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Der Lokführer rieb die Hautfetzen mit einem Schneeball von der Lok

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Der Warteraum des Ziersdorfer Bahnhofes war gut besucht. Die Fahrgäste warteten auf den Zug von Wien Franz-Josefs-Bahnhof nach Gmünd, wohin auch meine Mutter mit mir fahren wollte, um eine Tante zu besuchen. Es war immer noch Winter und kalt. Schneewehen wirbelten über die Schienen und der Wind ließ die blinkenden Schneekristalle an den Fenstern des Warteraums hochstäuben. Im Warteraum saßen nicht nur Reisende, die auf den Zug warteten, sondern auch Leute aus dem Ort, die etwaige Neuigkeiten in Erfahrung bringen wollten oder einfach nur einen gemütlichen, warmen Raum suchten.

Gemütlich war der Warteraum wirklich. Der gusseiserne Kanonenofen war mit wohlriechendem glühenden Koks gefüllt. Die braun lackierten, an den Kanten abgestoßenen Lamperien, die massiven dunklen Holzbänke, die um den großen, aus dem gleichen dunklen Holz gezimmerten Tisch geordnet waren, und der schwarz geölte Fußboden rochen einladend. An der linken Seite befand sich ein breites Fenster in den nächsten Raum, das im selben Braun lackiert war wie die Lamperie.

Im unteren Drittel des großen Fensters war eine kleine Schalteröffnung, und hinter dem Schalter saß der Bahnhofsvorstand und verkaufte die Fahrkarten. Seine rote Tellerkappe mit ihrem schwarz gelackten Schirm wurde rundherum von einer dünnen schwarzen Kordelschnur umfasst und vorn in der Mitte war ein Abzeichen, auf dem ÖBB stand. Auf der dunkelblauen Uniformjacke des Bahnhofsvorstands prangten goldene Knöpfe und verschiedene Abzeichen. Ich war fünf Jahre alt und fürchtete mich vor diesem Menschen. Solange ich zurückdenken kann, hatte ich vor Uniformen Respekt bis Angst. Wie war ich doch froh, als meine Mutter endlich die Fahrkarten dritter Klasse für uns in der Hand hatte. Was hätten wir bloß gemacht, wenn es aus irgendeinem Grund nicht möglich gewesen wäre, eine zu erwerben! Was wäre geschehen, wenn uns dieser Mann in seinen prangenden goldenen Knöpfen und Abzeichen die Fahrkarte einfach verweigert hätte!

Dieses Gefühl der überall lauernden unerwarteten Zwischenfälle verfolgt mich auch noch über sechzig Jahre später, bis zum heutigen Tag. Zwischenfälle, die plötzlich wie aus dem Nichts auftauchen und alles zunichtemachen. Zwischenfälle, wie sie schon damals die Bahnfahrt von Ziersdorf nach Gmünd bereithielt.

Beide saßen wir, meine Mutter und ich, in der Ecke – besser gesagt, wir kauerten – und warteten auf den Zug. Meine erste Fahrt mit der Eisenbahn! Meine Mutter hatte eine große Tasche in der einen Hand und mit der anderen Hand hielt sie, fest umklammert, die Fahrkarten. Ihren schwarzen, dicken Stoffmantel und ihr rot kariertes Kopftuch hatte sie trotz der Wärme im Warteraum nicht ausgezogen. Auch ich behielt die gestrickte Pudelhaube und den neuen Anorak an, den ich zu Weihnachten bekommen hatte.

Endlich hörte ich das ferne Pfeifen des Zuges. Alles erhebt sich von den Bänken, sucht seine Taschen, Koffer, Schachteln, Stoffbinkel und sonstigen Gepäckbündel zusammen, um zum Perron zu gehen. Auch wir schauen noch einmal auf die Bank, ob wir auch wirklich nichts vergessen haben. Langsam und dampfend rollt die Lokomotive heran und kommt mit Pfeifen, Fauchen, Schleifen und Quietschen endlich zum Stillstand. Wir reihen uns ein und warten, bis wir einsteigen können. Das Coupé dritter Klasse ist bis auf den letzten Platz besetzt. Ich erinnere mich noch an die hellbraunen Holzbänke mit den Rückenlehnen aus Brettern, in die von jungen Liebenden Herzen und große Buchstaben oder auch Herzen mit kleinen Buchstaben darin eingeschnitzt waren.

Trotz der Wärme im überfüllten Abteil pfiff der ohnehin schon eisige Wind, je schneller die Fahrt wurde, nur umso schneidender durch die Ritzen, und zwischen dem geschlossenen Fenster und dem Fensterrahmen bildeten sich Reif und Eiskristalle. Als ich daher versuchte, den breiten Lederriemen über den Metallknopf unter dem Abteilfenster zu ziehen, sauste das Fenster plötzlich mit großem Rums nach unten und eiskalter Schneewind wirbelte durch den Wagen. Meine Mutter schimpfte mit mir, entschuldigte sich bei den übrigen Fahrgästen für meine Ungeschicklichkeit und schämte sich. Ich schämte mich auch.

Nach etwa einer Dreiviertelstunde quietschen schrill die Räder, der Zug wird mitten auf freiem Feld beängstigend plötzlich immer langsamer, man hört einen dumpfen Laut, polterndes Geratter, und dann bleiben wir mit einem heftigen Ruck stehen. Die Fahrgäste im Coupé dritter Klasse fallen von ihrer Bank auf die gegenüberliegende und schlagen ihre Köpfe gegeneinander. Was ist passiert? Alle schauen zum Fenster hinaus. Zaghaft und mit ängstlichem Blick steigt meine Mutter mit mir aus dem Waggon, und als wir in den Schnee neben den Geleisen treten, hält sie mich fest an der Hand, als wolle sie sagen, wir bleiben zusammen, hab keine Angst, der Zug fährt ohne uns schon nicht weiter.

Nach wenigen Schritten sehen auch wir den zertrümmerten grünen Traktor vor der Lokomotive stehen. Der Traktorfahrer hatte auf der schneebedeckten Straße zu stark gebremst, war auf dem vom Schnee verdeckten Glatteis erst ins Rutschen, dann ins Schleudern gekommen, hatte mit enormer Wucht die rot-weiß-rote Bahnschranke durchschlagen und war mitten auf den Schienen zum Stehen gekommen. Der herandonnernde Zug hatte nicht mehr halten können und den Traktor samt Anhänger über hundert Meter hinweg vor sich her geschoben.

Der Fahrer des Traktors war gegen die Lokomotive geschleudert worden, wodurch sein Kopf zertrümmert und sein Körper zerquetscht wurde. Die Frau des Fahrers, die auf dem Anhänger gesessen hatte, flog in kurzem Bogen vom Wagen und mit dem Kopf direkt auf die danebenliegenden Eisenbahnschienen. Die aufgrund der schlechten Witterungsverhältnisse sehr spät vor Ort eintreffende Rettung konnte nur noch die zwischenzeitlich erstarrten Leichen bergen. Der einst weiße und nun rußige Schnee war mit vielen roten Spritzern übersät. An der Stirnseite der Lokomotive klebten angefrorene Hautfetzen und ausgerissene Haarbüschel. Der Lokführer machte große Schneebälle und versuchte damit die angeklebten Hautfetzen und Haarbüschel von der Lokomotive zu reiben.

Meine Mutter nahm mich an der Hand und ging mit mir in das leere Abteil zurück. Wir setzten uns an unseren Platz und warteten auf die Weiterfahrt. Meine Mutter weinte still vor sich hin.

Die Schweinedärme kullerten platschend auf den glitschigen Boden

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