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3.

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Thorfin Njal und seine Männer hatten von diesen Vorgängen nichts verfolgen können. Sie befanden sich inzwischen am südlichsten Zipfel der Insel.

Hier schloß ein sanfter, geschwungener Strand aus beinahe schneeweißem Sand das Land zur See hin ab. Donnernd türmten sich die Wogen auf, sie wuchsen und wuchsen, bis sie an ihrem Kämmen abzubrechen schienen und auf die Insel zurasten. Die schäumende Brandung leckte näher und näher auf die Erhöhung zu, auf der Thorfin Njal und die anderen neun standen. Die Flut hatte eingesetzt.

„Bei Odin und allen Göttern“, sagte Eike. „Hier ist es so schön wie nirgendwo.“

„Man kriegt Lust, ein Bad zu nehmen“, meinte Mike Kaibuk.

„Bist du verrückt?“ Muddi blickte ihn entsetzt von der Seite an. „Ich bade nur einmal im Jahr, meistens zu Weihnachten.“

„Das merkt man auch“, sagte Oleg und rümpfte die Nase.

Thorfin Njal rückte sich den Kupferhelm zurecht, wandte sich dem Inselinneren zu und setzte den Marsch fort.

„Schluß mit dem Palaver“, sagte er. „Beeilen wir uns. Wir haben noch ein gutes Stück Weg zurückzulegen, wenn wir dieses Eiland ausreichend erkunden wollen. Und ich will pünktlich wieder am Treffpunkt sein.“

Beim Dahinschreiten stieß Pedro Oritz seinen Landsmann Diego Valeras mit dem Ellbogen an. „Bisher haben wir noch nichts entdeckt, das auf Menschen hindeutet. Glaubst du wirklich, daß hier Wilde hausen?“

Diego blickte zu den Bergen hoch. Sehr einladend wirkten sie mit ihrem düsteren Gestein nicht. „Ich weiß nicht. Sie könnten uns entdeckt haben und sich dort oben versteckt halten.“

Plötzlich vibrierte der Untergrund leicht, und die fünf Wikinger und die anderen fünf vom schwarzen Segler blieben abrupt stehen.

„Verflucht, was war denn das?“ Der Stör blickte Eike, Arne und Oleg an, aber die schauten genauso ratlos drein.

Der Boston-Mann, der zehnte Mann der Gruppe, sagte: „Ein Erdstoß. Erinnert ihr euch noch an die Inseln, auf denen sich O’Lear, der irische Pirat, verkrochen hatte?“

„Die werde ich nie vergessen“, erwiderte Mike Kaibuk. „Junge, Junge, wie sich der Feuersee aus dem Krater ins Meer ergossen hat – das war ganz schön schaurig.“

Der Boston-Mann wies mit dem Kopf zu den Bergen. „Da oben gibt es auch feuerspeiende Felsenlöcher.“

„Ach du Schande“, sagte Arne. „Das scheint ja wirklich ein gastlicher Ort zu sein. Der Strand und die Palmen trügen.“

„Nun macht euch doch nicht gleich die Hosen voll“, polterte Thorfin Njal los. „Was seid ihr denn für Kerle? Es ruckelt ein bißchen in der Erde, und schon fangt ihr an zu unken. Wißt ihr was? Wer Schiß hat, der kann meinetwegen zu den Booten zurückkehren.“

„Der kann zu den Booten zurückkehren“; echote der Stör.

Thorfin Njal war aber im Moment zu verbiestert, um darauf zu achten. Er stapfte stur geradeaus weiter, zerdrückte ein paar deftige Wikingerflüche auf den Lippen und konzentrierte sich im übrigen auf das Niedertrampeln von Gras und Sträuchern.

Als er sich wieder umdrehte, stellte er fest, daß sie noch alle da waren: Eike, Arne, Oleg, der Stör, die beiden Portugiesen, Mike, Kaibuk, Muddi und der Boston-Mann. Da grinste Njal. Sind eben doch Kerle, dachte er.

Das Dickicht verband sich übergangslos mit dem Unterholz eines Waldes. Die Bäume hatten eigenartige Formen und blaugrüne Blätter. Die Männer sahen diese Art zum erstenmal in ihrem Leben. Sie blieben stehen und betrachteten sie interessiert. An einem Baum mit besonders niedrigen Ästen kletterte der Boston-Mann empor.

Plötzlich straffte sich seine Gestalt. Er verharrte und bedeutete den anderen, still zu sein. Eine Weile kauerte er so in der Krone des seltsamen Baumes, dann ließ er sich wieder nach unten gleiten und sagte zu den anderen: „Im Wald gibt es einen Bach oder einen Teich. Ich habe das Wasser glitzern sehen.“

„Dann nichts wie hin“, entgegnete Thorfin Njal. „Wenn das Wasser nicht faulig schmeckt und nicht brackig ist, können wir damit unsere leeren Fässer und Schläuche auf den Schiffen füllen.“

„Aber Vorsicht“, warnte der Boston-Mann. „Da hat sich was bewegt.“

„Ein Tier?“ fragte Pedro Ortiz gedämpft.

„Tiere oder Menschen.“

„Haltet die Waffen bereit“, sagte Thorfin Njal. „Wir werden ja gleich sehen, mit wem wir es zu tun haben.“

Sie bahnten sich einen Weg durchs Unterholz und waren bemüht, keine Geräusche zu verursachen. Etwas später erkannten sie alle die schillernden Silberkronen, die das Sonnenlicht den Wellen der Wasserstelle aufsetzte. Thorfin Njal blinzelte zwischen Gras und Büschen hindurch und schob sich auf allen vieren voran. Als er drei, vier Yards weitergerobbt war, stellte er fest, daß sie sich tatsächlich einem Teich näherten.

Dann aber stockte er. Durch das feine Plätschern hindurch vernahm er gedämpfte Stimmen und hin und wieder ein Kichern. Er verhielt, legte Pistole und Schwert vor sich ab und bog die Halme behutsam mit den Händen auseinander.

Tiere oder Menschen, das war jetzt keine Frage mehr. Geradezu überdeutlich hoben sich die Köpfe von fünf Mädchen aus dem Wasser ab. Sie hatten einen Kreis gebildet, waren bis über die Schultern eingetaucht und spielten mit irgend etwas, das wie ein Ball aussah.

Das Ding entpuppte sich bei näherem Hinsehen als ausgehöhlte Melone. Vielleicht war es auch mehr ein Kürbis oder eine Kalebasse, so genau wußte der Wikinger das nicht. Er verschwendete auch keine weiteren Gedanken daran, denn der Anblick der fünf Mädchen nahm ihn voll und ganz in Anspruch.

Ihre schwarzen Haare hingen naß bis auf die Schultern und umrahmten Gesichter von vollendeter Schönheit. Plötzlich war der Traum vom Inselparadies doch wieder wahr, denn Thorfin Njal konnte sich nicht entsinnen, außer Siri-Tong jemals derart berückende Geschöpfe gesehen zu haben.

Sie waren längst aus dem Kindesalter heraus. Sie plantschten, alberten und lachten, und nichts schien sie stören zu können.

„Bei Odin“, hauchte Arne. „Bin ich wirklich wach?“

„Ich kann dir ja eine ’runterhauen“, zischte Oleg. „Dann merkst du’s.“

Muddi war rechts neben Thorfin Njal angelangt und starrte mit verzücktem Ausdruck auf die fünf Eingeborenenmädchen.

„So was Leckeres“, murmelte er. „Richtig zum Vernaschen. Himmel, was haben wir doch für ein Glück.“ Den Blick, den Thorfin Njal ihm zuwarf, registrierte er nicht. „Wenn sie doch bloß mal ganz auftauchen würden“, fuhr er fort.

„Muddi“, versetzte der Wikinger scharf. „Halt die Luft an. Du hast es hier nicht mit verwanzten Hafenhuren zu tun, verstanden?“

„Aber ich – ich – wir haben schon lange keine Weiber mehr gehabt, verflixt noch mal.“

„Vorsicht“, sagte Arne. „Nimm den Mund nicht zu voll, Kleiner. Wenn Thorfin Njal wild wird, ist alles zu spät, das weißt du.“

„Man wird doch noch seinen Spaß haben dürfen“, sagte Muddi giftig.

Der Boston-Mann glaubte die düsteren Wolken zu sehen, die sich in diesem Augenblick um Thorfin Njals Stirn zusammenzogen. O, sie erinnerten sich alle noch daran, wie eine Handvoll Amazonen ein paar Männer der „Isabella“ in eine Falle gelockt hatten. Aber nicht nur das war es – ein guter Seemann mußte sich auch zusammenreißen können und durfte erstens nicht jedem weiblichen Wesen nachhetzen, das ihm über den Weg lief. Zweitens hatte er zu berücksichtigen, daß auch „nackte Wilde“ ihre Würde und Ehre hatten.

Siri-Tong und Thorfin Njal versuchten ständig, diese Grundsätze ihrer Besatzung einzuhämmern. Disziplin und Anständigkeit hingen ursächlich zusammen, und die Piraten auf dem schwarzen Segler sollten dies verinnerlichen, wie es auch die Seewölfe in ihren Bordkodex aufgenommen hatten.

„Wer aus dem Rahmen fällt, den stauche ich zusammen“, drohte Thorfin Njal.

Er hatte zu laut gesprochen, die Mädchen im Wasser hatten ihn gehört. Mit ängstlichen Rufen scharten sie sich zusammen, schwammen dann auf das gegenüberliegende Ufer des Teiches zu und schickten sich an, das Naß zu verlassen.

Thorfin Njal setzte sich auf, drehte sich um und fuhr seine Leute an: „Kehrtmachen, und zwar dalli – mit dem Gesicht nach Süden. Wird’s bald?“

Der Boston-Mann, der nach Thorfin Njal und Juan am meisten an Bord des schwarzen Seglers zu sagen hatte, folgte der Aufforderung widerspruchslos als erster. Die anderen drehten sich ebenfalls um. Auch Muddi. Vor Njals riesigen Fäusten hatte er nämlich enormen Respekt.

Der Wikinger hörte es hinter sich im Gebüsch rascheln. Vorsichtig, als könne er jemanden stören, wandte er sich wieder um. Die nackten Mädchen waren soeben im Unterholz verschwunden. Er konnte gerade noch ein braunes Bein sehen, dann waren sie weg und hasteten davon, als säße ihnen der Teufel im Nacken.

„Wir folgen ihnen“, sagte Thorfin Njal. Er erhob sich und las dabei seine Waffen vom Untergrund auf. „Aber in einigem Abstand. Wir marschieren ihren Spuren nach, sie werden uns zu ihrem Dorf führen. Ich will wissen, mit wie vielen Eingeborenen wir es hier zu tun haben.“

„Wir es hier zu tun haben“, wiederholte der Stör. Im nächsten Augenblick vollführte er einen Satz nach vorn, denn Thorfin Njal hatte ihn in den Hintern getreten. Des Störs Pech war es, daß er sich schon wieder umdrehte. Er stolperte also nicht nach Süden, sondern nach Norden. Im Norden erstreckte sich der Teich. Der Stör rutschte prompt im Uferschlick aus und landete mit dem Hosenboden im flachen Wasser.

Die anderen Männer stießen sich an und wollten sich vor Lachen ausschütten.

Thorfin Njal grinste grimmig. „Nur zu“, sagte er. „Vielleicht haben wir bald nichts mehr zu lachen.“

Hasard, Siri-Tong, Ed Carberry und ihre Begleiter hatten die Ankerbucht der Schiffe wieder erreicht. Der Profos hatte sich den Papagei in die Wamstasche gestopft, aber Sir John schlüpfte jetzt wieder daraus hervor und flog zur „Isabella“ hinüber.

Dan O’Flynn begann aus dem Großmars zu signalisieren. Missjöh Buveur signalisierte ebenfalls, er gab Blinkzeichen mit einer Glasscherbe.

„Also doch“, sagte der Seewolf. „Wir kriegen Besuch. Noch können wir das Schiff nicht sehen. Wahrscheinlich segelt es aus nördlicher Richtung heran.“

„Ja, das signalisiert Dan uns gerade“, erwiderte Siri-Ton.

Hasard spähte aus schmalen Augen zum Nordrand der Bucht. „Wir haben die Palmen im Blickfeld“, stellte er fest. „Erst auf unseren Schiffen können wir genau sehen, wer uns da auf den Leib rückt.“

„Besetzt die Boote!“ rief Carberry. „Hopp-hopp, willig, willig, ihr Kakerlaken, oder ich zünde euch ein Feuerchen unterm Achtersteven an.“

Die Männer stürzten zu den Booten, packten zu und schoben sie in die Brandung. Siri-Tong blickte nach Süden und stand einen Moment unschlüssig da.

„Was ist, willst du auf Thorfin Njal und seine Gruppe warten?“ fragte Hasard. „Wer weiß, wo die inzwischen stecken.“

Die Korsarin wandte sich wieder um. Sie hatte ihren Entschluß gefaßt. „Bill the Deadhead!“ rief sie.

„Madame?“

„Du läufst nach Süden und suchst Thorfin Njal und seine Gruppe. Wenn du sie gefunden hast, meldest du ihnen, was hier los ist. Sie sollen schleunigst zurückkehren.“

„Aye, aye, Madame“, antwortete Billy und drehte auf dem Stiefelabsatz um und eilte davon. Er war ein großer, grobschlächtig wirkender Mann, auf den Verlaß war.

Ein Boot ließen die Seewölfe und Siri-Ton auf dem Sandstrand zurück. Mit den drei anderen pullten sie durch die Brandung. Gischt stob hoch und hüllte ihre Gestalten ein. Höher bäumten sich die Wogen jetzt auf. Das lag an der Flut. Sie schien verhindern zu wollen, daß die schwarzhaarige Frau und die, Männer zu ihren Schiffen zurückkehrten.

Siri-Tongs Boot wurde von einer Welle fast umgeworfen. Buchstäblich im letzten Augenblick stemmte die Korsarin, die auf der Heckducht kauerte, die Ruderpinne herum und drückte auf diese Weise das Gefährt aus der gefährlichen Gegendrift. Legten sich die Boote erst quer zur Wogenbewegung, mußten sie unweigerlich kentern.

Die Männer begannen zu fluchen. Es kostete sie eine enorme Anstrengung, die Brandung zu überwinden und in ruhigeres Wasser zu pullen. Als sie die „Isabella“ und den schwarzen Viermaster endlich erreichten, warteten die an Bord Zurückgebliebenen schon voller Ungeduld auf sie.

Jakobsleitern baumelten von den Bordwänden herab. Hasard enterte an der Spitze seines Trupps in aller Eile auf. Drüben auf dem schwarzen Schiff kletterte Siri-Tong gerade über das Schanzkleid der Kuhl und hastete zum Achterdeck, wo Juan sie erwartete.

Hasard lief zu Ben Brighton. Ben stand neben dem Ruderhaus und blickte durch sein Spektiv nach Nordwesten.

„Er hält weiter Kurs auf uns!“ rief Dan O’Flynn.

„Ist es wirklich ein Dreimaster, wie Sir John gesagt hat?“ wollte Hasard von Ben Brighton wissen.

Ben setzte den Kieker ab. „Ja. Eine große, prächtig gebaute Galeone. Sieh selbst.“ Er reichte ihm das Rohr.

Hasard nahm es entgegen, stürmte mit zwei Sätzen zum Achterdeck hoch und stellte sich ans Backbordschanzkleid. Die „Isabella“ lag mit dem Vorsteven nach Norden vor Anker. Von seinem Platz aus konnte der Seewolf aus der Bucht bis zu den vier kleineren Inseln blicken, die der großen im Nordosten vorgelagert waren.

Die Galeone war ein dunkler Schemen vor den Inselrücken und dem glutigen Sonnenball, der jetzt sehr tief über der See stand. Hasard war anfangs geblendet, gewöhnte sich dann aber rasch an das Licht.

Die Galeone steuerte genau auf die Ankerbucht zu.

„Wirklich ein schönes Schiff“, sagte Hasard. „Diese verschnörkelte Galion, die prunkvollen Heckaufbauten, die Art der Konstruktion, das kann nur ein Spanier sein. Aber er führt keine Nationalitätszeichen.“

„Er hat auch kein Holzkreuz unter dem Bugspriet baumeln“, meldete Dan O’Flynn aus dem Großmars.

„Irgend etwas stimmt da nicht“, sagte Hasard. „Wir zeigen natürlich auch keine Flagge. Damit geben wir ihm ebenfalls ein Rätsel auf, und er müßte schon ein Narr sein, wenn er uns direkt in die Fänge segelte.“

„Vielleicht ist er nicht ganz richtig im Kopf“, meinte Old O’Flynn. „Er müßte uns doch längst gesichtet haben.“

„Das hat er auch, du kannst Gift darauf nehmen“, sagte der Seewolf. Er steckte das Spektiv weg, trat an die Five-Rail und rief: „Ed, Schiff klar zum Gefecht!“

„Klar zum Gefecht – aye, aye, Sir!“

„Ben, Bug- und Heckanker lichten lassen.“

„Bug- und Heckanker lichten, Sir!“

Hasarf legte den Kopf in den Nakken. „Dan, du signalisierst zum schwarzen Schiff hinüber. Siri-Tong soll sich bereithalten, aber erst eingreifen, wenn ich ihr das Zeichen dazu gebe.“

„In Ordnung!“

Der schwarze Segler lag gut eine Kabellänge von der „Isabella“ entfernt und war damit außer Rufweite. Der besseren Manövrierfähigkeit wegen hatte es der Seewolf für richtiger gehalten, wenn sie in der geräumigen Bucht auf Distanz blieben.

Hasard spähte wieder zu der Galeone hinüber. Ihr Name war am Bug nicht zu lesen. Der Kapitän schien großen Wert darauf zu legen, anonym zu bleiben.

„Ben“, sagte Hasard. „Falls wir auslaufen müssen, halte ich es für das beste, wenn Siri-Tong uns den Rücken deckt. Die Galeone könnte Verbündete haben, die die Insel auf der Ostseite runden und dann versuchen, uns von achtern anzufallen.“

„Wir müssen auf alles gefaßt sein“, entgegnete Ben.

Ja, das müssen wir, dachte Hasard. Ruhig blickte er durchs Spektiv. Die Galeone lag hart am Nordost. Von ihrer Armierung war nicht viel zu erkennen, aber er nahm fest an, daß es sich um einen Kriegssegler handelte. Und solche Schiffe waren selten allein.

Auf der „Isabella“ war hektisches Leben – die Kanonen rollten rumpelnd aus, wurden in Ladestellung gezurrt und mit Pulver und Blei gefüllt. Bill, der Schiffsjunge, streute weisungsgemäß Sand auf dem Oberdeck aus, der Kutscher stellte Kübel und Pützen mit Seewasser zum Befeuchten der Wischer und zum Löschen möglicher Feuer bereit. Ein Teil der Crew hatte Handspaken in die Spille gesteckt und stemmte sich dagegen. Die Trossen bewegten sich knarrend, langsam schwebten die beiden Anker hoch. Carberry wetterte und war in seinem Element. Unter seinen geharnischten Flüchen und liebevollen Kosenamen hangelte eine kleine Gruppe Männer affengewandt in den Wanten hoch, um für die Segelmanöver bereit zu sein.

Als die fremde Galeone nur noch eine halbe Meile von der Küste der Insel entfernt war, waren die „Isabella“ und „Eiliger Drache“ für den Eventualfall gerüstet.

Hasard nahm wahr, wie drüben im Vormars des heranrauschenden Freimasters Fahnen geschwenkt wurden.

Dann rief Dan auch schon: „Er signalisiert! Wir sollen uns zu erkennen geben!“

„Die spanische Flagge hissen“, befahl Hasard. „Die des spanischen Königs mit den Wappenzeichen von Kastilien und León!“

Der bunt bestickte Stoff glitt in den Großtopp hoch und flatterte munter im Wind. Hasard verschränkte die Arme vor der Brust. „Jetzt muß er Farbe bekennen. Wir setzen ihm die Pistole auf die Brust. Setzt das Großsegel und die Fock, Männer, wir segeln mit Kurs Nordwest gemütlich aus der Bucht!“

Die „Isabella“ glitt auf die offene See hinaus, während Siri-Tong mit ihrem Schiff noch in der Bucht verharrte. Hasard spähte zu dem Fremden hinüber. Entpuppte der sich als echter Spanier, so hielt er, der Seewolf, immer noch einge Trümpfe in der Hinterhand. Er konnte sich und die meisten seiner Männer ruhigen Gewissens als „geborene Spanier“ ausgeben. Die Sprache des Feindes beherrschten sie alle fast, perfekt, und den Gegner auf diese Art zu täuschen, war auf der „Isabella“ schon fast so etwas wie eine Tradition.

Aber zu diesem Mittel brauchte Hasard nicht zu greifen. Es kam anders.

Die fremde Galeone fiel plötzlich ab und legte sich platt vor den Nordostwind. Sie präsentierte den Seewölfen ihre Backbordseite.

Hasard zählte die Stückpforten. „Zwölf“, sagte er. „Zwei Dutzend Geschütze führt unser Freund also, die Drehbassen oder Serpentinen nicht mitgerechnet. Eine kleine schwimmende Festung. Aber wer er ist, wissen wir immer noch nicht.“

Die Stückpforten der Galeone standen offen, die Mündungen der Kanonen schienen hämisch herauszugrinsen. Eine, die vorderste, spuckte plötzlich weißen Qualm aus. Er puffte hoch, das Geschoß heulte heran – Hasard und seine Männer gingen in Deckung.

Keine zehn Yards vor dem Bug der „Isabella“ stieg eine imposante Wassersäule hoch. Oben fächerte sie auseinander, dann fiel sie zischend in sich zusammen.

„Siebzehnpfünder!“ rief Al Conroy. „Da bin ich ganz sicher.“

„Und er hat Zielwasser getrunken, der Don!“ brüllte Carberry.

„Wer sagt dir denn, daß er ein Don ist, Ed?“ fragte Big Old Shane. Er stand unten auf der Kuhl dicht vor der Querwand des Achterkastells und hielt schon Pfeil und Bogen bereit. Wenn es zum Gefecht kam, wollte er schnell sein und wie der Wind in den Großmars aufentern.

„Ob Don oder nicht – den Arsch soll er sich versengen!“ brüllte der Profos.

„Er gibt sich immer noch nicht zu erkennen“, sagte der Seewolf.

Dan O’Flynn lehnte sich aus dem Großmars, legte die Hände als Schalltrichter an den Mund und rief: „Er luvt an und will mit Nordwestkurs an den Wind gehen und abhauen!“

„Das verstehe ich nicht“, sagte Ben Brighton. „Erst fordert er uns heraus, dann kneift er.“

Hasard antwortete noch nicht, er spähte weiterhin durch das Spektiv. Als er dann aber sah, wie die Galeone tatsächlich anluvte und davonzog, erwiderte er: „Vielleicht denkt er, daß er draußen auf See leichteres Spiel mit uns hat. Tun wir ihm den Gefallen. Nehmen wir die Verfolgung auf.“

Er brauchte den Kurs um keinen Strich zu korrigieren. Während die Galeone ihnen das reich mit Ornamenten geschmückte Heck zuwandte, behielt Hasard strikt die Richtung bei und steuerte auf ihr Kielwasser zu.

Er wollte es jetzt genau wissen.

Was führte dieser geheimnisvolle Fremde im Schilde?

Ferris Tucker, der auf der Kuhl beim Laden und Richten der Geschütze mitgeholfen hatte, stieg gerade wieder aufs Achterdeck und wandte sich den beiden Drehbassen zu.

„Ferris!“ rief Hasard ihm zu. „Gib ein Signal an Siri-Tong. Sie soll noch in der Bucht bleiben.“

Ferris zeigte klar, und der Seewolf drehte sich zur Kuhl hin. „Ed, Vollzeug setzen!“

„Aye, Sir!“

Die Crew löste die Reffleinen von Großmars-, Vormars- und Kreuzsegel, und auch die Blinde unter dem Bugspriet wurde nun gesetzt. Mit prallem Zeug lag die „Isabella“ am Wind und krängte leicht nach Backbord. Ihr Bug teilte die See wie ein Pflug, sie nahm mehr und mehr Fahrt auf.

Die Jagd hatte begonnen.

„Ein schönes Schiff“, sagte Hasard noch einmal, als er erneut zu dem Unbekannten blickte. „Aber abhängen kann es uns nicht.“

Die Sonne stand als blutroter Riesenball tief über der Wasserfläche, als sie die große Insel passiert hatten. Jetzt geschah etwas Merkwürdiges. Der fremde Kapitän ging mit seinem Schiff durch den Wind und segelte nach Südosten. Auf diese Weise fuhr er genau in die Passage, die sich zwischen der großen Insel und ihren nördlichen Nachbarn ausdehnte.

Hasard war gezwungen, es ihm nachzutun. Für kurze Zeit lagen die Schiffe sich gegenüber, und er rechnete damit, daß die Galeone nun das Feuer eröffnete. Aber er hatte sich getäuscht.

Stumm zog das fremde Schiff bis dicht unter die nördliche Landzunge der großen, paradiesischen Insel. Dann ging sie wieder durch den Wind und steuerte nach Nordwesten.

„Überstag“, befahl Hasard. „Wir versuchen, ihm den Weg abzuschneiden!“

Wieder setzte die flinke Betriebsamkeit der Männer ein. Die „Isabella“ war kein behäbiger Kahn, sondern ein schneller, gewandter Segler unter ihren kundigen Griffen, der mit den Fluten verwachsen zu sein schien.

Fast gelang es dem Seewolf, den Geheimnisvollen zu erreichen. Nur ganz knapp rauschte dieser an ihm vorbei.

„Wir könnten ihm zwei Drehbassenschüsse verpassen!“ rief Old Donegal Daniel O’Flynn.

Hasard schüttelte den Kopf. „Du kennst doch meine Prinzipien. Er muß uns herausfordern.“

„Das hat er doch schon getan.“

„Das genügt nicht. Er muß das Feuer voll eröffnen, dann antworten wir“, sagte Hasard.

Der Alte knirschte mit den Zähnen und schnaubte durch die Nase. Er bezwang sich aber, noch etwas zu äußern. Gegen den Seewolf kannst du nicht anstinken, sagte er sich im stillen.

Wieder schwiegen die Kanonen auf dem anderen Schiff. Es glitt davon. Die Seewölfe hatten die Gelegenheit, es sich genau anzuschauen.

„Da ist keiner an Bord“, erklärte Matt Davies dumpf. „Das ist ein Geisterkahn, sag ich euch.“

„Abergläubisch?“ Gary Andrews lachte auf. „Mann, die Besatzung hält sich absichtlich versteckt. Die will uns foppen und zum Narren halten.“

„Aber warum?“ fragte Matt.

Carberry stand breitbeinig hinter ihm und brummte: „Das ist doch klar wie die Brühe, die der Kutscher kocht. Die Halunken da drüben denken, wenn sie uns erst genügend verwirrt haben, können sie uns übertölpeln.“

Hasard ließ wieder anluven und führte die Jagd hart am Wind weiter fort. Gespannt blickten er und seine Männer der Galeone nach – wie sie im Einsetzen der Dämmerung die am weitestens östlich liegende Nachbarinsel erreichte und das Ostufer rundete.

Plötzlich war sie verschwunden.

Hasard folgte ihrem Kurs genau. Das Inselufer glitt an Backbord dahin, wölbte sich weiter von der „Isabella“ fort und gab den Blick auf die weiter nördlich liegenden Zonen frei.

Aber das fremde Schiff war wie von der See verschluckt.

„Ich hab’s ja geahnt“, stieß Matt Davies betroffen hervor. „Hier spukt’s.“

Seewölfe Paket 6

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