Читать книгу Seewölfe Paket 4 - Roy Palmer - Страница 36

2.

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Es wurde späte Nacht, bis auch der letzte Barren und die letzte Truhe mit Perlen an ihrem Platz im Schlangentempel standen.

Unter diesen Umständen hatte der Seewolf darauf verzichtet, den beiden Männern noch heute ihre Lektion zu erteilen. Das sollte aber am nächsten Morgen nachgeholt werden.

Die Männer schliefen tief und fest, bis auf die beiden Wachen, Dan und Roscill, die der Seewolf eingeteilt, und denen er eingeschärft hatte, wachsam zu sein. Er traute der Bande von Siri-Tong nach dem vergangenen Abend nicht mehr über den Weg.

Als Morgan und Grey die beiden Männer ablösten, hatte sich nichts getan. Auf dem Schiff der Roten Korsarin war alles ruhig geblieben. Kein Mensch ließ sich blicken, sie hatten auch keine Wache aufgestellt.

„Diesen Mistkerlen traue ich nicht“, sagte Dan. „Die planen ganz sicher etwas. Habt ihr nicht die Blikke gesehen, die sie sich dauernd zuwarfen?“

„Klar“, erwiderte Morgan. „Aber was können sie tun? Abhauen geht von dieser Insel nicht. Mit dem Schiff kommen sie in den nächsten drei Tagen nicht heraus.“

„Und trotzdem haben die etwas vor“, widersprach Dan. „Mansur, dann dieser verlauste Spanier und die kleine Dreckratte, das gibt einen Verein, der ständig klaut und etwas ausheckt. Wir müssen verdammt scharf auf sie aufpassen.“

Darin waren sich alle einig. Nur was die Kerle planten, wollte ihnen nicht in die Köpfe.

An diesem Morgen war der Himmel nicht von der gewohnten Bläue, wie sie ihn fast immer von der Schlangen-Insel kannten. Wolkenfetzen jagten über die Felsen, ein steifer Südwestwind blies. Draußen vor der Passage, liefen aufgeregte kleine Wellen kreuzförmig hin und her und gischteten an die spitzen Klippen.

Immer mehr überzog sich der Himmel, immer wilder wurde die See, nur hier in der Bucht, da blieb alles still, da war das Wasser ruhig und unbewegt. Es gab keinen geschützteren Platz als diesen für ein Schiff.

An Bord der „Isabella“ herrschte noch die gewohnte Ruhe. Drei oder vier Männer schliefen in der Kuhl, Matt Devies hatte es sich auf der Back bequem gemacht, und der riesenhafte Batuti schnarchte unter einer Nagelbank. Die anderen schliefen im Vorschiff, bis auf den Kutscher, der gerade verschlafen an Deck trat, ausgiebig gähnte und nach der Pütz griff, um sich einen Eimer Wasser über den Schädel zu gießen.

„Heute mittag gibt’s zarte feine Schildkröten“, versprach er den Männern. „Die hab ich gestern noch selbst gefangen. Ho, wird das ein Essen, Leute!“

„Und hinterher Bananen“, fiel Dan begeistert ein.

„Klar, hinterher Bananen“, versicherte der Kutscher. „Und morgen essen wir gebackenen Fisch, Leute. Hier gibt’s ja alles, was das Herz begehrt.“

„Sogar Prügel für die Piraten“, sagte Dan. „Ich bin gespannt, ob sie kommen, um sich die Schläge abzuholen.“

„Das glaubst du selbst nicht“, meinte Bob Grey. „Die lassen sich doch nicht mehr bei uns blicken.“

Dan und Roscill hatten nur zwei Stunden Wache geschoben, sie waren putzmunter und wollten sich auch nicht mehr hinlegen. Der heutige Tag war für die Männer frei, jeder konnte also tun und lassen, was er wollte. Faulenzen, schwimmen, angeln oder sich auf der Insel umsehen.

Der Schimpanse Arwenack flitzte durch die Kuhl, entdeckte unter der Nagelbank den schlafenden Batuti und hielt ihm die Nase zu, bis der Neger sich regte und losprustete. Bei den anderen Schläfern wiederholte er das Spiel, bis einer nach dem anderen fluchend auf den Beinen war und sich reckte.

Eine knappe Stunde später erschienen Hasard und Ben Brighton an Deck.

Das Wetter war jetzt noch stürmischer geworden. Vor der Insel donnerte die See an die Klippen, brach sich schäumend und grollend und gischtete in hohen Brechern an den Felsen hoch. In der Bucht lagen sie wie in Abrahams Schoß, ruhig und sicher.

Dan sprang über Bord und schwamm ein paar. Runden, als Hasard ihm vom Achterkastell aus zurief: „Denk an die Kalmare, Dan. Tauche an den Felsen nicht. Wenn dich eines der Biester erst einmal gepackt hat, dann gibt es kein Entkommen mehr!“

„Keine Angst, ich paß auf!“ schrie Dan zurück.

Er entsann sich noch überdeutlich an den riesigen Kalmar, der die Rote Korsarin so urplötzlich in die Tiefe gezogen hatte, als sie das Wettschwimmen um die Galeone veranstaltet hatten. Hasard hatte im allerletzten Augenblick eingegriffen und dem riesigen Tintenfisch den Lebensnerv zwischen den Augen durchgebissen. Damit hatte er Siri-Tong zweifelsfrei das Leben gerettet, und von da an bewunderte sie insgeheim und manchmal ganz offen den Seewolf, was Donegal Daniel O’Flynn wiederum nicht paßte, weil Hasard mit seiner Schwester Gwen verheiratet war.

Hasard beobachtete die Wolken. Von den Gedanken, die Dan durch den Kopf gingen, ahnte er nichts. Er wußte auch noch nicht, daß seine Frau Gwen einer Intrige von Burton und dem ziegenbärtigen Keymis zum Opfer gefallen und längst tot war.

„Sieht nach einem ausgewachsenen Orkan aus“, meinte der Seewolf in Bens Richtung hin.

„Wie damals, als wir hier hineingetrieben wurden“, erwiderte Ben. „Aber da war es noch schlimmer.“

Ja, als sie im Meer der toten Seelen steckten, hoffnungslos von allem abgeschlossen, da war es wirklich noch schlimmer gewesen. Hasard streifte die Erinnerung ab. Sein Blick wurde hart, als er zum Piratenschiff hinüberblickte, wo es sich jetzt ebenfalls an Deck regte. Er erkannte Muddi, die miese dreckige Ratte, die verschlafen an Deck erschien. Er stand da, hustete und spuckte, bis sein magerer Körper krampfartig geschüttelt wurde. Dann kotzte er ins Wasser und rülpste so laut, daß es bis zur „Isabella“ herüberklang.

„Mann, sind das Galgenvögel“, sagte Hasard angewidert. „Nicht mal geschenkt möchte ich die Kerle haben.“

Zwei, drei weitere Gestalten tauchten hinter Muddi auf, der immer noch am Schanzkleid lehnte, spuckte, würgte und hustete. Wahrscheinlich hatte er sich in der Nacht wieder einmal sinnlos besoffen und jetzt ging es ihm dreckig.

Der Wind trug die Worte herüber, die an Bord fielen. Jedes einzelne Wort war deutlich zu hören.

„He, guckt euch den mal an!“ schrie Juan, der Bootsmann, ein Kreole, der gern die Leute schikanierte. „Ich finde, Muddi stinkt mal wieder wie ’ne alte Sau. Wollen wir ihn abschrubben? He, Bill, gib mal den Holzkeil her, damit er nicht so schreit!“

Die anderen Kerle fielen in das Geschrei begeistert ein. Im Nu hatten sie den kleinen stinkenden Muddi umringt und gepackt.

Bill the Deadhead, der Mann mit dem goldenen Totenkopf auf der Brust, schob dem tobenden und schreienden Muddi einen Holzkeil zwischen die Zähne und schlug mit der Faust hinterher. Ein anderer legte Muddi einen Strick um den Hals, als wollten sie ihn erhängen. Dann wurde Muddi von harten Fäusten gepackt und über Bord geworfen.

Er zappelte, schlug wild um sich, versuchte den Holzkeil wieder loszuwerden und zog Wasser durch die Nase, weil er nicht schwimmen konnte.

Der Javaner Rahim Baa, den sie vor Monaten halbtot und verhungert auf einer Insel gefunden hatten, beteiligte sich mit satanischer Freude an dem Werk. Niemand hatte ihn je in einem Hemd gesehen. Vermutlich besaß er keins. Sein Körper war narbenübersät, er hatte dunkle kurze Haarborsten und weit abstehende Ohren. Wegen dieser Ohren zogen sie ihn auch ständig auf. Allen Ernstes wurde behauptet, Rahim wäre früher mal als Klüversegel auf einer Austernschaluppe gefahren. Als sie ihn auf der Insel gefunden hatten, da hatte er sich an Kisten voller Gold geklammert, die man ihm später geklaut hatte.

Die Seewolf-Crew stand am Schanzkleid und sah zu. Auch Ferris Tucker und Ed Carberry waren an Deck. Sie konnten keine Sympathien für die Kerle empfinden, außer vielleicht für den Boston-Mann, den schweigsamen Burschen mit dem großen goldenen Ohrring, der sich jedoch an der morgendlichen Prozedur nicht beteiligte.

Muddi, schon halb ersoffen, wie es schien, wurde wieder an Bord gehievt, am Hals natürlich, bis er fast erstickte. Sie warfen ihn auf Deck, schrubbten ihn ab und hin und wieder goß einer ihm ein paar Pützen Seewasser über den Schädel.

Erst als Muddi sich nicht mehr rührte und keinen Ton von sich gab, ließen sie ihn liegen. Er stand erst nach einer geraumen Weile mühsam wieder auf und torkelte an Deck umher, wo ihm einer nach dem anderen ein Bein stellte.

„Ich habe nichts gegen rauhe Späße einzuwenden“, sagte Hasard, „aber das finde ich zum Kotzen.“

Die Mannschaft stimmte ihm bei. Auch auf der „Isabella“ hatten sie sich mitunter in der Mangel. Wo rauhe Kerle zusammen waren, blieben rauhe Späße auch nicht aus. Aber noch niemals war ein Wehrloser bei den Seewölfen so behandelt worden.

Carberry sah den hinterhältigen Spanier und Sidi Mansur. Er hob die Faust und drohte hinüber.

„Kommt her, ihr feigen Hunde, und holt euch die Prügel ab, die man euch gestern versprochen hat!“

Die beiden Kerle tippten sich an die Stirn und grölten laut.

Da stand unversehens die Rote Korsarin hinter ihnen. Eine leichte Bewegung mit dem Degen an ihren Hälsen ließ die Kerle herumfahren. Siri-Tong lächelte kalt und verletzend.

„Habt ihr nicht gehört?“ rief sie schneidend scharf. „Mister Killigrew hat euch zu der Neunschwänzigen verurteilt.“

„Der Kerl hat uns überhaupt nicht zu verurteilen!“ fauchte Don Ravella erbost. „Wir stehen unter Ihrem Kommando, Madame!“

„Ihr werdet eure Strafe antreten, und zwar freiwillig. Oder habt ihr etwa Angst vor ein paar Schlägen?“ fragte sie höhnisch.

Das wollten die beiden nicht auf sich sitzen lassen. Aber sie blieben weiterhin störrisch.

„Ich habe keine Angst“, sagte Ravella. „Ich sehe es nur nicht ein. Und ich werde es auch nicht tun.“

„Das ist Meuterei. Ich verurteile euch beide. Ihr werdet jetzt sofort zur „Isabella“ übersetzen, eure Schläge einstecken und zurückkehren, so wie es sich für Männer gehört.“

„Der verdammte Seewolf kann mich ja holen, wenn er will“, erwiderte Ravella giftig.

„Und mich auch“, stimmte Sidi Mansur mit ein.

Auf der Galeone hörten sie jedes Wort. Ed Carberry lachte leise.

„Das hat es bei uns auch noch nicht gegeben“, sagte er, „daß die Kerle an Bord kommen und sich ihre Prügel selbst abholen.“

„Sieht nicht so aus, als würde das der Fall sein“, sagte Hasard. Aber er hatte sich getäuscht. Nicht so sehr in den beiden Kerlen als in der Roten Korsarin. Sie stand einwandfrei hinter Hasard, und das mußte die Kerle natürlich nur noch mehr wurmen.

Ravella riß noch einmal den Hals auf.

„Befehlen Sie hier, Madame, oder befiehlt neuerdings der Engländer über unser Schiff?“

Ihr Degen zuckte durch die Luft. Den ersten Degen, einen kleinen zierlichen, hatte Carberry voller Wut zerbrochen und ihr vor die Füße geworfen. Dieser hier war länger, und von den Piraten traute sich das niemand zu, ihn ihr aus der Hand zu reißen.

Don Ravella wollte noch zurückspringen, doch der Degen war schneller. Er ritzte sein Ohr und zog eine Furche hinein, aus der langsam das Blut tropfte.

„Damit du in Zukunft weißt, wem du zu gehorchen hast“, stellte sie sehr ruhig fest. „Und wenn du jetzt nicht sofort hinüberfährst, dann lasse ich dich an der nächsten Gaffelrute hängen!“

Ein haßerfüllter Blick aus dem einen Auge traf Siri-Tong.

„Das wird Ihnen noch leid tun, Madame“, knirschte Ravella. Juan trat auf ihn zu und gab ihm einen derben Stoß in die Rippen.

„Zeig dich als Mann, du verdammter Kastanienfresser“, herrschte er den Spanier an. „Und du verlauster Hund auch!“ brüllte er den vor Angst schlotternden Mansur an.

Ravella hatte keine Angst, das war sicher. Sein Stolz ließ es nur nicht zu, so vor den anderen gedemütigt zu werden. Und daß der Seewolf gleich so hart durchgriff, hätte er sich nie träumen lassen. Dafür würde dieser Hund bezahlen, das schwor er sich in dieser elenden Minute.

Bei Sidi Mansur hingegen sah es ganz anders aus. Er hatte eine höllische Angst vorm Auspeitschen. Schon beim ersten Schlag würde er lauthals losbrüllen, das wußte er. Und die anderen würden sich über ihn halbtot lachen.

Aber vermutlich würde der Seewolf ihn nicht auspeitschen lassen oder es nicht können, daran klammerte er sich.

Hasard sah, wie sie ins Boot stiegen, begleitet von Siri-Tong, die den beiden Kerlen verächtliche Blicke zuwarf. Sonst hatten sie ihre großen Schnauzen immer ganz oben, besonders, wenn es darum ging, andere zu quälen. Sie verfolgten sie mit gierigen Blicken, zogen sich aber immer sofort zurück, sowie sie es bemerkte.

Nein, sie hätte sich tausendmal lieber eine andere Crew gewünscht als diese hinterhältigen Kerle, bei denen man nur dann oben blieb, wenn man hart und unnachgiebig durchgriff. Deshalb bewunderte sie den Seewolf unter anderem, deshalb bewunderte sie die Leute aus seiner Crew und die Zucht, die an Bord herrschte.

Und auch aus diesem Grund bestand sie darauf, daß die beiden ihre verdiente, Strafe an Bord der „Isabella“ empfingen.

Der Seewolf wollte ihr zeigen, wie man mit Gesindel umsprang, und er hatte recht. Der eisenharte Kerl gab nie nach.

„Die kommen tatsächlich“, raunte Stenmark dem alten Segelmacher Will Thorne zu, der neben Batuti und Shane am Schanzkleid lehnte. Dahinter stand Old O’Flynn mit seinem neuen Holzbein und starrte aus seinem verwitterten Gesicht zu dem anlegenden Boot hinunter.

Die ersten Augen begannen aufzuleuchten, als die Burschen von oben hinunter ins Boot lugten und beim Festmachen helfen wollten. Jeder schielte in die rote, am Hals zwei Knöpfe weit geöffnete Bluse der Korsarin, und jeder gab sich Mühe, es vor den anderen nicht merken zu lassen.

„Platz da“, sagte der Seewolf.

Die Männer verstanden. Hastig zogen sie sich zurück.

Siri-Tong kletterte an Deck. Sofort suchte ihr Blick Hasard, und dabei glitt ein leicht verträumtes Lächeln über ihre ebenmäßigen Züge. Old O’Flynn sah es mit Mißvergnügen. Sein Gesicht verschloß sich noch mehr. Mit dem Holzbein pochte er vernehmlich ans Schanzkleid.

Inzwischen hatte sich das Wetter weiter verschlechtert. Der Sturm heulte und toste um die Klippen, pfiff durch die Passage und erzeugte hohl klingende, seltsam klagende Laute.

Don Ravellas dämonisches Gesicht sprach Bände. Haßerfüllt sah er einen nach dem anderen an. In seinem künstlichen Auge verfing sich das Tageslicht und ließ es hell aufblitzen. Hochaufgerichtet stand er da und blickte den Profos an, der die Neunschwänzige in der Hand hielt und sein Rammkinn weit vorgeschoben hatte.

„Peitsch mich ruhig aus, Narbengesicht“, sagte er leise, „aber einmal kommt der Tag, an dem du es bereuen wirst.“

Carberry gab keine Antwort. In seinem narbigen Gesicht zuckte kein Muskel. Er liebte es nicht, andere zu prügeln, im Grund seines Herzens war er ein gutmütiger Kerl, auch wenn er sich nicht so gab und nicht so aussah.

Aber Hasard mußte ganz einfach ein Exempel statuieren, das war allen klar. Wenn die Kerle sich angesichts einer indianischen Statue nicht beherrschen konnten, dann würde es auch nicht mehr lange dauern, bis sie die Seewölfe selbst beklauten. Nur deshalb sollte es den beiden eingebleut werden.

„Sie wissen, weshalb ich Sie bestrafen lasse, Ravella“, begann der Seewolf. „Wir wissen nicht, welche Tabus wir verletzen, wenn wir gierig und unüberlegt handeln. Es ist uns schon einmal ähnlich auf den Azoren ergangen. Nur weil ein Verrückter sich nicht beherrschte, gab es ein paar Tote. Und ich habe Sie vorher ausdrücklich gewarnt. Wenn Sie …“

„Quatschen Sie nicht solange, fangen Sie an! Ich will den Mist nicht mehr hören. Na, los schon!“ schrie Ravella den Profos an.

Hasard trat schweigend zur Seite. Mit diesen Kerlen war nicht zu reden, sie waren Gesindel und würden es immer bleiben. Sie wollten nur klauen, morden, prügeln, saufen und huren. Mehr Platz war in ihren Hirnen nicht.

„Fang an“, sagte er zu Ed.

„Aye, aye, Sir. Soll ich dich anbinden?“ fragte Ed grollend.

„Nein!“ brüllte Ravella. „Ich laufe nicht weg!“

Er beugte seinen Oberkörper leicht über die Nagelbank und hielt sich mit beiden Händen an den Koffeynägeln fest.

„Fünfzehn Schläge, Ed“, sagte der Seewolf.

Carberry riß ihm das Hemd herunter. Ein narbenbedeckter Rücken erschien. Spuren von Messerstichen und Hieben mit der Peitsche waren zu sehen. Der Spanier hatte also nicht die erste Prozedur dieser Art hinter sich. Danach, wie er aussah, schien er ein verdammt harter und unbelehrbarer Bursche zu sein. Auch diese Tracht Prügel würde ihn nicht ändern, das war sicher.

Carberry, der Zuchtmeister, holte mit der Neunschwänzigen aus. Er schlug nicht übertrieben kräftig zu, er schlug aber auch nicht lasch. Schließlich sollte der Kerl wissen, auf was er sich da eingelassen hatte.

Nach dem ersten Schlag zuckte der Spanier mit keiner Miene. Er nahm es fast gelassen hin und versuchte verächtlich zu grinsen. Nach dem zweiten Schlag verging ihm das Grinsen und beim dritten verzog sich sein Gesicht schmerzhaft, und sein Mund verzerrte sich.

Nach dem fünften Schlag stöhnte er laut. Die Haut platzte auf, und von nun an wurde jeder weitere Schlag immer schmerzhafter.

Einer begann laut zu wimmern. Es war aber nicht Don Ravella, sondern Sidi Mansur, der aus großen Augen zusah und jedesmal zusammenzuckte, sobald die Peitsche den Rücken seines Kumpans traf. Er litt mehr als der Spanier, oder er dachte daran, daß auch er gleich an die Reihe kam und daß es für ihn dann wesentlich schlimmer werden würde.

Er tastete sich zum Schanzkleid und wollte mit einem wilden Satz über Bord springen, aber Dan hatte seine Absicht erkannt und hielt ihn fest.

Außerdem stand da noch Matt Davies, und der hielt ihm seine scharfgeschliffene Hakenprothese dicht unter die Nase.

„Du willst wohl kneifen, du Scheißer, was? Wenn du springst, reißt dieser Haken hier deinen Hintern bis an die Halskrause auf. Das ist schlimmer als zehn lausige Hiebe.“

Mansur starrte den mörderischen Haken an, der dicht vor seiner Visage schwebte. Er schluckte und wurde lammfromm, als der Spanier nach dem letzten Schlag zusammenbrach.

Der Kutscher leerte einen Kübel Seewasser über sein Kreuz und spülte das Blut fort. Eine zweite Pütz folgte. Don Ravella kam wieder zu sich, taumelte benommen hoch und sah sich wild um. Seine Lippen bluteten, so sehr hatte er vor Schmerz darauf gebissen.

„Na wartet“, keuchte er, „das ist noch lange nicht vergessen.“

Ein letzter haßerfüllter Blick traf den Seewolf, ein zweiter den Profos. Dann griff Ravella nach seinem Hemd und wollte es überziehen.

Der Kutscher hielt ihn zurück.

„Komm her, ich verbinde das und packe dir Salbe drauf“, sagte er gutmütig. „In ein paar Tagen ist alles …“

„Hau ab, du Bastard!“ schrie der Spanier. „Rühr mich nicht an, du Hund!“

„Dann leck mich doch“, brummte der Kutscher.

Wutschnaubend und jede Hilfe schroff ablehnend, stieg Ravella ins Boot. Dort hängte er sich mit dem Bauch über die Ducht und versuchte ruhig zu atmen.

Siri-Tong hatte keinen Kommentar gegeben. Unruhig wanderte sie in der Kuhl auf und ab. Nur manchmal sah sie verstohlen den Seewolf von der Seite an, sein hartes männliches Gesicht, die schneeweißen Zähne und die eisblauen Augen, die sie jedesmal in ihren Bann schlugen, wenn sie seinen Blick auffing. Unbewußt seufzte sie leise.

Stenmark, Morgan und Bowie sahen nicht hin, als sie Mansur an den Mast binden mußten. Ihre Blicke ruhten wohlgefällig auf dem runden Hinterteil der Korsarin. In ihren überknapp sitzenden blauen Schifferhosen wurden die Formen stark betont.

Stenmarks Blick wurde richtig verträumt, Luke Morgan fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen, und Jeff Bowie schluckte ständig.

Sidi Mansur hing jetzt am Mast.

„Zehn Schläge, Ed“, sagte der Seewolf.

Carberry nickte und wiederholte den Befehl. In der rechten Hand hielt er die Peitsche, mit der linken fetzte er Mansur das Hemd über dem Rükken auseinander und wollte gerade zuschlagen, als er, wie vom Donner gerührt, zusammenzuckte. Hilflos sank sein Arm mit der Peitsche nach unten.

„Das – das gibt es doch nicht“, murmelte er betroffen.

„Was ist, Ed?“ peitschte Hasards scharfe Stimme über Deck. „Willst du nicht endlich anfangen?“

„Ich ’ich trau mich nicht, Sir“, sagte der Profos lahm.

Weshalb er sich nicht traute, wurde den anderen augenblicklich klar. So einen Rücken hatten sie noch nie gesehen.

Ein Ausruf der Verwunderung ging durch ihre Reihen, und alle rückten näher heran.

Sidi Mansur grinste lahm. Er hatte es geahnt. Es war nicht das erste Mal, daß er so glimpflich davongekommen war. Bisher hatte sich nur einer getraut zuzuschlagen und das auch nur zweimal.

Auf seinem Rücken prangte, dunkelblau eintätowiert, das Bild der drei Gekreuzigten auf Golgatha. Das Kreuz mit dem Sohn des Herrn war scharf herausgearbeitet.

Und in dieses Bild sollte der Profos mitten hineinschlagen?

Nein, das konnte er nicht, das brachte er nicht fertig.

Sie alle starrten das Bild an. Die meisten von ihnen waren gottesfürchtig. Es wäre eine Todsünde gewesen.

Hasard sah das schmierige Grinsen Sidi Mansurs. Mit einem schnellen Satz war er bei ihm.

„Du bist doch Moslem“, sagte er hart. „Weshalb hast du dir dann die Kreuzigung auf den Rücken tätowieren lassen, he?“

Das Grinsen in dem verschlagenen Gesicht wurde noch schmieriger.

„Klar bin ich Moslem, aber ein schlechter“, sagte er breit. „Aber das hier, das hat mir immer noch geholfen, darum!“

Mit dem Daumen fuhr er seinen Rücken entlang und grinste wieder.

„Hat ’ne verdammte Stange Gold gekostet!“ Er kicherte. Aber geholfen hat es fast immer. Wer schlägt schon dem Herrn ins Gesicht, hä?“

„Ich jedenfalls nicht“, verwahrte sich der Profos, „auch wenn es nur ein Bild ist. Es symbolisiert die Leiden, da kann man nicht mit der Peitsche draufschlagen.“

„Ed hat recht“, sagte Will Thorne, der Segelmacher. „Ich könnte es auch nicht.“

Auch ein paar andere stimmten dem zu, was der Segelmacher sagte. Sogar der alte O’Flynn gab ihm recht.

Aber in Hasard stieg die Wut hoch. Dieser miese kleine Schnapphahn wollte sich feige und hinterhältig hinter dem Bild verstecken und ungeschoren davonkommen.

„Siri-Tong?“ sagte er leise und fragend.

Die Rote Korsarin sah ihn schweigend an. Ihre Lippen waren leicht geöffnet, man sah ihre kleinen schneeweißen Zähne. Ein Blick voller Glut traf den Seewolf.

„Ja?“

„Würden Sie bitte aufs Achterkastell gehen, Madame?“

„Was haben Sie vor?“

„Es ist besser, wenn Sie gehen“, erwiderte Hasard.

Sie nickte huldvoll, lächelte leicht und ging mit zierlichen Schritten durch die Kuhl zum Achterkastell hoch. Dort schaute sie gedankenverloren ins Wasser.

Hasard trat noch näher an den Gauner heran.

„Da bist du ja noch einmal fein davongekommen, was?“ fragte er und lächelte dabei.

Sidi Mansur feixte jetzt.

„Klar!“ Er strahlte. „Niemand wird ungestraft den Herrn schlagen. Und jetzt bindet mich los!“

„Das werden wir tun“, sagte Hasard. Und dann wandte er sich, immer noch lächelnd, an den Profos.

„Laß ihm die Hosen ’runter. Ed!“

„Die Hosen ’runter, Sir?“ fragte der Profos entgeistert.

„So sagte ich. Na, wird’s bald?“

„He, he, was soll das?“ jammerte Sidi Mansur.

Aber der Profos fackelte nicht lange. Er riß ihm den Gürtel aus der Hose und warf ihn auf die Kuhl.

Sidi Mansurs Hosen begannen zu rutschen.

„Wenn du auf deinem verdammten Hintern noch so etwas drauf hast, du Miststück, dann lassen wir dich laufen.“

„Aber, ihr – ihr könnt doch nicht“, winselte der Pirat.

„Er kriegt zwanzig Hiebe, Profos. Zehn dafür, daß er uns für Idioten hält. Die anderen zehn hat er sich ja schon redlich verdient.“

„Auf seinen verdammten Affenarsch, Sir?“ fragte Ed.

„Auf seinen verdammten Affenarsch“, sagte der Seewolf ernst.

Carberry grinste noch mehr, als Mansur vorhin gegrinst hatte.

„Es wird mir ein Vergnügen sein, Sir“, sagte er. „Ihm werde ich jetzt buchstäblich die Haut von seinem verdammten Affenarsch in Streifen abziehen.“

„Die wird sich hinterher sowieso lösen“, sagte Hasard kalt.

Und dann schlug der Profos unter dem Gelächter der rauhen Kerle zu.

Ravella hatte es wie ein Mann ertragen, auch wenn er voller Haß war. Aber diese Demütigung eines feigen Halunken wäre ihm dem Tod gleichgekommen.

Und Sidi Mansur brüllte und winselte, kreischte, flehte um Gnade, schrie und verfluchte sie alle.

Und immer wieder klatschte die Peitsche voller Wucht auf seinen Achtersteven, und diesmal war der Profos gar nicht zimperlich. Fest und kraftvoll schlug er zu. Wieder und immer wieder.

Das Gebrüll wurde lauter, tierischer, bis es nach dem fünfzehnten Schlag abbrach und in ein Winseln überging, das dem eines jungen Hundes ähnelte.

„Noch fünf Schläge, Ed“, sagte der Seewolf.

Flüchtig drehte er sich um und sah zum Achterkastell. Dort stand die Korsarin, die genau wußte, was hier lief, und starrte angestrengt und mit hochrotem Kopf ins Wasser. Sie drehte sich nicht um, aber Hasard sah sie deutlich im Profil.

Mansur erhielt die letzten fünf Hiebe und brach aufschreiend zusammen.

Carberry warf ihm die Hose an den Kopf, die er durch die heftige Strampelei verloren hatte.

„Da, du feiger Hund“, sagte er. „Der Kutscher wird dich abkühlen. Salzwasser heilt.“

Der Kutscher hatte schon eine Pütz in der Hand, gefüllt bis an den Rand mit Seewasser.

„Soll ich, Hasard?“ fragte er.

„Macht doch nicht so viele Umstände“, sagte Ferris Tucker. Mit einem Ruck zog er den Schreienden und Tobenden hoch. Dann hob er ihn an und warf ihn kurzerhand über Bord.

Es spritzte, als Sidi Mansur in den Fluten versank. Er tauchte gleich darauf wieder auf und paddelte schreiend auf das Beiboot los. Ferris Tucker warf die Hose des Kerls hinunter ins Beiboot.

Damit war der Fall erledigt. Die Korsarin kam vom Achterkastell zurück und gesellte sich zu den Männern. Hasard sah, daß sie sich das Lachen nur sehr mühsam verbiß.

„Haben Sie noch mehr so feige Kerle an Bord, Madame?“ fragte der Schiffszimmermann.

„Leider“, gab sie zu, „vielleicht kriege ich eines Tages doch noch eine anständige Mannschaft zusammen. Männer wie euch“, setzte sie leise hinzu.

Hasard erwähnte die Angelegenheit mit keinem Wort mehr. Er sah zu den Wolken hinauf, die jetzt wie ein endloses Band über den Himmel zogen. Mal schweflig-gelb, und dann wieder fahl mit dunkel drohenden Wolkenbänken. Und der Sturm pfiff und heulte um das Felsenriff, das Wasser vor der Passage schien zu kochen, so aufgewühlt war es.

Niemand aus der Crew wollte jetzt da draußen sein, obwohl sie sturmerprobte und harte Gesellen waren. So manches Schiff würde an diesem Tag zum Teufel gehen, so wild tobte die See.

Hasard wußte noch nicht, wie recht er mit diesem Gedanken haben sollte.

Er gab den Männern frei.

Dan, der Kutscher und Batuti angelten hingebungsvoll nach riesigen Zakkenbarschen. Davies, Thorne und Stenmark unternahmen einen kleinen Ausflug auf der Insel. Ben Brighton schwamm ein paar Runden, während Hasard dem Profos und Ferris Tucker erklärte, wie die nautischen Geräte funktionierten, wie man mit ihnen umging und den Standort bestimmte.

An Bord der „Isabella“ herrschte Sonnenschein, trotz des stürmischen Wetters, das sie in der Bucht überhaupt nicht berührte. Hier pfiff kein Wind, hier war alles still und ruhig. Es war ein Bild des Friedens und der Beschaulichkeit.

Nur auf dem Zweimaster der Korsarin war alles ganz anders.

Seewölfe Paket 4

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