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7.

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Auch die „Isabella“ war in die Nebelbank gelaufen. Hasard hatte den Zweimaster der Roten Korsarin darin verschwinden sehen, später die gewaltige Explosion vernommen, die einen Teil des Achterkastells der Galeone Caligus zerfetzte, und gleich darauf auch den rollenden Donner der Breitseiten, die der Pirat blindlings in den Nebel feuern ließ.

Der Seewolf wurde plötzlich von Sorge um Siri-Tong gepackt. Er ahnte, daß ihr hitziges Temperament sie zu etwas hingerissen hatte, was ihr leicht das Leben kosten konnte oder sogar bereits gekostet hatte.

Auf der „Isabella“ herrschte Schweigen, als das Schiff in die Nebelbank hineinglitt. Angestrengt lauschten die Männer auf das wüste Gebrüll, das von Backbord voraus zu ihnen herüberdrang, soweit sich das in diesem verdammten Nebel überhaupt lokalisieren ließ. Deutlich hörten sie die gewaltige Stimme des Piraten heraus, der wieder einen seiner entsetzlichen Wutanfälle erlitten hatte und jetzt an Bord seines Schiffes wie ein Irrer herumtobte.

Caligu sah die bewußtlose Maria Juanita, sah die entsetzliche, klaffende Wunde, sah ihren blutigen Schädel. Er hielt sie für tot, und nach kurzem Niederknien bei ihr war er wieder aufgesprungen, zum Schanzkleid gestürzt und hatte nach Siri-Tong gesucht.

„Siri-Tong, du verdammte Hure, wenn du noch einen Funken Mut hast, dann komm her und kämpfe mit Caligu, oder muß ich dich erst an den Haaren an Bord schleppen?“

Er erhielt keine Antwort. Statt dessen dröhnten unweit von ihm die schweren Geschütze der „Isabella“ plötzlich auf. Blitze durchzuckten den Nebel, andere Kanonen, die er sofort als die einer seiner Karavellen erkannte, antworteten. Und dann vernahmen die entsetzten, genervten Piraten wilde Schreie, gleich darauf eine weitere schmetternde grellweiße Explosion, deren Druckwelle den Nebel wegfegte und ihm und seinen Männern ein Bild des Grauens zeigte. Gleichzeitig fegte eine Windbö über die ganze grauenhafte Szenerie und riß den Nebel noch weiter auf.

Caligu starrte entgeistert auf die Stelle, an der sich eben noch seine Karavelle befunden hatte. Er sah die Trümmer, er hörte die wilden Schreie der wenigen Überlebenden. Ein gigantischer Rauchpilz verbreitete sich, und aus ihm glitt jetzt ein Schiff heraus, wie er es noch nie gesehen hatte. Flaches Vorderkastell, flaches Achterkastell, überhohe Masten, überbreite Rahen. Und hinter diesem unheimlichen Segler tauchten undeutlich die roten Segel von Siri-Tongs Zweimaster auf.

Caligu starrte die beiden Schiffe an wie Geistererscheinungen. Doch dann waren sie plötzlich wieder verschwunden, eine Nebelbank hatte sich zwischen sie und die Piraten-Galeone geschoben. Und ununterbrochen drangen die Schreie von Verwundeten und Sterbenden zu ihm herüber.

Caligu hörte plötzlich die Segel schlagen, auch seine Galeone hatte eine Bö erreicht.

Caligu begriff seine Chance sofort.

„Ho, Siri-Tong, du verfluchte Hure, du glaubst, du hast Caligu schon? Du wirst dich wundern!“

Er lief zum Hauptdeck, während sein ruderloses Schiff bereits eine leichte Drehung vollführte.

Mit gewaltiger Stimme feuerte er seine Männer an, die Geschütze zu laden und ein Boot auszusetzen. Er hatte sich genau gemerkt, von wo der fremde Segler und der Zweimaster der Roten Korsarin auf ihn zusegelten. Er würde den beiden Schiffen einen heißen Empfang bereiten!

Er griff sich zwei seiner Männer, die besten Bogenschützen, die er hatte.

„Los, in die Wanten mit euch. Schießt diesen verdammten Bastarden die Segel in Brand! Die sollen sich wundern, noch ist Caligu nicht tot, noch kämpft Caligu!“

Aber dann, Sekunden nach seinen letzten Worten, geschah etwas völlig Unerwartetes, etwas, was er noch nie erlebt hatte und wofür er auch keine Erklärung wußte.

Zwei, drei feurige Bahnen zischten aus der Nebelwand auf seine Galeone zu. Schneller als jeder Pfeil, viel schneller.

Die unheimlichen Flugkörper schlugen in die Takelage seiner Galeone, und dann zerplatzten sie plötzlich.

Rote Flammen schienen in den großen Segeln der Galeone sekundenlang hin und her zu geistern und sich in ihnen festzukrallen. Und schon brannte die Takelage lichterloh.

Caligu stand an Deck, das lange Entermesser in der Rechten und stierte zu den schnell um sich greifenden Flammen hoch.

Einer seiner Männer schrie auf, auch an Deck tanzten an einer Stelle diese unheimlichen kleinen roten Flammen herum und fraßen sich in die Planken. Ein Kübel Seewasser, das einer der Piraten auf sie schüttete, störte sie nicht. Sobald das Wasser verlaufen war, flackerten sie wieder auf.

Caligu war mit einem Satz bei den Flammen, deren eigenartige rubinrote Farbe sie als etwas Fremdes, Unheimliches auswies. Er versuchte es selbst mit einem weiteren Kübel Wasser – vergeblich. Er versuchte die Flammen zu ersticken, ebenfalls ohne Erfolg.

Ein eisiger Schreck durchzuckte ihn. Zum erstenmal begriff er, daß er an einen Gegner geraten war, der ihm nicht nur gewachsen, sondern sogar weit überlegen war.

Er stieß einen wilden Schrei aus, und in diesem Moment glitt die „Isabella“ aus ihrer Nebelwand hervor.

Caligu erblickte den großen, schwarzhaarigen Mann, der mit anderen Männern auf dem Vorderkastell seines Schiffes stand, den Degen in der Rechten, die Radschloßpistole in der Linken. Caligu sah die eisblauen Augen, das harte, entschlossene Gesicht – und er wußte, wer dieser Gegner war.

„Seewolf!“ schrie er. „O du verdammter Bastard, bist du endlich wieder da? Ich werde dich aufschlitzen. Erst dich und dann die kleine Hure Siri-Tong, die sich in deinem Gefolge befindet! Komm her, du Hund, Caligu wartet!“

Mit einem wilden Satz sprang er auf eins der Geschütze, dann jagte er zum Achterkastell hoch.

Über ihm loderten die Flammen, vom Hauptdeck stieg weißlicher, unangenehm riechender Rauch empor, der seinen Männern die Augen verätzte und sie blendete.

Caligu wußte, daß es jetzt um Tod und Leben ging, aber er war bereit. Und wenn es sein allerletzter Triumph sein sollte, diesen Seewolf zur Hölle zu schicken!

Sein Gesicht verzerrte sich vor Wut, je näher die „Isabella“ heransegelte, und ein paarmal zischte die Klinge seines Entermessers durch die Luft.

Der Seewolf sah es, und er steckte seine Radschloßpistole wieder in den Gürtel, nachdem er die beiden Hähne entspannt hatte.

Caligu wollte kämpfen – gut, sollte er!

Ferris Tucker, Batuti, Big Old Shane, der Kutscher und auch die anderen Männer der „Isabella“-Crew starrten auf das brennende Piratenschiff, dann wieder auf die Holzgestelle, die der Schiffszimmermann am Schanzkleid montiert hatte.

Was waren das denn nur für kleine längliche Flugkörper, die der Seewolf aus seiner Kammer geholt und dann in die Gestelle geschoben hatte? Kleine längliche Dinger, die an langen Holzstäben befestigt waren und von denen sie eine ganze Kiste voll auf dem Schiff der schlitzäugigen, fremdartigen Männer in der Sargassosee gefunden hatten? Woher stammten diese Männer und ihr Schiff? Woher hatten sie diese unheimliche Waffe, die gefährlicher war als selbst Big Old Shanes Pulverpfeife, die eine viel größere Reichweite und eine ungeheure Treffgenauigkeit hatte, wenn man es richtig anstellte?

Sie wußten es genausowenig wie der Seewolf, der keine Ahnung hatte, daß die Chinesen schon vor langer Zeit Raketen konstruiert hatten, die sie auch als Waffe zu verwenden verstanden. Sie wußten nichts davon, daß die Chinesen ähnlich wie die Griechen ein Feuer erfunden hatten, das sich nicht mehr löschen ließ, wenn es einmal brannte. Aber sie begriffen, daß sie mit diesen kleinen Flugkörpern eine Waffe an Bord der „Isabella“ hatten, die sie jedem anderen noch so schwer bewaffneten und noch so großen Schiff überlegen sein ließ.

Carberry schob sein Rammkinn vor. während er zu schnuppern begann. Er spürte, wie der weißliche Rauch, der von der brennenden Galeone Caligus aufstieg, in seinen Augen zu brennen begann. War das etwa eine weitere teuflische Eigenschaft dieser Wunderwaffe?

Er fuhr sich mit den Fingern über die Augen. Egal, die „Isabella“ näherte sich der Piraten-Galeone nunmehr schnell. Ed Carberry führte eins der Enterkommandos, Ferris Tucker das andere. Und er würde diesem Gelichter da drüben gehörig Feuer unter den Affenärschen machen. Auf diese Stunde hatte der Profos lange genug gewartet! Jetzt würden die offenen Rechnungen beglichen, und zwar endgültig!

Er blickte sich um. Der Zweimaster der Roten Korsarin glitt heran. Aber bei seinem Anblick erschrak Carberry. Himmel, wie sah das Schiff denn aus? Was war mit dem Zweimaster passiert? Die Takelage verwüstet, das Deck ein einziges Chaos! Carberry hatte keine Zeit mehr, darüber nachzudenken, außerdem tauchte Siri-Tongs Schiff gerade wieder in einer Nebelbank unter und entzog sich damit seinen Blicken.

Siri-Tong würde zu spät kommen. Bei diesem Gedanken grinste der Profos. Ehe ihr Zweimaster Caligus Galeone erreichte, war längst alles gelaufen!

Er sah die neben ihm stehenden Seewölfe an. Batuti, der wieder seinen riesigen Morgenstern in der Rechten hielt, Ferris Tucker, dessen Pranken sich um den Schaft seiner gewaltigen Axt geschlossen hatten, Matt Davies und Jeff Bowie, die beide wie beiläufig ihre scharfgeschliffenen Hakenprothesen polierten und in der anderen Hand jeder ein langes Entermesser hielten. Ein gefährliches, ein tödliches, völlig aufeinander eingespieltes Gespann!

Carberry konnte ansehen, wen er wollte – auf allen Gesichtern die gleiche tödliche Entschlossenheit.

Dann war es soweit.

Der Bug der „Isabella“ bohrte sich in die Seite der Piraten-Galeone. Hasard, Carberry und Ferris Tucker sprangen gleichzeitig, und im nächsten Augenblick war an Deck von Caligus Schiff der Teufel los.

Caligu erwartete den Seewolf auf dem Achterkastell. Sein dunkles Gesicht war nur noch eine einzige Grimasse, jeder Muskel seines hünenhaften Körpers gespannt.

„Endlich!“ stieß er heiser hervor. „Endlich habe ich dich vor meiner Klinge, du verfluchter Bastard! Diesmal ist es aus mit dir, Caligu schickt dich zur Hölle!“

Hasard stand sprungbereit vor dem Piraten. Seine eisblauen Augen waren kalt wie Gletschereis.

„Rede nicht, kämpfe endlich, du Großmaul!“ provozierte er den Piraten.

Caligu stieß einen wilden Schrei aus, seine Rechte mit dem Entermesser schoß vor, und Hasard wollte den Stoß parieren, aber Caligu hatte nur eine Finte gestartet.

Hasards Hieb ging ins Leere, und im selben Moment dröhnte neben ihm das Gelächter Caligus auf.

„Du warst schon mal schneller, du Hund! Hat Siri-Tong, die Hure, dir das Blut aus den Adern gesaugt?“

Der Seewolf warf sich zur Seite, so schnell wie noch nie zuvor in seinem Leben. Trotzdem erwischte ihn der Stoß Caligus noch an der rechten Seite. Die Klinge des Entermessers drang ihm durchs Hemd, schlitzte die Haut über seinen Rippen auf, glitt aber an den glatten Knochen ab.

Der Seewolf spürte den Schmerz wie Feuer über seinen Körper rasen. Einen Moment krümmte er sich zusammen und rang nach Luft, da war Caligu schon wieder heran.

Der Pirat sah, wie sich das Hemd des Seewolfs blutrot färbte. Wieder stieß er sein dröhnendes Gelächter aus.

„Stirb, du Bastard!“ schrie er mit sich überschlagender Stimme. „Caligu ist nicht so dumm, sich mit dir auf einen langen Kampf einzulassen. Fahr zur Hölle, du Hurensohn!“

Er riß das schwere Entermesser hoch und schlug zu.

Abermals warf sich Hasard zur Seite. Die Klinge zischte an ihm vorbei. Der Schlag war mit solcher Wucht geführt, daß sie sich tief in die Planken des Achterkastells der Piraten-Galeone bohrte.

Caligu stieß einen Fluch aus. Er riß das Entermesser aus den Planken und verlor dabei kostbare Zeit.

Der Seewolf hatte ebenfalls zum Schlag ausgeholt. Aber auch Caligu sah die Klinge des Degens heranzischen, und auch er warf sich zur Seite, rollte sich blitzartig über die Planken des Achterkastells und stand sofort wieder.

Der Hieb des Seewolfs hatte ihn nur ganz knapp verfehlt, und Caligu begriff, daß er vor diesem Mann höllisch auf der Hut sein mußte, wenn er diesen Kampf für sich entscheiden wollte.

Der Pirat blieb auf Distanz. Die beiden Gegner umkreisten einander, und jeder wartete auf den Ausfall des anderen.

Hasard verspürte höllische Schmerzen. Die Wunde über seinen Rippen blutete nicht nur stark, sondern sie setzte ihm auch erheblich zu. Er mußte diesen Kampf beenden, und zwar schnell.

Caligu schien seine Gedanken zu erraten, denn er blieb vorsichtig auch weiterhin auf Distanz und lauerte auf seine Chance, auf einen Moment der Unachtsamkeit des Seewolfs.

Auf dem Hauptdeck der Galeone tobte unterdessen ein erbitterter Kampf Mann gegen Mann. Die Piraten waren den Seewölfen zahlenmäßig weit überlegen, und zu kämpfen verstanden die Kerle auch. Ferris Tucker schlug mit seiner Axt wie ein Berserker um sich, Batuti mit seinem Morgenstern ebenfalls. Ed Carberry stand vor zwei niedergestreckten Gegnern, Dan und sein Vater, der alte O’Flynn, kämpften Seite an Seite gegen eine Gruppe von Piraten, die wild vom Vorschiff her auf sie eindrangen. Über ihnen brannte die Takelage, hinter ihnen die Decksplanken und immer wieder zogen dichte Nebelschwaden über das Schiff.

Plötzlich entlud sich donnernd eine der Drehbassen. Keiner der Seewölfe wußte später zu sagen, wer sie abgefeuert hatte, aber ihr gehacktes Blei fuhr in eine Anzahl von Piraten, die gerade auf Ferris Tucker eindrangen, der sich nur noch mühsam der Übermacht seiner Gegner erwehrte.

Schreie, stürzende Männer, die sich in ihrem Blut an Deck herumwälzten und ein Fluch, der den Kämpfenden fast den Atem verschlug.

Ein Teil der Ladung hatte das Holzbein des alten O’Flynn getroffen. Es zersplitterte in tausend Stükke und warf den Alten gegen Big Old Shane, der eben auf ein paar Piraten mit einer riesigen Keule eindrang, die er sich an Bord der „Isabella“ angefertigt hatte.

Big Old Shane geriet ins Wanken und stürzte ebenfalls. Stenmark, Smoky und Matt Davies, die das wüste Geschrei der heranstürmenden Piraten hörten, sprangen hinzu.

Old Flynn war mit dem Schädel gegen eine Nagelbank geprallt und hatte das Bewußtsein verloren. Dan schirmte ihn sofort ab und deckte den Bewußtlosen zusammen mit Luke Morgan gegen die Piraten.

Das war der Moment, in dem auch der Zweimaster der Roten Korsarin Caligus Galeone erreichte.

Siri-Tong und ihre Männer enterten an Deck, und nun zeigte es sich, daß sie zu kämpfen verstanden.

Siri-Tong blickte sich um, sie suchte Caligu, und dann stockte ihr plötzlich der Atem. Denn eben unternahm der Pirat einen wütenden Ausfall gegen den Seewolf. Sein Entermesser zuckte vor, und der Seewolf parierte den Stoß mit seinem Degen. Gleichzeitig rammte er Caligu seinen Schädel in die Magengrube und katapultierte ihn auf diese Weise quer übers Achterdeck.

Caligu rang nach Luft, denn dieser Kopfstoß seines Gegners war für ihn völlig überraschend erfolgt. Aber jetzt war der Seewolf am Zuge. Er gab dem Piraten keine Chance mehr, sich von dem Stoß zu erholen. Mit ein paar Sätzen war er heran und riß seinen Degen hoch.

Noch einmal gelang es Caligu, der tödlichen Klinge auszuweichen, noch einmal zischte sein Entermesser mit furchtbarer Wucht haarscharf am Schädel des Seewolfs vorbei. Aber dann stieß Hasard erneut zu. Und diesmal verfehlte sein Degen den Gegner nicht.

Die spitze Klinge bohrte sich in Caligus Brust, durchstieß seinen Körper und nagelte den Piraten am Steuerbordschanzkleid seiner Galeone fest.

Caligu starrte den Seewolf an. Seine braune Haut verlor jäh alle Farbe, seine leicht wulstigen Lippen bewegten sich.

Aus den Augenwinkeln erblickte er noch Siri-Tong, die eben aufs Achterkastell sprang und ruckartig stehenblieb, als sie sah, daß sie zu spät erschienen war.

Caligu starrte sie an, dann kehrte der Blick seiner bereits brechenden Augen zum Seewolf zurück.

„O du dreimal verfluchter Bastard, jetzt hast du doch …“

Er sackte plötzlich in sich zusammen. Im Fallen riß er Hasards Degen aus dem Schanzkleid, dann lag er regungslos auf den Planken seines Schiffes. Kein Muskel zuckte mehr an seinem Körper. Caligu, der Schrecken der Karibik, war tot.

Hasard bückte sich, nahm seinen Degen auf, und dann drehte sich plötzlich alles vor seinen Augen. Siri-Tong, die jetzt erst sein blutdurchtränktes Hemd bemerkte, sprang hinzu und fing ihn auf, bevor der Seewolf ebenfalls auf das Achterdeck stürzte. Mit unheimlicher Kraft hielt sie den Seewolf fest. Sie wußte, daß er nicht zusammenbrechen durfte, das konnte nur allzuleicht verheerende Folgen bei den Seewölfen haben, die in diesem Moment Seite an Seite mit ihren Männern auf dem Hauptdeck und dem Vorderkastell gegen die Piraten kämpften.

Der Seewolf kam schnell wieder zu sich, und Siri-Tong schleppte ihn zur Schmuckbalustrade, wo er sich auf sie stützte, bis die feurigen und blutigen Kreise, die sich vor seinen Augen drehten, wieder verschwanden.

Ein paar Minuten später war der Kampf entschieden. Einige der Piraten sprangen über Bord, andere fielen unter den gewaltigen Streichen der Seewölfe, der Rest wurde von Siri-Tongs Männern niedergemetzelt. Nicht einer überlebte.

Wirklich keiner?

Maria Juanita war aus ihrer Ohnmacht erwacht, kurz bevor die „Isabella“ heran war. Vor Schmerzen halb wahnsinnig, vom Blutverlust geschwächt, schleppte sie sich zum Schanzkleid an der Seite der Galeone, an der sie das Boot vertäut wußte, das Caligu hatte abfieren lassen, um nach seiner Feindin, der Roten Korsarin, zu suchen.

Maria Juanita wußte, daß alles verloren war. Sie begriff, daß Caligu diesmal nicht davonkommen würde, daß seine letzte Stunde unwiderruflich geschlagen hatte. Aber sie wollte sein Schicksal nicht teilen, sie dachte in diesem Moment nur daran, zu überleben und sich an der Roten Korsarin zu rächen.

Maria Juanita ließ sich einfach über Bord fallen, und niemand bemerkte es. Der Schmerz, den das eindringende Seewasser in ihrer, schrecklichen Wunde verursachte, die die Rote Korsarin ihr geschlagen hatte, brachte sie fast um den Verstand.

Aber Maria Juanita war zäh. Fast bewußtlos schwamm sie auf das Boot zu, das sie wie einen dunklen Schemen vor sich gewahrte. Sie erreichte es und schaffte es auch noch, sich an Bord zu ziehen. Sogar die Leine, an der es hing, löste sie noch und hatte dann noch die Kraft, das Boot mittels des einen Riemens, den sie von der Ducht nahm, von der Galeone abzustoßen. Erst dann brach sie bewußtlos zusammen.

Der Stoß trieb das Boot in eine Nebelbank, und so entkam Juanita unbemerkt. Halb tot, fast verdurstet, von der Sonne verbrannt, bis zur Unkenntlichkeit entstellt erreichte sie schließlich die Küste Tortugas, und dort fanden sie zwei Piraten, die sie zur Südseite der Schildkröteninsel brachten.

Für Juanita folgten Wochen hohen Fiebers, in denen sie ständig mit dem Tode rang. Aber sie überlebte, und sie erholte sich sogar wieder.

Doch bevor dies alles geschah, schufteten die Seewölfe wie die Berserker. Sie wußten, daß ihnen nicht allzuviel Zeit blieb, denn das unheimliche Feuer der schlitzäugigen Fremden fraß sich weiter und weiter in die Galeone des toten Piraten. Sie mannten einen großen Teil des Silbers und Goldes auf die „Isabella“, und Siri-Tongs Männer halfen ihnen dabei, indem sie den Rest kurzerhand auf ihren Zweimaster schafften.

Unterdessen kümmerten sich der Kutscher und Siri-Tong um den Seewolf. Hasard hatte wieder einmal gewaltiges Glück gehabt. Die Klinge des Piraten hatte ihm lediglich eine stark blutende und äußerst schmerzhafte Fleischwunde geschlagen.

Der Kutscher wollte den Seewolf in seine Kammer schaffen lassen, aber Hasard wehrte energisch ab.

„Doch nicht wegen so einer Lappalie, Kutscher“, sagte er nur und wankte an Deck.

Der Kutscher blickte ihm und Siri-Tong nach.

„Schöne Lappalie!“ knurrte er. „Ein bißchen tiefer und ein bißchen mehr mit der Spitze der Klinge getroffen, Seewolf, und wir hätten dich einbalsamieren und als Galeonsfigur auf der „Isabella“ verwenden können!“

Er schüttelte den Kopf und verschwand brummelnd in seiner Kombüse. Er hatte keine Zeit, sich mit diesem widerspenstigen Patienten weiterhin zu befassen, schließlich erwartete die abgekämpfte Crew jetzt ein handfestes Essen von ihm. Und wenn er das nicht schnell herbeischaffte, dann würden sie ihm wahrscheinlich die Haut in Streifen von seinem Affenarsch abziehen …

Der Kutscher zog ein süßsaures Gesicht. Genau das hatte ihm dieser Grobian von Profos für diesen Fall angedroht. Und dabei hatte er wirklich erschreckend genug ausgesehen. Ein Auge total zu, das Hemd voller Blut, auf der Stirn eine hühnereigroße Beule, die immer weiter anschwoll.

Der Kutscher lachte leise in sich hinein, während er Feuer entfachte und mit den Töpfen und Tiegeln hantierte. Und natürlich waren auch das alles Lappalien, na klar!

Dann dachte er plötzlich an Old Flynn, dem eine Drehbasse der Piraten-Galeone das Holzbein zerschmettert hatte. Du meine Güte, so hatte er noch nie einen Menschen fluchen hören! Selbst der Profos war ganz blaß geworden, als der Alte, aus seiner Bewußtlosigkeit erwacht, plötzlich loslegte. Und jetzt würde es Ferris Tuckers und Old Shanes Aufgabe sein, dem Alten so schnell wie möglich ein neues Holzbein anzufertigen!

Der Kutscher fuhr herum, als sich die Tür zu seiner Kombüse knarrend öffnete. Er griff bereits nach einer der Pfannen, um sie dem Eindringling auf den Schädel zu schlagen, denn er haßte Besuche dieser Art wie die Pest. Aber dann sank seine Hand herab, denn der Eindringling war kein anderer als Arwenack, der Schimpanse, das Maskottchen der Seewölfe.

„He! Herein mit dir. Nur die anderen, diese nachgemachten Affenärsche, die bleiben draußen! Also, was gibt es denn, mein Freund?“ fragte er und streckte die Rechte aus.

Mit einem Satz war der Schimpanse bei ihm und umschlang ihn mit seinen langen Armen.

„Na, na!“ Der Kutscher streichelte ihn beruhigend, denn erst jetzt verspürte er, daß der arme Kerl am ganzen Körper zitterte. „Nanu, Arwenack, was ist denn los? Was, zum Teufel, wird denn da an Deck wieder …“

Ein berstender Knall ließ ihn verstummen. Die Töpfe und Tiegel in seiner Kombüse tanzten scheppernd auf dem Herd herum, und der Kutscher hastete mit einem Fluch zur Tür, immer noch den Schimpansen im Arm, der völlig verstört zu sein schien.

Als er das Deck betrat, sah er gerade noch, wie die über und über brennende Galeone Caligus kenterte. Unweit von ihr pullten Männer ein Boot aus Leibeskräften auf die „Isabella“ zu, am Heck stand Ferris Tucker an der Ruderpinne.

Er hatte die Sprengladung angebracht, als das Schiff des toten Piraten gar keine Anstalten machte, endlich zu den Fischen zu gehen.

Einen Moment blieb die Galeone auf der Seite liegen, hoch ragten die immer noch brennenden Rahen in den nebligen Himmel. Dann wälzte sie sich langsam und schwerfällig herum. Steil stieg das hohe Achterkastell aus der See, dann trat die Galeone Caligus mit dem Bug voran ihre letzte Fahrt in die Tiefe an. Caligu und alle anderen Toten, die sich noch an Bord befunden hatten, nahm sie mit sich.

Siri-Tong, die sich immer noch auf der „Isabella“ befand und neben dem Seewolf stand, starrte ihr nach.

„Du hast mir zwar die Arbeit abgenommen, Seewolf“, sagte sie leise, „aber meine Schande ist getilgt. Caligu hat mit seinem Leben gebüßt, die Karibik ist von ihm und seiner Bande von Halsabschneidern befreit. Später, wenn wir einmal Zeit dazu finden, werde ich dir noch ein paar Dinge erzählen, von denen du nichts weißt, die dich aber bestimmt interessieren werden. Du aber solltest mir dann auch etwas über jene Männer berichten, bei denen ihr diese kleinen Flugkörper gefunden habt – jene Waffe, der kein Schiff widerstehen kann.“

Sie berührte ganz leicht seine Hand, anschließend wandte sie sich zum Gehen. Bevor sie sich über das Schanzkleid schwang, winkte sie ihm noch einmal zu.

Gleich darauf legte ihr Boot ab und ein paar Männer ihrer Crew pullten sie zu ihrem Zweimaster hinüber, dessen rote Segel eben von der Besatzung wieder gesetzt wurden.

Eine halbe Stunde später segelten die beiden Schiffe in Richtung Schlangen-Insel davon. Der Zweimaster der Roten Korsarin hatte den Kampf nicht so gut überstanden wie die „Isabella“ der Seewölfe.

Die Trümmer der Piratenkaravelle, die nach einem Volltreffer aus den Culverinen der „Isabella“ in die Luft geflogen war, hatten im Rigg und auf Deck des Zweimasters schwere Verwüstungen angerichtet. Die Rote Korsarin hatte unter ihren Männern im Gegensatz zu Hasard sogar Tote zu beklagen, die von an Deck fallenden Mastteilen der Karavelle und von herabstürzenden Spieren erschlagen worden waren. Siri-Tong war diesem Schicksal selbst nur entgangen, weil sie der Boston-Mann im letzten Moment zur Seite geschleudert hatte.

Diese Schäden mußten behoben werden, ehe an weitere Aktionen gedacht werden konnte. Außerdem galt es, die Beute auf der Insel abzuladen, denn sie belastete die beiden Schiffe erheblich.

Es war, als ob mit dem Ende des Kampfes auch die Natur ein Einsehen hatte. Der Nebel wurde von aufkommenden Wind weggefegt. Die „Isabella“ und der Zweimaster der Roten Korsarin segelten an Tortugas Küsten vorbei. Vergeblich würde man dort auf die Rückkehr Caligus warten, vorbei war es mit seinen wüsten Gelagen, und sicher würden auch auf Tortuga die Menschen erlöst aufatmen, wenn sie von der Abrechnung vor den Küsten der Schildkröten-Insel erfuhren.

Edwin Carberry, Ferris Tucker, Smoky und Dan O’Flynn hatten es sich auf dem Vorderkastell der „Isabella“ bequem gemacht. Sie waren gerade dabei, eine Runde auszuwürfeln, als Big Old Shane auf der Back auftauchte.

Der einstige Schmied und Waffenmeister aus Arwenack sah ihnen eine Weile zu. Dann ließ er sich nieder und nahm Dan den Würfelbecher aus der Hand.

„Hört mal einen Moment zu, ihr Experten“, sagte er und beugte sich gleichzeitig vor.

Gespannt richteten sich die Augen der vier Männer auf Old Shane, denn wenn der sich auf diese Weise in ein Spiel einmischte, dann mußte es schon um wichtige Dinge gehen.

„Ich war eben beim Seewolf. Ich glaube, Hasard hat wieder einen verwegenen Plan ausgebrütet, aber so sehr ich ihn auch bekniet habe, er läßt nichts ’raus. Aber es muß etwas ganz Großes sein, was ihm im Kopf herumspuckt. Er hat mir so ein paar merkwürdige Fragen gestellt.“

Dan sprang auf, aber der Waffenmeister zog ihn sofort wieder auf die Planken.

„Sei kein Narr, Dan. Diese Sache bleibt vorerst unter uns, klar?“ Er sah Ferris Tucker nachdenklich an. „Und wir beide, wir sollten mal darüber nachdenken, wie wir den Zweimaster Siri-Tongs am schnellsten wieder zusammenflicken. Und noch etwas. Ich glaube, daß wir ein wachsames Auge auf ein paar Männer ihrer Mannschaft haben sollten, auch das deutete der Seewolf an. Es muß da so einige Brüder geben, die ihre eigenen Pläne haben. Pläne, mit denen weder die Rote Korsarin noch Hasard sonderlich einverstanden sein dürften.“

Carberry räusperte sich. „Ich werde den Kerlen persönlich die Haut …“ Er unterbrach sich plötzlich. „Ho, Ferris, mal ganz unter uns: Was hälst du eigentlich von dieser Siri-Tong?“

Der rothaarige Hüne sah ihn überrascht an.

„Wie meinst du das?“ fragte er dann vorsichtig nach einem Blick auf Dan.

„Verdammt noch mal, ich meine immer alles so, wie ich es sage!“ ranzte Carberry ihn an. „Aber um noch deutlicher zu werden: auf wessen Seite steht sie eigentlich, oder auf wessen Seite wird sie stehen, wenn es mal hart auf hart geht, he?“

Wieder warf Ferris Tucker einen unbehaglichen Blick auf Dan, der das aber offensichtlich nicht bemerkte, sondern sich erhob und davonschlenderte, nachdem er irgend etwas vor sich hingebrummelt hatte.

Tucker starrte ihm entgeistert nach. „Verdammt noch mal, was ist mit Dan los? Ist doch sonst nicht seine Art, einfach zu verduften? Verstehst du das, Ed?“

Der Profos schwoll langsam an.

„Natürlich verstehe ich das. Zufällig ist nämlich Hasards Frau seine Schwester. Und damit ist er der Schwager des Seewolfs. Geht das in deinen rothaarigen Schädel?“ fragte er böse. „Er hat einfach die Nase von dieser Siri-Tong voll, so hübsch und so tapfer sie auch sein mag. Denn daß die Rote Korsarin Feuer gefangen hat, das dürfte sogar so einem Walroß wie dir nicht entgangen sein. Also, willst du mir jetzt meine Frage beantworten oder nicht?“

Auch Carberry hatte sich erhoben und blickte den Schiffszimmermann unter zusammengezogenen Brauen an.

„Na gut.“ Ferris Tucker blickte sich noch einmal sicherheitshalber um. „Sie wird sich immer auf die Seite des Seewolfs schlagen, Ed, das ist mal sicher. Und ich denke, daß das der Punkt ist, auf den wir etwas aufpassen sollten. Ich kenne Hasard lange genug, aber schließlich ist auch er nur ein Mann, genau wie jeder von uns.“

Carberry nickte. Dann überzog plötzlich ein Grinsen sein narbiges Gesicht, das durch das eine zugeschwollene Auge und die dicke Beule an der Stirn, die auch schon in allen Farben zu schimmern begann, noch furchterregender aussah als sonst.

„Also, wenn ich mir vorstelle, daß ich dieser Siri-Tong auch eines Tages die Haut in Streifen von ihrem …“

Er sprach den Satz nicht zu Ende, denn die Männer auf dem Vorderkastell brachen in ein so unbändiges Gelächter aus, daß sogar der alte O’Flynn, dessen Laune sich seit dem Verlust seines Holzbeins und weil sein Stumpf immer noch von dem Schlag grün und blau angelaufen war auf dem absoluten Nullpunkt befand, ganz irritiert zu ihnen hinüberblickte.

„Verdammte Bande!“ knurrte er und lud Dan ein, der eben auf ihn zutrat, sich neben ihn zu setzen.

„Du solltest deinem alten Vater etwas Rum zum Einreiben für seinen Beinstumpf vom Kutscher besorgen, mein Junge“, sagte er grollend. „Du kannst mir dann auch beim Einreiben helfen!“

Dan blickte ihn an, dann überzog sein junges Gesicht ebenfalls ein Grinsen.

„Klar, tu ich doch glatt!“ sagte er und verschwand in Richtung Kombüse.

Der Alte O’Flynn rieb sich die Hände, und als er Dan schließlich mit einem Krug Rum zurückkommen sah, hatte sich seine Laune schon wieder um etliche Grade gebessert.

Währenddessen segelte die „Isabella“ der Schlangen-Insel Meile um Meile entgegen. In ihrem Kielwasser folgte der Zweimaster der Roten Korsarin.

Manchmal sahen die Männer den Seewolf unruhig auf dem Achterkastell auf und abwandern. Aber sie deuteten seine Unruhe falsch, denn sie führten sie auf die hübsche Siri-Tong zurück.

In Wirklichkeit hatte Big Old Shane mit seiner Vermutung recht. Der Seewolf knobelte sich bei diesen Wanderungen übers Achterdeck wirklich das tollste Unternehmen aus, das er je gestartet hatte. Aber er schwieg sich eisern aus, nicht einmal Ben Brighton, der seine Unruhe fast körperlich spürte, verriet er ein Sterbenswörtchen von dem, was er plante.

Und das war auch gut so, wie sich später noch zeigen sollte.

Seewölfe Paket 4

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