Читать книгу Der Satansgedanke - Rudolf Hans Bartsch - Страница 5

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In der Bibliothek des Fürstbischofs hatte Faust, wie überall, alle Bücher durchwühlt. Je älter das Geschrift war, desto gieriger suchte er in ihm und immer wieder warf er weg, was ihm unter den Händen einen Augenblick gezuckt hatte. „Nichts. Nichts.“ Faustens Augen brannten schwermütig und drohend. „Steh’ denn am Ende aller Weisheit dieser Erden ich?! Das wär doch, um sie ins Feuer zu schmeißen, wie Mist!“

Einen Augenblick hielt er aber inne, — als er in den Visionen des Ezechiel blätterte. Da war eine Randnote in veralteter Schrift beigesetzt, die sagte: „Es gibt ein ding, geschaffen von gotte, ist die Ursach alls Wunderbarn, so im Himmel oder auf Erden sein mag, als da wär Tier, Stein und Kraut. Und ist selbigs kein ander ding, als unser seel auch. Du findsts allerort, wenige kennens und keiner gibt ihm den rechten namen. Ist auch vermummt unter zallos rätsel und gestaltung. Aber ohn das künnen weder alchemie noch magia zu einem rat und ziel kummen.“

Faust nickte wissend. Dann las er im Ezechiel die Stelle, die zu jener verschollenen Anmerkung geführt hatte:

„Dieselbige Substanz, welliche der Grund aller Wurzel ist, gehört zum Ort, den man nennet Schamaim (heißet die Himmel). Ist ein Mysterium, all jenen kundt, die von diesem himmlischen Stoffe wissen und von dem jegliche Gattung alle Kraft und Frischheit ihres Wesens erhält. Von dorther auch kommt die Influenz, welche reicht bis auf den Ort, welcher genennet wird Sheakin, oder die Aetherregion.“

„Das ist es; ja, das ist es,“ sagte Faust. „Und weiter kam bisher niemand. Nützen kann mans. Anfassen und ergründen nicht.“

Er warf den Band zu dem Übrigen und griff nach einer Pergamentrolle mit bunten Initialen. „Lieder?“ sagte er bitter lächelnd. Aber er warf aus Langeweile, oder aus Zeitvertreib, einen Blick hinein. Und dann las er:

„owê, war sint verswunden

alliu mîniu jâr!

ist mir mîn Leben getroumet,

oder ist ez wâr?“

Da ließ Faust die Rolle sinken und ließ auch das Haupt noch mehr zwischen die armselig hohen Schultern sinken, als eh.

„O weh, wohin sind schwunden alle meine Jahr!“

Wo war dies Leben hin und was war es gewesen! Viel Betrug und lautes Prahlen, Zechgelage, wüste Nächte mit allsatten Weibern, welche die Neugierde gereizt hatte, wie der Zauberer schmecken mochte. Oder rücksichtslose Besitznahme von kleinen Mädchen, welche seine Kunst und die Macht seiner Augen gelähmt hatte und die nun, zu früh erschauernd und ohne Liebe, duldeten, was sie sonst, später, aber inniglich, dem Einzigen ihres Lebens hingegeben hätten. Immer hatte er von der Furcht der Menschen gelebt oder von ihrer Dummheit und hatte töricht, toll und prasserisch gegen seine eigenen Kräfte gelebt! Jene wunderbare Kraft, die insonderheitlich aus den Augen strahlt, jene Kraft „von der jegliche Gattung alle Frische ihres Wesens erhält,“ er hatte sie ausgestreut und um sich geworfen wie Häckerling, jahraus, jahrein. Und nun brannte sie nicht mehr in so durchnervender Glut aus seinen erlöschenden Augen wie ehedem. Er hatte sich ihrer bedient, wie eine böse Schlange; also bestialisch.

Gaukeleien, Schabernacke, kleine Betrügereien, ob deren er von Land zu Land ausgewiesen wurde. Überall zwar groß Gered, aber auch das übelste Zeugnis hinter sich, Furcht, Haß und Abscheu aller Menschen. Dazu die gelähmt gaffende und zitternde Neugier der kindlich Gebliebenen, denen er gewaltiges Aufsehen erregte. Das war sein Anteil auf Erden und darüber war er nun alt geworden.

Gelten wollen! Das war das verzehrende Feuer seiner Kinderjahre gewesen, wenn Andere, Starke, ihn wie ein Bündel in die Ecke geschmissen! Gelten, erstrahlen wollen, trotz seinem Höcker! Wie dieser Wunsch zehrte und brannte: So sehr, daß er sich selber immer wieder großmäulig zu rühmen begann, wenns andere nicht tun wollten!

Später, als die glühende Sinnlichkeit der Jünglingsjahre zu seiner verzehrenden Großmannssucht noch hinzu kam, war es noch viel ärger geworden. Jeder schöne Kerl nahm ihm ja lachend das Mädchen fort, das er, mit brennenden Augen und fressenden Träumen, monatelang erbetet und erlechzt hatte. Was für Madonnengesichtlein wußte er sündig und doch schienen sie allen andern rein, wie ein heller Tag! Er aber war hinterher geschlichen und hatte horchen und zusehen dürfen. — Zudem hatte sich sein Mißtrauen mit seinem Spürsinn geschärft und bald glaubte er überhaupt keine Reinheit mehr, — auch wo sie war. Haß und Verachtung dem Weibe, glühender Neid dem Manne, das war der Inhalt seiner Jünglingsjahre. Nur wenn er anführen, verleiten, in Abgrund reißen konnte, dann quoll ihm hoch das verwilderte Herz! Je lästerlicher seine Zunge wurde, je schärfer sein Witz, je unfehlbarer sein rachsüchtiges Wort, desto mehr Gefolgschaft fand er unter denen, welchen dies Leben, wie ihm, zu karg zugemessen erschien. Ja, solche Bestien hatten oft mehr Freude an seiner Bosheit, als er und wenn ihm ob einem grauenhaft ersonnenen Schabernack selber das Blut in den Adern zu Eis werden wollte oder seine Haare sich wegen der eigenen Bosheit sträubten, sie johlten und juchten wie freigelassene Sklaven dazu. Unbändig war ihr Vergnügen.

Daß ihm manchmal so das Herz zuckte vor Mitleid, vor Reue oder vor Scham, das waren noch seine besten Stunden gewesen.

Dann endlich kam der große Ruf über ihn. Wilde Studenten, die, wie er, bald von Wittenberg nach dem katholischen Ingelstadt renegierten, dort ebenfalls hinausgeworfen worden waren und nun nach Heidelberg oder Straßburg oder Innsbruck, nach Wien, Krakau, Graz und Prag ausschwärmten, berühmten sich überall seiner Zechgenossenschaft. „Und sie hatten Tod und Teufel nicht gefürchtet.“ Und in Prag hatte der Leibhaftige einmal unter Faustens Präsidium ein Fiduzit auf Alexander Borgias Tod getrunken, seines Freunds, des Papstes! „Gottverdammich, wenns nicht wahr sei!“

So, ja so war sein Ruhm angegangen in deutschen Landen, und was bisher sein Elend gewesen und seine glühende Kohle im Herzen, daß er nicht groß und wohlgestaltet war, eben das wurde nun seine Tugend: Faustus konnte nicht anders mehr aussehen; durfte nicht! Das Volk kannte ihn so, fürchtete sich vor dieser Gestalt und liebte insgeheim das berühmte „bucklig Männlein“, das sich dem „andern Fürsten dieses Weltalls“ verschrieben hatte!

Doktor Johann Faustus (der in Wittenberg sich, dem Kurfürsten zuliebe Johann Georg genennet) hatte jetzt die wilde Freude, daß er zu genießen anfangen durfte in einem Alter, da sich die Weiber andern Männern gegenüber zu versagen beginnen. Als die Zahl Vierzig sich, mit den ersten grauen Fäden, um seine Schläfen schrieb, da erst begannen die Frauen unter dem wilden und ausgefasteten Blick seiner Augen zu erröten oder angstgeschüttelt zu erbleichen, und wußten, sie wären verloren sobald er forderte.

Auch nannte seit diesen Tagen niemand mehr seinen etwas hohen Rücken und seine gehobenen Schultern einen Höcker, wie ehedem die boshaft übertreibenden Salzknappen in Schwäbischhall. Es schien allen Menschen, als könnte ein Mann bei solcher Last des Erkennens, bei solcher Schwere des Gewissens und bei der ungeheuren Schwermut, am Ziele alles Menschendenkens zu sein, gar nicht anders aussehen, als etwas gebeugt und beschwerlich. Das Volk sah nur mehr seine grauen Augen und die waren wie ein Element. So erstaunlich: Sie konnten wie der Himmel leuchten, sie konnten wie das Meer wechseln, schillern, erlöschen oder drohen. Sie waren oft so demütigend ironisch, daß es dem Angeschauten durch Mark und Bein ging. Sie waren oft so todtraurig, daß den Frauen die Tränen kamen. Und niemand wagte sich mehr in seine majestätisch gewordene Nähe, außer er redete ihn selber an.

Jetzt prahlte er nicht mehr. Es lag ihm, den früher die Nichtbeachtung beinahe zerrissen hatte, nichts mehr an der Menschen Meinung. Das war vorüber. Seltsam, daß ihn jemals das luftige Gebilde, welches in eines vergänglichen Wesens Kopf über ihn entstand, mehr aufwühlen konnte, als das, was in irgend einem Kohltopf als Sud brodelt! War nicht sogar der Kohltopf wichtiger, dauernder, notwendiger, als beinahe jedes Menschen Gehirn mit der ewig bestochenen, ewig veränderlichen, ewig betrogenen Meinung darin?

Und je gleichgültiger Johannes Faust über der Menschen Achtung geworden war, desto eifriger richteten sie, dichteten sie, verwunderten sie sich. Über ihn, von ihm, von dem das ganze Reich fabelte.

Längst galt er in Wittenberg als der lebendige Antichrist. Als Gegenbild des frommen, gottestapfern Luther. Luther: fleißig, einfältig und gewährend wie Gott, Faust lässig, gescheit und absagend wie Satan. Das waren die beiden seelischen Enden Deutschlands.

Aber des war Johannes Faustus nicht zufrieden. Hätte er stehen bleiben können auf dem Jetzt seiner fünfzig Jahre, er hätte dem Teufel unbedenklich die selben Vasallendienste verbrieft, die er ihm, ungefordert, ohnedies tat! Aber er glaubte an keinen Teufel, und die einzige Macht, die er fürchtete und inbrünstig haßte, das war die Zeit. Noch brannten seine Sinne, und je weiter er auf Erden umhergekommen war, desto mehr erkannte er, daß er immer ergriffener zu wissen begönne, was Schönheit sei.

Er suchte keine Weisheit mehr. Nur Schönheit begehrte er noch.

Er war durch Italien gekommen und hatte die antiken Bildsäulen gesehen und Giorgiones und Tizians entblößte, goldklare Frauen. Jetzt erst war er dahin gekommen, mit allen fünf Sinnen zugleich Liebe zu ergründen! Und jetzt rannte die Zeit vor ihm davon, wie sonst die kleinen Kinder.

„Weh, wohin sind schwunden alle meine Jahr!“

„Und was hab’ ich aus diesen Jahren gemacht? Zu allem Heil Gottes: was hab’ ich aus ihnen gemacht!“

Irgendein gestörtes Fühlen weckte den Doktor aus seinen aufjammernden Gedanken, — er fuhr herum. Die Türe hinter ihm ging zögernd auf, dann stand, leichenblaß vor Erregung, Bertel Stainer, der Student, in der Türe. Er war entsetzt, daß der unheimliche Doktor, so mäuschenleise er die Pforte zur Bibliothek geöffnet hatte, seine grauen Augen geradezu nach ihr hinbohrte, ehe sie aufgegangen sein konnte und er blieb stehen wie ein Kind, dem übel wird.

„Ich hab’ Euch gefühlt,“ sagte Faust. „Kommt immer heran. Was wollt Ihr?“

Der Ton seiner Stimme war ruhig und traurig; beinahe gerührt. Da gewann der Student einen mächtigen Mut, stürzte zu Fausto hin und wollte sich auf die Knie werfen: Der Doktor wehrte es ab.

„Doktor, Doktor Johannes Fauste,“ rief er dem Manne, der eben selber so hilflos mit dem Leben abgerechnet hatte, zu: „Ihr allein auf der ganzen weiten Erden könnt mir helfen und mich glücklich machen!“

Der Satansgedanke

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