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2.

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Siri-Tong stemmte die Fäuste in die Seiten. Ihr hübsches Gesicht hatte einen harten, widerwilligen Ausdruck angenommen. Bislang hatte sie unausgesetzt vom Achterdeck ihres Schiffes zur „Isabella VIII.“ hinübergeblickt, jetzt drehte sie sich zu Thorfin Njal, Juan und dem Boston-Mann um und sagte: „Ich habe verstanden, was Dan O’Flynn gerufen hat – Land. Was ist mit unserem Ausguck los?“

„Unsere Position liegt gut zwei Kabellängen hinter der des Seewolfes“, gab der Wikinger zu bedenken. „Wir sind noch zu weit vom Land entfernt.“

Die Rote Korsarin legte den Kopf in den Nacken und schaute zum Vormars hoch. „Unsinn, der Kerl pennt, das ist es. Ich sehe ihn nicht. Wer hat zuletzt den Posten im Vormars übernommen? Missjöh Buveur?“

„Ja, Madame“, sagte Juan.

„Wenn dieser Bursche wieder getrunken hat, verpasse ich ihm einen Denkzettel, den er nicht vergißt“, stieß sie erzürnt hervor. „So etwas lasse ich nicht zu.“

„Stör!“ brüllte Thorfin Njal. „Hinauf in den Vormars und nachsehen, was mit dem Franzosen los ist. Wird’s bald?“

„Wird’s bald“, sagte der Stör. Er hatte nicht nur ein beängstigend langes Gesicht, sondern auch eine bedenkliche Angewohnheit. Er sprach immer den letzten Satz von Thorfin Njal nach, und das hatte ihm mehr als einmal eine Maulschelle oder einen Boxhieb eingebracht.

Diesmal stand er aber zu weit von seinem Landsmann und Vorgesetzten entfernt – auf der Kuhl des schwarzen Schiffes. Als Thorfin Njal Anstalten traf, vom Achterdeck hinunterzusteigen, setzte der Stör sich schleunigst in Marsch, lief ganz nach vorn auf die Back und enterte in den Steuerbordwanten auf.

Er hatte vernommen, was Siri-Tong gesagt hatte und sann darüber nach. War Missjöh Buveur wirklich so leichtsinnig, den Posten als Ausguck zu vernachlässigen? „Buveur“ war französisch und bedeutete Trinker, soviel war dem Wikinger bekannt. Und alle an Bord des Viermasters wußten ja auch, daß der Franzose seinem Spitznamen alle Ehre bereitete. Er war dauernd auf der Suche nach etwas Trinkbarem. Jeder Seewolf soff gern, aber Missjöh Buveur übertrumpfte alle.

Auch als Ausguck?

Er riskierte viel. Siri-Tong pflegte bei Unregelmäßigkeiten an Bord hart durchzugreifen, sie kannte kein Pardon. Besonders bei Disziplinlosigkeit wurde sie fuchsteufelswild.

Wollte Buveur, dieser Narr, sie wirklich auf diese Art herausfordern? Er mußte lebensmüde sein.

Eigentlich hätte Missjöh Buveur schon quicklebendig werden müssen, als Njal seinen Befehl gebrüllt hatte. Das hatte doch bis zu ihm durchdringen müssen! Der Stör schüttelte den Kopf und hangelte weiter nach oben. Nur noch ein paar Webeleinen trennten ihn von der Plattform des Fockmastes. Innerlich war er darauf vorbereitet, den Franzosen sternhagelvoll und nach Alkohol stinkend hinter der Umrandung vorzufinden.

Konnte man sein Schnarchen nicht schon hören?

Der Stör richtete sich ganz oben in den Wanten auf, klomm mit den Händen höher und legte sie auf den Rand der Segeltuchverkleidung. Er blickte darüber weg – und in diesem Augenblick geschah es.

Eine Gestalt schoß hinter der Verkleidung hoch, zweifellos Missjöh Buveur, wie der Wikinger reflexartig feststellte. Der Kerl hielt den Kieker mit beiden Händen vor dem Auge fest und brüllte plötzlich aus voller Kehle: „Land! Land in Sicht!“

Es gellte in den Ohren des Störs, er glaubte, Glocken läuten zu hören. Und Missjöh Buveur hatte ihn so erschreckt, daß er glatt den Halt verlor und abzustürzen drohte.

Der Stör ruderte mit den Armen und wirkte dabei ungefähr so wie eine jener merkwürdigen Windmühlen, die sie in Holland bauten. Er geriet immer mehr aus dem Gleichgewicht. Vergeblich versuchte er zu balancieren, drückte die Knie nach vorn, um das drohende Abkippen nach hinten zu verhindern. Aber er schaffte es nicht mehr und schien verloren zu sein.

In einer spukhaften Sequenz sah er sich schon auf Deck stürzen.

Aber Missjöh Buveur fuhr jählings herum. Er starrte den Wikinger verdutzt an, ließ das Spektiv sinken, streckte eine Hand aus und hielt ihn fest.

„Was ist denn mit dir los?“ rief er.

„Das wollte ich dich fragen“, keuchte der Stör.

„Was willst du denn hier oben?“

„Hast du Thorfin Njal nicht brüllen hören? Hast du nicht gehört, was Dan O’Flynn drüben auf der ‚Isabella‘ gerufen hat?“

„Nein, hab ich nicht.“

„Bei Odin …“

„Ich war viel zu vertieft“, sagte der Franzose. Er zog den Kameraden näher zu sich heran.

Der Stör hielt sich wieder an der Vormarsumrandung fest, hatte große Augen und sagte völlig verdattert: „Ja, Mann, in was denn, zum Teufel?“

„Na, in meine Beobachtungen.“ Missjöh Buveur ließ den Stör los, weil der ja jetzt allein zurechtkam, beugte sich weit über die Verkleidung und schrie: „Land! Drei Inseln!“

„Dein Glück!“ brüllte Thorfin Njal zurück.

Der Franzose drehte sich zu dem Stör um. „Was sagt er denn?“

„Daß du schwerhörig bist. Hast du die Inseln wirklich eben erst entdeckt?“

„Ja, als du ’raufstiegst und …“

„Schon gut“, erwiderte der Wikinger mühsam beherrscht. „Nun hauch mich mal an, ja?“

„Wieso denn?“

Der Stör schaute so grimmig drein, daß Missjöh Buveur augenblicklich verstummte und der Aufforderung folgte. Der Stör brummelte noch etwas Unverständliches, schüttelte den Kopf und verschwand dann in Abwärtsrichtung. Missjöh Buveur blickte ihm nach, kratzte sich am Hinterkopf und spähte wieder durch sein Fernrohr.

Wieder auf der Back angelangt, traf der Stör mit Arne und Oleg zusammen. Sie schauten ihn fragend an, und er sagte verwirrt: „Komisch, der Franzose stinkt wie ein alter Ziegenbock, aber nicht nach Schnaps. Er ist ausnahmsweise stocknüchtern.“

„Das hat ihn vor der Neunschwänzigen bewahrt“, entgegnete Arne.

Der Seewolf ließ den Kieker sinken. Die größte der Inseln konnte er nun mit bloßem Auge erkennen. Sie hob sich dunkel und kegelförmig vom Horizont ab.

„Ich glaube, das sind die Inseln, die auf einer meiner von den Spaniern erbeuteten Seekarten eingezeichnet sind“, sagte er zu den Männern, die ihn umringten. „Allerdings ist die geographische Länge nicht genau angegeben. Ich wußte also nicht, ob wir heute, morgen oder erst in einer Woche auf die Gruppe stoßen würden.“

Old O’Flynn stand hinter ihm. „Deswegen warst du also deiner Sache so sicher. Du bist schon ein Teufelskerl, Hasard.“

Hasard wandte sich um. „Aus meinen Aufzeichnungen geht hervor, daß es sich um neun große und mehr als ein Dutzend kleinere Inseln handelt. Wir müssen bei der Landung sehr vorsichtig sein, denn ich rechne fest damit, daß wir auf Eingeborene treffen.“

Carberry, der nun ebenfalls das Vordeck betreten hatte, stieß einen ärgerlichen Laut aus. „Eben, und bei denen weiß man nie, woran man ist. Sie können harmlos sein, aber genausogut können sie schon in den Büschen lauern, um uns anzufallen und uns die Gurgeln durchzuschneiden.“

„Das ist Schwarzmalerei“, sagte Smoky.

„Das ist die Wahrheit“, versetzte der Profos dumpf.

Sie blickten wieder zu den Inseln. Die große richtete sich nun immer wuchtiger aus den Fluten auf. Das imposante Bergmassiv in ihrem Zentrum war um die Gipfel herum von Wolkenstreifen gekrönt.

Fasziniert betrachteten die Seewölfe dieses Werk der Natur. Eine unerklärliche Aura haftete dem Eiland an, und je näher sich die „Isabella“ darauf zuschob, desto stärker wurde der Bann, in den die Männer sich gezogen fühlten.

Hasard suchte das Ufer mit Hilfe des Spektivs ab.

„Merkwürdig“, sagte er schließlich. „Die nordöstliche Küste ist pechschwarz wie verkohltes Holz, aber zum Südufer hin wird die Landschaft hell und lieblich. Ich sehe einen weißgoldenen Strand und Palmenwipfel.“

„Das Paradies auf Erden“, brummte Carberry. „Aber darauf falle ich nicht wieder ’rein. Macht euch auf Kopfjäger, feuerspuckende Berglöcher und bösartige Viecher gefaßt.“

Hasard blieb unbeirrt. „Wir runden die Insel im Süden und suchen nach einem Landeplatz. Wir ankern, fieren die Beiboote ab, und dann sehen wir weiter.“

Tatsächlich stießen sie etwa eine Stunde später an der Leeseite der großen Insel auf eine langgestreckte, von weißem Sandstrand gesäumte Bucht. Sie lud regelrecht zum Verweilen ein.

Hasard dirigierte seine „Isabella“ hinein, und das schwarze Schiff folgte ihm. Smoky lag bäuchlings auf der Galionsplattform und lotete die Tiefe aus. In regelmäßigen Zeitabständen gab er die Daten weiter: „Elf Faden – zehneinhalb – zehn – zehn …“

Als sie die Mitte der Bucht erreicht hatten, war die Wassertiefe gleichbleibend und pendelte um das Zehn-Faden-Maß. Der Seewolf atmete auf. Die Gefahr, auf Grund zu laufen, bestand nicht mehr.

„Fallen Anker!“ rief er.

„Fallen Anker!“ brüllte Ed Carberry, und kurz darauf ertönte der Befehl auch auf dem schwarzen Schiff.

Die schweren Stockanker rauschten an ihren Trossen aus, schwebten im klaren Wasser bis auf den Grund und bohrten sich in den hellen Sand. Der Seewolf beugte sich nach vorn, blickte nach unten und konnte Trosse und Buganker verschwommen in der Tiefe erkennen. Die See glitzerte wie flüssiges Kristall.

Hasard sah zum Ufer und beobachtete, wie sich die Palmenwipfel in einer leichten Brise wiegten. Ein Vogel schwebte über dem Grün des Binnenlandes. Die Szene atmete Frieden, Ausgeglichenheit, Harmonie. Dies schien tatsächlich das Paradies auf Erden zu sein.

Carberrys barsche Stimme rief in die Wirklichkeit zurück. „Fiert ab die Beiboote, ihr müden Säcke! Wollt ihr wohl spuren, oder muß ich euch anlüften? Habt ihr das verlernt, ihr triefäugigen Kakerlaken? O, ihr Faulenzer, ihr Rübenschweine, wenn man euch nicht dauernd den Marsch bläst! Ich hab’s ja schon immer gesagt, euch hat eine Wanderhure vor der Kirche verloren …“

So ging das weiter, bis die Beiboote endlich im Wasser lagen und bemannt waren. Hasard landete mit zwei Jollen und einem Dutzend Männern. Er wollte die Insel gründlich erkunden, um vor Überraschungen sicher zu sein.

Siri-Tong ließ ebenfalls zwei Boote an Land pullen. In dem ersten saß sie selbst. Ihre Begleiter waren die fünf Wikinger, der Boston-Mann und Mike Kaibuk. Das zweite Boot war unter anderem mit den beiden Portugiesen, Muddi und Tammy bemannt.

Juan hatte bis zur Rückkehr der Roten Korsarin das Kommando auf „Eiliger Drache über den Wassern“ übernommen. Im Vormars hockte noch immer Missjöh Buveur.

Dan O’Flynn war als Ausguck auf der „Isabella“ zurückgeblieben, obwohl er natürlich lieber an der Erforschung der Insel teilgenommen hätte. Die Rolle des Kapitäns hatte während Hasards Abwesenheit Ben Brighton inne.

Hasard sprang als erster übers Dollbord seines Bootes an Land. Ihm folgten Carberry, Shane, Ferris, Blake und Batuti. Gemeinsam zerrten sie das Boot durchs Flachwasser auf den Sandstrand. Knirschend schob sich der Rumpf auf den Untergrund.

Siri-Tong war nun auch eingetroffen. Nach ihr landeten die anderen beiden Boote. Siri-Tong lief zu Hasard. Sie trug ihre weißleinenen Schifferhosen und eine dazu passende weiße Bluse, die zwei Knöpfe weit offenstand.

Dicht vor dem Seewolf blieb sie stehen und lächelte ihn an.

Die Brandung rollte gegen das Ufer an, weiße Schaumstreifen umspülten ihre Stiefel. Große Wellen umkränzten die Insel von allen Seiten, nur hier, in der Bucht, waren sie etwas flacher. Ihr Rauschen klang unterschwellig und bildete die tönende Kulisse bei der kurzen Unterredung der beiden Kapitäne.

„Da wären wir also“, sagte Siri-Tong. „Ist es nicht herrlich hier? Ich schlage vor, wir bleiben ein paar Tage auf der Insel und erholen uns von der Langeweile der Überfahrt.“

„Erst mal schauen wir uns sehr genau um“, erwiderte Hasard. „Carberry meint, der Frieden täusche.“

Siri-Tong sah den Profos der „Isabella“ an. „Ed, warum denn so sauertöpfisch? Es ist doch nicht gesagt, daß wir immer und überall Verdruß kriegen.“

„Äh, Madame – wir haben doch unsere Erfahrungen, oder? Also, ich gebe mich lieber keinen Hoffnungen hin. Wenn dann doch alles in Ordnung ist, kann ich mich immer noch freuen.“ Er kratzte sich am Rammkinn und überlegte, ob das eine gute Rede gewesen sei. Kraftausdrücke waren nicht darin enthalten, aber trotzdem war er nicht ganz sicher.

„Trennen wir uns“, sagte der Seewolf. „Wir sind ein starker Trupp und können drei Parteien bilden. Die eine marschiert nach Norden, die zweite nach Süden. Die dritte Gruppe nimmt sich das Inselinnere vor. In spätestens drei Stunden treffen wir uns wieder hier bei den Booten.“

„Ich bleibe diesmal bei dir“, erklärte Siri-Tong. „Thorfin, du suchst dir neun Männer aus, die dich begleiten, der Rest geht mit dem Seewolf und mir.“

„Ed, du wählst auch deine Leute aus und übernimmst die Führung der dritten Gruppe“, ordnete Hasard an. „Ihr wandert nach Osten und nehmt den höchsten Berg als Markierungspunkt. Thorfin Njal und seine Männer wenden sich nach Süden. Wir anderen gehen jetzt nach Norden los.“

„Dann mal los“, brummelte der Profos. „Bin gespannt, wann wir auf den ersten Kannibalen oder das erste Ungeheuer stoßen.“

Sir John hatte sich ihm wie üblich angeschlossen und hockte auf Carberrys linker Schulter. Jetzt schien er sich die Sache aber anders überlegt zu haben. Mit einem heiseren Laut hob er ab und flog zur „Isabella“ zurück.

Hasard und die Rote Korsarin schritten an der Spitze der Nord-Gruppe dahin. Zunächst hielten sie sich in unmittelbarer Ufernähe. Etwas später drangen sie auf vier-, fünfhundert Schritt Distanz von der Küste ins Innere ein und bahnten sich einen Weg durchs Dickicht.

„Ein Glück“, sagte Ferris Tucker. „Ein richtiger Urwald ist das hier nicht. Man gelangt voran, ohne sich einen Pfad mit der Axt hauen zu müssen.“

„Warte ab“, erklärte Shane. „Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben.“

„Fängst du jetzt auch wie Carberry an?“

„Ach, Unsinn, ich meine doch nur …“

Sie hatten den Rand einer Lichtung erreicht, und der Seewolf blieb plötzlich stehen und hob die Hand. Sofort schwiegen die Männer. Sie duckten sich und zückten ihre Waffen. Siri-Tong hielt ihre wertvolle, reich verzierte Radschloßpistole und spannte langsam den Hahn. Es knackte leise.

Hasard trat auf die Lichtung. Er bückte sich und bedeutete den anderen, zu ihm zu kommen. Er wies auf Spuren und Relikte auf dem Untergrund.

„Jemand hat ein Feuer angezündet und ein Wildbret zubereitet“, sagte er leise. „Asche, ein paar kleine Steine, Knochenreste, die Abdrücke nackter Fußsohlen.“

Blacky kniete sich hin und las einen der Knochen auf. „Sind das Menschenknochen? Unser Profos würde triumphieren und sagen: ‚Na bitte, ich habe also doch recht gehabt‘!“

Shane nahm ihm das weiße Gebilde ab. „Rede doch keinen Blödsinn. Das sieht doch ein Kind, daß das ein Tierknochen ist.“

„Zwei Menschen sind hier gewesen“, erklärte der Seewolf. „Wahrscheinlich ein Mann und eine Frau.“

„Wir müssen von jetzt an höllisch aufpassen“, raunte Matt Davies. „Wahrscheinlich gibt’s hier haufenweise Wilde. Die könnten uns mit Blasrohrpfeilen eindecken.“ Er blickte sich nach allen Seiten um.

Siri-Tong hatte den Platz einer ziemlich ausgiebigen Inspektion unterzogen. Jetzt sagte sie lächelnd: „Wenn ihr mich fragt, hier hat ein Stelldichein stattgefunden.“

Hasard musterte sie überrascht. „Worin siehst du denn das?“

„Nun, ich bin eine Frau, ich spüre so etwas. Die beiden haben ein Tier erlegt, das Feuer angezündet, ausgiebig zu Abend gespeist und dann hier die Nacht verbracht. Fern von ihrem Dorf. Vielleicht sind sie noch sehr jung, und ihre Eltern haben etwas gegen die frühreife Liebe. Oder es handelt sich um einen Fall von Ehebruch.“

„Und das alles lesen Sie aus den Spuren hier, Madame?“ sagte Blacky verdutzt.

Hasard erhob sich. „Na schön, wir können eine Menge in unsere Entdeckung hineindenken. Aber wie wir es auch drehen und wenden, die Gefahr bleibt. Wir sind nicht allein auf der Insel. Es wäre gut, wenn wir die anderen verständigen könnten, aber wir sind zu weit von ihnen entfernt.“

Sie schritten weiter. Kurze Zeit später stießen sie auf einen kleinen Flußlauf, der sich zur See hin verbreiterte und an beiden Ufern von Halmen bewachsen war. In einer Ausbuchtung des südlichen Ufers gewahrte der Seewolf die Konturen eines länglichen Gegenstandes. Wieder gab er seinen Freunden ein Zeichen, wieder duckten sie sich und verwuchsen mit dem alles verdekkenden Dickicht.

Hasard pirschte auf die Flußbucht zu, teilte die Halme mit den Händen und blickte auf zwei Auslegerboote, die zum Greifen nah vor ihm vertäut lagen. Nur das eine hatte er von seinem bisherigen Standort aus sehen können, das zweite lag halb unter Sträuchern versteckt.

Eine Hand legte sich auf seinen Unterarm.

Siri-Ton war neben ihm. „Das wird ja immer hübscher“, wisperte sie. „Wenn das so weitergeht, treffen wir bald auch auf das Dorf dieser Eingeborenen.“

„Und auf unser Liebespärchen.“

„Ach, hör doch auf.“ Sie lächelte und schob sich näher an ihn heran.

Plötzlich ertönte hinter ihnen ein feiner, fiepender Ton. Hasard legte den Zeigefinger auf die Lippen. Sie kauerten sich hin und bewegten sich nicht. Hasard bedeutete Siri-Tong durch ein Zeichen, daß einer seiner Männer diesen Laut ausgestoßen hatte – als Warnung.

Und dann knackte es auch schon im Unterholz. Irgend jemand oder irgend etwas brach durch die Büsche wie ein Stier und gab sich nicht die geringste Mühe, zu schleichen.

Blacky, der den Warnlaut von sich gegeben hatte, flüsterte: „Allmächtiger, hier scheint es doch Ungeheuer zu geben!“

Langsam brachte Siri-Tong ihre Pistole in Anschlag. Hasard zielte auch bereits mit seiner doppelläufigen Reiterpistole auf die Stelle, an dem die Kreatur aus dem Dickicht preschen mußte. Die anderen hoben ihre Musketen, Blunderbüchsen und Pistolen.

Dann war es soweit. Ein furchterregendes Antlitz schob sich aus dem Grün der wilden Natur, narbig, klobig, wüst, und der dazugehörige Körper war breit und ungeschlacht. Etwas Karmesinrotes flatterte aufgeregt über dieser Erscheinung, und dann ertönte eine wohlbekannte Stimme: „Nicht schießen, ich bin’s.“

„Mann o Mann“, sagte Shane.

„Der macht mich schwach“, ächzte Matt Davies.

Und Blacky richtete sich auf und sagte: „Fast hätte ich wirklich abgedrückt, Ed. Bist du denn des Teufels?“

Hasard war auch aufgestanden und trat auf Carberry zu, der nun mit seinem vollständigen Trupp aus dem Gestrüpp stieg.

„Was ist denn los, Profos? Habt ihr etwas entdeckt?“

„Wir nicht, aber – ich – Augenblick, Sir.“ Carberry griff mit der Pranke in die Luft, so flink hätte ihm das keiner zugetraut. Er schnappte sich Sir John, den Papagei, und hielt ihn in der vorgestreckten Faust vor Hasard hin. „Los, sag deinen Spruch noch mal auf, du Geier.“

„Feindschiff voraus“, krähte Sir John. „Obacht, Jungs – Galeone mit drei Masten.“

„Ach, das ist doch nur einer von den Sätzen, die du ihm beigebracht hast“, wandte Ferris Tucker ein. „Wenn wir auf alles Rücksicht nehmen sollten, was das Federvieh von sich gibt …“

Carberry stieß einen grollenden Laut aus. „Ferris, Sir John ist doch zur ‚Isabella‘ zurückgeflogen, als wir noch am Strand standen. Und jetzt ist er hergeflogen, hat mich gesucht, gefunden – das tat er nicht ohne triftigen Anlaß. Sir, ich bitte um Erlaubnis, zu den Schiffen laufen zu dürfen.“

Hasard betrachtete den Aracanga. Der plapperte wieder etwas von Feindschiffen und Galeonen, und Hasard dachte daran, daß er ihnen schon mehrfach geholfen hatte.

Warum alarmierten aber Ben Brighton und Juan die Landgänger nicht? Nun, sie hätten es nur durch einen Schuß tun können, und der hätte zweifellos auch den plötzlich auftauchenden Gegner aufmerksam werden lassen.

„Wir kehren zur Bucht zurück“, entschied Hasard. „Alle.“

Seewölfe Paket 6

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