Читать книгу Seewölfe Paket 10 - Roy Palmer, Burt Frederick - Страница 44
7.
ОглавлениеAuf dem Wrack konnte sich niemand mehr auf den Beinen halten. Alles war kurz und klein geschlagen worden, an jeder Stelle standen zerfetzte Planken heraus.
Sinona scheuchte die Männer an den Strand und war beunruhigt, daß es nur noch so wenige waren.
„Sie nehmen einen Mann mit, Profos!“ befahl er. „Suchen Sie alle Räume ab. Wenn Sie Verletzte finden, bringen Sie die Männer an den Strand.“
„Was tun wir mit den Toten?“ fragte der Profos.
„Darum kümmern wir uns morgen. Wir beziehen vorerst die Hütten der Eingeborenen, das bietet sich geradezu an. Da haben wir vorerst Unterkünfte.“
Der Profos verschwand, um die Räume abzusuchen.
Sinona ließ Musketen, Pistolen und ein paar Fässer mit Pulver zusammentragen. Aber die meisten Fässer waren angeschlagen, und Seewasser hatte den Inhalt unbrauchbar werden lassen.
Der Mond schien jetzt wieder, die rauhe See hatte sich beruhigt bis auf die Brandung, die immer noch über die Korallen rollte und sich schäumend am Strand brach.
„Sind das alle Männer, Profos?“ fragte der Capitano entsetzt, als er das halbe Dutzend Verwundeter sah.
„Ja, viele sind tot, über Bord gegangen oder verschwunden. Vielleicht finden sich im Laufe der Nacht noch einige ein. Insgesamt dürften wir höchstens noch fünfzig Leute sein, vermutlich aber ein paar weniger.“
„Und Sie haben überall nachgesehen?“ vergewisserte sich Sinona eindringlich.
„Überall, Senor.“ Der angeschlagene Profos hob müde die breiten Schultern.
Am Strand fanden sie im Sand liegend einen weiteren Mann. Es war Fusté, der erste Offizier.
In Sinonas Gesicht zuckte es, als er den Mann sah.
„Sehen Sie nach, ob er noch lebt“, sagte er.
„Bewußtlos“, stellte der Profos fest. „Ich bringe ihn in eine der Hütten.“
Sinona gab keine Antwort. Er sah den Verletzten auch nicht an, als der stöhnte und etwas murmelte.
Er gab dem Ersten die alleinige Schuld an dem ganzen Unglück, denn nur durch seinen navigatorischen Fehler waren sie vom Kurs abgekommen und hatten die richtige Insel verfehlt. Bei Tagesanbruch hätten sie die tödliche Korallenbank sicherlich gesehen und wären nicht aufgelaufen.
Es lag also an der Zeit, die sie durch Fusté versäumt hatten, sinnierte er.
Das Wrack lag wie ein großes Gespenst am Strand. Immer noch ächzte und stöhnte das gemarterte Holz, immer noch knackten Planken, knisterte es bedrohlich.
Sinona sah sich nach allen Seiten um. Er hatte sich zwei Pistolen in den Hosenbund gesteckt und schärfte den Männern noch einmal ein, nach Insulanern Ausschau zu halten.
„Wenn sie uns jetzt angreifen, können wir uns kaum zur Wehr setzen“, sagte er. „Sie können uns aus dem Hinterhalt abknallen wie die Hasen. Kontrolliert eure Pistolen, sonst sind wir erledigt.“
So sehr sie auch Ausschau hielten, von den Insulanern ließ sich keiner blikken.
Die ersten Männer verschwanden in den Hütten, aßen gierig alles, was sie vorfanden und legten sich dann auf die Matten.
Aber der Profos trieb sie wieder ins Freie.
„Erst wird gearbeitet!“ schrie er. „Und dann gepennt und nicht umgekehrt. Wir holen das vom Schiff, was noch zu gebrauchen ist. Tobt noch einmal so ein Unwetter heute nacht, dann sind wir sogar die Trümmer von dem Wrack los. Los, ihr faulen Hunde, raus mit euch, sonst erlebt ihr die Hölle!“
Murrend gingen die meisten an die Arbeit. Sie waren immer noch ausgepumpt und verängstigt von dem eben ausgestandenen Schrecken, dazu saß ihnen die Angst vor den Insulanern in den Knochen, die jeden Augenblick aus dem Hinterhalt auftauchen und zuschlagen konnten.
Sinona ließ Wachen aufstellen, und dann wurde geschuftet.
„Glaubt ja nicht, daß ihr euch von nun an ausruhen könnt“, sagte er. „Wir haben zwar kein Schiff mehr, aber wir haben noch die Geräte, und damit werden wir gleich anfangen zu arbeiten. Bis die ‚Patria‘ hier ist, haben wir sämtliche Brotfrüchte ausgegraben.“
Er ließ die Verletzten provisorisch behandeln und trieb die Leute zur Eile an.
Erst viel später durften sich die ersten Männer ausruhen und in die Hütten legen. Dann, kurz vor dem Morgengrauen, wurden sie wieder hochgepurrt.
Der erste Blick galt ihrem Schiff, aber das war längst kein Schiff mehr, nur noch ein trauriger Holzhaufen lag auf dem Sand.
Der Anblick war schrecklich genug.
Am Horizont erschien wie aus dem Meer gezaubert das Flammenrad der Sonne und schickte goldene, rote und gelbe Strahlen über das wieder ruhige Wasser. Der Himmel färbte sich tiefblau.
Es kam ihnen allen unwirklich vor, aber das Wrack erinnerte sie überdeutlich an die vergangene Nacht voller Schrecken.
Es hockte dick und plump wie ein totes Tier auf dem Sand und lag auf der Seite, aufgerissen, zerfetzt, kaputt. Die zersplitterten Masten ragten in den fast weißen Sand, und in der Nähe war der Strand voller Unrat und Treibgut.
Zerplatzte Kisten, aufgesprungene Fässer, Balken, Planken, Rahen und Spieren lagen in einem wüsten Haufen durcheinander.
Zwei Tote hatte das Meer angeschwemmt, die inmitten der vielen Trümmer lagen.
Ein weiterer Toter hing im Mast und hatte sich dort verkrallt. Es war ein Seesoldat, wie Sinona an der Uniform erkannte. Diesen Toten dort herunterzuholen, würde schon schwierig werden.
Anfangs standen sie alle stumm um das Wrack herum, starrten es an und schüttelten die Köpfe.
Sinona sah sie der Reihe nach an.
„Das war sie also, die ‚Kap Hoorn‘“, sagte er mit hohler Stimme. „Ein einziges Beiboot ist noch geblieben, es scheint heil zu sein.“
Er blickte den Schiffszimmermann fragend an, und der verstand die unausgesprochene Frage auch sofort.
Er schüttelte resigniert den Kopf.
„Bei Tage sieht es noch schlimmer aus“, sagte er. „Man kann hier nicht mehr von Schäden sprechen. Selbst mit hundert Mann läßt sich da nichts mehr reparieren, Senor Capitano.“
„Ja, unnötig, noch ein Wort darüber zu verlieren“, sagte Sinona. „Holt die Toten zusammen und begrabt sie da hinten in der Nähe des Dickichts. Dann wird alles geborgen, was noch brauchbar ist. Anschließend leisten wir die Vorarbeit für die ‚Patria‘ und die anderen Schiffe, die noch eintreffen werden. Ich weiß nicht, wie viele es insgesamt sind, denn jedes Schiff kann nur immer eine kleine Menge dieser Pflanzen mitnehmen.“
Die Arbeit ging weiter.
Die Toten wurden beigesetzt, brauchbare Gegenstände von Bord geholt und am Strand bei den Hütten gelagert.
Den Mann am Mast kriegten sie allerdings nicht herunter, ohne sich selbst zu gefährden, und so blieb er vorerst dort hängen und würde später beigesetzt werden.
Zwei Spanier, die die Umgebung erkundet hatten, meldeten sich etwas später bei Sinona.
„Wir haben Pflanzen gefunden, Senor Capitano“, berichtete der eine. „Die Insulaner haben eine kleine Plantage angelegt, und hinter den Hütten stehen noch weitere Brotfruchtbäume.“
„Sehr gut. Wir werden gleich damit beginnen. Wie hoch sind die Brotfrüchte?“
„Etwa mannshoch.“
„Insulaner gesehen?“ fragte Sinona.
Alle beide verneinten.
„Keinen einzigen. Sie müssen sich entweder in die Berge oder auf einen anderen Teil der Insel zurückgezogen haben.“
„Noch besser. Paßt trotzdem gut auf, die meisten Insulaner sind heimtükkisch und hinterhältig.“
Sinona wandte sich ab und kontrollierte die Leute, als ihn ein Ruf zusammenzucken ließ.
„Segel am Horizont!“ schrie ein Mann, der einen Hügel erklommen hatte und von dort aus Aussicht hielt.
„Das ging ja schneller, als erwartet“, sagte Sinona.
Die Aussicht, hier auf lange Zeit festzusitzen, war damit beendet.
Er rieb sich die Hände und stieg selbst in den Hügel, um sich das Schiff anzusehen.
Als er wieder zurückkehrte, war sein Gesicht ernst.
„Das ist nicht die ‚Patria‘“, sagte er entschieden, „dieses Schiff ist viel schlanker, aber es muß ein Spanier sein.“
„Und wenn es doch keiner ist?“ fragte der Profos. „Diese Möglichkeit müssen wir auch in Betracht ziehen.“
„Vielen Dank, Profos, daß Sie für mich gleich mitüberlegen“, antwortete Sinona sarkastisch. „Bewaffnet euch, unterbrecht die Arbeit, damit es keine Überraschung gibt. Bringt das geborgene Zeug hinter die Hütten.“
„Sieht aus, als wenn er an der Insel vorbeiläuft“, sagte der Profos nachdenklich. „Er hat nicht genauen Kurs auf uns.“
„Das kann er auch kaum. Aber er wird uns suchen, wenn es einer von uns ist, und er wird uns auch finden.“
Aber es sah wirklich nicht so aus, als laufe das Schiff diese Stelle an.
Ferris Tucker hatte noch ein paar alte Planken, die in Stücke gesägt worden waren, um eventuelle Lecks abzudichten.
Diese Bretter hatte er an Deck geholt und über die Kuhlgräting gelegt.
Vor ihm stand ein Fäßchen mit langen Nägeln, in das er immer wieder hineingriff. Er holte einen Nagel heraus, setzte ihn auf das Stück Planke und trieb ihn mit dem Hammer so tief hinein, daß er auf der anderen Seite weit herausragte.
Der alte O’Flynn stand seit einer ganzen Weile daneben und schaute verständnislos zu, wenn Ferris einen Nagel nach dem anderen in die Bretterstükke trieb.
Eins der Stücke war bereits über und über mit Nägeln gespickt.
Old O’Flynn hatte schon ein paarmal angesetzt, um seine Frage endlich loszuwerden, aber er traute sich nicht, obwohl er nicht den geringsten Sinn in der Nagelei sah.
Fragte er den rothaarigen Schiffszimmermann direkt, dann kriegt er eine blöde Antwort, das war sicher, fragte er aber nicht, dann erfuhr er auch nicht, was das alles sollte.
Also blieb er weiterhin dicht daneben stehen und wartete ab.
Ferris Tucker hämmerte gleichmütig weiter und grinste sich eins, weil er ganz genau wußte, daß Donegal vor Neugier fast platzte. Aber er tat so, als bemerke er das nicht.
Schließlich hielt der Alte es nicht mehr aus.
„Nett sieht das aus“, sagte er.
„Ja, ganz nett“, sagte Ferris Tucker ernst.
„Wie viele Nägel müssen denn in so ein Brett?“
„Hundert ungefähr, ist doch klar.“
„Ja, richtig, hundert“, sagte Old O’Flynn und bemühte sich verzweifelt, das Gespräch nicht versiegen zu lassen.
„Fünfzig müßten doch auch langen, oder nicht?“ fragte er.
Ferris nickte zustimmend.
„Hundert sind aber besser, das weißt du doch genausogut wie jeder andere an Bord auch.“
„Ja, klar“, sagte Old O’Flynn, der überhaupt nichts wußte.
Ferris hatte jetzt zwei lange Stükke fertig, strich vorsichtig mit der Hand über die spitzen Nägel und nickte zufrieden.
„Ja, genau richtig“, sagte er und reichte Donegal das eine. „Findest du nicht auch, Donegal?“
Der alte und äußerst mißtrauische O’Flynn nahm das Brett argwöhnisch in die Hand und nickte schließlich auch.
„Ja, so ist es in Ordnung“, sagte er. „Wo soll es hin?“
„Ach“, sagte Ferris gleichmütig, „ich werde es schon verwahren, heute brauchen wir sie ja doch nicht mehr, oder?“
„Ich glaube nicht.“
Der Alte wurde immer fuchtiger, aber schließlich griff er zu einer List, wie er meinte.
„Merkwürdig, daß einem manchmal eine einfache Bezeichnung nicht mehr einfällt, Ferris. Jetzt habe ich doch glatt vergessen, wie die Dinger heißen.“
„Das fällt dir später wieder ein“, versicherte Ferris freundlich. „Du mußt nur immer darüber nachdenken.“
„Tu ich doch die ganze Zeit“, fluchte Donegal. „Aber es fällt mir trotzdem nicht ein.“
Ferris klopfte dem Alten auf die Schulter und grinste infam. „Denk doch nur daran, wozu die Dinger gebraucht werden, dann weißt du es wieder.“
Jetzt war O’Flynn so schlau wie am Anfang, und er stieß einen ellenlangen Fluch aus.
„Jedenfalls wird es nicht oft gebraucht, du rothaariger Holzwurm!“ rief er. „Und die verdammte Nagelei gibt überhaupt keinen Sinn, damit willst du mich nur ärgern.“
Gleichzeitig fiel ihm aber auch ein, daß Ferris nie etwas tat, das keinen Sinn ergab, und daß er keinesfalls die Bretter voller Nägel schlug, um ihn persönlich zu ärgern. Also steckte doch etwas dahinter, und das wollte dieser lausige Zimmermann nur nicht zugeben.
Zum Glück erschien der Profos, blieb stehen und starrte auf die gespickten Holzbretter.
„Was ist das denn?“ fragte er stirnrunzelnd.
„Das will Donegal auch dauernd wissen“, sagte Ferris. „Das sind Bretter mit Nägeln drin.“
Der Profos stemmte die Arme in die Seiten. Sein Blick wurde düster und drohend.
„Das sehe ich selbst“, knurrte er. „Wie heißen die Dinger denn?“
Jetzt muß er Farbe bekennen, dachte Old O’Flynn und rieb sich die Hände.
„Nagelbretter“, gab Ferris bereitwillig Auskunft und zwinkerte seinem Freund Carberry unauffällig zu.
Der Profos hatte kapiert und nickte wieder. Er sah, daß Old O’Flynn vor Ärger fast grün im Gesicht wurde, und grinste.
„Klar, hatte ich ganz vergessen“, sagte er und ging weiter.
„Old O’Flynn raufte sich fast die paar Harre, die er noch hatte.
„Verdammt!“ rief er. „Nun sage mir doch endlich den richtigen Namen, Ferris! Daß das Nagelbretter sind, sieht jeder Idiot. Aber wie heißen sie, oder wie nennt man sie?“
„Man nennt sie Piratenschuhe“, sagte Ferris. „Und jetzt hör endlich auf, mir Löcher in den Bauch zu fragen, und behaupte nur nicht, daß du nicht weißt, wozu man Piratenschuhe braucht.“
Da drehte sich der Alte grimmig um, maß Ferris vorher noch mit einem galligen Blick und verzog sich aufs Achterkastell. Unterwegs beleidigte er lautstark die unschuldigen Ahnen von Ferris Tucker und brummelte, daß sie sich vor kurzem noch mit Bananen beworfen hätten.
„Land, zwei Strich Steuerbord voraus!“ rief Jeff Bowie aus dem Großmars. Er lehnte sich über die Segeltuchverkleidung und zeigte mit der ausgestreckten Hand in jene Richtung, wo ein kaum merklicher Strich am fernen Horizont zu sehen war.
Auf der Kuhl und dem Quarterdeck, wo gerade das Holz mit einer dünnen Mixtur aus Leinöl und Lack getränkt wurde, unterbrachen die Seewölfe ihre Arbeit und rieben sich die Hände.
„Dann steht uns ja einiges bevor“, sagte Blacky. „Hoffentlich ist dieser Brotfruchtklauer noch da, damit wir ihm ordentlich auf die Flossen klopfen können. Ich habe schon lange keinen Spanier mehr zwischen den Fäusten gehabt.“
„Denen ihre Klüsen möchte ich sehen, wenn sie merken, wen sie vor sich haben“, meinte Bill. „Aber der Seewolf hat noch nicht gesagt, was er denn eigentlich unternehmen will.“
„Das wirst du schon früh genug merken“, sagte Matt Davies und kratzte sich mit seiner Hakenprothese den Hals. „Das ergibt meist die Situation selbst, das kann man vorher noch nicht so genau wissen. Aber die Burschen kriegen eins auf die Helme, verlaß dich darauf!“
Der Seewolf selbst sah diesen schmalen Landstrich jetzt ebenfalls schon ohne Spektiv.
„Ja, das müßte die gesuchte Insel sein“, sagte er zu Ben Brighton.
Ben blickte am Besan vorbei auf den dunklen Strich. „Eine Insel ist es jedenfalls, kein Festland. Nur gibt es den Karten nach dort mehrere Inseln.“
„Kein Problem, die richtige zu finden“, sagte Hasard. „Die spanischen Galeonen entdecken wir auf jeden Fall, und wenn wir eine Bucht nach der anderen absuchen. Sie entgehen uns nicht.“
Ben stellte dem Seewolf die gleiche Frage, die der Moses auch schon den anderen gestellt hatte.
„Wie wollen wir vorgehen?“ fragte er. „Hast du schon ein bestimmtes Konzept entwickelt?“
„Bisher noch nicht“, gab Hasard zu. „Wir haben nur ein paar Fakten von dem Don erhalten. Wir wissen, daß die ‚Kap Hoorn‘ sich dort aufhält, daß noch ein paar andere Spanier unterwegs sind und sie den Insulanern mit Gewalt die Brotfrucht wegnehmen wollen, um sie woanders anzubauen. Ganz abgesehen davon, daß es eine hundsgemeine Lumperei ist, bleibt zu fragen, ob das alles einen Sinn ergibt. Vielleicht wächst die Brotfrucht auf anderen Inseln gar nicht an oder gedeiht nicht weiter.“
„Das ist natürlich möglich. Wir wissen aber noch, daß die Dons die Insulaner bekehren wollen, und das sind doch genügend Anhaltspunkte, um gezielt vorzugehen.“
„Erstens kommt es anders“, sagte Hasard, „und zweitens ist das meist der Fall. Wir können diesen Vorfall nicht mit der Armada gleichsetzen, wo man nur nach einem gewissen Schema vorgehen konnte. Hier sieht alles ganz anders aus, wir warten ab und benehmen uns so, als wären wir ebenfalls Dons. Wie sich das entwikkelt, werden wir früher oder später schon merken.“
Ben Brighton, der mitunter erst den richtigen Anlauf brauchte, um Fahrt draufzukriegen, sah das ein. Ihm selbst wäre ein Vorgehen nach Plan leichter gefallen, er konnte nicht so schnell improvisieren wie der Seewolf, aber Hasard hatte recht: Es lag immer an der jeweiligen Situation und ihrer Entwicklung. Ihm würde im entscheidenden Augenblick schon das richtige einfallen, und bisher hatten sie die Spanier immer noch überlistet.
Als die Insel größer wurde, griff Hasard zum Spektiv.
Die Vergrößerung zeigte vor der Insel eine leichte Brandung, die sanft an den Strand rollte. Dahinter standen in unregelmäßigen Abständen schlanke, vom Wind gebogene Palmen. Danach gab es einen dunkelgrünen Streifen Dickicht, an den sich dicht bewachsene Hügel anschlossen, die allmählich in hohe, bewaldete Berge übergingen. Größtenteils waren die Berge so dicht bewachsen, daß man nicht einmal das darunter befindliche Gestein erkannte.
Hasard erkannte den Einschnitt einer Bucht mit ebenfalls hohen Palmen, aber er sah keine Hütten.
„Mastspitzen?“ fragte Ben Brighton hoffnungsvoll.
Der Seewolf gab seinem ersten Offizier das Spektiv und schüttelte dann den Kopf.
„Keine Mastspitzen, nichts zu sehen. Es hat den Anschein, als wäre der vorausliegende Teil der Insel unbewohnt.“
„Nun, sie scheint ja ziemlich groß zu sein“, meinte Ben. „Auf der Steuerbordseite liegt wieder eine Bucht, und die scheint in eine weitere überzugehen.“
Hasard wartete noch ein paar Minuten, bis sich die „Isabella“ noch näher an die Insel herangeschoben hatte.
Aber auch dann zeigten sich keine Mastspitzen, und Hütten tauchten ebenfalls nicht auf.
Er wandte sich an den Rudergänger Pete Ballie.
„Wir laufen an der äußeren Bucht dicht vorbei, Pete. Gehe nicht zu dicht an Land, hier gibt es verdammt viel Korallenbänke.“
„Aye, aye, Sir. Da vorn sieht man schon einen Wirbel im Wasser.“
Hasard legte die Hände an den Mund und rief zu Jeff Bowie hoch: „Jeff! Scharf aufpassen auf Untiefen und Korallenriffs!“
„Verstanden, Sir!“ klang es zurück.
Pete Ballie änderte leicht den Kurs, und der Profos ließ Segel nachtrimmen, wobei er die Arbeit wieder mit seinen Lieblingssprüchen kräftig würzte.
An Backbord zeigte sich jetzt ein fast hellgrüner Ring im Wasser. Ein kleines Atoll war es, kreisförmig mit bunten Korallen, die bis zur Meeresoberfläche wuchsen. Die scharfen Grate ließen sich in dem klaren Wasser einwandfrei erkennen.
Wer hier aufbrummte, etwa bei Nacht, überlegte Hasard, dem würden die messerscharfen Korallen den Rumpf von achtern bis vorn aufschlitzen. Da wurde jede Reparatur überflüssig.
Etwas später war die Insel klar und in allen Einzelheiten mit dem bloßen Auge zu erkennen.
Ein typisches Bild aus der Südsee bot sich den Männern, wie von einem Künstler gemalt.
Palmen, wohin das Auge blickte. Vereinzelt oder in Gruppen, dann wieder dichte Palmenwälder, so standen sie da. Oder vereinzelte Palmen ganz dicht am Strand, vom Wind in bizarre Form gedrückt, fast mit dem schlanken Stamm im Sand liegend, nur der mächtige Wedel hatte sich stolz erhoben und reckte sich der Sonne entgegen.
Dazwischen gab es meilenlange Strände, Sand von blendendem Weiß, dunkelgrünes Dickicht mit sanft ansteigenden Bergen.
Tahiti, eine der Perlen unter den Inseln der Südsee, von feuchtwarmem Seeklima umschmeichelt, noch im Bereich des Südostpassats liegend, bot sie sich den Seewölfen dar wie ein Traum, wie etwas, das nicht mal in der Vorstellung existierte.
„Ein liebliches Eiland“, sagte sogar der alte O’Flynn schwärmerisch. „Eine Insel zum Verlieben. Hier sollte man seine alten Tage verbringen, sich ein kleines Boot bauen, jeden Tag zum Fischen hinausfahren und sich um nichts kümmern.“
Edwin Carberry, der keine schwärmerische Ader hatte, grinste nur.
„Wir werden daran denken, Donegal“, sagte er. „Hasard schenkt dir bestimmt das eine Beiboot, wenn du versprichst, hier auf der Insel zu bleiben, dich jeden Tag mit Brotfrüchten vollzustopfen und zum Fischen fährst. Du kannst also schon deinen Krempel zusammenpacken. In welcher Bucht sollen wir dich absetzen?“
Der Alte funkelte ihn gallig an. „Du verstehst wohl überhaupt keinen Spaß, du narbiger Seeigel, was? Das ist doch nur ein Traum! Man muß doch etwas haben, an dem man sich festhält.“
„Du kannst dich gleich an der Nagelbank festhalten, und das gilt auch für die anderen abgehangenen Stockfische, oder merkt ihr nicht, daß wir den Kurs ändern, was, wie, ihr verlausten Kanalratten? Sollen mir erst die Segel auf den Kopf fallen! Hoffentlich seid ihr gleich an Schoten und Brassen.“
„Heute dreht der gute Ed aber wieder mächtig auf“, sagte Blacky. „Dem muß der Anblick dieser Insel in den Kopf gestiegen sein.“
Der schwarze Mann aus Gambia, der Riese Batuti, nickte fröhlich.
„Profos immer fluchen. Sehen kaltes Land, fluchen, sehen warmes Land, auch immer fluchen. Was muß sein für Land, wenn Profos nicht fluchen?“
„Ha, der flucht noch im Magen eines Haies weiter, wenn ihn mal einer fressen sollte“, versicherte Blacky. „Und wenn er mal in der Hölle landet, näht ihm der Teufel persönlich das Maul zu mit vierzig Yards langen Trossen und zwanzig Rollen Kabelgarn.“
Zum Glück hörte der Profos die Übertreibungen nicht, und zur eigenen Sicherheit hatte Blacky auch ziemlich leise gesprochen.
Wieder wurde nachgetrimmt, und als die Nagelbänke klariert waren, gingen Big Old Shane und der Waffen- und Stückmeister Al Conroy daran, die Culverinen und Drehbassen zu kontrollieren, wie es üblich war, wenn sie eine fremde Insel anliefen, auf der man vor Überraschungen nicht sicher war.
„Deck!“ schrie der Ausguck plötzlich. „Ein Wrack in der Bucht! Am Strand stehen Hütten!“
„Kannst du Leute erkennen, Jeff?“ rief der Seewolf zurück.
„Keine Menschenseele, Sir! Alles still!“
Hasard und Ben Brighton sahen sich an.
„Ein Wrack in der Bucht?“ fragte Ben leise. „Das finde ich merkwürdig. Und dabei noch die Hütten der Insulaner! Was mag das wohl zu bedeuten haben?“
Hasard hob die Schultern. „Das wird sich gleich herausstellen. Wir laufen diese Bucht an und gehen vor Anker. Wir werden uns das ansehen.“
Etwas später hatte die „Isabella“ den langen Landvorsprung gerundet und lief in die Bucht ein.
Deutlich zeichnete sich ein riesiges Riff im Wasser ab. Nadelscharfe Korallen reckten sich knapp aus dem Wasser, das an dieser Stelle wilde, quirlende Wirbel bildete.
Das Riff zog sich auf fast der halben Strandlänge hin.
Weit hinter dem Riff, direkt auf dem weißen Sand, lag das Wrack.
„Eine spanische Galeone“, sagte Ferris Tucker. „Die hat es aber mächtig erwischt, da ist nicht mehr viel heil geblieben.“
„Glotzen könnt ihr nachher!“ schrie Carberry. „Jetzt geht’s wieder an die Arbeit, ihr verlausten Seesterne!“
Pete Ballie segelte die „Isabella“ in respektvoller Entfernung an dem langen Korallenriff vorbei.
Die restlichen Segel wurden aufgegeit und der Anker gesetzt.
Nach einer Weile lag die „Isabella“ fast ruhig im Wasser.
Die Seewölfe blickten zu den Hütten.
Niemand ließ sich blicken. Es sah so aus, als sei das Paradies fluchtartig verlassen worden.