Читать книгу Der Satansgedanke - Rudolf Hans Bartsch - Страница 4
ОглавлениеDas war am Hoch- und Domstift Salzburg. Mitten aus der erregten Studentenmenge puffte sich ein wunderlicher Junge heraus, so sehr ihn die andern zu halten versuchten. „Laßt mich allein, sag’ ich!“
Als er ging, hörte er gar wohl, daß es hieß: „Armer Querschädel!“ Er zuckte die Schultern. „Bertel, Bertel Stainer?“ rief ihm noch einmal einer nach. Er hörte gar nicht mehr hin; es riß ihn zu mächtig in Einsamkeit und in freie Höhe, und er rannte den steilen Festungsweg zur Bischofsburg hinauf. Droben war er dem Untersberge, dem Tännengebirge gegenüber. Schneeeinsamkeit, gewaltige Verschwiegenheit, unnahbare Höhenweiten. Danach war ihm selber zumut. Er hätte auffliegen mögen, um bloß droben mit den Wolken allein zu sein. Nur nicht mehr unter Menschen!
Ungeheures war ihm nahe.
Doktor Johannes Faustus selber war nach Salzburg gekommen, um den Philippum Paracelsum aufzusuchen, wie es hieß. Und man hatte die beiden schon zusammen gesehen. Da turbulierte es unter dem jungen Blute. Die ganze Studentenschaft versammelte sich; sogar die wenigen frommen und gläubigen Kleriker, welche es damals noch in Salzburg gab, waren mit verschreckten Mienen herzugeeilt. Schon daß der Philipp von Hohenheim, der Aureolus Theophrastus Bombastus Paracelsus, wie er sich prahlend nannte, der gottlose Spötter, fürstbischöflichen Schutzes und reicher Belohnung genoß, machte den christgläubigen Seelen bange. Es war nicht geheuer damals in Salzburg. Der die fürstliche Tiara trug, der erste Kirchengewaltige nach dem Papste, er hatte nicht einmal die Priesterweihe genommen, weigerte sich ihrer auch beharrlich und man konnte ihn, weil er der Bruder des Bayernfürsten war, nicht gut maßregeln.
So sah es für die wenigen stillen Gläubigen damals aus, als begänne nun in Wahrheit das Reich des Antichrist im Schutze des Krummstabes des heiligen Rupprecht.
Paracelsus war verhaßt und gemieden; abergläubisch tuschelte das Volk dem bleichen Männlein mit den schwermütig mißtrauischen Augen nach. Aber er konnte gesund machen und er konnte Gold machen. So ließ man ihn beiläufig in Ruhe. Auch glaubte er noch halberwege an Gott, Doktor Johann Faustus aber bekannte sich offenkundig zur schwarzen Magie, die man dem Paracelso nur insgeheim zutraute. Sogar die ketzerischen Wittenberger Seelenhirten hatten Acht und Aberacht über ihn geschrien. Evangelischer und Katholik hatte ihm abgesagt und nur gottloses oder verbrecherisch neugieriges Gesindel mehr lief dem Unheimlichen nach, der sich dem Teufel lachend übergeben und verschrieben hatte und ihn seinen Schwager nannte.
„Denn des Teufels Schwester ist die sündige Schönheit.“
Sympert Stainer hatte noch das wirre Durcheinanderfragen in den Ohren: „Wie sieht er aus?“ „Was hat er an?“ „Kann er keinem Menschen in die Augen sehn, wie man sagt?“ — „Wehe dem, den er aber ansieht!“
„Wie sieht er aus?“ Stainer hörte noch, daß ein kleiner Kerl plötzlich gemacht hatte: „Pssst!“ Und Alle waren zusammengeschrocken, weil sie glaubten, der Schwarzrote stünde hinter ihnen. Aber der kleine Student sagte ihnen, man dürfe von Faustens Äußerm nicht laut reden: „Das nimmt er euch gewaltig übel. Und sorgt dann nur um eure Häls’!“
„Warum, warum?“
„Wißt ihr nicht die Geschicht’ aus Schwäbischhall? Wo er ganz unerkannt und verhohlen gelebt, weil ihm die Wittenberger Pfaffen an Leib und Leben gewollt? Kein Mensch hätt’s erraten sollen, daß der beschriene Magus im Städtel wär! Wie aber die dortigen Salzknappen, ein hohnvoll und übermütig Volk, das keine Seel in Ruh ihrer Weg ziehen läßt, ihm wegen seiner kleinen und höckrigen Gestalt nachgespottet haben, „Äsop, Äsop,“ da hat er ihnen aus dem Flußwasser einen Feuerteufel herauszitieret; — auf grauslichste Weis’ hat er’s getan! Hat in seiner Wut die Hosen heruntergerissen — —“
„Still,“ rief ein Anderer. Aber es war diesmal nur Theophrast Paracelsus, der an der Hochschule vorüber nach der Residenz ging, wo er zu einer alchymistischen Sitzung befohlen war. Die Studenten verhielten sich sehr, solange der kleine, blasse Mann in Hörweite war. Er warf aus seinen sonst unsagbar traurigen und vorwurfsvollen Augen nur einen mürrischen Blick nach der Seite hin, wo das Rudel aufgeregter junger Leute zusammenstand; den Kopf hielt er aber geradaus und ziemlich geneigt. Aber mit den Augen sah er nach der Seite hin; — mahnend? Oder prüfend? Ein Blick, ahnungsvoll klug wie der eines Kindes, oder eines Tieres, und ebenso geängstet, ging allen durchs Innerste.
Als Paracelsus vorüber war, ging das Tuscheln von neuem an:
„Der Doktor Faustus hat beinah dieselben Augen: Ebenso traurig, aber dazu eher grimmig und bedrohlich.“
„Wer ihn reizt, dem ergehts auch schlecht,“ sagte der kleine Student von ehedem wieder.
„Was haben die Salzsieder in Hall denn gesagt?“
„‚Wer ist das elend klein huckrig Männdl?‘ haben sie bloß gefragt.“
„Hat ihn wer hier gesehen? Ist er höckerig?“
„Ja,“ sagte der, welcher vorhin so bedenksam über die Augen des Magus gesprochen hatte. „Er geht in Schwarz und Rot, ist nach spanischer Art gekleidet, hat ein klein’ Barettl, einen kurzen, graugemischelten Bart, der dicht ums ganze Gesicht geht, so daß man die gepreßten Lippen kaum sehen mag. Nur eben die Augen kannst ansehen: Traurig, mißtrauisch und zornig schaut er her.“
„Ist es wahr, daß er keinen Menschen mag ansehen?“
„No, mich hat er so von der Seiten her ganz kurz abtaxiert. Ist mir heiß und kalt davon worden. Er ist nicht größer als der Paracelsus und hat wirklich ein bissel so einen hohen Rücken; geht also hucket neben dem Paracelso her. Ich hinten nach. Sind aber allbeide recht einsilbig.“
„Aber geredt haben sie doch?“ war Sympert Stainer aufgefahren.
„Ja, aber nur zwei Wörtl.“
„Was, was haben die zwei gesagt?“ drängte Stainer.
„Der Faust hat gesagt: ‚Alls, was man entdeckt, macht nur trauriger. Ein einziges Trachten bleibt schön: Der großen Kraft nachgehn.‘“
‚Die sein wir ja selber‘, hat der Paracelsus gesagt.
‚Die ‚ist‘ auchs liebe Vieh‘, hat der Faust repliziert. ‚Vom Sein hab’ ich nichts. Anfassen muß ichs können. Verstehen. Gebrauchen.‘“
„Und der Paracelsus?“
„Hat geschwiegen.“
Von da ab hatte Bertel Stainer nur mehr Klatsch, Wundergeschichten, Derbheiten und Aberglauben über den Faust gehört und war endlich weggerannt, um nur wieder zu seinem machtvoll aufbegehrenden Herzen zurückzukommen.
Jetzt war er allein mit diesem klammgepreßten Herzen, das ihn zwang, immerzu nach Atem zu ringen. Er stand, holte Luft, aber es war zu wenig. Aufstöhnend wankte er weiter, gegen die Bürgerwehr zu. Er sah die hohen Schneeberge jammervoll an, dachte an die dünne und reine Luft dort oben und daß er dort leichter atmen würde können und faßte wieder nach seinen tobenden Herzen, wie ein Erstickender.
„Der allein auf Erden ist es, dem ich folgen muß, wohin er mich auch führen mag. Sei es in den Himmel oder in die Hölle!“
Er blieb stehen und rang nach Luft. „Mein Vater ist verketzert worden. Mein Bruder glaubt an nichts auf dieser Erden, geht ins Italienische und sagt: ‚Musik ist noch das best’ und einzig Ding; — das macht fliegen! Nur der Musikant kann sagen, wes Gemütes Gott und der Teufel sein mögen.‘“
Etwas ruhiger und nachdenklicher setzte Stainer seinen Weg fort: „Und ich? Bei den Rabbis hab’ ich Christus und den Glauben an irgend eine Jungfrau verloren, mag sie heilig oder irdisch sein. Unsere Professores, von denen ich mir aller Geheimnis Essenz erwartet hab’, die sind arme Esel. Sogar ich dummer Kerl ahn’ doch, was die nimmer wissen können! — Der Paracelsus? Er steckt zuviel in der Chemie, als daß man von ihm erfahren könnt, was dies wär, dies erschröcklich, grausam und süß Geheimnis Leben!
Woher das kommen sein mag und warum wir nie davon genug haben mögen? Warum wir’s ewig genießen wollen, so viel Martern es hat? Und warum wir wieder wegmüssen, nachdem wir graue Bärt’ und kahle Köpf’ und faltige Häls’ erleiden mußten? Ein Schand und Spott, wenn das, von Gottes Ebenbild, wahr wär’! Fauste! Fauste!“ — — Und er wiederholte sinnend: „Alls, was man entdeckt, macht nur trauriger. Ein einzigs Trachten bleibt schön; der großen Kraft nachgehen!“
Der kränkelnde Student hob beide Arme: „Da allein glüht die große Schatzkohlen! Da allein glost das Feuer, an dem ich mich wärmen kunnt!“
Er stöhnte noch einmal auf, als wäre er auf den Tod verwundet. Mit einem namenlos hilfsbedürftigen Blick sah er die Berge an, den hellen Himmel, über den leichtsinnig die kleinen Wolken hinzierten; nirgend war Antwort! — — „Ich geh’ zum Fausto.“