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6.

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Havanna.

Deutlich vermochten die vier die Umrisse der säuberlich zueinandergeordneten Häuser zu erkennen, obwohl die Schatten der Abenddämmerung sich bereits über Land und See senkten. Da war auch die Festung El Moro am Hafeneingang, der auf einem Felsen errichtete Turm – und die Eisenkette, die um diese Stunde bereits die Zufahrt verhängte. Draußen auf der Reede ankerten Schiffe. Viele Schiffe. Dickbäuchige spanische Galeonen mit Mastwerk, das gegen den spiegelnden Hintergrund der Wasserfläche von hier oben aus wie etwas Skeletthaftes anmutete.

„Fast drei Dutzend“, sagte Ben Brighton nach raschem Zählen.

„Hier sind wir richtig“, meinte Blacky.

„Wartet doch die Zeit ab.“ Der Seewolf nahm das Bild in sich auf, sann nach und wartete, bis die ersten Lichter in der Stadt aufflackerten. Dann setzte er sich wieder in Marsch. Er strebte den ebenmäßig abfallenden Hang hinab. Seine Männer waren neben ihm.

„Ich war noch nie in Havanna“, sagte der Seewolf zu Sam Roskill. „Du?“

„Einmal, aber nur kurz. Ich sollte für eine der Silbergaleonen gepreßt werden, aber ich konnte den verfluchten Hunden entgehen. Später wurde ich dann Mitglied in der Teufelscrew des Arabers, und wir kehrten eigentlich nicht mehr hierher zurück. Der Araber hatte auch davon gehört, daß die Dons die Stadt schärfer bewachen und wollte sich keinen überbraten lassen.“

„Dieser Narr“, sagte Ben Brighton. „Er hat dann ja doch sein gerechtes Ende gefunden, genau wie Mac Dundee, das Einohr.“

Sie sprachen von dem Tag, an dem Hasard die Karibik-Piraten in seine Mannschaft aufgenommen hatte. Er hatte es nicht bereut, von Ausnahmen wie Gordon Watts und Patrick O’driscoll abgesehen. Sie lebten nicht mehr. Der Rest der einstigen Piraten war froh, einen Kapitän wie Hasard gefunden zu haben. Mit der Stammcrew hatten sie sich so eng verbündet, als wären sie schon immer gemeinsam gefahren.

Nur Jean Ribault, Karl von Hutten, die beiden Dänen und die beiden Holländer fehlten. Hasard hätte sie gern bei dem bevorstehenden Unternehmen dabeigehabt. Gerade jetzt erinnerte er sich daran, wie brillant Jean Ribault in Panama aufgetreten war, damals …

Hasard kehrte aus seinen Phantasiebildern in die Wirklichkeit zurück. Die ersten Häuser von Havanna lagen vor ihnen. Geräusche drangen jetzt an ihre Ohren. Es herrschte Betrieb im Herzen der Stadt, Männer grölten irgendwo, ein Mädchenkreischen wehte herüber, Gitarren und andere Saiteninstrumente klimperten.

„Bevor die Konvois auslaufen, ist hier der Teufel los“, erläuterte Sam grinsend. „In der Beziehung ist Havanna ein Paradies, das kann ich euch versichern – mehr als jede andere Stadt, die die Philipps in der Neuen Welt gegründet haben. Wer aus Portobello oder Vera Cruz hier herüberkommt, kann sich wirklich beglückwünschen.“

Hasard nickte. „Die Anlegehäfen der Spanier sind im allgemeinen wirklich ziemlich ungastlich, aber hier werden die Seeleute mit Luxus und Laster empfangen. Jedenfalls habe ich immer wieder vernommen – auch von Karl und Jean –, daß Havanna alle Annehmlichkeiten der Zivilisation bietet, die man auch in Spanien findet. Oder in England. Hafenhuren lassen sich in jedem Land auftreiben, und zwar von jeder Güteklasse.“

„Hier erwartet uns die Spitzenklasse“, sagte Sam.

„Wie in Vigo?“ Blacky war sofort Feuer und Flamme.

„Wie in Vigo.“

„Wenn das der Profos wüßte“, sagte Blacky. „Der hat den Edelpuff doch damals aufgespürt, wie es sich für einen anständigen Profos gehört.“

„Carberry zerplatzt vor Neid, wenn wir ihm das erzählen“, sagte Sam.

„Wenn ihr ihm was erzählt?“ forschte der Seewolf.

Blacky verzog den Mund. „Schön, wir wissen ja, daß wir in besonderer Mission hier sind. Aber wir sind doch keine Eunuchen, Hasard. Die gibt’s nur in Algier. Erst keine Siri-Tong, dann keine Ladys vom feinen Gewerbe – wo soll denn das noch enden?“

„Hör auf“, erwiderte Hasard. „Ihr kriegt schon noch Landgang. Aber alles zu seiner Zeit. Du weißt ganz genau, was passieren kann, wenn einer von uns nur Weiberröcken nachguckt und darüber die Hauptsache vergißt. So was kann manchmal verdammt gefährlich sein – und tödlich.“

„Ja“, murrte Blacky. „Ich denke daran.“

Sie verstummten, denn das Leben der Stadt nahm sie gefangen. Im Nu wurden sie von dem Treiben aufgenommen und geschluckt. Es war eine andere Dimension, in die sie, sich begaben. Wer wochen- und monatelang auf Schiffsplanken und felsigen Inseln verweilte, mußte in dieser Umgebung zunächst irritiert sein. Viele Menschen bevölkerten die Gassen und Straßen. In der Randzone unterhielten sich Frauen von Fenster zu Fenster, lehnten Männer in den Türen ihrer Häuser oder hockten auf den Schwellen, um zu diskutieren, zu spielen oder einfach nur interessiert zu beobachten. Quirlige Kinder tollten über die Pflastersteine der Gassen. Sie lachten und benahmen sich völlig unbefangen. Mädchen sah man in dieser Gegend weniger. Die tauchten erst im Hafenviertel auf, und sie waren allesamt von der Kategorie, die nicht von eifersüchtigen Männern strengstens überwacht wurde.

Hasard und seine drei Männer erreichten eine Straße, die die pulsierende Hauptader des Viertels zu sein schien. Hier war der Trubel am größten. Die Straße war regelrecht vollgestopft mit Menschenleibern. Gesichter der verschiedensten Hautschattierungen tauchten vor den Seewölfen auf. Neugierige, aber nicht feindselige Blicke streiften die Ankömmlinge, und rasch hatten sie sich völlig integriert.

Ein Mischling bot ihnen Rum in kleinen Tonkrügen an, andere Händler wollten mit ihnen um Edelsteine, Tabak, Gewürze und andere Objekte feilschen. Sam Roskill kaufte nur einen Krug Rum, das war alles. Und er bezahlte mit spanischem Geld.

Sie hatten alles, was sie irgendwie als Engländer verraten konnte, an Bord der „Isabella“ zurückgelassen. Hasard wußte aus Erfahrung, daß es schwierig sein würde, sie zu entlarven. Da bestand im Grunde nur eine konstante Gefahr: daß ihnen nämlich jemand über den Weg lief, der sie schon einmal irgendwo gesehen hatte. Aber der Seewolf hoffte inständig, nicht ausgerechnet auf einen der Spanier zu treffen, die sie hier in der Neuen Welt bereits getäuscht, geprellt oder verprügelt hatten.

Ein bärtiger Spanier schritt plötzlich neben Blacky her. Er setzte ein schmieriges Grinsen auf, zupfte Blacky am Hemdsärmel und stieß ihn mit dem Ellbogen an.

„Was willst du?“ sagte Blacky. „Ich kaufe nichts. Dein Plunder interessiert mich nicht.“

Der Spanier kicherte. „Ich habe besondere Ware – Frauen, nett, fett, zu günstigen Preisen. Verbringe eine Nacht mit ihnen, und du wirst ihre Dienste zu schätzen wissen. Lade auch deine Freunde ein. Ihr werdet es nicht bereuen.“

„Fett, hast du gesagt?“ Blacky schoß einen drohenden Blick auf ihn ab. „Hau ab. Speck kann ich nicht leiden.“

Er wimmelte den aufdringlichen Burschen tatsächlich ab, und sie steuerten unbehelligt weiter durch das Gewimmel.

Die Musik, die das einsetzende Nachtleben begleitete, wurde lauter. Hasard und seine Männer sahen eine Gruppe von weiß gekleideten Männern, die vor einer Schenke auf verschieden großen Gitarren und Vihuelas spielten. Einige traktierten ihre Instrumente mit Eisenplättchen, einer Art Ringe, die man sich über die vorderen Fingerglieder schieben konnte. Ein Mitglied der kleinen Kapelle war ein Indianer. Er zupfte auf einer jener simplen Harfen, wie man sie in vielen Gegenden des neu entdeckten Kontinents finden konnte. Es war eine rhythmische, entfesselte Musik.

Hasard fragte sich unwillkürlich, was wohl passieren würde, wenn eine solche Gruppe in den Salons der eitlen englischen Adligen und Hofschranzen auftreten würde. Manche piekfeine Lady würde da vor Schreck in Ohnmacht fallen – oder vor Begeisterung über die „wilden Kerle“ durchdrehen. Die arroganten Edelmänner würden die Nasen rümpfen.

Nein, er hatte keine gute Meinung mehr von der feinen englischen Gesellschaft. Dazu hatte sie ihm zu arg mitgespielt. Sie hatten ihm zuzusetzen vermocht, bis er ihnen verbittert den Rücken gekehrt hatte.

Zur Zeit fühlte er sich in Umgebungen wie dieser wirklich wohler als dort, wo er seinen immensen Schatz abgeliefert hatte und dann mit Füßen getreten worden war – am Hofe der Königin von England.

Havanna – Lärm und Laster, Spiel und hitzige Duelle, die auf offener Straße ausgetragen wurden. Die vier Seewölfe wurden Zeugen einer Messerstecherei. Eine Menschentraube umhüllte die beiden Gegner, und niemand traf Anstalten, die Zankhähne zu trennen. Man ging bis zur letzten Konsequenz, so verlangte es der Ehrenkodex. Wegen einer Nichtigkeit konnte ein Mann sterben.

Betrunkene torkelten vorüber, lagen vor den Hausmauern oder in düsteren Eingängen. An den meisten Hausecken, unter Torbögen und in Nebengassen hatten die Mädchen Aufstellung genommen. Scheinbar teilnahmslos lehnten sie da. Sie trugen bunte, oft aufwendige Kleider. Ihre Gesichter waren stark geschminkt. Die Männer, mit denen sie handelseinig wurden, begleiteten sie in meist sündhaft luxuriöse Gemächer, wie Hasard gehört hatte. Dort empfing den Besucher bereits der andere Hauch, den diese Stadt vermittelte.

Beispiellose Verschwendungssucht herrschte in den Palästen und den Häusern der spanischen Edlen. Der Gouverneur und andere Würdenträger wetteiferten im Veranstalten prunkvoller Empfänge und Gelage, mit denen sie die eintreffenden Seeleute willkommen hießen. In Luxusgemächern mit kostbaren Wandteppichen und verschnörkeltem Mobiliar wurden Orgien gefeiert.

Es war die erstaunlichste Stadt auf diesem Kontinent – eine Art Bindeglied zwischen der Alten und der Neuen Welt.

Hasard hatte entdeckt, was er suchte: eine große Hafenkneipe mit einer Steintreppe, die drei, vier Stufen weit in den Kellerraum führte. Er drehte sich zu den Freunden um. Sam und Ben waren hinter ihm, nur Blacky fehlte.

Ben sagte nichts, er wies nur grinsend mit dem Daumen über die Schultern zurück. Hasard blickte in die Richtung und entdeckte Blacky. Der stand in der Öffnung einer Seitengasse und sprach auf eine Schwarzhaarige mit großem Brustausschnitt ein. Sie antwortete lächelnd und unterstrich das Gesagte durch Gesten, die keine Andersdeutungen zuließen.

Hasard drängte sich an Sam und Ben vorbei und schritt zu Blacky. Was ihnen da aus dem Ausschnitt der Schönen entgegenlachte, konnte einem wirklich den Atem rauben. Aber, wie gesagt, dies war nicht der Zeitpunkt zum Süßholzraspeln.

Blacky bemerkte den Seewolf erst, als dieser ihm die Hand auf die Schulter legte.

„Hasard, ich – äh, du mußt schon entschuldigen. Sie hat mich angesprochen. Da gebietet es doch die Höflichkeit, etwas zu erwidern, oder?“ Er sagte das natürlich auf spanisch und lächelte abwechselnd seinem Kapitän und dem Mädchen zu.

„Ja“, erwiderte Hasard gedehnt. „Aber jetzt haben wir was anderes vor.“ Er sagte das in einem Tonfall, der keinen Widerspruch duldete.

Blacky schob sich betreten zur Seite. Die Senorita vom ältesten Gewerbe der Welt funkelte Hasard aus dunklen Augen an.

„Hombre, willst du mich beleidigen?“

„Natürlich nicht, Juanita.“

„Ich heiße Ilaria.“

„Also schön, Ilaria – du gefällst mir auch, sehr sogar.“ Hasard lächelte breit. „Aber im Augenblick haben wir Wichtiges zu erledigen, verstehst du? Wir sprechen uns später wieder.“

Sie war immer noch verstimmt. „Was gibt es Wichtigeres als das, was Ilaria dir zeigen will?“

„Geschäfte“, erwiderte Hasard mit gedämpfter Stimme. „Es geht um Edelsteine, die der Wirt der Kneipe dort uns verkaufen will.“

„Jorge?“

„Ja, Jorge.“

„Gut.“ Sie lächelte jetzt auch wieder. Geschäfte – das galt. Wenn ein spanischer Mann zu handeln, zu feilschen und über Gott und die Welt zu diskutieren hatte, mußte auch die Liebe warten. Ilaria trat einen Schritt näher auf Hasard zu und raunte: „Ich warte auf dich, mein großer Stier. Du sagst mir mehr zu als der andere Bursche dort. Du scheinst Qualitäten zu haben.“

Hasard warf ihr einen Handkuß zu, dann machte er auf dem Stiefelabsatz kehrt. Er führte Blacky, Ben und Sam jetzt geradewegs in die Kellerkneipe.

Die Luft in dem großen Raum war rauchgeschwängert. Der Brauch der Indianer, den getrockneten Tabak in Pfeifen zu rauchen, hatte sich auch hier bereits durchgesetzt. Bei den Seewölfen allerdings nicht. Blacky hustete und wedelte mit der Hand.

„Himmel, wie halten die Leute es in dieser Kaschemme bloß aus?“

„Halt den Mund“, sagte Hasard. „Du mußt dich eben daran gewöhnen. Ich schätze, dieser Brauch wird eines Tages noch die gesamte Alte Welt begeistern.“

Blacky sah ihn zweifelnd an. „Mann, Hasard. Was ist denn daran nun schön? Man pumpt sich die Lunge mit beißendem Rauch voll, und es wird einem kotzelend davon.“

Sam Roskill grinste. „Wenn man es richtig macht, nicht.“

Sie gingen an Tischen vorbei, an denen mit Karten und Würfeln gespielt wurde. Dunkelroter Wein glänzte in bauchigen Krügen, viele Zecher waren schon stark angetrunken. Ein Mann lag unter einem Tisch und schlief seinen Rausch aus. In einer Ecke hockte ein Vihuela-Spieler. Vor einigen waren die Vorhänge zugezogen, dahinter ertönten Getuschel und Gekicher.

Hasard wußte, wie animierend diese ganze Stimmung auf seine Männer wirkte. Das war menschlich. Er wollte ihnen ihr Vergnügen auch nicht verwehren – ebensogut hätte er sich auf ein Pulverfaß mit schwelender Lunte setzen können. Nur wollte er einige Dinge klarstellen, bevor er ihnen mehr oder weniger freie Bahn ließ.

Er schritt bis an die Theke. Ben, Blacky und Sam nahmen neben ihm Aufstellung. Hinter dem abgewetzten Holztresen hantierten drei Männer, zwei junge und einer um die Mitte Vierzig. Sie hatten alle Hände voll zu tun, um die Gäste zu bedienen. Immer mehr Männer erschienen. Bald waren Theke und Tische bis auf den letzten Platz belagert.

Dem älteren Mann hinterm Schanktisch fehlte nur noch die Perücke. Damit hätte er Nathaniel Plymson, dem durchtriebenen Wirt der „Bloody Mary“ in Plymouth, ziemlich ähnlich gesehen.

Er war beleibt und hatte ein Doppelkinn, das offenbar bald auch noch eine dritte Speckfalte bilden würde. Die rosigen Wangen seines Gesichts und die vergnügt blitzenden kleinen Augen ließen ihn als eine heitere Figur erscheinen. Er schien unerschütterlich zu sein in seinem Humor und seiner Duldsamkeit. Aber Hasard wußte, daß der Eindruck täuschte. Hinter der Fassade verbarg sich ein eiskalter, berechnender Charakter – die Härte eines abgebrühten Spelunkenwirts und Geschäftemachers, der sich mit den Fäusten Respekt verschaffte, falls es nötig war.

Kein Zweifel, das war Jorge, der Besitzer.

Hasard bestellte bei einem der jungen Männer Rotwein. Sie tranken aus klobigen Bechern. Dann, als der Schankwirt und seine Gehilfen dem größten Ansturm Herr geworden waren und ein wenig Ruhe in der Bedienungsarbeit eintrat, wandte sich Hasard an Jorge.

„Ich habe eine Frage, Jorge.“

Der Wirt kriegte schmale Augen. „Woher kennst du meinen Namen? Ich habe dich noch nie hier gesehen.“

„Eine Taube namens Ilaria hat ihn mir ins Ohr geflüstert“, erwiderte Hasard grinsend.

Jetzt grinste Jorge auch. „Gute Ilaria – immer um ihre Mitmenschen bemüht. Was willst du? Juwelen, Goldschmuck, Silber, Gewürze, Tabak, besonders guten Wein aus meiner privaten Reserve – oder eine hübsche, kundige Frau?“

„Da hätte ich mich ja an Ilaria halten können.“

„Ja“, sagte Jorge gedehnt. „Hättest du. Sie ist Sonderklasse, ich kann sie dir wärmstens empfehlen.“

„Danke, im Moment suche ich was anderes.“

„Was denn?“

„Edelsteine, habe ich zu Ilaria gesagt.“

Jorges Miene wurde listig. „Und was willst du wirklich?“

„Meine drei Freunde und ich, wir brauchen Arbeit“, versetzte Hasard. „Wir sind ziemlich abgebrannt.“ Er tat so, als wäre ihm das peinlich.

Jorge rieb sich lachend den Bauch. „Por Dios, das ist köstlich! Deswegen hättest du doch nicht so lange um den heißen Brei herumreden zu brauchen.“ Er stützte sich mit den Ellenbogen auf den Tresen und schlug einen vertrauensvollen Ton an. „Also, ich selbst brauche keine Hilfskräfte mehr. Aber ich kenne ein paar andere Wirte, die noch jemanden als Bedienung oder als Küchenhilfe benötigen. Es sind Freunde von mir, ich kann euch ihnen empfehlen, wenn ihr nicht allzu viel auf dem Kerbholz habt. Woher kommt ihr denn?“

„Wir haben lange in Port Royal auf Jamaica festgelegen“, log Hasard. „Dann ergab sich die Möglichkeit, mit einem Kauffahrer nach Kuba überzusetzen, aber dessen Mannschaft war auch schon vollzählig.“

„Ihr seid Seeleute?“

„Ja, und wir halten nicht nach Arbeit auf dem Land, sondern auf einem guten Schiff Ausschau.“

„Da habt ihr gedacht, versuchen wir doch mal unser Glück in Havanna.“ Jorge strahlte. „Hombre, ihr habt wirklich Schwein. Sag bloß, ihr habt noch keinen Blick auf die Reede geworfen?“

„Wir sind eben erst angelangt – aus dem Landesinneren, aus Richtung Cienfuegos.“

„Verstehe. Herrgott, hier liegen etwa dreißig Schiffe zum Auslaufen bereit. Sie werden einen Geleitzug bilden und nach Spanien fahren. wäre das nichts für euch?“

„Schon“, meinte Hasard. Er stellte sich jetzt dumm. „Mit wem müßten wir uns denn in Verbindung setzen, mit dem Generalkapitän des Konvois etwa?“

„Mit Capitan Juan de Campos? Nein, nicht nötig. Ihr wartet am besten einfach hier bei mir. Ich gebe einen für euch aus.“ Er winkte einem seiner Gehilfen zu, und der rückte mit dem Weinkrug an. Jorge musterte Blacky, Ben und Sam ungeniert von oben bis unten. „Stark genug seht ihr ja aus, nicht so abgezehrt und schwächlich wie manche dieser Vagabunden. Was könnt ihr denn?“

„Alles“, erwiderte Hasard. „Mein Freund Benito und ich, wir sind als Rudergänger spezialisiert, und die anderen beiden dort – Samuele und Moro – waren zuletzt dem Besanmast zugeteilt.“

„Interessant“, sagte Jorge. „Und du, wie heißt du?“

„Alfredo.“

Sie hatten es vorher natürlich abgesprochen, damit ihre falsche Identität als Spanier auch hieb- und stichfest war. Vornamen genügten, nach Nachnamen und Herkunft würde kein Mensch weiter fragen, das war nicht üblich. Ben Brighton war also Benito, Sam Roskill hieß jetzt Samuele, und Blacky war Moro.

„Hör mal, ich finde es merkwürdig, daß vier so fähige Burschen wie ihr ohne feste Betätigung seid“, sagte der dicke Wirt.

Hasard lächelte schief. „Das ist eine verteufelte Geschichte. Also, wir sind in Port Royal mit unserem Schiff, Heimathafen Cadiz, eingelaufen, und dann haben wir uns eine Nacht um die Ohren geschlagen. Am Morgen erwachten wir zwar am weichen Busen von gewissen Weibsbildern, aber unser Dreimaster war weg. Der war nach Portobello weitergesegelt und hatte auf uns gepfiffen. Als der Capitan uns Urlaub bis zum Wecken gewährt hatte, hatte er ausdrücklich erklärt, daß er keine Minute länger auf die Nachzügler waren würde.“

„Und wir schoben erst nach dem Wecken wieder an und guckten blöd aus der Wäsche“, fügte Black-Moro hinzu.

„So war das.“ Jorge lachte schallend. „Wirklich großartig. Ihr seid mir vielleicht ein paar Himmelhunde!“

„Sind wir wohl“, gab Hasard-Alfredo zurück und dachte dabei: Wölfe im Schafspelz, Amigo, Wölfe im Schafspelz!

Der Wirt senkte die Stimme. „Ihr könnt tatsächlich hierbleiben und auf eure Chance warten. Im Vertrauen: Juan de Campos wird heute nacht seine Preßkommandos ausschicken, denn dem Konvoi fehlen mal wieder jede Menge Besatzungsmitglieder. Wenn ihr keinen Widerstand leistet, sondern freiwillig mitgeht, kann euch gar nichts passieren und euer Problem ist gelöst.“

Hasard reichte ihm die Hand. „Dank für deine Hilfe, Jorge. Das müssen wir begießen.“

Sie lachten, schlürften den schweren, süffigen Rotwein in sich hinein und tranken anschließend noch einige Gläser von Sam Roskills soeben erstandenem Rum. „Wann soll denn der Geleitzug auslaufen?“ fragte der Seewolf.

„Übermorgen vormittag“, antwortete Jorge.

„Und wie lange müssen wir uns hier die Beine in den Bauch stehen?“ erkundigte sich Black. „Ich meine, wann können wir damit rechnen, daß das Preß …“

Jorge legte den Finger gegen die feuchten Lippen. Seine Augen irrten beunruhigt hin und her. „Still doch, außer euch und mir weiß keiner davon. Es gäbe einen Heidenaufstand, wenn die übrigen Zecher davon erfahren würden. Das sind allesamt Landratten, die im Gegensatz zu euch keine Lust haben, auf einem Schiff Seiner Königlichen Majestät, Philipps II. von Spanien, anzuheuern.“

„Seiner Allerkatholischsten Majestät“, berichtigte Ben-Benito grinsend. Der Teufel soll ihn holen, dachte er.

„Ich schätze, daß wir mit der Überraschung so gegen Mitternacht rechnen können“, sagte Jorge.

„Mierda“, gab Blacky-Moro zurück. „So eine Scheiße. Sag mal, wie heißt deine Kneipe eigentlich, Wirt? Ich habe draußen kein Schild und keine Aufschrift entdecken können.“

„Vongola“, sagte Jorge. „Dreimal ist mir das Schild von Radaubrüdern und Besoffenen kaputtgeschlagen worden, einmal hat’s der Sturm zerschmettert. Danach habe ich keins wieder aufgehängt.“

Blacky nickte schwerfällig. Er tat so, als habe er schon tüchtig einen sitzen. „Fein. Und hast du auch Zimmer in deiner Vongola?“

„Oben“, raunte der Wirt in den Stimmenlärm der anderen Gäste. Man konnte ihn kaum verstehen. „Eine Treppe führt von der hinteren Raumecke ins erste Stockwerk hinauf.“

„Ich seh sie“, brummte Blacky. „Was verlangst du für so ein Zimmer?“

„Für eine Nacht?“

„Für ein paar Stunden – bis Mitternacht.“

„Zwei Escudos“, sagte Jorge.

„Ich habe noch zehn Escudos“, sagte Blacky. „Caballeros, ich gehe jetzt ’raus zu Ilaria und frage sie mal, ob sie für acht bereit wäre, uns beiden die Zeit zu vertreiben. Was haltet ihr davon?“

„Das fragst du?“ gab Sam-Samuele zurück. „Du brauchst wohl eine Amme, was?“

„Ich hau dir eins auf die Schnauze“, sagte Blacky mit schwerer Zunge.

Hasard mischte sich ein. „Nun schieb schon ab, Moro. Du hast noch das meiste Geld von uns allen in der Tasche. Zieh Ilaria an Land, solange sie noch frei ist, und zettele ja keinen Stunk an.“

Blacky schob in Richtung Ausgang ab. Er gab sich redlich Mühe, gelegentlich zu wanken, und machte seine Sache wirklich nicht schlecht. Wein und Rum hatten ihn augenscheinlich beschwipst, Ilaria würde ihm den Rest geben. Von einem Mann wie diesem Schwarzhaarigen würde man nichts Unverhofftes zu erwarten haben – dachte Jorge.

Dies war eine wichtige Voraussetzung für Blackys künftige Aktionen. Denn Jorge, der die Geschicke seiner Gäste leitete und alle Fäden in der Hand zu halten schien, durfte ihn nicht weiter beachten.

Blacky begab sich ins Freie. Er war wirklich froh, wieder frische Nachtluft atmen zu können. Nach wie vor leicht torkelnd bewegte er sich auf die Gassenmündung zu, in der er mit dem Mädchen gesprochen hatte.

Sie stand noch da. Blacky war heilfroh.

Er lächelte sie an. „Die Geschäfte sind abgewickelt. Ich habe freie Bahn, Querida, schönes Kind. Auf jeden Topf paßt ein Deckel, und ich schätze, wir sind füreinander wie geschaffen.“

„Du übertreibst“, sagte sie.

„Für fünf Ecudos beweise ich dir, was für einen Narren ich an dir gefressen habe.“

„Zehn.“

Blacky tat entrüstet. „Nun hör aber auf! Du willst doch wohl nicht etwa mit mir feilschen?“

„Doch“, sagte sie amüsiert. „Zehn Escudos.“

„Sechs.“

„Neun.“

Sie einigten sich tatsächlich auf acht. Blacky legte ihr den Arm um die Hüfte, dann sagte er: „Komm, ich führe dich in die Vongola. Jorge ist ein guter Freund von uns geworden, der bedient uns anständig.“

Sie begaben sich in das Kellerlokal. Blacky ging frech auf Sam Roskill zu und nahm ihm den kleinen Tonkrug mit dem Rum weg.

„Leih mir das Zeug, Amigo“, sagte er beschwingt. „Du wirst es nicht bereuen.“

Sam markierte den Wütenden, aber Hasard hielt ihn zurück. Blacky marschierte mit Ilaria in Richtung Treppe und sang ein fröhliches Lied. Das Mädchen warf noch einen Blick zurück auf den Seewolf. Sie zuckte bedauernd mit den Schultern, kicherte und wandte sich dann ab.

„Und uns beißen die Hunde“, sagte Ben Brighton. „Was bleibt uns noch anderes übrig, als uns sinnlos zu besaufen?“

„Ihr seid meine Gäste“, verkündete Jorge überschwenglich. „Und vielleicht kann ich Ilaria zu einem kleinen Freundschaftsdienst überreden, wenn sie mit eurem Schwarzen fertig ist. Wieviel Geld habt ihr denn noch?“

„Schmeißen wir mal zusammen“, sagte Hasard.

Sie legten ihre Escudos auf die Tonbank. Hasard zählte. Es waren fünfeinhalb Escudos.

Jorge grinste. „Tja, das ist zwar ein bißchen wenig, aber ich regle das schon. Ihr sollt auch zu eurem Recht kommen.“

„Du bist ein richtiger Freund“, sagte der Seewolf im Brustton der Überzeugung. „Amigos wie dich findet man nicht oft, ehrlich nicht.“ Er steckte seine Münzen wieder ein, immer bemüht, nichts von den Waffen zu zeigen, die er wie die Freunde unter der Kleidung versteckt hielt. Die doppelläufige Radschloßpistole hatte er sich auf dem Rücken in den Gurt geschoben, und zwar unter dem bauschigen Hemd. Sein Messer klemmte am Bein. Es wurde von einem Rohlederriemen gehalten, den er um den Oberschenkel geknotet hatte.

Jorge watschelte hinter seinem Tresen hervor. Er versorgte sie mit einem seiner dickbäuchigen Krüge, aus dem der Wein überschwappte, gab ihnen die Becher in die Hände und sorgte dafür, daß ein Ecktisch geräumt wurde. Die drei Seewölfe durften sich hier niederlassen.

„Ich habe noch zu tun“, sagte Jorge. „Aber von Zeit zu Zeit besuche ich euch und stoße mit euch an.“

„Laß dich nicht stören“, sagte Hasard, „Du hast auch so schon genug für uns getan.“

Jorge ging davon. Er suchte wieder seinen Platz hinter der Theke auf. Männer und jauchzende Mädchen bewegten sich zwischen der Theke und dem Tisch der Seewölfe auf und ab. Dennoch entging Hasard, Ben und Sam nicht, wie der Dicke nach einer Weile einen seiner Gehilfen fortschickte.

„Dachte ich mir’s doch“, sagte Hasard leise. „Er läßt diesen Generalkapitän de Campos unterrichten, daß hier willfährige Beute wartet. Bestimmt kriegt er für jeden von uns ein Kopfgeld.“

„Dieses verdammte alte Schwein“, stieß Sam voll Verachtung aus.

Jorge, der Spelunkenwirt, stand dem hinterlistigen Plymson drüben im fernen England wirklich in nichts nach. Wie sich die Schlitzohrigen und Intriganten auf der Welt doch ähneln, dachte der Seewolf.

Seewölfe Paket 4

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