Читать книгу Seewölfe Paket 4 - Roy Palmer - Страница 39

5.

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Sidi Mansur, Ravella, Muddi und der Javaner Rahim Baa stöberten auf der Insel herum.

Die Dunkelheit war hereingebrochen, und noch immer toste an den Klippen die Brandung. Der Sturm hatte etwas nachgelassen, er tobte nicht mehr so wild wie vorher.

Jagende Wolkenfetzen zogen am Himmel entlang, und ab und zu lugte rötlichgelb der Mond hervor.

Die vier Meuterer schlichen weiter, den Klippen entgegen. Sie wollten sich Gewißheit verschaffen, was der Seewolf und Siri-Tong sowie der Bootsmann der „Isabella“ dort im Tempel gewollt hatten.

„Und ich behaupte immer noch, sie haben einen Teil der Beute beiseitegeschafft“, murrte Sidi. „Außerdem sind noch ein paar andere Kerle dort oben gewesen. Die gehen doch nicht dahin, um sich die Schätze anzuse-hen.“

Mit seinem Gerede hetzte er die anderen immer mehr auf. Auch Don Ravella glaubte es jetzt. Klar, die hatten irgend etwas geplant, um sie an der Nase herumzuführen, dachte er. Bestimmt hatten sie sich an den wertvollen Perlen vergriffen.

Ravella traute ohnehin keinem, wie auch ihm keiner traute.

Als sie die Felsen erreicht hatten, stieg Mansur noch ein Stück weiter hoch. Von hier oben hatte man einen prächtigen Überblick über die ganze Insel, und falls die Seewölfe auf die Idee verfielen, auch nachts nach ihren Schätzen zu sehen, dann gab es keine unliebsamen Überraschungen. Man würde sie früh genug entdekken.

Hier oben war es kühl, und der Wind pfiff. Dunkel und geheimnisvoll lag das Meer in endloser Weite vor ihm. Wenn er sich umdrehte, sah er tief unter sich in der Bucht die beiden Schiffe liegen.

Mansur wollte gerade wieder zurückkehren, als ihm etwas auffiel. Der Mond beleuchtete sekundenlang ein senkrecht aus dem Wasser ragendes Ding, das einem Schiffsmast verblüffend ähnlich sah.

Schnell kletterte er noch höher, blickte dann zu den steil abfallenden Klippen hinunter und fühlte, wie sein Herz einen Sprung vollführte.

Kein Zweifel, dort im südlichen Bereich der Klippen, wo sich der Aufstieg von selbst verbot, lag ein Schiff in der Brandung. Jetzt erkannte er deutlich die beiden Masten.

Es war eine Karavelle, die der Sturm an die Felsen geworfen hatte. Der eine Mast war angeknickt, ein Segel zerfetzt, die anderen alle aufgegeit.

Die Karavelle schien einen fürchterlichen Sturm abgeritten zu haben, ehe Wind und Wasser sie vor die Felsen warfen. An Deck schien sich niemand aufzuhalten, wie Sidi erkannte. Wahrscheinlich waren die meisten Kerle bei dem Sturm über Bord gespült worden und ertrunken. Trotz allem schien das Schiff noch seetüchtig zu sein, wie er auf den ersten flüchtigen Blick erkannte. Auf und ab tanzte es tief unter ihm in den Wellen.

„He, Sidi“, hörte er Ravellas Stimme. „Was stehst du da herum und glotzt? Beeilen wir uns, wir haben …“

Mansur hastete zurück, bis er atemlos bei seinen drei Kumpanen ankam.

„Mensch“, sagte er benommen, „da unten an den Klippen ist ein Zweimaster gestrandet. Direkt unter uns.“

„Ein Schiff?“ fragte Muddi ungläubig. „Gestrandet? Vielleicht …“

„Quatsch nicht, seht es euch an!“

Wenn dieser Zweimaster noch intakt war, dann meinte das Schicksal es wirklich gut mit ihnen, dachte er immer wieder. Eine bessere Gelegenheit gab es nicht mehr.

So schnell sie konnten, liefen sie nach oben. Dann blieben sie wie vom Donner gerührt stehen und starrten in die Tiefe.

„Tatsächlich ein Schiff!“ Don Ravella schlug dem Javaner auf den nackten Rücken, daß es nur so krachte. „Das müssen wir uns aus der Nähe ansehen, Mann!“

Sidi zeigte in die zerklüfteten, steil abfallenden Felsen. „Und wie wollen wir da ’runter, hä?“

„Da brechen wir uns sämtliche Knochen“, sagte auch Muddi.

„Das schaffen wir“, erklärte Ravella. „Stellt euch nur vor, was es bedeutet, wenn wir diesen Kahn flott kriegen. Dann können wir den ganzen Krempel einladen und lachend davonsegeln.“

Fieberhafte Nervosität ergriff die Piraten. Dieses Schiff, das war wirklich ein Geschenk des Himmels, das kam wie gerufen. Und sie hatten es nur durch einen reinen Zufall entdeckt.

Ravella suchte nach einem Abstieg. Es ging steil hinunter, über schroffe Felsen, über tückische Spalten und Risse und über nadelspitzen Boden mit trügerischen Löchern.

„Ob da noch jemand an Bord ist, Don?“ fragte Sidi.

„Wahrscheinlich. Es sieht aus, als hätten die Brüder dicht vor den Klippen Anker geworfen. Oder ist das keine Ankertrosse, was da im Wasser hängt?“

Sidi starrte angestrengt nach unten. Auch er glaubte so etwas wie ein auf- und abschwappendes Tau zu erkennen, das vom Bug des Zweimasters ins Wasser hing. Aber auf dem Schiff brannte kein Licht, man hörte keine Stimmen, nichts.

Der Javaner dachte an Geisterschiffe, die nachts einsame Inseln anliefen, und deren Besatzungen dann auf den Inseln herumgeisterten, aber er hütete sich, das laut werden zu lassen, denn die anderen hätten ihn doch nur ausgelacht.

„Los, wir gehen weiter nach Süden, dort sind die Felsen nicht ganz so steil“, befahl Ravella, nachdem er vergeblich einen Abstieg gesucht hatte.

Immer wieder drehten sie sich nach dem fremden Schiff um, das in der Brandung mitunter über dem Wasser zu schweben schien, das auf- und abtanzte und von gischtenden Brechern überschüttet wurde.

„Hier muß es gehen“, sagte der Spanier nach einer Weile. „Aber seid vorsichtig, sonst brechen wir uns die Ohren.“

Er machte sich zuerst an den Abstieg. Auf Händen und Knien kriechend, rutschte er vor, stellte sich dann wieder hin und tastete das Gestein ab. Und immer wieder dachte er daran, daß er hier mehr als hundert Yards in die Tiefe stürzen konnte.

Die Nacht war nicht finster, weil ab und zu schwach das Mondlicht durch die Wolken brach und den Weg erhellte.

Vorsichtig folgten die anderen dem Spanier, der stehenblieb und sich gegen die Felsen lehnte.

Sidi Mansur blieb keuchend neben seinem Kumpan stehen. Sie hatten einen breiten, klaffenden Riß zu überwinden.

„Hast du schon mal daran gedacht, wie wir das Zeug abtransportieren wollen?“ fragte er. Der kühle Wind, der vom Meer blies, riß ihm die Worte von den Lippen. „Es ist schon lebensgefährlich genug, hier herumzurennen, und wenn dann jeder noch Gold und Silber schleppen muß, wird es beschissen, hä?“

„Was heißt hier beschissen, Sidi? Wir brauchen die Goldbarren und das andere Zeug doch nur hinunterzuwerfen, Mann. Gut, ein paar fallen vielleicht ins Wasser, wen juckt das schon? Jedenfalls haben wir uns eine höllische Arbeit gespart, und außerdem kommt keiner von den Seewölfen hierher. In der Bucht können sie uns leicht entdecken, aber hier oben nicht. Keiner weiß was von dem Kahn.“

„Ja, das stimmt“, sagte Sidi nachdenklich. „Die Barren einfach runterfeuern, hä! Vielleicht durch die Spalte hier, dann fallen auch nicht soviel ins Wasser. Mir geht’s nämlich um jeden Barren, weißt du!“

„Klar weiß ich das, aber jetzt komm endlich weiter!“

„Hör zu, Don, aber dem Schlangengott brechen wir doch noch die Augen ’raus, oder? Was meinst du, hä?“

„Meinetwegen nimm den ganzen Gott mit, du kannst ja doch nie den Hals voll genug kriegen, du hast mir ja schon einmal das Ersatzauge geklaut, du Hund!“

„War doch nur ’n Spaß, Don“, schwächte der Gauner sofort ab.

Übervorsichtig kletterten sie weiter. Mit jedem Schritt wurde es gefährlicher und riskanter. Mit Schaudern dachten sie schon an den Aufstieg.

Hoffentlich war das Schiff noch in Ordnung, dachte Sidi. Wenn das der Fall war, dann waren sie gemachte Männer, konnten tun und lassen, was sie wollten und brauchten sich den Teufel um den Seewolf oder die Rote Korsarin zu scheren.

Schweißüberströmt langten sie nach einer Ewigkeit unten an. Wenn sie jetzt zu den Klippen hochstarrten, dann überfiel sie das Grauen. Himmelhoch, dunkel und drohend türmten sie sich gewaltig auf.

Sandstrand gab es hier unten nicht. Man mußte sich ziemlich mühsam den Weg über scharfe flache Felsen bahnen.

„Die haben tatsächlich einen Anker ausgebracht“, flüsterte Ravella, „das bedeutet aber auch, daß noch Kerle an Bord sind. Und das verdammte Schiff scheuert und kratzt an den Felsen. Hoffentlich ist es nicht leckgeschlagen.“

„Entern wir auf?“ hauchte Sidi.

„Sicher, über das Heck. Aber leise. Sollte uns jemand sehen, wird nicht lange gefackelt, verstanden?“

„Verstanden, gleich die Messer ’raus!“

In der Takelage und dem stehenden Gut fing sich der Wind, heulend und klagend seufzte er durch die Pardunen, ließ das zerrissene Segel knattern und zerfetzte es immer mehr.

Der Zweimaster war dem ihren ähnlich, nur war er etwas kleiner.

Sie wateten ins Wasser. Gischt übersprühte sie, ab und zu brach sich donnernd ein Brecher an den Felsen. Dann hob und senkte sich das Schiff, als wolle es sie unter sich begraben.

Dem Javaner wurde es immer unheimlicher zumute. Er schritt nur noch zögernd weiter und sah sich immer wieder nach allen Seiten ängstlich um. Das klagende Heulen zerrte an seinen Nerven, die schwarze Silhouette des fremden, halb gestrandeten Schiffes ängstigte ihn. Das Ächzen und Knarren der Taue und Blöcke ließ ihn halb verrückt werden.

Ravella blieb stehen und packte ihn grob am Hals.

„Vorwärts“, drängte er, „du willst doch auch reich werden, was?“

Zögernd gehorchte Rahim Baa. Langsam, Schritt für Schritt, tastete er sich mit den bloßen Füßen auf den unter Wasser liegenden Felsen voran, bis er den auf- und niedersinkenden Schiffskörper mit der Hand berühren konnte.

Am Heck des Zweimasters zogen sie sich in die Höhe. Einer nach dem anderen erklomm fast lautlos das Achterkastell.

Regungslos blieben sie stehen, starrten in die Dunkelheit und versuchten, auf dem Schiff etwas zu erkennen.

Die See hob es hoch, ließ den Bug wieder tief eintauchen und wiederholte das Spiel ständig, wobei ein Brecher nach dem anderen über die Backbordseite gischtete.

Keine Menschenseele war zu sehen. Aber sie hörten das leise Schaben und Krachen, mit dem der Schiffsboden gegen die Felsen stieß und scheuerte. Anscheinend hatte es kein Leck, denn es lag mit normaler Tiefe im Wasser.

Ravella rieb sich in der Vorfreude auf die große fette Beute die Hände und überlegte angestrengt. Hatten sie das Gold erst einmal an Bord und waren ein Stück gesegelt, dann konnten Muddi und der Javaner ihren Abschied nehmen. Ein Messer im Kreuz würde deren Probleme schnell lösen und bis nach Tortuga schafften sie es mit dem Kahn, das stand ebenfalls fest.

Ravella zog das Messer aus dem Hosenbund, bedeutete den anderen, hier stehenzubleiben und schlich leise den Niedergang des Achterkastells hinunter.

Eine Tür knarrte monoton in den Angeln. Wasserberge klatschten ans Achterkastell und mit jedem Heben und Senken schwang die Tür auf und zu, auf und zu.

Ravella gelangte in eine Kammer, hielt den Atem an und blickte sich um. Die in der Wand eingelassene Koje war leer, ein Stuhl war umgefallen, eine Schranktür weit geöffnet. Durch die kleinen Bleiglasfenster fiel schwaches Mondlicht.

Der Spanier ging wieder zurück, durch den Gang, entdeckte eine ebenfalls offene Tür und sah in einen kleineren Raum. Auch hier war die Koje leer. Über den Boden rollte eine Flasche, mal nach Backbord, mal nach Steuerbord.

„Niemand da“, sagte er leise, als er wieder oben auftauchte. „Aber es müssen Leute an Bord sein, vielleicht halten sie sich im Vorschiff auf. Folgt mir, aber leise.“

Neben dem Laderaum kauerte eine Gestalt. Ravella sprang im ersten Augenblick hastig zurück, hob das Messer und wollte zustechen.

Das war jedoch nicht mehr nötig. Der Mann, der da halb hingekauert neben dem Laderaum hockte, war längst tot. Eine abgerissene Gaffelrute hatte ihm den Schädel eingeschlagen.

Rahim Baa rief im Geist alle Götter an, die er kannte, und erflehte inbrünstig ihren Beistand. Ein Totenschiff, überlegte er. Ein unheimlicher Segler mit Leichen an Bord. Vielleicht war das Schiff verflucht, oder es existierte gar nicht wirklich und war nur eine vorübergehende Erscheinung wie jene Schiffe aus der Java-See, die ganz überraschend auftauchten und mit ihrer längst vermoderten Besatzung genauso geheimnisvoll wieder verschwanden.

Am Mannschaftslogis war das Schott ebenfalls offen und schwang im Rhythmus der Wellen auf und zu. Ein dumpfer Knall, dann öffnete es sich wieder, schlug gleich darauf zu.

Von unten war ein leises Ächzen und Stöhnen zu vernehmen. Der Javaner zitterte an allen Gliedern.

„Ich geh’ da nicht ’runter“, wisperte er. „Ich nicht!“

Ravella fluchte verhalten. Angsthasen waren genau das, was er noch brauchte. Sobald der Javaner seine Arbeit erledigt hatte, würde er ihn umlegen.

„Dann bleib hier und scheiß dir in die Hose“, sagte er zu ihm.

Ohne zu zögern, glitt er den Niedergang hinunter.

Das Stöhnen wurde lauter, dazwischen vernahm er Töne, die eindeutig auf einen Schläfer hinwiesen, der keine Ruhe fand, der ab und zu mal schnarchte, sich dann unruhig herumwälzte und sein Schnarchen für kurze Zeit unterbrach.

Hinter Ravella schlich Sidi Mansur die Treppe hinunter. Ihm folgte Muddi, der sich ebenfalls nicht mehr wohl in seiner Haut fühlte.

„Da stöhnt einer“, stellte er überflüssigerweise fest.

Die Orientierung war schlecht, aber als die Treppe nach Backbord abbog, sahen sie ein schwaches Licht, das von der Decke hing und verzerrte Schatten warf.

Es roch nach altem blakenden Öl, den Ausdünstungen von Menschen und Blut. Süßlich und ekelhaft.

Es war eine kleine Kammer, in der Back- und Steuerbord zwei Doppelkojen eingebaut waren. Ein Tisch und eine Bank vervollständigten das dürftige Mobiliar – und die Lampe, die an einem eisernen Haken hing und vor sich hin blakte.

Zwei Männer lagen in den Kojen. Von einem sah Ravella nur undeutlich den Rücken, von dem anderen das Gesicht.

Er schraubte den Docht der Lampe höher. Rußiger Qualm breitete sich aus, aber es wurde sofort heller.

Ein blutverschmiertes Gesicht starrte ihn an. Der Mann bewegte die Lippen, brachte aber keinen Ton hervor. Seine Augenbraue war aufgeplatzt, auf der Stirn hatte er eine klaffende Wunde. Sein Hemd war blutgetränkt und naß.

Sidi Mansur hob das Messer.

„Sollen wir ihn umlegen?“ fragte er leise.

Zuerst wollte Ravella zustimmen, aber dann besann er sich anders.

„Nein, laß ihn! Wecke den anderen!“

„Aber …“

„Du sollst den anderen Kerl wekken!“ befahl Ravella scharf.

Es war nicht mehr nötig, den Schläfer zu wecken. Er drehte sich um, sah die Kerle und schluckte heftig.

„Wer – wer seid ihr?“ stieß er mühsam und in einem schauderhaften Englisch hervor.

Don Ravella lächelte ihn freundlich verschlagen an. Sein Auge und sein schwarzer Vollbart verliehen ihm ein dämonisches Aussehen. Er erinnerte den Mann in der Koje an einen leibhaftigen Teufel.

„Wir sind gute Freunde“, sagte er und warf Muddi und Mansur einen warnenden Blick zu. „Schiffbrüchige wie ihr. Nur haben wir das Pech gehabt, daß unser Kasten abgesoffen ist.“

Der Mann stand schwerfällig auf. Er schien keinen Verdacht zu schöpfen. Er war unrasiert und hatte eine grobe Visage. Vorn fehlte ihm ein Schneidezahn.

„Vielleicht können wir uns zusammentun“, fragte er lauernd.

„Sicher, ein guter Gedanke. Wir sind schon oft hier gewesen und haben reiche Beute gemacht. Wir könnten sie an Bord schaffen und teilen, und dann segeln wir gemeinsam. Wo sind eure anderen Leute? Und was ist mit dem da?“ fragte Ravella und deutete auf das blutverkrustete Gesicht des Mannes in der anderen Koje.

„Sie sind alle tot, ersoffen, über Bord gefallen. Wir waren acht Mann, der da ist verletzt, aber es sieht schlimmer aus, als es ist. Wann seid ihr gestrandet?“

„Heute früh“, log Ravella. „Da soff unser Kahn ab, total zersplittert, wir donnerten auf die Riffe, weil unser Ruder gebrochen war. Sieben Mann haben wir verloren.“

„Du sprachst von reicher Beute, Freund“, sagte der Unrasierte. „Was heißt das?“

„Wir haben schon früher immer diese Insel angelaufen und unsere Beute hier versteckt. Nachdem aber keiner mehr am Leben ist, außer uns vieren, brauchen wir auch nicht mehr zu teilen.“

Ravella sah es in den Augen des Kerls aufblitzen. Gier stand darin, nackte Gier. Er sah Schätze vor sich und hatte schon wieder vergessen, daß er gerade noch einmal mit dem Leben davongekommen war. Diese beiden Kerle hatten es jedenfalls geschafft, mit ihrem beschädigten Schiff die Schlangen-Insel zu erreichen. Dann hatten sie noch den Anker geworfen und waren erschöpft in ihre Kojen gefallen.

„Du sprachst von vier Mann, Freund Schwarzbart. Wo ist der Vierte?“

„An Deck, er wollte dem Mann helfen, der oben neben den Laderäumen liegt.“

Der Unrasierte schwang die Beine aus der Koje, stand auf und tat Ravellas Bemerkung mit einer Handbewegung ab.

„Dem ist nicht mehr zu helfen, der ist hinüber. Wir haben ihn bloß noch nicht über Bord geschmissen, wir waren einfach erledigt. Und das Schiff hat auch was abgekriegt.“

„Es schwimmt aber noch, und das ist wichtig“, sagte Ravella.

„Wir kriegen es schon wieder hin, zusammen natürlich. Ich glaube, ein gütiges Schicksal hat uns zusammengeführt.“

„Das glaube ich auch“, sagte Don und lachte.

Diese beiden Hornochsen waren willkommene Helfer für ihn. Die sollten erst einmal schuften, bis sie schwarz wurden. Mit sechs Männern ließ sich in einer Nacht mehr als die Hälfte der Beute abtransportieren, wenn vier von ihnen die Barren aus dem Tempel holten und über die Felsen hinunterwarfen. Zwei konnten sie dann an Bord verstauen.

Ravella hatte jetzt keine Ruhe mehr.

„Wir nehmen die Beute gleich an Bord, Freunde, denn morgen ist das zu riskant. Hier wimmelt es von Piraten, und ich habe keine Lust, mir den Schatz wieder abnehmen zu lassen. Wir laden gleich ein und segeln im Morgengrauen los.“

Das klang logisch. Auch der Kerl mit der blutenden Visage nickte, und in seinen Augen stand ebenfalls nackte Gier.

„Was für Beute ist es?“ fragte der Unrasierte wieder. Der Gedanke an Gold ließ ihn seine Erschöpfung vergessen. Und Ravella verstand es, ihm das unrasierte Maul wäßrig zu machen.

„Ein paar Kisten mit Perlen, randvoll, dann eine riesige Menge Gold- und Silberbarren. Wir haben die ganze Nacht zu tun, um das alles zu laden.“

„Donnerwetter, da haben wir aber Glück gehabt. Und ihr wollt das mit uns teilen?“

Ravella wollte es nicht übertreiben, sonst wurde der Kerl am Ende noch mißtrauisch.

„Natürlich nicht zur Hälfte“, sagte er schnell. „Wir sind vier, ihr seid zwei. Ich denke, wir legen insgesamt zehn Anteile zusammen, zwei davon kriegt ihr, der Rest ist für uns. Es ist so viel, daß es für euer ganzes Leben reicht. Mehr als drei Schiffsladungen insgesamt. Ihr könnt euch gleich selbst davon überzeugen.“

Jetzt waren sie hellwach, gierig darauf, die Schätze zu sehen.

„Habt ihr Fackeln an Bord?“

„Klar, haben wir.“

„Wir müssen zu den Felsen hinauf. Das ist ein verdammt beschwerlicher Weg nach oben, aber er lohnt die Mühe. Und jetzt beeilt euch. Ich habe unten in der Bucht ein Schiff gesehen. Piraten wahrscheinlich, da müssen wir verdammt leise sein.“

Zusammen stiegen sie an Deck, wo Rahim Baa stand und ihnen ängstlich entgegensah. Er starrte die beiden Männer an wie Geister.

Der Unrasierte bückte sich und sagte etwas zu dem anderen, der nach achtern ging und Fackeln holte. Er selbst packte den Toten bei den Füßen und schleuderte ihn in die Brandung, wo er aufklatschend versank.

„Der kann uns doch nicht mehr helfen“, sagte er grinsend.

Etwas später begann der gefährliche Aufstieg. Ravella turnte voran, zurück blieben Muddi und der Kerl mit dem blutigen Gesicht. Sie sollten die Barren sofort verstauen, wenn sie unten ankamen.

Mit jedem Yard, den sie an Höhe gewannen, wurde es schwieriger. Ravella rutschte ein paarmal ab und fing sich gerade noch im letzten Moment, sonst wäre er in die Tiefe gesaust.

Auch der Unrasierte fluchte pausenlos. Mal stieß er sich den Schädel an einem Felsen, mal blieb er in einer Spalte hängen, und immer wenn er nach unten blickte, wurde ihm schlecht.

Aber die Gier trieb ihn weiter. Da konnte man sich schon eine Nacht um die Ohren schlagen, selbst wenn man halbtot war.

Bis er unter pausenlosem Fluchen oben angelangte, verging mehr als eine Stunde. Die letzten Yards kroch er nur noch. Oben auf den flachen Felsen blieb er erschöpft liegen und pumpte Luft in seine Lungen.

Die anderen waren ebenfalls erledigt. Sie mußten rasten, ihre Pulse hämmerten, die Lungen brannten.

„Verflucht, verflucht“, stöhnte der Unrasierte. „Das hält ja kein Mensch aus. Können wir wieder weiter?“

„Es ist nicht mehr weit, nur ein paar hundert Yards noch, dann haben wir es geschafft.“

Jetzt ging es besser, doch plötzlich blieb der Mann stehen und deutete in die Bucht.

„Verdammt, da liegt das Schiff ja“, sagte er. „Und ihr seid sicher, daß es nicht die Beute von den Kerlen ist, die wir holen?“

Das Mißtrauen stand in seinem Gesicht geschrieben.

„Es ist unsere, die Kerle haben uns noch gar nicht entdeckt. Aber die haben hier sicher auch Beute versteckt.“

Damit gab der Bursche sich vorerst zufrieden. Er kannte die Schlangen-Insel nicht, er wußte nichts von den Seewölfen. Er war nur ein kleiner lausiger Pirat unter vielen, die ab und zu ein Handelsschiff kaperten und ausplünderten. An die fetten Brocken hatte er sich noch nie in seinem Leben herangetraut.

Daher war es nur verständlich, daß auch durch seinen Schädel Gedanken kreisten, die alles andere als sauber waren. Hatten sie die Beute erst einmal an Bord, dann würde man es diesen Burschen schon zeigen. Weshalb sollte man sich mit einem kleinen Anteil zufrieden geben?

Ravella hatte die Höhle erreicht und zwängte sich in den Stollen.

„Gib mal eine von deinen Fackeln“, sagte er, „aber zünde hier oben kein Licht an, sonst spannen die Burschen auf dem Schiff etwas.“

Es dauerte lange, bis er die Fackel in Brand gesetzt hatte. Schnell kroch er ein paar Schritte weiter in die Höhle.

Die anderen folgten aufgeregt und neugierig. Dem Unrasierten wurden die Handflächen feucht, und immer wieder wischte er sie nervös an seiner Hose ab.

Die Burschen hatten anscheinend keine Sprüche geklopft mit ihrem großartigen Schatz, dachte er.

Sidi Mansur konnte sich kaum beruhigen, und Rahim Baa sah sich im Geist den Rest seines Lebens nur noch saufend verbringen.

Dann standen sie in dem Schlangentempel.

Hart stieß der Unrasierte die Luft aus.

„Mann“, keuchte er, „o Mann, das gibt es doch gar nicht. Und das alles gehört wirklich euch?“

„Sagte ich doch“, schnauzte Ravella. „Und jetzt nichts wie weg mit dem Zeug. Ich und mein Kumpan tragen die Barren zum Stollen, ihr beide tragt sie weiter und werft sie hinunter. Na los schon, Rahim, auf was wartest du noch! Wir haben nicht viel Zeit.“

Dem Unrasierten schien es, als gehöre den Kerlen die riesige Beute nicht, aber jetzt war ihm das egal. Soviel Gold und Silber hatte er noch nie auf einem Haufen gesehen.

„Was ist in den Kisten?“ krächzte er.

„Perlen. Aber die Kisten können wir nicht hinunterwerfen, sonst brechen sie auseinander. Wir müssen sie später abseilen.“

„Perlen“, wiederholte der andere andächtig. „Sollen wir sie nicht zuerst …“

„Hier bestimme ich, Freund. Los jetzt! Und nehmt gleich ein paar von den Goldbarren mit.“

„Das kriegen wir in einer Nacht gar nicht alles weg“, schätzte der Unrasierte.

Ravella schob ihn weiter.

„Das ist egal, wir haben dann immer noch genug bis an unser Lebensende. Laß den Gott jetzt in Ruhe, Sidi!“ fuhr er seinen Kumpan an, der sich schon wieder über die Augen des Schlangengottes hermachte, um sie herauszubrechen.

Sidi gehorchte murrend. Zu gern hätte er die Steinchen noch schnell in seiner Tasche verschwinden lassen.

Ravella brannte die Zeit unter den Nägeln. Wenn die Seewölfe wach wurden oder etwas merkten, dann stand ihnen einiges bevor. Die Kerle würden nicht lange fackeln und einen nach dem anderen von ihnen an der nächsten Rah aufhängen. Daher war höchste Eile geboten.

Die ersten Barren wurden hinausgetragen. So erschöpft der Unrasierte auch war, aber jetzt konnte er plötzlich Lasten tragen wie ein Esel. Er belud sich mit fast zwei Zentnern Gold, keuchte und schleppte, bis er fast zusammenbrach. Dann warf er seine Beute über die Klippen nach unten. Es polterte und knackte, als sie durch die Rinne fielen und unten auf den anderen Klippen landeten.

Aber kein einziger Goldbarren war ins Wasser gefallen.

Ravella lachte lautlos hinter ihnen her. Der Idiot schuftete wirklich, bis er zusammenbrach. Dafür würde er später auch seinen Lohn erhalten, aber ganz anders, als er sich das vorstellte.

Seewölfe Paket 4

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