Читать книгу Seewölfe Paket 4 - Roy Palmer - Страница 28
5.
ОглавлениеEine frische Brise füllte die Segel der „Isabella VIII.“ und des Zweimasters mit der blutroten Takelage, als beide Schiffe im milchiggrauen Morgenlicht ankerauf gingen und Vollzeug setzten. Hasard hatte rasch gelernt und verstand es nun, den richtigen Zeitpunkt für das Auslaufen zu bestimmen. Tatsächlich rauschten die Schiffe auf dem höchsten Stand des Tidenhubs durch die Passage, ohne die Unterwasserbarriere zu berühren.
Sie glitten auf See hinaus, fielen im bald handig aus Osten einfallenden Wind ab und gingen mit prall gebauschten Segeln auf westlichen Kurs. Das Wetter blieb beständig, und innerhalb der folgenden Tage schoben sich die Schiffe mit gut sechs bis sieben Knoten Geschwindigkeit und einem Etmal von durchschnittlich 150 Seemeilen voran.
Hasard hätte eine größere Tagesleistung erreichen können, aber damit hätte er Siri-Tong abgehängt. Sie hatte das kleinere, aber auch wendigere und schlankere Schiff, und eigentlich war sie damit den herkömmlichen Galeonen überlegen, ganz gleich, ob sie spanischen oder englischen Ursprungs waren. Der Zweimaster mit seinen Lateinersegeln an den langen Gaffelruten war ein ausgezeichneter Am-Wind-Segler. Überdies besaß er die größere Manövrierfähigkeit als die behäbigen Rahsegler.
Aber Hasards Schiff war schneller, weil es nun einmal keine Galeone nach der konventionellen Bauweise war.
Er hatte es in Plymouth gekauft – beim besten Schiffbauer von ganz England. Das war keine Übertreibung. Die „Isabella VIII.“ war ihrer Zeit im Grunde weit voraus, nur hatte eben ein Wagemutiger wie er, Hasard, aufkreuzen müssen, um sich in das fortschrittliche Modell zu verlieben und es auszuprobieren.
Er hatte das nicht bereut. Die „Isabella VIII.“ war nicht nur rein äußerlich schöner und ranker als ihre Vorgängerinnen. Man hätte einen Vortrag über ihre neuartige Konstruktion halten können. Das fing beispielsweise bei der Form der Spanten an. Die unteren Krummhölzer, aus denen sie zusammengesetzt waren, waren nicht schwach gekrümmt, also flach wie bei den bisher gebauten Galeonen. Solche Segler nannte man im Sprachgebrauch der Fachleute völlige oder stumpfe Schiffe. Wenn die unteren Hölzer der Spanten jedoch stark gekrümmt waren wie bei der „Isabella VIII.“, so sprach man von scharfen Schiffen.
Und sie war ein „scharfer Kahn“, wie die Crew festgestellt hatte. Von den Spanten, die über den Kiel eingeschnitten und durch Bolzen mit ihm verbunden waren; hing nicht nur die äußere Figur des Schiffskörpers ab. Die Form bestimmte auch die Eigenschaften: Schnellsegeln, Wenden, Steuern, Seehalten, Laden und anderes mehr. All diese Dinge waren bei der neuen „Isabella“ perfektioniert worden.
Zudem verfügte sie über ein flaches Vorder- und Achterkastell. Die Masten waren überhoch und boten daher viel Segelfläche. Statt des üblichen Kolderstockes hatte sie ein richtiges Ruderrad, und dieses wurde von einem Ruderhaus überdeckt, das noch Ferris Tucker auf der Werft in Plymouth gezimmert hatte. So waren Pete Ballie oder wer ihn als Rudergänger ablöste nicht ständig überkommenden Seen ausgesetzt.
Von den drei Masten trug nur der achtere, Besan- oder Kreuzmast genannt, ein Lateinersegel. Die übrige Takelung bestand aus Rahsegeln. Die Größe bewegte sich um die 250 Tonnen, und die Armierung war ausgezeichnet.
Je acht 17-Pfünder, also Culverinen, standen an Back- und Steuerbordseite in ihren Brooktauen festgezurrt. Vorn und achtern hatte die „Isabella“ je zwei Drehbassen zum schnellen Feuern. Diese Hinterlader hatten sich bei vielen Gefechten bewährt, und Hasard und die Crew hatten selbstverständlich nicht darauf verzichten wollen. Etwas Besonderes waren die Culverinen. Sie trugen überlange Rohre, wodurch eine größere Reichweite und Treffsicherheit erlangt wurde.
Das Schiff hatte drei Frachträume, wovon zwei unter der Kuhl und dem Hauptdeck lagen. Der dritte befand sich unter dem Vordeck, vor den Mannschaftsräumen, war aber nur sehr klein. Sonst war sie geräumig, die stolze „Isabella“, sie hatte ausreichend Kammern für den Kapitän und seine Mannschaft und sogar eine Messe im Achterkastell.
Und die Hauptsache: Sie war ihr Eigentum, denn sie hatten sie keinem spanischen Kapitän unter den Beinen weggekapert, sondern mit ihrem Beuteanteil rechtmäßig erstanden. Eigentlich konnte es ihnen egal sein, ob sie ein Prisenschiff oder einen gekauften Kahn fuhren – und doch, es schwang jetzt immer eine ganz besondere Art von Stolz in ihren Stimmen, wenn sie von „Ihrer Isabella“ sprachen.
Big Old Shane trat am dritten Tag nach ihrem Auslaufen aus der Bucht der Schlangen-Insel auf das Achterdeck und hielt zufrieden lächelnd die Nase in den Morgenwind. Er sah Hasard stehen, schritt auf ihn zu und stellte sich vor ihn hin.
„Seewölfe, das sind wir doch, oder?“
„Mensch, Shane“, erwiderte Hasard lachend. „Sind dir daran heute nacht etwa Zweifel gekommen?“
„Denk bloß nicht, der Schmied von Arwenack wird zickig“, polterte Shane los. „Aber mir ist da was eingefallen. Nenne es ein geflügeltes Wort, wenn du willst.“
„Donnerschlag, Shane …“
„Wölfe im Schafspelz“, sagte der riesige, graubärtige Mann. „Die werdet ihr – Ben, Sam, Blacky und du –, wenn ihr euch unter die Spanier mischt, oder? Ich finde, das ist ein treffender Vergleich.“ Er hieb Hasard auf die Schulter, daß es krachte. „Nun sag doch was, ist das nicht gut? Hat’s dir etwa die Sprache verschlagen?“
Hasard boxte ihm mit voller Wucht in den Bauch, wie er es früher getan hatte, auf Arwenack. Und wieder war da Widerstand, so hart wie eine Eisenplatte.
„Himmel“, stieß Hasard aus. „Das ist es also! Und ich dachte schon, das vertrackte Leben an Bord hätte deinem Grips geschadet. Wölfe im Schafspelz, das ist wirklich großartig!“
Sie brüllten beide vor Vergnügen und bogen sich dabei. Die Männer auf Oberdeck blickten verdutzt zu ihnen auf. Dan O’Flynn und Arwenack lugten aus dem Großmars und zeigten nicht weniger verblüffte Mienen, und sogar der Kutscher vergaß seine Kübel, Töpfe und sein Kombüsenfeuer und spähte aus dem Schott des Vordecks hervor.
Shane stieg kopfschüttelnd den Niedergang zur Kuhl hinunter. Er lachte immer noch, und ihm standen dabei sogar Tränen in den Augen. „Wölfe im Schafspelz – hol’s der Henker.“ Er wollte sich ausschütten.
Old Donegal Daniel O’Flynn trat ihm in den Weg. Er hielt die Augen zu Schlitzen zusammengekniffen und linste Shane mißtrauisch an. „Du Bär“, sagte er. „Wie kann man in deinem Alter noch so närrisch und bescheuert sein?“
Shane verhielt, erwiderte den Blick und zog langsam die Augenbrauen hoch. Dann brach es wieder aus ihm hervor. Er schlug sich auf die Knie, prustete und ließ von neuem sein grollendes Gelächter vernehmen.
Old O’Flynn war drauf und dran, sein neues Holzbein abzuschnallen und es Shane schmecken zu lassen.
Mitte März ankerten die beiden Schiffe in einer versteckten Bucht der Insel Kuba nicht weit von Havanna entfernt. Batuti und Stenmark pullten im Beiboot der „Isabella“ mit ihrem Kapitän Ben Brighton, Sam Roskill und Blacky bis zum Ufer, setzten sie ab und kehrten zur Galeone zurück.
Alles Erforderliche war besprochen worden. Ferris als jetziger Kapitän der „Isabella“ und die Rote Korsarin wußten, was sie zu tun hatten. Hasard winkte den Crews noch einmal zu, bevor sie im Unterholz verschwanden. Die Männer grüßten zurück.
Siri-Tong stand auf dem Achterdeck ihres kleinen Schiffes. Sie erwiderte die Geste ebenfalls Der Seewolf glaubte, Sehnsucht und ein wenig Traurigkeit in ihrer Miene zu lesen.
Er wandte sich ab, bahnte sich einen Weg durch das Dickicht und führte seinen kleinen Trupp ins Landesinnere. Bald stieg der Untergrund an und sie fanden sich inmitten sanft geschwungener Hänge wieder. Die Vegetation war üppig, es roch nach würzigen Kräutern und hin und wieder auch nach Mimosen, Mangroven und dem Harz der Pinien.
Sie stießen auf Tiere, die nur träge die Flucht vor ihnen ergriffen. Einmal war ihnen ein Vierbeiner fast zum Greifen nahe. Blacky zückte die Pistole und wollte darauf anlegen. Das Tier hatte lange, dünne Beine, einen Stummelschwanz, große Augen und eine schwarze Nase und ähnelte im großen und ganzen einem Reh.
Hasard drückte mit der Hand auf Blackys Waffenarm. „Laß das. Ich kann ja verstehen, daß du Lust zum Jagen kriegst, aber wir dürfen um keinen Preis auffallen. Jemand könnte den Schuß hören.“
Das Tier hetzte in langen Sprüngen davon.
„Teufel, was war denn das?“ wollte Blacky wissen.
„Eine Antilopenart“, erklärte Sam Roskill. „Die gibt es auf dieser Insel viel. Sie sollen auch weiter nördlich auf dem großen Kontinent leben, hab ich gehört.“
„Sind sie schmackhaft?“ fragte Blacky.
„Sehr.“
„Darauf kommt es an.“
Hasard marschierte weiter. Er war plötzlich tief in seltsame Gedanken verstrickt. Was Sam da hatte anklingen lassen – ja, auch er hatte vernommen, daß die Neue Welt sich nicht auf das Gebiet beschränkte, das sie bisher kennengelernt und ergründet hatten. Im Norden führte das Land noch hoch hinauf, wahrscheinlich bis dorthin, wo das ganze Jahr über Eis und Schnee das Überleben zum Kampf machten. Jenes Land wartete noch auf ihn. Er hatte sich geschworen, auch dorthin noch vorzustoßen – und vielleicht würden auch die Seewölfe zu wahren Entdeckern werden und die Spanier in dieser Beziehung übertrumpfen.
Die versteckte Bucht, in der die „Isabella“ und der Zweimaster der Roten Korsarin ankerten, lag schätzungsweise zehn Meilen östlich von. Havanna an der Nordküste der Insel. Als Hasard und seine drei Begleiter etwa zwei Stunden strammen Marsches hinter sich hatten, sahen sie die Stadt von der Kuppe eines Hügels aus unter sich liegen.