Читать книгу Kaana - Rudolf Jedele - Страница 10
Die Zeit des Davonlaufens war vorbei.
ОглавлениеEr nahm seine Traglast von den Schultern und legte sie in aller Ruhe auf dem Boden ab. Er öffnete die Verschnürungen und begann die Last neu zu ordnen und zu packen.
Das Schwert, die langen Speerspitzen und die unterschiedlichen Messer, die Zange, das Sortiment an Nadeln und auch die Axt brauchte er nicht, all diese Gerätschaften packte er in das Innere seiner Bettfelle. Seine letzten Ersatzkleider, den warmen Mantel aus Bärenfell, die noch kaum getragenen Mokassins mit den kniehohen Schäften. Alles was er noch an Lebensmitteln besaß. Er wickelte es als Polsterung um das innere Paket, dann hüllte er den ganzen Packen in die große Plane auch Elchleder, die ihm während seiner Flucht so gute Dienste getan hatte und verschnürte das Ganze zu einem strammen Bündel. Er stabilisierte das ganze noch dadurch, dass er die Schäfte seiner beiden Jagdspeere – die Spitzen hatte er bereits in seiner Last verpackt – in die Verschnürung schob. Nun hatte er ein festes Paket vor sich liegen, in dem praktisch seine gesamte Zukunft steckte. Joshara richtete sich auf und schob das Paket mit dem Fuß an den Abgrund. Tausend Schritte oder mehr ging es hinunter, doch die Polsterungen würden den Sturz dämpfen und Joshara war sich sicher, dass seine Habe als ganzes Paket dort unten in der Geröllhalde landen würde. Ohne zu zögern gab er dem Packen einen kräftigen Tritt und verfolgte den Sturz gespannt. Dreimal schlug der Packen unterwegs an Zinnen und Felsvorsprüngen auf, dann krachte er in den oberen Rand des Gerölls und blieb liegen.
Die Verschnürungen hatten gehalten, die Last war in einem Stück unten angekommen und nun konnte Joshara sich seinen anderen Vorbereitungen widmen.
Er hatte sich von jeder Art von Ballast befreit, die ihm in einem Kampf hinderlich sein würde. Bei sich behalten hatte er sein langes Jagdmesser und zwei kleinere Messer, die er in den Schaftscheiden seiner Mokassins stecken hatte. Sein rehledernes Jagdhemd, die eng anliegenden Leggins aus Elchleder, mehr an Kleidung brauchte er nicht mehr. An seinem Gürtel hatte er ein gut fünfzig Fuß langes, geflochtenes Lederseil hängen und einen Köcher mit zwei Dutzend dreifach gefiederten, langen Pfeilen und diese Pfeile hatten eiserne Spitzen. Seinen schweren Hornbogen hatte er neben sich auf dem Boden liegen, jetzt nahm er ihn auf, holte die Sehne aus der Bodentasche seines Köchers und spannte den Bogen. Er wischte das Fett von der Sehne, dann prüfte er die Spannung und den Klang und ein zufriedenes Lächeln tauchte auf seinem Gesicht auf. Jeder Jäger im Clan benutzte einen solchen Bogen und die Reichweite dieser Bögen betrug gut und gerne dreihundert Schritte. Allerdings konnte man auf diese Entfernung hin einen Pfeil fast mit der Hand aus der Luft fangen. Joshara aber war nicht nur ein ausgezeichneter Schmied, er war auch sonst ein findiger Geist und deshalb benutzte er seit langem geflochtene Sehnen an seinem Bogen. Vier Fäden bildeten die Sehne, wobei ein Faden die „Seele“ der Sehne abgab, während die drei anderen als Hülle um diese Seele herum geflochten waren. Mit dieser Sehne besaßen seine Pfeile auch auf dreihundert Schritte noch eine tödliche Durchschlagskraft. Dazu die eisernen und unglaublich scharf geschliffenen Spitzen, seine Verfolger mussten sich vorsehen…
Joshara war nun bereit, um sein Leben zu kämpfen. Er war bereit, den Preis für seine Freiheit zu bezahlen, auch wenn es mit seinem eigenen Blut sein sollte. Er sah sich um und erkannte, in welch vorteilhafter Situation er eigentlich war. Die Verfolger waren noch so weit weg, dass die Sonne untergegangen sein würde, ehe sie den Absturz erreicht hatten. Kein Jäger war wohl verrückt genug, bei Einbruch der Nacht noch in eine solche Wand einzusteigen, also würden die Verfolger am Rand des Absturzes ein Lager aufschlagen. Die Kante entlang des Absturzes war beileibe keine gerade und ebene Fläche sondern eine Wildnis aus Fels und Buschwerk. Es gab Verstecke ohne Zahl und Joshara suchte sich einen etwa drei Mann hohen Findling als Lauer aus, dessen obere Decke flach zu sein schien, denn sie war mit Büschen bewachsen.
Er lag trocken und unsichtbar unter den Büschen und hielt seine Augen auf seine eigene Fährte geheftet. Er rechnete nicht damit, dass seine Gegner sich irgendwelche Listen ausgedacht hatten, um sich dem Absturz zu nähern. Warum auch? Joshara hatte sich auf der ganzen Flucht nur einmal gestellt und auch da war er sich sicher, dass sie eher an eine Naturkatastrophe glaubten, als an einen Steinschlag, den ihre Beute ausgelöst hatte.
Seine Ahnung trog ihn nicht. Sie kamen in raschem Lauf den Hang herunter auf den Absturz zu und sie achteten nicht einmal darauf, besonders leise zu sein. Sie fanden im letzten Tageslicht die Stelle, an der Joshara seine Traglast neu gepackt hatte und als sie die Spuren untersucht hatten, waren sie sich absolut sicher, dass Joshara noch in die Wand eingestiegen war und bereits ein ordentliches Stück Abstiegs hinter sich gebracht hatte. Sie berieten sich kurz, dann entschied einer der Jäger, ein älterer Mann, der einstmals zu Josharas liebsten Lehrern auf der Jagd gehört hatte, dass er und noch drei andere trotz des unmittelbar bevorstehenden Einbruchs der Dunkelheit ebenfalls den Abstieg beginnen würden.
„Auch wir werden in der Wand übernachten, denn viele Möglichkeiten, den Schmied zu töten bleiben uns nicht mehr. Morgen müssen wir es zu Ende bringen und dann müssen wir schnellstmöglich nach Hause zurückkehren. Unsere Familien brauchen uns und wir müssen den Verlust von sechs weiteren Jägern ausgleichen.“
Vier der Verfolger entledigten sich ebenfalls allen unnötigen Ballasts und begann in den Absturz zu klettern. Die beiden anderen richteten an der Kante ein Lager ein, machten Feuer und bereiteten sich etwas zu essen zu. Joshara vermochte ein zufriedenes Grinsen nicht zu unterdrücken. Besser konnte es nicht für ihn laufen.
Er wartete noch so lange, bis es endgültig dunkel geworden war, dann richtete er sich an der Kante des Findlings lautlos auf, spannte seinen Bogen und legte einen der beiden vorbereiteten Pfeile auf. Die Entfernung betrug etwa hundertfünfzig Schritte und auf diese Distanz war er in der Lage, einer Fliege das Auge auszuschießen. Das Kochfeuer der beiden Verfolger gab Licht genug, er konnte seine Ziele nicht verfehlen.
Der erste der beiden Verfolger starb lautlos, denn Josharas Pfeil drang ihm durch das rechte Auge mitten ins Hirn und er war tot, noch ehe sein Gegenüber den Kopf heben konnte. Auch dieser starb rasch, denn Josharas zweiter Pfeil durchbohrte seinen Nacken und trat zur Kehle wieder aus, ein blasiges Röcheln war bis zu Joshara zu hören, dann kippte der Mann zur Seite und lag regungslos neben dem Feuer.
Joshara sprang von dem Findling und lief rasch zum Feuer hin. Er überprüfte die beiden Leichen, dann schnitt er seine Pfeile aus den Wunden und nahm sie wieder an sich, erst danach bewegte er sich vorsichtig auf den Absturz zu um hinunter zu spähen. Joshara war ein erfahrener Jäger und das Wissen, dass er vielleicht seinen letzten Kampf zur Erlangung seiner Freiheit kämpfte, schärfte seine Sinne und seine Kampfbereitschaft über alle Maßen. ES war nur ein leises Schnaufen, das aus der Tiefe des Absturzes zu hören war, doch das Geräusch sagte Joshara, dass einer der vier Kletterer Verdacht geschöpft haben mochte und wieder nach oben geklettert kam. Joshara lag ruhig und entspannt genau neben der Stelle, an der die vier Männer den Abstieg begonnen hatten und tatsächlich, wieder hatte er richtig spekuliert. Der vierte Jäger tauchte genau an dieser Stelle auch wieder auf. Er schob seinen Kopf vorsichtig über die Kante, sah sich um und sah die beiden Toten am Feuer liegen. Er wollte den Mund öffnen, wollte schreien, doch plötzlich war da eine starke Hand in seinem Haar, hielt ihn fest und dann zuckte ein gleißender Blitz durch die Nacht. Josharas Jagdmesser glitt durch das Fleisch des Verfolgers, wie ein heißes Messer durch Bienenwachs gleitet. Außer einem leisen Röcheln brachte der Kletterer nichts mehr zustande. Ein dicker Schwall Blut schoss aus seinem Mund, Joshara zog ihn an den Haaren nach oben und legte ihn neben den beiden anderen Leichen am Feuer ab.
Die Hälfte seiner Verfolger war tot und um die drei noch Verbliebenen würde er sich auch gleich kümmern. Doch zuerst stand etwas anderes an.
Die Verfolger waren mit Lebensmitteln deutlich besser ausgestattet gewesen, als er selbst. Joshara fand in ihrem Gepäck reichlich Dörrfleisch und eine Menge ziemlich frischer Fladenbrote. Das Wasser in ihren Flaschen war frisch und sauber und so konnte Joshara sich erst einmal richtig satt essen. Danach durchsuchte er die Traglasten seiner Verfolger und sortierte aus, was er brauchen konnte. Alle bronzenen Waffen und Geräte, alle Pfeile und ihre Köcher, und die schweren Hornbogen packte er zu einer neuen Traglast zusammen, verschnürte und versteifte auch diese mit den Schäften von Speeren und schob sie dann zur Kante des Absturzes. Nun waren noch weitere Felle und Lederdecken übrig, dazu das Dörrfleisch und eine Menge anderer Nahrungsmittel. Auch diese verpackte er in einer Traglast und machte sie bereit zum Abwurf.
Er war eben mit seiner Arbeit fertig, als im Osten der Mond aufging und Joshara konnte sich ein zufriedenes Grinsen nicht verkneifen.
Die Nacht war klar und der Himmel vollkommen wolkenlos. Der Mond war nahezu voll und es war plötzlich so hell, dass Joshara perfekte Voraussetzungen für eine nächtliche Jagd bekam. Bei solchen Lichtverhältnissen war er schon häufig in schwierigen Wänden herum geklettert und jetzt sollten die letzten drei seiner Verfolger erleben, was es bedeuten konnte, sich mit einem Mann wie Joshara anzulegen. Aus dem Gejagten wurde nun ein gnadenloser Jäger.
Er glitt die Wand hinunter, als wäre er plötzlich zu einer riesenhaften Eidechse mutiert. Schneller und geschmeidiger als jeder andere Mann seines Clans es gekonnt hätte, stieg er die Wand hinunter und schon nach kurzer Zeit hatte er den ersten seiner Peiniger eingeholt. Der Mann hatte sich hinter einer Felszinne versteckt und für die Nacht eingerichtet. Um in Ruhe schlafen zu können, hatte er sich mit einem geflochtenen Lederseil an die Felsen gebunden und er schlief tatsächlich tief und fest, als Joshara die Felsen herunter geglitten kam.
Ein kurzer Blick genügte, dann zuckte das eiserne Jagdmesser vor und durchtrennte dem Schlafenden die Kehle. Ein schneller und nahezu geräuschloser Tod. Joshara löste das Lederseil, den Toten aber ließ er, wo er war. Die Geier würden sich am nächsten Tag um ihn kümmern.
Auch den zweiten Mann fand es schlafend vor. Etwa dreißig Schritte tiefer lag er auf einem schmalen Sims und auch er hatte sich mit einem Seil gesichert, um nicht im Schlaf abzustürzen. Joshara zertrennte das Seil dicht am Sicherungsknoten, dann stupste er den Schläfer an. Ein leichter Stoß in die Rippen genügte. Der Mann war Jäger und schlief nur einen seichten Schlaf. Er riss die Augen auf, starrte in Josharas wildes und von einem Monate alten Bart überwuchertes Gesicht und hörte die leisen Worte: