Читать книгу Der Satansgedanke - Rudolf Hans Bartsch - Страница 7
ОглавлениеAber das war es, was Doktor Johann Faustus zu dem verzauberten Studenten gesagt hatte, soeben; — und ihm dann Vergessenheit aufgelegt:
„Du bist mit Wissen und Willen, ja aus gar großer Sehnsucht zu Einem gekommen, der schon mehr in der Sag und Phantasei der Menschen lebet, denn daß er selber wäre. Ist dir nicht, als wär das ein Traum?
„Du bist durch eine Magie, die dir selber unerklärbar ist, hingezogen zu einem, der sich, hellwissend, dem Zerstörer dieser Gotteserden verschrieben hat und begehrst Anteil am Reich des Versinkens. Dir ist selber so, daß dem nicht in Wahrheit so wäre; — sondern all das ist ein Traum.
„Es war einmal eine mächtig große Insel im Ozean, der heute noch ihren Namen trägt; hieß Atlantis. Ein Prophet war dort, hieß Gatamura. Der erkannte zu Recht, daß dort Land und Leut am längsten gelebt haben sollten und ließ Wasser ein in einen feuerspeiend’ Berg, so nach unten barst. Und das ganze Land versank mit Mann und Maus in einer einzigen Nacht. Ich aber, mit jedem Morgen, den ich erwach, sag: ‚Hilf mir zu dir und deiner Weisheit, Gatamura! Auf daß ich alles Land, drauf Menschen leben, versenk’ in Feuer und Wasser.‘ — Zu diesem bist du gekommen. Faustus heiß ich mich und das bedeutet: der Glückliche. Und bist zu einem Glücklichen gekommen, der Tag und Nacht nichts anderes sinnt, als wie er untergehen könnt zusammen mit dem erbärmlichen Gezücht, das ein Gott angeblasen haben soll, ist aber jämmerlicher als jede Katzenart und vertilgenswert wie Geschmeiß und Ungeziefer, anders steht die Sach nit. Das alles ist wunderlich und ist ein banger Traum; nit?“
Immerzu sah Johannes Faustus dem Studentlein in die Augen, welche zusehends größer wurden und zuletzt ins Endlose zu schauen begannen. Und bei diesem letzten, ermunternden Worte: „Nit?“ sagte der Student mit ferner Stimme: „Ja.“
„Willst du weiterträumen?“
„Ja.“
„Dann hör’ und tu’s in den Grund deiner Seelen. Es gibt nur zwei Arten von Mensch. Die einen wollen aus sich fort und weiter, wie sie’s nennen. Die andern wollen zu sich selber. Jeden magst du prüfen, immer ist er nur das eine oder das andere. Die zu sich selber wollen, die kriegen nur Töchter oder Söhn’, so des Lebens ganz unkräftig sein; aber in ihnen selbsten wohnt eine unersättliche Gier, zu leben. All ihre Vorfahren, Edelleut, Geldraffer, Bauern, Soldaten, Taglöhner und Bettler, die wollen noch einmal zusammengeballt in diesem einen Menschlein auflodern, wie eine goldene Flamm und alles auf eine Karten setzen, alls auf einen Zug austrinken, und wenns ein arm bucklet Männlein wär, das sie sich ausersehen haben für ihr angesammeltes Begehr! Du bist so einer, ein Letzter; und mit dir wird die Pflanzen deines Geschlechts abdörren, gleich wie sie mit dem heiligen Franz abgedörrt ist oder hinter dem Aufblühen der hundertjährigen Aloepflanzen. Ist all eines und Heiliger und Wüstling sind nur zwei Strophen im Madrigal, das den Kehrreim hat: ‚Verbrennen will ich vor Gier nach Ewigkeit!‘“
„Ich halt dich nit, Sympert Stainer; du selber mußt dich an mich halten, als wie wenn du gar nit anders kunntest. Ich halt dich nit; ich warn dich und vermahn dich ganz ernsthaftiglich! Wer bisher mit mir hat gehn wollen, der ist immer noch vorzeitig abgefallen vom ganz großen Weg des Vernichtungsengels und hat sich selber einen jämmerlichen, unreifen Schluß gemacht. Ich leb’ immer noch, obwohl mich alle weghaben wollen. In Kreuznach hat mich der Sickingen schon hinausgeschmissen, da war ich noch ein junger Lecker; hab mich zum Lehrer bestellen lassen und meinen Buben gesagt: ‚Es ist nichts mit Welt und Gott und Menschen; werdet die Letzten eures Blutes.‘ Da sein die einen ihren Eltern aufsässig worden, die andern zu den Soldaten geloffen, die dritten zur Bierbank. Das war meine Frucht und Schul: Keiner hats ausgehalten; waren alle doch nur Menschen, die anderswohin dirigiert waren, als zu sich selber hin.
„Ich hab’s damals noch nit verstehen mögen; hab’ gemeint, alle wären wie ich selber und kennten kein ander Begehr, als tief in ihr eigen Blut versinken! Dann aber hat sich mein zweiter Famulus erhenket, wie Judas, nachdem er den Wittenberger Pfaffen verraten, was ich ihn gelehret. Lange Zeit hab ich keinen Famulum mehr haben mögen und hab einen schwarzen Hund mit meiner Kunst Seel und allerlei Geheimnis eingeblasen, so daß die Leut vermeinten, es wär ein höllischer Diener. Den Hund hab’ ich verkaufen müssen; — bin ja mein Lebtag ein armer Schlucker gewest. Hieß Prästigiar, der Hund und ein Abte zu Halberstadt hat mir ihn abgeschwätzt. Der war mein allergetreuester Famulus. Sodann kam der Christoph Wagner, der annoch zu Wittenberg sitzt und meine alchymistischen Proben instand hält und nacharbeitet. Der hat sich verhurt und versoffen. Und so sind alle Menschen, die mir anhingen immer bloß die jämmerlichen, die ganz kleinen und geringen Abweg’ des Teufels gegangen und ihrer keiner den großen und stolzen Weg bis zum Krieg gegen Gott. Das sollst du wissen und innerlich darüber nachträumen, damit du dich fürchtest und nimmer zu mir kommst, wenn dein Begehren halb wär. Dreimal müßtest du selber so zu mir kommen, ehe denn ich dich annähme. Dann aber will ich es aufrichtig mit dir halten und gemeinsame Arbeit tun mit dir, dir auch die Augen öffnen für die letzten Tiefen, vor denen Faustus und Infaustus gleich sind. Jetzt aber erhol dich langsam deines Traumes und in währenden Gehen von hier erwach du immer mehr und geh zu dem liebsten Wesen, das du sonst auf Erden magst haben und schütt ihr dein Herze aus. Von mir hast du alles vergessen außer meiner großen Schwermut; daß Gott diese Erden so jammervoll mißgeschaffen hat am sechsten Tag. Das sollst du behalten und nichts anderes für heut. Geh, mein Sohn.“
So und nicht anders hatte der Gewaltige die Phantasien des jungen Menschen vorzubereiten begonnen, dessen angstvoll bittende Kinderaugen ihm wohlgefallen hatten, wie seit Jahren keine andern. Denn wenn Faust auch das Menschengezüchte im ganzen haßte und nichts anderes sann, als wie er dem Gott diese mißratene Art wieder abschneiden und gänzlich zunichte machen könnte, so ließ sich doch sein Wesen immer wieder, einzelweise, zu ein wenig Liebe und Herzlichkeit heraus, wie er denn auch stets der beste Herzbruder und Zechgesell seiner Freunde war und niemals einem untreu. Sondern er tat mit herzlichster Gutmütigkeit jedem, was er ihm nur an den Augen absehen konnte und hat wohl niemandem, den er lieb gewonnen, jemals eine Bitte abgeschlagen. Daher er auch niemals zu sonderlichem Vermögen gelangt war, ein paar kostbare Geschenke von fürstlichen Kleinodien abgerechnet, die er irgendwo bei einer alten Muhme im Breisgau verwahrte, damit er sie nicht auch wegschenke, bäte ihn jemand darum.
Als aber der gebannte Junge weggegangen war, wie ein ganz Versponnener und Faust ihm mitleidig nachgeblickt, fielen seine Augen, die ermüdet waren von dem vielen Ausströmen der Willens- und Lebenskräfte, wieder auf das alte Bußlied: „Owê, war sint verswunden —“
Und mit einem schweren Seufzer sank der alternde Mann in den verbräunten Lederstuhl und grübelte: „Ein End’, nur endlich ein End’ für mich und alle, die da seit Äonen gefoppt und gequält durch den kurzen Sonnenschein kriechen müssen und stets ganz andere Äonen lang weiter den Löscheimer zum Sehnsuchtsbrande von Hand zu Hand reichen werden müssen, bis die Erde kalt geworden ist wie eine Geliebte, die uns verachten gelernt. Und stumpfe, gekrümmte Tiere werden sogar dann noch eine Weile frierend beieinander hocken, gleich mir, der jetzt schon für alle gebeugt ist und für alle fröstelt!“
Das war eine Lebensstunde des alternden Doktors Faust gewesen.