine Gestalt zusammen, taumelte hoch, schrie wieder und brach am Schanzkleid endgültig zusammen.
„Das war keiner von uns“, hörte er Siri-Tongs Stimme neben sich. „Das muß einer von der Besatzung gewesen sein.“
„Der letzte wahrscheinlich“, sagte Hasard. „Jetzt sehe ich nur noch vier Kerle da unten.“
Die kalte Wut packte ihn, wenn er daran dachte, auf welche hinterhältige Weise die Kerle sie hinters Licht geführt hatten. Sie hatten ihr Vertrauen schändlich mißbraucht, sie ausgeplündert und wollten jetzt mit einem großen Teil der Beute auf Nimmerwiedersehen verschwinden.
Tucker und Carberry wechselten sich jetzt gegenseitig damit ab, große Brocken auf das Schiff zu werfen. Immer wieder schlug es unten ein, und sofort danach ertönte wütendes Gebrüll, wurden Musketen abgefeuert, Fäuste drohend geschüttelt.
Unmerklich wurde es heller, und jetzt waren die Gestalten auf dem tanzenden Schiff deutlicher. Aus den Schatten wurden Gesichter, die fahl heraufschimmerten.
Sidi Mansur, Don Ravella, Rahim Baa und Muddi waren es, die hinter dem Schanzkleid in Deckung gingen, sobald die ersten Steinbrocken flogen.
Die leichte Brise begann abzuflauen und Ravella gelang es zum Ärger der Seewölfe, Ruder zu legen. Das Schiff löste sich von den Felsen. Ganz langsam zwar, aber sie schienen es doch noch zu schaffen, sich freizusegeln.
Tucker warf mit faustgroßen Brocken nach Ravella, um ihn vom Kolderstock zu vertreiben. Aber der Pirat ging jedesmal rechtzeitig in Deckung und schimpfte höhnisch.
Muddi hielt die Nervenbelastung nicht mehr aus. Er lag hinter dem Schanzkleid und wimmerte. Ein paar kleinere Steine hatten ihn getroffen. Von seinem rechten Arm lief Blut.
„Wir ergeben uns!“ schrie er Ravella zu. „Die Kerle machen uns fertig. Lieber ein paar Schläge, als umgelegt zu werden.“
„Du bist wohl wahnsinnig, du Idiot!“ schrie Ravella. „Ein paar Schläge! Daß ich nicht lache. Wenn die uns kriegen, hängen wir noch heute morgen an der Rah von diesem verdammten Seewolf. Reiß dich zusammen, wir haben es gleich geschafft.“
„Ich will nicht mehr!“ schrie Muddi in höchster Angst. „Wenn wir freikommen, holen die uns mit der Karavelle und schlachten uns ab. Scheiß auf das Gold!“
„Ich stopf dir gleich die Schnauze, du Feigling!“
Ravella konnte nicht mehr zurück. Er konnte sich ausmalen, was ihnen bevorstand, wenn sie den Seewölfen in die Hände fielen. Sein Kreuz schmerzte immer noch wie wahnsinnig. Die Striemen, die die Peitsche hinterlassen hatte, brachen auf und bluteten bei jeder Bewegung. Nein, sie mußten es schaffen, sie mußten den Seewölfen diesen Teil der Beute abjagen, und wenn sie dabei alle vor die Hunde gingen.
Sidi und Rahim dachten genauso. Lieber verrecken, als dieser Meute in die Hände fallen. Sie hatten hoch gesetzt, und sie mußten das Risiko in Kauf nehmen. Ein Zurück gab es nicht mehr!
Aber Muddi hatte entsetzliche Angst. Er dachte nicht mehr daran, mit der Beute abzuhauen. Der Seewolf würde ihn vielleicht auspeitschen lassen, wenn er jetzt aufgab, aber hängen, nein, hängen lassen würde er ihn sicher nicht.
Er lief über das Deck bis zur Back. Dort stellte er sich hin und legte die Hände trichterförmig an den Mund. Seine Stimme überschlug sich vor Angst.
„Ich gebe auf!“ kreischte er. „Wenn ihr mich nicht hängt, dann ergebe ich mich!“
Der Seewolf hatte das Geschrei gehört. Muddi, die kleine dreckige Ratte war das, die da in höchster Angst winselte.
„Wir hängen dich nicht!“ rief Hasard zurück. „Das verspreche ich dir, du hast mein Wort!“
„Aber ich werde diesen Hund aufhängen lassen“, zischte die Korsarin wütend. Ihr Blick war fest auf den Seewolf gerichtet.
„Er hat mein Wort“, sagte Hasard kalt. „Und ich pflege mein Wort zu halten, er wird nicht gehängt!“
„Er gehört zu meiner Crew, und ich werde …“
„Sie werden gar nichts, Madame!“ Hasards Augen blitzten zornig die Korsarin an. Sie sah die eiskalten blauen Augen, in denen Entschlossenheit stand. Sein Blick war so durchdringend, daß sie fröstelte.
„Aye, aye!“ Ihre Stimme war wie ein Hauch.
Auf dem Schiff unter ihnen sprang Sidi den schmierigen Muddi an. Er schlug ihm die Fäuste ins Gesicht, und als Muddi wimmernd auf den Planken lag, zog Mansur sein Messer und wollte zustechen.
Aber Muddi sprang mit einem gewaltigen Satz auf, rannte Sidi um, raste zum Schanzkleid der Backbordseite und schnellte sich mit einem wilden Schrei ins Wasser. Prustend tauchte er auf und paddelte mit wilden, um sich schlagenden Armen im Wasser herum.
Sidi nahm grinsend eine der Musketen auf und wollte auf ihn feuern.
„Halt!“ brüllte der Seewolf. „Laß den Mann an Land schwimmen!“
Mansur gab keine Antwort. Rahim Baa legte mit einer anderen Muskete auf den Seewolf an.
Da warf Carberry einen Brocken hinunter, groß wie ein Kopf. Ferris Tukker feuerte einen zweiten gleich hinterher.
Mansur ließ die Waffe fallen und duckte sich. Rahim Baa, der Javaner, wurde am Arm getroffen. Hinter dem Segel versteckte er sich mit der Muskete, aber er traf nicht mehr, als er schoß.
Muddi stieg inzwischen in die Felsen und enterte so schnell auf, wie noch nie in seinem Leben. Vor dem Seewolf schien er jetzt keine Angst mehr zu haben, nur noch vor seinen eigenen Kumpanen, die zweimal hinter ihm herschossen, ohne ihn zu treffen.
Und dann hatte der Segler es geschafft. Der Bug wies in die offene See hinaus, das Segel killte einmal und füllte sich dann mit Wind. Und von unten tönte höhnisches Gebrüll herauf.
„Geh zum Teufel, du Bastard! Hol uns doch, wenn du kannst!“
„Du verdammter Satansbraten!“ brüllte Mansur und schüttelte die Fäuste. „Dir werden wir es noch heimzahlen. Und vielen Dank für die fette Beute!“
Hasards Gesicht blieb ausdruckslos. Die Kerle würden ihm nicht entwischen, das war sicher, und wenn er mit der Karavelle der Roten Korsarin hinterhersegeln mußte.
Nur Tucker und Carberry hatten wütende Gesichter. Stein um Stein schleuderten sie dem Schiff nach, das sich jetzt langsam entfernte.
„Wo, zum Teufel, bleiben denn unsere Leute?“ fluchte der Profos. „Die müßten doch längst hier sein.“
„Wir nehmen die Karavelle“, sagte Hasard. „Diese Bastarde werden uns nicht entgehen, sie haben nur ein Segel.“
Entschlossen wollte er sich umwenden, um zur Bucht zu laufen, aber da tauchte schon die ganze brüllende Horde auf, angeführt von Dan, der ihnen kurz erzählt hatte, was passiert war.
Batuti erschien mit seinem riesigen Bogen. Big Old Shane hatte seinen ebenfalls mitgebracht, Ben Brighton trug eine Muskete und zwei Pistolen im Gürtel. Morgan, Grey, Smoky, Blacky, Andrews. Conrey, Roscill und Stenmark, alle waren bis an die Zähne bewaffnet. Und hinter ihnen folgten kleinlaut und verschämt der Boston-Mann, gefolgt von Bill the Deadhead, Juan und noch einem, dessen Namen niemand kannte.
In diesem Augenblick enterte Muddi blutverschmiert auf. Er kroch auf allen Vieren aus den Klippen, ein gebrochener Mann, von Angst geschüttelt, winselnd und keuchend.
„Gnade!“ rief er und warf sich dem Seewolf vor die Füße. „Gnade, Sir, ich bereue, was ich getan habe!“
„Steh auf, Kerl, und verschwinde. Über dich reden wir später. Sei froh, daß du rechtzeitig ausgestiegen bist, die anderen werden das Glück nicht mehr haben.“
Muddi verzog sich, klein und häßlich schlich er davon und versteckte sich zwischen den Felsen.
Inzwischen gewann der Segler weiteren Vorsprung. Don Ravella versuchte verzweifelt, aus dem Bereich der todbringenden Geschosse herauszukommen, als die ersten Musketen losdonnerten.
In den Seewölfen hatte sich eine unbeschreibliche Wut gespeichert, als sie durch Dan von den Halunken erfahren hatten.
„Shane, Batuti!“ rief der Seewolf. „Feuert Brandpfeile in die Segel, aber beeilt euch, sonst entwischen uns die Halunken doch noch!“
Matt Davies hielt schon eine brennende Lunte in der Hand, mit der er die Pfeile zum Glimmen brachte. Dahinter saß eine kleine Pulverladung, die sich nach einer Weile entzündete.
Brighton gab das Kommando zum Feuern, nachdem der Seewolf den Piraten noch einmal zugerufen hatte, sie sollten sich ergeben.
Die Antwort war ein einziges Hohngelächter. Die Piraten glaubten sich schon in Sicherheit.
Die ersten Musketen, auf den Klippenrand gelegt, begannen ihre tödlichen Ladungen zu spucken. Pulverqualm quoll hoch, donnernde Abschüsse ertönten.
Batuti und Shane spannten ihre riesigen Bögen mit den glimmenden Pfeilspitzen.
„Die kriegen uns nicht mehr!“ Ravella lachte höhnisch. „Und wenn sie mit hundert Musketen feuern. Gleich haben wir die Klippen hinter uns, und dann sind wir reiche Leute.“
„Bleibt in Deckung“, warnte der Javaner die beiden Männer. „Die Höllenhunde schießen verdammt genau.“
Sidi Mansurs größte Angst war verflogen. Er hockte hinter dem Steuerbordschanzkleid und riskierte nur ab und zu einen Blick zu den steil aufragenden Klippen, wo die Seewölfe lagen und ihre Musketen abfeuerten.
Und dann schlug es bei ihnen ein. Fünf oder sechs Treffer klatschten in das Schanzkleid. Holz splitterte, ein paar Brocken flogen Sidi Mansur um die Ohren.
Er wurde blaß. Jetzt waren sie schon fast aus dem Bereich der Felsklippen heraus, und trotzdem trafen diese Hundesöhne immer noch das Schiff. Er konnte den Kopf nicht mehr heben, denn die Kugeln der Seewölfe lagen verdammt gut im Ziel und pfiffen ihm pausenlos um die Ohren.
Nur noch hundert Yards, dann hatten sie es geschafft. Dann waren sie frei, und kein Schuß würde sie mehr erreichen.
Ravella hatte den Kolderstock festgelascht und sich auf dem Achterkastell in Deckung geworfen. Neben ihm schlug ein Stück Blei ins Deck und riß große Späne aus den Planken heraus.
Verdammt! dachte er, sie hatten die Burschen doch gründlich unterschätzt, die trafen immer noch.
Wieder jaulte ein Bleibrocken heran. Ravella zog den Schädel ein und blickte zu Rahim Baa hinüber, der mit verstörtem blassen Gesicht am Schanzkleid hockte. Er wagte nicht mehr, seine Muskete zu heben, aus Angst, die Seewölfe würden ihn treffen. Auch er bewunderte insgeheim die Genauigkeit, mit der sie trafen.
Und dann stieß es Ravella hart herum. Unwillkürlich schrie er auf.
Ein Schuß hatte sein rechtes Bein getroffen und eine riesige Wunde gerissen, aus der warmes klebriges Blut strömte. Schmerzwellen tobten durch seinen Körper. Haßerfüllt versuchte er, aufzustehen, doch das Bein knickte unter ihm weg.
Er zog sich hoch, er hielt diesen wahnsinnigen Schmerz nicht mehr aus. Sofort fiel er fluchend und schreiend wieder um und robbte auf den Knien zu Rahim hin.
„Die Hunde haben mich erwischt“, keuchte er, „gib mir deine Muskete.“
Als er nach dem schweren Gewehr griff, hörte er es unter sich leise plätschern. Ein oder zwei Kugeln hatten die Bordwand unterhalb der Wasserlinie durchsiebt, und jetzt drang das Meerwasser in die Laderäume ein, wo der riesige Schatz lag.
Verbissen richtete er sich hinter dem Schanzkleid auf, hob die Muskete und sah über ihrem Lauf undeutlich und verschwommen das verhaßte Gesicht des Seewolfes.
Er drückte ab, spürte den dumpfen Knall und den Rückstoß, warf die Muskete weg und richtete sich stöhnend auf.
„Hab ich ihn getroffen?“ fragte er den Javaner.
Es war die letzte Frage, die er in seinem Leben stellte.
Stenmark hatte es aufblitzen sehen, er nahm sorgfältig Maß und drückte ab.
Ravella fühlte sich wie von einer mächtigen Faust angehoben. Ein harter Schlag erschütterte seine Brust, er warf beide Arme hoch und griff haltsuchend um sich.
Er sah das Deck auf sich zurasen, vor seinen Augen verschwammen die Gestalten oben auf den Klippen, und dann war das Deck plötzlich direkt vor seinem Gesicht. Schwer schlug er auf. Danach umgab ihn tiefste Finsternis. Er war tot, noch bevor er sich ganz auf den Planken ausstreckte.
Mansur und Rahim wurden noch bleicher, als sie ihren Kumpan mit zerschossener Brust auf die Planken stürzen sahen. Entsetzt starrten sie sich an. Ravella war nicht mehr zu helfen, jetzt waren sie nur noch zu zweit.
Jähe Panik überfiel sie. Sie wußten nicht mehr, ob das Schiff auf die Klippen zulief, oder ob es offene See gewann. Jedenfalls waren sie der tödlichen Gefahr immer noch nicht entronnen.
Über ihre Köpfe zischte etwas hinweg, ein leises Fauchen erklang, und steckte ein großer, brennender Pfeil in ihrem Segel.
„Das Segel!“ schrie der Javaner. „Es fängt an zu brennen!“
Mansur standen Tränen der Wut in den Augen, als er nach oben sah. Das stark gelohte Segel brannte am Liek, und das Feuer fraß sich mit unheimlicher Geschwindigkeit weiter nach oben.
Dieses Segel war ihre letzte Rettung gewesen, sie hatten kein anderes mehr, und sie konnten auch keins mehr anschlagen.
Ohne auf die Musketenschüsse zu achten, griffen die beiden Piraten nach einer Pütz und schöpften Wasser. Wie die Irren umsprangen sie den Mast und gossen Wasser auf das brennende Segel.
Ein zweiter Pfeil bohrte sich in das Segel, gleich darauf ein dritter. Sie steckten noch nicht richtig drin, als wieder das leise Fauchen ertönte, vermischt mit einem gedämpften Knall. Die Pfeile flammten auf, brannten lichterloh, und das Feuer fraß sich gierig an dem Segel weiter, bis es die Gaffelrute erreichte.
Rahim schöpfte die nächste Pütz Wasser, als es ihn erwischte.
Der Boston-Mann schoß ihm eine Kugel durch den Schädel. Es war mehr ein Glückstreffer gewesen als ein gezielter Schuß. Die Kugel zerschmetterte Rahims Schädel. Die Wucht des Aufpralls trieb ihn bis an das Schanzkleid, wo er zusammenbrach. Auch er war auf der Stelle tot.
Jetzt war Sidi Mansur allein, ohne Hoffnung, sich jemals freisegeln zu können. Der leichte Wind ließ das Segel wie Zunder brennen. Da gab es nichts mehr zu löschen, und da gab es auch nichts mehr zu steuern. Der Zweimaster dümpelte in der See, das brennende Segel löste sich in großen Fetzen, die nach unten schwebten. Überall stiegen Funken auf. Der Wind trieb sie über das ganze Schiff.
Mansur, der immer noch nicht aufgeben wollte, raste hin und her, um die Funken auszutreten. Mit der Pütz goß er Wasser über die Planken, sprang hierhin, sprang dorthin.
Musketenschüsse sirrten ihm um die Ohren. Er hörte sie nicht, er wußte nur, daß das Schiff gleich lichterloh brennen würde, wenn er nicht aufpaßte.
Ein brennendes Segelstück fiel ihm auf den Kopf. Er schrie und brüllte, schlug um sich, goß sich Wasser über den Schädel. Seine Haare knisterten, versengten.
Einem heulenden Derwisch gleich hüpfte und sprang er über Deck, von Schmerzen gepeinigt, von hilfloser Angst geschüttelt.
Jetzt fing auch der Mast an zu brennen. Der Wind drückte den Bug des Schiffes wieder zurück und ließ es tanzen. Unmerklich scherte es aus dem Kurs und lief zu den Klippen zurück.
Und Mansur kämpfte um sein Leben. Es gelang ihm, das Feuer am Mast zu löschen. Auch die Funken, die überall herumsprangen, trat er immer wieder aus oder überschwemmte sie mit Wasser.
Er war dem Wahnsinn nahe. Wenn er an seinen erschossenen Kumpanen vorbeihüpfte, grinste er wie ein Teufel.
„Liegt nicht ’rum!“ brüllte er sie an. „Helft mir löschen. Gleich haben wir es geschafft. Hoch, ihr Hunde!“
Er erhielt keine Antwort. Rahims Schädel war zerschossen, in Ravellas Brust klaffte ein faustgroßes Loch.
Und Mansur wütete weiter. Er vergaß die Welt um sich herum, goß überall Wasser aufs Deck, riß die aus dem Liek hängenden Fetzen des brennenden Segels herunter und trat sie aus.
„Steht doch auf, ihr faulen Hunde!“ schrie er wieder, daß es gespenstisch bis zu den Klippen hinaufhallte. „Seht ihr denn nicht, daß wir frei sind? Wir haben Gold, Gold! Stinkreich sind wir, Freunde, wir kaufen uns die Welt.“
Die Freunde sahen ihn nicht mehr. Ihnen war auch völlig gleichgültig, ob sie Gold hatten oder nicht. Sie jedenfalls brauchten kein Gold mehr auf dieser Welt.
„Seht euch diesen Verrückten an“, sagte der Seewolf, der dem Schauspiel ohne jede Gemütsbewegung zusah. „Der scheint in den letzten Minuten buchstäblich übergeschnappt zu sein. Er merkt gar nicht mehr, daß das Schiff auf die Klippen läuft.“
Es wurde nicht mehr weiter geschossen. Bis auf Mansur waren sie alle tot, und den Kerl würden sie auch noch erwischen.
Hoch oben am Mast brannte es immer noch, wo Batuti und Big Old Shane ihre Pfeile hineingeschossen hatten. Und der Irre raste laut lachend über Deck, das Feuer bekämpfend, das immer wieder hochzüngelte und neue Brandherde bildete. Nur oben an den Mast kam er nicht heran, der um die Gaffelrute herum in hellen Flammen stand.
Inzwischen hatten sich die ersten Männer vorsichtig die Klippen hinabgetastet. Es konnte nicht mehr lange dauern, dann würde die Dünung den Segler auf die Klippen schmettern. Schon jetzt glitt er mit jeder kleinen Woge schneller an die Felsen heran.
Der Boston-Mann hob das Gewehr.
„Sollen wir es beenden, Sir?“ fragte er Hasard. „Das erspart uns späteren Ärger.“
„Er ist wehrlos“, sagte Hasard ernst, „und verrückt ist er auch. Die letzten Minuten haben seinen Verstand zerfressen. Und wir schießen grundsätzlich nicht auf Wehrlose.“
„Wie Sie meinen, Sir“, sagte der Boston-Mann und legte die Muskete wieder zur Seite.
Hasard wunderte sich nicht einmal, daß der Boston-Mann ihn mit „Sir“ angeredet hatte. Nur Carberry hob sein narbiges Gesicht und grinste milde. Jawohl, die Brüder kuschten schon, dachte er. Die ordneten sich dem Seewolf bedingungslos unter, wie es schien.
„Jetzt schnappt er ganz über“, sagte Dan und wies nach unten.
Die Männer beugten sich vor, um besser sehen zu können. Mittlerweile war die Dämmerung angebrochen und die Einzelheiten ließen sich klar und deutlich unterscheiden.
Ein paar der Seewölfe hatten schon die halbe Strecke von den Klippen zum Wasser zurückgelegt. Vorsichtig stiegen sie weiter hinunter.
Mansur klomm am Mast hoch. Wie ein Affe kletterte er höher zu der brennenden Gaffelrute hinauf. Das Segel war verschwunden. An Deck lagen nur noch schwarzverkohlte Reste herum.
Er schrie und zeterte und beschwor immer wieder seine Kumpane, sie möchten ihm doch, verdammt noch mal, endlich helfen. Mit den Händen griff er in das lohende Feuer und versuchte, die Flammen, die gierig nach seinen Händen griffen, zu ersticken. Er spürte die Hitze nicht, wütend schlug er nach dem Feuer, bis seine Hände Blasen warfen, und sich die Haut in Fetzen abschälte.
Eine Woge hob das Schiff wie mit großen Händen an, eine zweite folgte, ließ es tanzen und querschlagen. Die dritte nahm es hoch und schmetterte es an die Felsen, genau zwischen zwei schroffe kantige Riffe, in denen es unverrückbar festsaß.
Der Mast hielt dieser Beanspruchung nicht mehr stand. Er neigte sich, die Gaffelrute löste sich und fiel Sidi Mansur auf den Schädel.
Ein letzter gellender Schrei, dann stürzte er zusammen mit der schweren Gaffelrute an Deck.
Auch er hatte es hinter sich – das Gold, das reiche Leben und die Hinterhältigkeit, die sein Leben bestimmte. Still und reglos lag er an Deck, erschlagen von dem mächtigen Holz.